Protocol of the Session on February 14, 2017

Antrag der Abgeordneten HansUlrich Pfaffmann, Diana Stachowitz u. a. (SPD) Soziales Europa V Europaweit koordinierter und existenzsichernder Mindestlohn (Drs. 17/12545)

Antrag der Abgeordneten HansUlrich Pfaffmann, Diana Stachowitz u. a. (SPD) Soziales Europa VI Sozialsysteme der EUMitgliedsländer auf hohem Niveau verbessern (Drs. 17/12546)

Antrag der Abgeordneten HansUlrich Pfaffmann, Diana Stachowitz u. a. (SPD) Soziales Europa VII Investitionen neu justieren (Drs. 17/12547)

Antrag der Abgeordneten HansUlrich Pfaffmann, Diana Stachowitz u. a. (SPD) Soziales Europa VIII Steuergerechtigkeit herstellen (Drs. 17/12548)

Antrag der Abgeordneten HansUlrich Pfaffmann, Diana Stachowitz u. a. (SPD) Soziales Europa IX Jugendarbeitslosigkeit europaweit bekämpfen (Drs. 17/12605)

Ich eröffne die Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt nach der Geschäftsordnung 36 Mi nuten. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich dabei an der Redezeit der stärksten Fraktion.

Erster Redner ist Herr Kollege Rosenthal von der SPD. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie sich die Anträge ansehen, die gerade aufgerufen worden sind, sehen Sie, worum es uns in diesen Tagesord nungspunkten geht und warum wir diese Tagesord nungspunkte noch einmal beraten wollen und ins Ple num eingebracht haben.

Die deutsche Wirtschaft jagt von einem Erfolg zum anderen. Noch nie hat die deutsche Wirtschaft so viele Waren exportiert wie im vergangenen Jahr. Noch nie hatten wir einen so großen Handelsbilanzüber schuss. Die Warenexporte betrugen 1,2 Billionen Euro, der Handelsbilanzüberschuss 253 Milliarden Euro. Das Geschäft innerhalb der Europäischen Ge meinschaft wuchs mit 2,2 % überdurchschnittlich gut; mit dem Rest der Welt schrumpfte es. Gleichzeitig – und das ist sehr selten – waren sich die führenden Ökonomen noch nie so einig, dass unser Erfolg ein Nachteil für viele Länder in Europa ist.

Die europäische Währung begünstigt die Bundesre publik Deutschland im Augenblick überdurchschnitt lich. Die Währungsdisparitäten, die früher durch den börsennotierten Währungskurs ausgeglichen worden sind, entfallen. Das ist in der Tat eine gute Nachricht. Das ist aber eine schlechte Nachricht, wenn andere Länder in der Europäischen Gemeinschaft dafür die Zeche zahlen müssen.

Wir brauchen ein soziales Europa. Deshalb ist die makroökonomische Kennzahl, die ich gerade vorge stellt habe, kein Grund, in Jubelstürme auszubrechen; denn wir müssen die Effekte ansehen. Ein Effekt ist, dass der Lebensstandard in den europäischen Län dern weiter und weiter auseinanderklafft. Man könnte natürlich sagen: Na und, was geht uns das an? Die

Nationalstaaten machen halt die falsche Wirtschafts politik, und wir machen die richtige Wirtschaftspolitik. – So, liebe Kolleginnen und Kollegen, funktioniert kein europäischer Binnenmarkt, und so funktioniert natür lich erst recht kein europäischer Sozialraum. Das läuft hoffentlich auch nicht unter dem Motto: Germany and Bavaria first. Unser Credo bleibt hoffentlich auch für die nächsten Jahrzehnte die freiheitlichdemokrati sche Verfassung, die wir uns gemeinsam gegeben haben. Ich darf aus Artikel 3 a der Bayerischen Ver fassung zitieren:

Bayern bekennt sich zu einem geeinten Europa, das demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen sowie dem Grund satz der Subsidiarität verpflichtet ist (...).

Es geht uns also sehr wohl etwas an – alle Abgeord neten des Bayerischen Landtags –, wie die soziale Situation in Spanien ist, wie sie in Italien ist, wie sie in Griechenland ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dort wächst eine sogenannte verlorene Generation heran. 50 % Jugendarbeitslosigkeit, und das nicht nur kurzzeitig, insgesamt eine hohe Arbeitslosigkeit, in vielen Bereichen nahezu keine Möglichkeit, einen Ar beitsplatz zu finden. Die soziale Ungleichheit und die antieuropäischen Auswüchse, gepaart auch mit anti deutschen Ressentiments, in Europa sollten uns nachdenklich stimmen.

