Protocol of the Session on December 8, 2016

Vielen Dank. – Jetzt kommt für die Fraktion der FREIEN WÄHLER Herr Kollege Dr. Fahn. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrte Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Unsere Leitüberschrift lautet: Keine Integration nach Kassenlage. Ich werde das noch öfter erläutern. Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und sie ist eine überparteiliche Aufgabe hier im Bayerischen Landtag. Ich habe das schon mehrmals gesagt und tue das extra noch einmal. Herr Dr. Marcel Huber, Sie wissen, dass wir uns am 6. Februar in der Staatskanzlei getroffen haben. Damals haben Sie von einem gemeinsamen Gesetzentwurf aller Fraktionen gesprochen und gesagt, dass das Ihre Traumvorstellung wäre.

Alle vier Fraktionen wünschten sich eine zweite Gesprächsrunde, und kaum hatten wir die Staatskanzlei verlassen, gab es schon wieder eine Pressemitteilung des Staatsministers, in der erklärt wurde, dass keine weitere Sitzung stattfindet. Das ist schade.

(Thomas Gehring (GRÜNE): Das war Absicht! Das war Kalkül!)

Die Besprechung war nur eine Alibi-Veranstaltung, eine reine Augenwischerei. Das ist schade. Herr Dr. Huber, in der Entwicklungspolitik, in der Vertriebenenpolitik und bei der Inklusion haben wir gemeinsam, parteiübergreifend Pflöcke eingeschlagen. Das ist auch gut so. Ausgerechnet bei der wichtigen Frage der Integration haben wir das nicht gemacht. Hätten wir einen gemeinsamen Gesetzentwurf erarbeitet, hätten wir nicht 40 oder 50 Stunden in diesem Landtag diskutieren müssen. In diesem Fall hätten wir die Beratungen kürzer, prägnanter und übereinstimmender gestalten können. Das will auch die Bevölkerung; sie versteht dieses Vorgehen nicht.

Nun soll dieses Integrationsgesetz auf Biegen und Brechen durchgesetzt werden und am 1. Januar 2017 in Kraft treten. Das ist unser Problem. Sie wissen doch alle, dass wir in Bayern eine Enquete-Kommission mit dem Ziel eingerichtet haben, die Integration in Bayern aktiv zu gestalten. Ich denke, diese Kommission wird jetzt irgendwie ad absurdum geführt. In der Enquete-Kommission, die erst fünf Sitzungen durchgeführt hat, werden doch diese Punkte erst besprochen. In der Enquete-Kommission wird über Leitkultur gesprochen. Dazu sind Professoren und Fachleute eingeladen. Diese Enquete-Kommission haben wir mit den Stimmen aller vier Fraktionen einstimmig im Bayerischen Landtag eingesetzt. Jetzt soll dieses Thema übers Knie gebrochen werden. Das verstehen wir nicht.

Herr Zellmeier, ist denn der Zeitdruck so groß? Wir haben doch ein Bundesintegrationsgesetz, das seit August gilt. Warum dieser Zeitdruck? Wir könnten doch abwarten, bis die Enquete-Kommission ihre Ergebnisse vorlegt, und uns dann noch einmal treffen. Dann könnten wir die ganzen Expertenmeinungen integrieren. Das müsste doch auch in Ihrem Sinne sein.

Nun zum Gesetzentwurf der Staatsregierung: Unser wichtigster Kritikpunkt bleibt, dass die Kommunen mit diesem Gesetzentwurf im Regen stehen gelassen werden. Gleichzeitig wissen wir: Die Menschen, die die Integration umsetzen werden, leben in den Kommunen. Ob die Integration gelingt oder nicht, entscheidet sich vor Ort in den Kommunen. Sie haben viele Aufgaben. Dabei müssen wir sie konkret unterstützen. Kommunen sind der Motor der Integration. Das wird von den anderen Fraktionen oft nicht beachtet oder nicht erwähnt.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Wir müssen die Kommunen bei der Bewältigung dieser Herkulesaufgabe unterstützen. Das sage ich hier zum wiederholten Male. In dem Gesetzentwurf der Staatsregierung sind wir schon am Anfang über verschiedene Passagen gestolpert. Dort gibt es ein sogenanntes Vorblatt, in dem steht, dass den Kommunen durch dieses Gesetz keine Kosten entstehen würden. Das klingt zunächst sehr beruhigend, ist aber letztlich falsch. Dann wurde uns gesagt, darüber hätten wir gar nicht abzustimmen; unsere Abstimmungskompetenz beziehe sich auf die Präambel und die folgenden Artikel. Das Vorblatt spiele insoweit keine Rolle. Das verstehen wir nicht.

