Protocol of the Session on December 8, 2016

keinem anderen Gesetzentwurf der Staatsregierung der letzten Jahrzehnte so viele Stellungnahmen von Experten, Verbänden, den Kirchen und Organisationen gab, die ihn durch die Bank zu nahezu 100 % ablehnten. Die parlamentarische Kontroverse entsteht deshalb, weil die Staatsregierung hier wie bei wohl keinem anderen Gesetz der letzten anderthalb Jahrzehnte eine von der AfD-Angst getriebene Kehrtwende vollzogen hat, war sie doch noch 2015 fundamental gegen ein eigenes Integrationsgesetz. Zweimal, 2011 und 2015, hat unsere Fraktion, die SPD, entsprechende Gesetzentwürfe eingebracht, die Sie damals noch als völlig unnötig abgelehnt haben. Die Kontroverse heute im Parlament entsteht auch deshalb, weil sich die Parlamentsmehrheit wie wohl bei keinem anderen Gesetz der letzten Jahrzehnte einer Debatte in den Landtagsausschüssen regelrecht verweigert hat, wie dies in den letzten Wochen und Monaten der Fall war.

(Beifall bei der SPD – Dr. Hans Reichhart (CSU): Nach 20 Stunden Debatte!)

Bei der Einzelberatung der Gesetzesartikel haben die CSU-Abgeordneten sowohl im Sozialausschuss als auch im Verfassungsausschuss und in anderen Ausschüssen ab einem gewissen Zeitpunkt auf eigene Wortmeldungen demonstrativ verzichtet. Das, Herr Kollege Kreuzer, ist Ihr Arbeitsverständnis.

(Beifall bei der SPD – Thomas Kreuzer (CSU): Nach 10 oder 11 Stunden! Filibusterer!)

Sie wollten und Sie konnten uns im Hohen Hause nicht erklären, was Sie unter Leitkultur verstehen und wie Sie unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetzestext definieren.

(Zuruf der Abgeordneten Petra Guttenberger (CSU))

Die CSU, meine Damen und Herren, will dem Land mit diesem Gesetz einen streng rechts ausgerichteten Seitenscheitel verordnen und die geruchsintensive Haarpomade aus den Fünfzigerjahren gleich mitliefern.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Bravo! – Widerspruch bei der CSU – Zurufe von der CSU: Pfui!)

Es geht der CSU um eine uniforme, variationsfeindliche CSU-Einheitskultur für unser Land,

(Zuruf des Abgeordneten Josef Zellmeier (CSU))

es geht ihr um eine Einfaltskultur. Die CSU versteht unter Leitkultur offensichtlich ein gesellschaftliches

Klima der Linientreue, der Angepasstheit und der schablonenhaften Gleichförmigkeit.

(Beifall bei der SPD – Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Das ist doch eine Frechheit! – Weitere Zurufe von der CSU und der SPD – Glocke der Präsidentin)

Ich freue mich schon auf Ihren Widerspruch; denn wir werden uns gerade von Ihnen, Herr Kollege, erklären lassen, was Sie unter Leitkultur verstehen.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Das ist doch eine durchgehende Frechheit, was Sie hier bringen! – Glocke der Präsidentin)

Die CSU setzt sich damit die Pickelhaube des autoritären, nationalkonservativen Preußens aus dem 18. und 19. Jahrhundert auf.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Bravo! – Lachen bei der CSU – Zuruf von der CSU: Bodenlos!)

Ihr Gesetzentwurf ist im Kern schwarz-rot-gold, deutsch-national, nicht bayerisch-liberal, den Menschen zugeneigt, weiß-blau.

(Zuruf von der CSU)

Und noch eines darf ich Ihnen sagen, Herr Kreuzer, wenn Sie sagen, wir hätten mit der SPD nichts am Hut: Sie waren noch gar nicht geboren, da haben sich Sozialdemokraten schon

(Zurufe von der CSU: Oje!)

hier im Hohen Hause für Brauchtum eingesetzt, für Sie und Ihre Eltern.

(Beifall bei der SPD – Josef Zellmeier (CSU): Das ist unglaublich, was der hier bringt!)

Sie waren noch gar nicht geboren, als Otto Kragler, 60 Jahre Mitglied der Sozialdemokratie, den Bayerischen Trachtenverband aufgebaut hat und Ehrenvorsitzender dieses Verbandes wurde. Hören Sie deshalb auf mit einem solchen Unfug!

(Thomas Kreuzer (CSU): Das sind aber längst vergangene Zeiten, Herr Rinderspacher!)

Sie nennen Ihre Politik Leitkultur und machen bereits mit dem Singular klar: Es soll keine Pluralität der Kulturen geben, sondern die Dominanz einer Kultur, den Vorrang dessen, was die CSU für die Kultur der Kulturen hält. Wir, meine Damen und Herren, sehen in der Vielfalt den eigentlichen Reichtum unseres Landes. Maßgebend für das demokratische, respektvolle Zu

sammenleben in unserem Land ist eben nicht dieses simple, hosenträgerschnalzende "Mia san mia" einer CSU-Leitkultur, sondern die schlichte Wahrheit, wie sie von der Band Dreiviertelblut mit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter beim Danke-Konzert für Flüchtlingshelfer vor 24.000 begeisterten Zuhörern auf dem Münchener Königsplatz gesungen wurde: "Mia san ned nur mia" – wir sind viele in unserem Land. Wir leben vom Reichtum der Vielfalt.

