Protocol of the Session on February 22, 2001

Wir haben also viele Dinge eingeleitet, vieles bleibt zu tun. Frau Linnert hatte ja die Debatte genutzt, um auch konkrete Einzeldinge anzusprechen, denen ich natürlich, soweit sie mein Ressort betreffen, nachgegangen bin, vor allen Dingen sofort Ihrem Vorwurf zum Sozialamt Hemelingen.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Ja, da gehen Sie einmal hin!)

Dem bin ich nachgegangen! Es trifft zu, dass das Sozialamt Hemelingen heute keine geöffnete Tür hatte wie sonst.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Morgen? Übermorgen?)

Meine Information ist, dass heute wegen einer Dienstbesprechung das Sozialamt Hemelingen einen Notdienst eingerichtet hatte. Es war sehr wohl zugänglich, hat aber eben nur über einen Notdienst die dringenden Fälle abgearbeitet. Wenn Sie andere Informationen haben, sollten wir das gleich austauschen. Ich bin dem nachgegangen und gehe davon aus, dass meine Informationen von direkt vor Ort stimmen. Das werden wir aber klären können. Wir wollen also natürlich auch dort kundenfreundlich sein, so kundenfreundlich wie nur irgendwie möglich angesichts mancher Bedingungen.

Wir wollen natürlich niemanden verschrecken. Auch bei einer Initiative Grenzenlos liegt mir nicht daran, jemanden zu verschrecken. Nur manchmal scheitert man dann auch an den Ressortzuständigkeiten.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Mitteilung des Senats Kenntnis.

Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Orientierung in die Landesverfassung (Gesetz zur Än- derung der Landesverfassung)

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 21. Dezember 2000 (Drucksache 15/581) 1. Lesung

Wir verbinden hiermit:

Einsetzung eines nichtständigen Ausschusses gemäß Artikel 125 der Landesverfassung

Dazu als Vertreter des Senats Herr Bürgermeister Dr. Scherf.

Wir kommen zur ersten Lesung.

Die Beratung ist eröffnet.

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten unsere Landesverfassung zitieren, sie bestimmt in Artikel 2 Absatz 2: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner sozialen Stellung, seiner religiösen und politischen Anschauung bevorzugt oder benachteiligt werden.“ Soweit der Artikel unserer Landesverfassung, wie er zurzeit gilt!

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt heute den Antrag, unser Verfassungsverbot von Benachteiligung und Diskriminierung zu erweitern und auszudehnen um die Bestimmung: Niemand darf wegen seiner sexuellen Orientierung benachteiligt oder diskriminiert werden. Niemand darf Nachteile erleiden, zurückgesetzt werden oder gar – das ist ja noch gar nicht so lange her – verfolgt werden, weil er oder sie schwul oder lesbisch ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, drei Ereignisse im vergangenen Herbst haben uns ermutigt und bewogen, diesen Antrag heute erneut zu stellen, der ja vor vier Jahren schon einmal von uns eingebracht worden ist und damals von der großen Koalition abgelehnt wurde. Erstens: die Proklamation der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in deren Artikel 21 es heißt, gestützt auf den Vertrag von Maastricht, ich darf wiederum zitieren: „Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt,

des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.“

Das ist heute gemeinsames europäisches Verständnis über die Notwendigkeit, die Gefahren von Diskriminierungen und Zurücksetzungen umfassend zu benennen. Das sind auch die Erfahrungen aus der Geschichte.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das zweite Ereignis war die Debatte in diesem Haus im November 2000 über das Gesetz zur eingetragenen Lebenspartnerschaft. Sie erinnern sich, in der Beurteilung des konkreten Gesetzentwurfes ist die CDU, und kommt sie vermutlich heute noch, zu anderen Schlussfolgerungen als die Grünen und die Sozialdemokraten gekommen. Ich habe die Debatte aber dennoch insgesamt als einen großen Fortschritt wahrgenommen, in Inhalten und Atmosphäre und vor allen Dingen auch in der Art und Weise, wie das, was mein Kollege Engelmann von der SPD hier vorgetragen hat, aufgenommen worden ist.

Er hat an die lange Tradition der Unterdrückung der Homosexualität und der Homosexuellen erinnert, vor allen Dingen an die tödliche Unterdrückung zur Zeit des Nationalsozialismus. Er hat aber auch festgestellt, dass die Unterdrückung, die Ungerechtigkeit und die Diskriminierung über das Jahr 1945 hinaus fortgesetzt worden sind. Das ist ganz entscheidend, dass das eben nicht mit dem Jahr 1945 zu Ende war, sondern weitergegangen ist. Erst Ende der sechziger Jahre hat da eine Änderung eingesetzt.