Im Gesetzentwurf heißt es an zahlreichen Stellen, die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen könne nur im Rahmen vorhandener Stellen und Mittel gewährleistet

werden. In Artikel 17 ist der Haushaltsvorbehalt festgeschrieben:

Sämtliche finanzwirksamen Maßnahmen erfolgen nach Maßgabe des Staatshaushalts.

(Josef Zellmeier (CSU): Das ist ganz normal!)

Anders formuliert: Ist die Kassenlage gut – im Moment ist sie gut; das bestreiten wir nicht –, dann ist genügend Geld für die Integrationsmaßnahmen vorhanden. Was aber ist dann, wenn die Finanzlage wieder schlechter ist? Steht dann kein Geld mehr für die Integration zur Verfügung?

Diesen Politikansatz kritisieren wir. Wir wollen keine Integration nach Kassenlage.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Integration soll ein kontinuierlicher Prozess sein, der von der Kassenlage unabhängig ist. Das sollte auch im Gesetz festgeschrieben werden; das ist sehr wichtig.

Wir wollen nicht, dass die Integrationskosten auf die Kommunen abgewälzt werden. Durch die beabsichtigten Maßnahmen werden nämlich zusätzliche Standards festgelegt – das bestreitet heutzutage niemand mehr – und auf die Kommunen übertragen. Wir sind der Meinung, dass damit das Konnexitätsprinzip tangiert wird: Wer bestellt, der soll auch bezahlen. – Deswegen meinen wir, dass die bei den Kommunen anfallenden zusätzlichen Kosten insgesamt vom Freistaat beglichen werden müssen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Wir begrüßen es zwar, dass – auch auf unseren Vorschlag hin – ein neuer Artikel 9 eingefügt worden ist, in dem es heißt, dass die Kommunen "im Rahmen … ihrer jeweiligen finanziellen Leistungsfähigkeit" besondere Verantwortung für das Erreichen der Integrationsziele tragen. Diese Formulierung kann man aber auch andersherum lesen. Was ist nämlich, wenn eine Kommune diese finanzielle Leistungsfähigkeit nicht hat? Soll es dann so sein, dass sie die Integration nicht fördern kann? Wir dürfen doch bei den Kommunen nicht eine Zweiklassengesellschaft entstehen lassen.

Zwar werden im Staatshaushalt 4,7 Milliarden Euro für die Integration zur Verfügung gestellt. Damit werden jedoch nur die nächsten zwei Jahre abgedeckt. Was ist danach? Wir wissen es nicht. Auch deswegen haben wir FREIE WÄHLER einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Darin heißt es klar und deutlich:

Das Gesetz verursacht auch zusätzliche Kosten für die Kommunen. Diese zusätzlich entstehenden Kosten sind den Kommunen vom Staat zu ersetzen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Das ist die erste Forderung der FREIEN WÄHLER.

Der zweite Punkt in unserem Gesetzentwurf:

Der Staat sichert den Kommunen finanzielle Unterstützung bei der Bewältigung von Integrationsaufgaben zu.

Unser dritter Punkt:

Die Kommunen sind bei der Unterbringung und Integration von Menschen mit Migrationshintergrund zu unterstützen.

Das sind drei Pflöcke, die die FREIEN WÄHLER eingeschlagen haben, um die Integration zu fördern und die Kommunen zu entlasten. Das ist sehr wichtig. Entsprechende Aussagen fehlen in dem Gesetzentwurf der Staatsregierung; das müssen wir leider feststellen. Anscheinend scheut die Staatsregierung die Orientierung am Prinzip der Konnexität wie der Teufel das Weihwasser. Wir meinen, dass all die genannten Punkte in ein Integrationsgesetz aufgenommen werden müssten.

Ich beschränke mich jetzt auf wenige Punkte; wir haben heute noch eine lange Diskussion. Zu dem Thema Leitkultur werde ich daher in dieser Rede relativ wenig sagen.

Schon in Bezug auf Artikel 1 unterscheidet sich der Gesetzentwurf von uns FREIEN WÄHLERN deutlich von dem Gesetzentwurf der Staatsregierung. Unser Entwurf richtet sich nicht einseitig mit Forderungen an die Migranten, sondern wir betrachten die Aspekte des Forderns und des Förderns als gleichrangig. Wir haben alle Menschen im Fokus; das ist sehr wichtig. Wir orientieren uns an der Bayerischen Verfassung und am Grundgesetz. Sie sollen Anker der Gesellschaft sein, nicht aber eine wie auch immer geartete "Leitkultur".