Einen einheitlichen Wirtschaftsraum wollten wir uns geben. Die einheitliche Währung haben wir in vielen Bereichen eingeführt, aber auf das einheitliche soziale Europa warten wir noch. Die Solidarität, die wir an vie len Stellen erbringen sollen, erbringen wir nicht. Haben uns die Flüchtlingsströme interessiert, als sie in Lampedusa landeten? – Wir haben gesagt: Schen gen ist unterschrieben; diese Staaten sind für uns Grenzstaaten, also ist dies deren Aufgabe. Als dort ein Meer von Elend strandete, haben wir wegge schaut. Erst als das Elend bei uns angekommen ist, haben wir die anderen Staaten Europas um Hilfe ge rufen. Solidarität, die nur etwas mit egoistischem Inte resse, mit Eigeninteresse zu tun hat und das andere vergisst, ist keine Solidarität.

(Beifall bei der SPD)

Das ist auch nicht nur die Aufgabe des Europäischen Parlamentes.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Das steht auch schwarz auf weiß in der Bayerischen Verfassung: Die Mitwirkung der Regionen, also von uns, vom Bayerischen Landtag, als deren Vertreter oder Vertreterin, an europäischen Entscheidungen muss gesichert bleiben. Sehr häufig befasst sich ge

rade der Europaausschuss mit Fragen der Subsidiari tät, und wir reagieren sehr empfindlich, wenn Rechte des Freistaats Bayern auch nur gedanklich angekratzt werden könnten.

Als Europäer, als Demokratinnen und Demokraten, aber erst recht auch mit unserer langjährigen Ge schichte als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra ten ist für uns nicht nur die Subsidiarität entscheidend, sondern auch die gelebte Solidarität. Wir wollen sie zu einem Schwerpunkt machen – zum Wohle aller Men schen und auch zum Wohle Europas und zum Wohle des Freistaats Bayern.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen den Mut, das zu bewahren, was wir haben: Freiheit und Demokratie in einem vereinten Europa. Dieses Fundament wollen wir verteidigen. Europa ist nicht unverwundbar, aber es ist stark, so der neu gewählte Bundespräsident FrankWalter Steinmeier in seiner Rede vor der Bundesversamm lung. Damit steht fest, dass Europa freiheitlichdemo kratisch und stark ist. Damit ist aber auch klar, dass wir keine Gräben, sondern Brücken brauchen. Erst recht brauchen die anderen Nationen und die anderen Gesellschaften keine Belehrungen von uns; denn sonst erinnern sie sich immer wieder daran, wie sehr Deutschland Europa belastet hat. Jahrzehntelang haben wir die Solidarität der Staaten Europas benö tigt, als wir noch kein wiedervereinigtes Land waren. Wir haben es sehr wohl genossen, als der amerikani sche Präsident Kennedy in Berlin gesagt hat: "Ich bin ein Berliner". Damals ist uns warm ums Herz gewor den.

Heute brauchen die anderen Staaten unsere Unter stützung, und sie brauchen mehr als nur warme Worte. Sie brauchen schon gar keine Belehrungen. So fragen wir, die sozialdemokratische Fraktion, den Landtag, wie denn die zukünftige Europapolitik der Bayerischen Staatsregierung aussieht. Welche Schlüsse zieht die Bayerische Staatsregierung aus den Verwerfungen und den Auseinandersetzungen mit dem Rechtsextremismus und dem Rechtspopulis mus in Europa? Wir stehen an vielen Stellen an einer Zeitenwende, wenn nicht sogar am Scheideweg. Die Menschen erwarten, dass wir diesen verlorenen Ge nerationen mehr bieten als nur warme Worte; denn als die Europäische Gemeinschaft auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs errichtet wurde, hatten die Gründerväter und Gründermütter im Sinn, dass sie ein Fundament der Solidarität und der Menschlichkeit wird.