Nebenbei gesagt, meine Damen und Herren, wenn heutzutage häufig die Frage gestellt wird, was sich denn eigentlich durch den gesellschaftlichen Aufbruch von 1968 geändert hätte, haben Sie hier ein ganz konkretes und weitreichendes Beispiel.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wie übrigens auch der absurde Kuppelparagraph, oder was es da sonst noch gab, die Vorschrift, dass der Mann mitzubestimmen hatte, was und ob die Frau arbeitet! Das sind alles Dinge, die Anfang der siebziger, Ende der sechziger Jahre weg gewesen sind. Das war Ergebnis dieses großen Aufbruchs.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, das dritte Ereignis, das den Anstoß gegeben hat, war die Verabschiedung einer Erklärung des Deutschen Bundestages im Dezember 2000 und auch dies mit übergroßer Mehrheit über alle Fraktionen hinweg, in der es unter anderem heißt, ich darf wiederum zitieren:

„Der Deutsche Bundestag verurteilt jede Form der Diskriminierung, Anfeindung und Gewalt gegen Schwule und Lesben. Er bedauert, dass Schwule und

Lesben in der Vergangenheit schweren Verfolgungen ausgesetzt waren und auch heute noch mit Diskriminierung konfrontiert werden. Einen Höhepunkt erreichte die Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus, aber sowohl in der BRD wie auch in der DDR wurden nach 1949 Menschen wegen einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Beziehungen unter Erwachsenen strafrechtlich verfolgt. Der Deutsche Bundestag bedauert, dass die in der NS-Zeit verschärfte Fassung des Paragraphen 175 im Strafrecht der BRD bis 1969 unverändert in Kraft blieb.“ Und zuletzt: „Der Deutsche Bundestag bekennt, dass durch die nach 1945 weiter bestehende Strafdrohung homosexuelle Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind.“

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Mit diesen drei Punkten der Diskussion in den letzten Monaten ist eigentlich alles gesagt, warum nach meiner Auffassung die Verfassung unseres Landes, die 1947 verabschiedet worden ist, ein solches Diskriminierungsverbot nicht enthält und nicht enthalten konnte, denn damals wurde dieses Unrecht eben noch nicht als Unrecht anerkannt. Es ist gleichzeitig in meinen Augen alles gesagt, warum die Verfassung heute in diesem Punkt geändert und ergänzt werden muss, um nämlich klar zu sagen, dass wir der fortdauernden Gefahr einer Diskriminierung aus diesen Gründen entgegentreten wollen und müssen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nun kann man, auch das ist vor vier Jahren diskutiert worden, der Meinung sein, dass es genügen würde, in einer Verfassung zu sagen, alle Menschen sind gleich. Das würde eben alles umfassen. Das kann man sagen. Wenn man aber den bremischen Weg gegangen ist, den Weg der bremischen Verfassung, nämlich aus geschichtlicher Erfahrung konkrete Diskriminierungsverbote aufzuzählen und zu benennen, dann darf man an dieser Stelle nicht weiter blind sein.

Deswegen, meine Damen und Herren, bitten wir Sie um Zustimmung zu unserem Antrag auf Änderung der Landesverfassung. Ich habe verstanden, dass wir das heute in erster Lesung beschließen werden. Das eröffnet uns die Möglichkeit, in dem Ausschuss nach Artikel 125 dann auch über die Formulierung zu diskutieren. Das ist gut, darauf freue ich mich, dass wir darüber debattieren, welche Formulierung diejenige ist, die das, was wir wollen, am exaktesten und besten trifft, ohne Missverständnisse zu eröffnen. Ich hoffe, dass wir am Ende dann zu einer einvernehmlichen Änderung der Landesverfassung in diesem Punkt kommen. – Ich bedanke mich dafür!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Engelmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich könnte es mir am Anfang heute leicht machen und einfach den Beginn meiner Rede zum Thema „Eingetragene Lebenspartnerschaft für Lesben und Schwule“ vom 16. November 2000 wiederholen. Ich habe Ihnen damals aufgezeigt, wie lange die Diskriminierung und Verfolgung von Schwulen und Lesben in Deutschland zurückreicht, wie sich das Verhältnis der Deutschen zu dieser Randgruppe langsam geändert hat und wie vieles inzwischen selbstverständlich geworden ist. Ich denke, ich kann hier heute darauf verzichten, denn die Reaktionen von Ihnen, meine Damen und Herren, nach und während der Rede waren eindeutig und sehr ermutigend. Ich möchte mich daher auch von dieser Stelle des Hauses bei den vielen Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen bedanken, die so viele aufbauende Worte nach der Debatte gefunden haben.