Wir wollen außerdem den Integrationsbeauftragten stärken; dazu werde ich nachher noch einiges sagen. Wir wollen, dass der Integrationsbeauftragte vom Landtag gewählt und nicht vom Ministerpräsidenten ernannt wird. Der Bayerische Integrationsrat soll viel größere Bedeutung bekommen.

Meine Damen und Herren, es ist anzunehmen, dass das Thema Integration auch nach Verabschiedung

des Gesetzentwurfs der Staatsregierung – das Gesetz wird vermutlich zum 1. Januar 2017 in Kraft treten – nicht vom Tisch sein wird. Ob das auch die CSU bedacht hat?

Es ist schade – das betone ich –, dass es so gelaufen ist. Hätte es damals den Willen gegeben, vor allem auf Seiten der CSU und der Staatsregierung – ich spreche Sie an, Herr Marcel Huber –, parteiübergreifend einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, dann wären uns viel Zeit und viel Ärger erspart geblieben. Der Gesetzentwurf, der nun vermutlich verabschiedet wird, wird in den nächsten Jahren noch für viel Streit und Ärger sorgen.

Als Mitglied der Enquete-Kommission bin ich besonders enttäuscht darüber, dass deren Arbeit nicht richtig beachtet worden ist bzw. deren Ergebnisse nicht abgewartet werden.

Ich betone, für uns ist Integration wichtig. Wir wollen aber keine Integration nach Kassenlage. – Danke schön.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Für eine Zwischenbemerkung: Herr Kollege Zellmeier, bitte.

Herr Kollege Fahn, zunächst möchte ich etwas Positives sagen: Wir, die CSU, erkennen durchaus an, dass Sie von den FREIEN WÄHLERN die Debatte wesentlich ernsthafter betreiben, als es bei SPD und GRÜNEN der Fall ist.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von der SPD: Oh! – Dr. Paul Wengert (SPD): Dieser Satz passte jetzt! Und das von einem, der keine Ahnung hat! – Glocke der Präsidentin)

Wir haben intensive Gespräche geführt, um einen gemeinsamen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. Wir waren relativ nahe beieinander. Es hat dann nicht geklappt; gut, so ist es eben.

Aber was mich erstaunt hat, war Ihre wiederholte Aussage zur "Integration nach Kassenlage". Herr Kollege Fahn, was wollen Sie damit sagen? Sollen wir dann, wenn die finanzielle Lage schlecht ist, auf allen Politikfeldern kürzen dürfen, nur nicht bei der Integration? Heißt das, dass wir bei Einheimischen sparen dürften, bei Zuwanderern aber nicht? Das wäre eine Ungleichbehandlung, die wir nicht wollen. Wenn das Geld knapp ist, müssen alle sparen, nicht nur in einem Bereich.

Zum Zweiten: Die Enquete-Kommission hat ihre Tätigkeit erst nach Beginn der Erarbeitung des Gesetz

entwurfs aufgenommen. Sie können nicht erwarten, dass wir mit der Vorlage eines Gesetzentwurfs abwarten, bis die Ergebnisse einer Enquete-Kommission, deren Arbeit bis zu zwei Jahre dauern kann, vorliegen. In der Enquete-Kommission geht es darum, das Gesetz mit Leben zu erfüllen, nicht aber darum, ein neues Gesetz vorzubereiten.

Danke schön, Herr Zellmeier. – Ich war auf einer Integrationskonferenz in Ingolstadt. Alle Integrationsbeauftragten Bayerns waren anwesend. Immer wieder war zu hören: Integration ist wichtig. Wir brauchen aber Planungssicherheit nicht nur für die Jahre 2017 und 2018, sondern auch für die Folgejahre. Notwendig ist eine langfristige Perspektive. Das hat sich bei mir eingeprägt. Auch ich sage, dass das ein wichtiger Punkt ist.

Natürlich denken wir genauso an die Einheimischen; das ist völlig klar. Wenn es um Integration geht, gehören die Einheimischen dazu. Es geht nicht nur um die Migranten; auch das möchte ich klar sagen.

Integration ist eine entscheidende Zukunftsaufgabe, die wir in den nächsten Jahren zu bewältigen haben. Angesichts dessen sollten wir versuchen, auf diesem Gebiet nicht Politik nach Kassenlage zu machen. Das wünschen sich wohl alle, die bei dem Thema Integration in Bayern dabei sind. – Danke schön.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke. – Jetzt habe ich Herrn Kollegen Taşdelen von der SPD-Fraktion auf der Rednerliste. Bitte schön.