(Beifall bei der SPD)

Diese Antworten müssen wir geben, sonst versündi gen wir uns an Europa.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat Kollege Dr. Martin Huber von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat steht Europa vor großen Herausforderungen. Ge rade in schwierigen Zeiten müssen wir uns auf das Fundament des geeinten Europas besinnen. Dabei müssen wir feststellen, dass Europa nichts weniger als die Lehre aus der Geschichte ist. Vor 70 Jahren, im Jahr 1947, lagen Deutschland und Europa noch auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs. Schon im Jahr 1957, vor genau 60 Jahren, formierte sich mit den Verträgen von Rom die Europäische Wirtschafts gemeinschaft. Damit waren die Staaten Europas auf dem Weg zu dem, was sie bis heute sind: eine Ge meinschaft, die auf den gemeinsamen Werten Frieden und Freiheit beruht. Ja, Europa ist mehr als eine Wirt schaftsunion, aber deshalb ist Europa noch lange keine Sozialunion. Wer das will, muss auch sagen, was das kostet und wer es bezahlt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wir dür fen einen Fehler nicht machen: Die Europäische Union darf nicht mit erhobenem Zeigefinger auf die Mitgliedstaaten zugehen und sich in ihre Arbeits und Sozialpolitik einmischen. Das ist nicht der Sinn des geeinten Europas. Aus unserer Sicht ist es auch der völlig falsche Ansatz.

Das Motto der Europäischen Union lautet: Einheit in Vielfalt. Dieses Motto bringt zum Ausdruck, dass die eigenständigen Handlungsmöglichkeiten und die Ei genverantwortung der Mitgliedstaaten ein hohes Gut sind. Für uns bedeutet Europa: Ja zur Partnerschaft, aber die Probleme in den Mitgliedstaaten kann nicht die EU lösen; sie können nur die Länder vor Ort lösen. Die EU kann dabei aber unterstützen. Gleich wohl gilt: Wir dürfen die Regierungen vor Ort nicht aus der Verantwortung nehmen. Die EU hat doch nicht deshalb ein Akzeptanzproblem, weil sie sich zu wenig in die Angelegenheiten der Mitgliedstaaten einmischt. Nicht jedes Problem in Europa ist auch ein Problem für Europa.

Die Anträge, über die wir heute diskutieren, atmen alle den einen Geist: Es geht um mehr Europa, aber nicht um ein besseres Europa. Genau dieses Vorge hen, immer mehr Kompetenzen an die Europäische Union abzugeben, hat vielerorts zu Europaskepsis, ja zur Ablehnung von Europa geführt. Wir können die

Menschen nur dann wieder von Europa überzeugen, wenn die Europäische Union einen echten Mehrwert für die Menschen hat. Ja, wir brauchen ein besseres Europa, aber wir müssen auch dafür sorgen, dass sich Europa auf seine originären Aufgaben konzen triert. Wir brauchen weniger Einmischung in nationale Angelegenheiten, aber dafür mehr Zusammenarbeit auf internationaler Ebene, so zum Beispiel beim Grenzschutz, bei der Bekämpfung der internationalen Kriminalität, bei einer europäischen Lösung für die Flüchtlingskrise, bei einem einheitlichen europäischen Asylrecht oder bei einer gemeinsamen Verteidigungs und Sicherheitsstrategie. Dafür ist gemeinsames Han deln in Europa erforderlich.

Gerade als Bayern und Föderalisten fordern wir auch ein starkes Europa der Regionen. Dabei geht es uns nicht um Gleichmacherei um jeden Preis, sondern um eine sinnvolle Unterstützung zur Verbesserung, wie es zum Beispiel in den verschiedenen Fonds der Europäischen Union jetzt schon geschieht.

Sie haben in einem Antrag den Mindestlohn zum Thema gemacht. Alle Mitgliedstaaten der EU haben eine Regelung über den Mindestlohn. Aus guten Gründen ist aber die konkrete Ausgestaltung des Min destlohns in nationaler Verantwortung. Machen wir doch einen Vergleich. Der durchschnittliche Bruttolohn in Rumänien beträgt circa 2.300 Leu. Das sind gut 520 Euro. Der durchschnittliche Bruttolohn in Deutschland liegt bei circa 3.000 Euro. Der gesetzli che Mindestlohn in Rumänien liegt bei 975 Leu pro Monat. Das sind knapp 216 Euro. Bei uns beträgt der derzeitige HartzIVRegelsatz circa 400 Euro, also fast das Doppelte des Mindestlohns in Rumänien.