Maßgebend für das demokratische, respektvolle Zusammenleben ist die Bayerische Verfassung, und diese kennt eben keine Dominanz einer Hautfarbe, keinen Vorrang einer Religion, keine führende Rolle einer politischen Weltanschauung und keine Vorrangstellung oder Überlegenheit eines Geschlechts. Die Bayerische Verfassung kennt die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Sie definiert Rechte, die jeder für sich in Anspruch nehmen darf, und Pflichten und Regeln, an die sich alle halten müssen. Und deshalb verstehen wir unter Integration, ein wertschätzendes Miteinander auf dem Boden der rechtsstaatlichen Demokratie zu schaffen. Es muss uns darum gehen, den Menschen nicht etwa vorzuschreiben, welche Sprache sie zu Hause sprechen, was sie zu essen und zu trinken haben, zu welchem Gott sie beten oder auch nicht. Integration bedeutet Fördern und Fordern, und beides muss gut austariert sein. Das ist in diesem Gesetzentwurf eindeutig nicht der Fall.

Integration darf kein Begriff des Missmuts und der Missgunst sein. Integration ist ein Begriff der Hoffnung und des guten Willens. Integration ist nicht mit einer Sondergesetzgebung für Ausländer erreichbar, die nur zum Ziel hat, Migranten an das Gängelband der Regierungspartei zu nehmen. Integration schafft klare Regeln für alle; denn vor dem Gesetz sind alle gleich. Integration gibt den Menschen Perspektive, statt sie ihnen zu nehmen. Integration verengt nicht den Blick auf das Gegenüber, sondern sie öffnet Horizonte des Miteinanders und des Zusammenhalts. In diesem Sinne wollen wir heute die Gelegenheit zu eingehenden Beratungen nutzen. Am besten wäre es, wenn das heute zu beratende, rechtspopulistisch motivierte Gesetz der CSU erst gar nicht in Kraft träte.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Ich erteile jetzt Herrn Kollegen Zellmeier für die CSU-Fraktion das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Zu den Reden der Kollegin Bause und des Kollegen Rinderspacher von der Opposition kann man nur sagen: strotzend vor Arroganz, strotzend vor Überheblichkeit,

(Beifall bei der CSU – Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

angefüllt mit moralischem Hochmut,

(Thomas Gehring (GRÜNE): Und Kreuzer war Demut?)

weit weg von jeglicher Realität, fern von den Menschen in unserem Land. Und mit "Menschen in unserem Land" meine ich nicht nur die Einheimischen oder die Eingebürgerten, ich meine auch alle Migranten, die schon lange bei uns leben und die sich hier wohlfühlen. Sie haben keine Ahnung, meine Damen und Herren, was die Menschen im Land denken. Sie sind wirklich weit weg von jeder Realität.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von der CSU: Bravo!)

Eigentlich erübrigt sich jede Stellungnahme zu Ihren Ausführungen.

(Florian von Brunn (SPD): Dann hören Sie doch auf!)

Sie disqualifizieren sich selbst mit Ihren Äußerungen, und ich bin davon überzeugt: Das, was Sie hier dargeboten haben, findet in der Bevölkerung nicht nur keinen Anklang, sondern muss auch Ihre Wähler, die paar, die es noch gibt, richtig in die Verzweiflung treiben.

(Beifall bei der CSU – Inge Aures (SPD): Das sehen wir bei der nächsten Wahl dann schon! – Weitere Zurufe von der SPD)

Man sieht das übrigens auch an den grünen Schalen – –

(Inge Aures (SPD): Die Mehrzahl von Schal heißt Schals, nicht Schalen! Deutsche Sprache, Herr Kollege!)

Schals. Es sind nämlich Schalen und keine Schals. Danke für den Hinweis, Frau Kollegin Aures. Die GRÜNEN hüllen sich in grüne Schals, und wahrscheinlich sind sie nicht mal handgestrickt. Ja, das sieht man. Die guten alten Zeiten der GRÜNEN, in denen sie aus Überzeugung etwas getan und im Plenum noch gestrickt haben, sind vorbei. Wahrscheinlich sind die Schals fabrikgefertigt, hergestellt mit irgendeiner chemischen Farbe

(Harry Scheuenstuhl (SPD): Nein, die sind ökologisch!)

und vermutlich aus Polyacryl. Genauso war auch die Rede.

(Beifall und Heiterkeit bei der CSU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN – Glocke der Präsi- dentin)

Niemand hier in diesem Haus – das hat auch der Kollege Aiwanger schon ausgeführt –, auch Sie selbst nicht, glaubt an die Ernsthaftigkeit dieser Debatte, die Sie angezettelt haben.

(Inge Aures (SPD): So ein Quatsch!)

Über zig Stunden – 40 Stunden! – wurde in den Ausschüssen debattiert.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Unverschämtheit!)