(Beifall bei der SPD)

Worum geht es heute? Heute debattieren wir darüber, ob die Verfassung des Landes Bremen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung verbietet oder nicht. Das ist sicher keine leichte Frage, schließlich sollte man mit Verfassungsänderungen immer sorgfältig und behutsam umgehen. Aber Verfassungen müssen sich auch immer daran orientieren, was notwendig ist. Sicher muss es auch mehr sein, als den Zeitgeist aufzunehmen, mehr Substanz muss dabei sein, ohne Frage. Schauen wir uns doch einmal an, welche Regelungen andere Bundesländer haben! In Brandenburg zum Beispiel steht in der Landesverfassung in Artikel 12 unter anderem: „Niemand darf wegen seiner sexuellen Identität bevorzugt oder benachteiligt werden.“ In Artikel 23 heißt es: „Die Schutzbedürftigkeit anderer auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaften wird anerkannt.“ Ich muss schon sagen, meine Damen und Herren, die Brandenburger haben eine sehr fortschrittliche Verfassung. Nehmen wir Thüringen, das ist nicht gerade eine rotgrüne Hochburg! Dort steht in Artikel 2 der Landesverfassung ebenfalls: „Niemand darf wegen seiner sexuellen Orientierung bevorzugt oder benachteiligt werden.“ Sachsen-Anhalt hat dies im Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung geregelt. Abschließend die Verfassung des Landes Berlin! Auch dort heißt es in Artikel 10 der Verfassung: „Niemand darf wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden.“ In Artikel 12 steht ähnlich wie in Brandenburg: „Andere auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften haben Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung.“ Herr Präsident, meine Damen und Herren, es fällt natürlich sofort auf, dass es sich bei den eben zitier

ten Verfassungen sämtlich um ostdeutsche Verfassungen handelt, also Verfassungen aus Anfang der neunziger Jahre. Diese Verfassungen enthalten also das zeitgemäße Denken unserer Gesellschaft. Sie sind modern. Warum sollten wir als Bremer dahinter zurückbleiben? Es gibt keinen Grund!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Herr Dr. Kuhn hat es eben bereits erwähnt, in Nizza wurde am 7. Dezember 2000 von den europäischen Regierungschefs die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verabschiedet. Wir haben hier im Haus im letzten Jahr auch über diese Charta debattiert. Dort heißt es in Artikel 21 kurz gefasst: Diskriminierungen wegen der sexuellen Ausrichtung sind verboten. Das ist sicherlich eine Formulierung, über die man trefflich streiten kann. Trotzdem habe ich damals niemanden in diesem Hause gehört, der generell gegen diesen Passus geredet hätte.

Kommen wir aber einmal zu etwas Konkretem! Was bringt denn eigentlich so eine Formulierung in einer Verfassung? Nehmen wir ein Beispiel aus der Vergangenheit! Vielleicht können sich einige von Ihnen noch an den Fall Oberstleutnant Winfried Stecher erinnern. Oberstleutnant Stecher war bis ins Frühjahr 1998 Ausbilder bei der Bundeswehr. Als er als schwul geoutet wurde, musste er seinen Posten als Ausbilder räumen und wurde in die Schreibstube strafversetzt. Das war bei der Armee gängige Praxis. Schwule galten als untragbar als Ausbilder.

Herr Stecher kämpfte sich jedoch durch alle möglichen Instanzen und landete schließlich und endlich beim Bundesverfassungsgericht. Das Gericht signalisierte dem Bundesverteidigungsministerium, dass es für den Kläger sprechen werde, und so hat Minister Scharping freiwillig aufgegeben. Oberstleutnant Stecher konnte an seine alte Wirkungsstätte zurückkehren und sich seiner eigentlichen Aufgabe, nämlich der Ausbildung von jungen Soldaten, wieder widmen. Es war für den Soldaten ein langer und beschwerlicher Weg, um endlich sein Recht zu bekommen. Wie viel hätte ein Antidiskriminierungsartikel da schon im Vorfeld bewirken können!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Es müssen aber nicht immer so konkrete Anlässe sein. Ich will an dieser Stelle überhaupt nicht verhehlen, dass es sich hierbei auch um eine gute Portion Symbolik handelt. Ist das aber denn so schlimm? In den Jahren 1935 bis 1945 verurteilte die NS-Justiz über 50 000 Männer wegen homosexueller Unzucht. 10 000 bis 15 000 Schwule wurden in Konzentrationslager verschleppt, nur die wenigsten überlebten den Terror der Lager. In der Bundesrepublik blieb der Paragraph 175 in der Nazifassung