Unabhängig von den Problemen, die sich schon jetzt aus diesen Unterschieden ergeben, frage ich Sie, wie Sie diese Unterschiede so schnell ausgleichen wollen. Wie soll das konkret aussehen, wenn aus Brüssel der Mindestlohn für jedes Land vorgegeben wird? Sie schütten das Füllhorn über die ganze EU aus, ohne zu wissen, wer es befüllt.

Ich gestehe Ihnen zu, dass Sie es gut meinen. Wer ist denn nicht für gute Bezahlung und mehr Investitionen überall in Europa? Auch Bayern bekennt sich zu einem sozialen Europa. Wir unterstützen das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft. Die Sozialpolitik ist und bleibt aber Angelegenheit der einzelnen Mitgliedstaa ten.

(Bernhard Roos (SPD): Aber nicht der Rahmen der Sozialpolitik!)

Wir müssen das Subsidiaritätsprinzip deutlich ernster nehmen. Die Staatsregierung begleitet den Prozess des Aufbaus einer europäischen Säule sozialer Rech

te kritisch, aber konstruktiv. Bayern hat sich auch im Bundesrat dazu schon geäußert und die Bedeutung der Subsidiarität und die Zuständigkeit der Länder be tont. Es ist klar geregelt, dass die Arbeits und die So zialpolitik in die Zuständigkeit der Länder gehören, und das ist auch gut so.

Die SPD fordert die Umsetzung des in der EUSozial charta verankerten Grundrechts auf eine angemesse ne Entlohnung. Ich habe gerade ausgeführt, wie zum Beispiel die Regelungen zum Mindestlohn in der Europäischen Union aussehen. Natürlich müssen wir die Arbeitslosigkeit in Europa bekämpfen. In der Ana lyse hat Kollege Rosenthal durchaus recht, wenn er von verlorenen Generationen spricht. Die Forderun gen der SPD entsprechen aber bereits den aktuellen Themenschwerpunkten der europäischen Beschäfti gungsstrategie. Diese lauten eben schon Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit in der Europäischen Union, Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und Verbesserung der Zusammenarbeit der nationalen Ar beitsverwaltungen. Das europäische Sonderinvestiti onsprogramm für soziale Zwecke, das die SPD for dert, ist bereits in verschiedenen Sozialfonds der Europäischen Union eingeführt.

(HansUlrich Pfaffmann (SPD): Falsch!)

Außerdem stellt die EU bereits eine Vielzahl von Fonds und Finanzmittel für soziale Zwecke bereit. Zu nennen sind bespielhaft der Europäische Sozialfonds, der Europäische Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen und der Europäische Fonds für strategische Investitionen. Wichtig ist mir hierbei aber auch, nochmal zu betonen: Diese Fonds sind eine Unterstützung der Europäischen Union. Die Umsetzung erfolgt in nationaler Verantwortung. Der Nutzen eines weiteren Programmes ist für mich hier sehr fraglich.

Ja, wir brauchen strukturelle Änderungen in den Mit gliedstaaten; aber diese können nur dort umgesetzt werden. Allgemeine Zustimmung – ich glaube, das kann man hier so deutlich sagen – herrscht natürlich in Bezug auf die Forderung nach Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Steuerhinterziehung ist ein inter nationales Phänomen. Deswegen sind hier internatio nal abgestimmte Lösungen erforderlich. Allerdings verfolgt die SPD mit ihrem Antrag den falschen An satz; denn dieser Antrag bedeutet nicht weniger als die Einführung einer europäischen Finanz und Steu erpolitik durch die Hintertür und letztlich die steuerpo litische Entmachtung der Mitgliedstaaten.

(HansUlrich Pfaffmann (SPD): Sie glauben ja selber nicht, was Sie sagen!)

Die EU darf gar nicht in die internationale Steuerho heit eingreifen, wenn die Mitgliedstaaten der EU nicht das Recht eingeräumt haben, zum Beispiel bei den Steuern die Gesetzgebung zu harmonisieren. Gerade in diesem Bereich hilft die EUAmtshilferichtlinie, die überarbeitet und ergänzt worden ist und nun in natio nales Recht umgewandelt wird. Wir lehnen daher die Anträge der SPD ab; denn in der Folge gäbe es zwar mehr Europa, aber kein besseres Europa.