Protocol of the Session on May 10, 2016

Liebe Kollegen der GRÜNEN, erlauben Sie mir abschließend noch eine Bemerkung. Ich bin froh, dass sich auch bei Ihnen inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Islamismus und Salafismus bekämpft werden müssen.

(Lachen bei der SPD, Abgeordneten der FREIEN WÄHLER und der GRÜNEN)

Wir haben nämlich hier in diesem Haus ganz andere Entwicklungen erlebt. Reden Sie einmal mit Ihrem Kollegen Beck in Ihrer Bundestagsfraktion, der sich auch auf anderen Gebieten manchmal verirrt und manchmal fehlgeleitet ist.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Er hat vor fünf Jahren versucht zu verhindern, dass der Salafismus in das Programm zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie hineinkommt.

(Dr. Florian Herrmann (CSU): Hört, hört!)

Er hat versucht, den Salafismus herauszunehmen mit der Begründung, Salafismus sei keine Gefahr für Demokratie, Toleranz und Vielfalt. Ich glaube, hierin kommt eine gewisse Geisteshaltung deutlich zum Ausdruck. Diese Geisteshaltung – danach höre ich auf – ist auch bei dem Verhalten, das Sie hier gezeigt haben, zum Ausdruck gekommen. Immer dann, wenn es darum ging, gewaltbereite Salafisten abzuschieben, haben Sie gesagt, nein, lasst doch diese Leute da, auch wenn sie nicht deutsche Staatsangehörige sind. – Wir wollen, dass diese Leute unser Land verlassen müssen. Von Ihnen kommt immer sofort ein Aufschrei. Ich glaube, das zeigt eine gewisse Geisteshaltung, die dahintersteckt. – Aber ich freue mich auf einen gemeinsamen Weg in den nächsten Wochen und Monaten und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CSU)

Zwischenbemerkung: Frau Kollegin Schulze, bitte.

Herr Kollege Reichhart, zunächst weise ich Ihre Aussagen zu unserem Kollegen Volker Beck aus der Bundestagsfraktion zurück.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dann möchte ich mich herzlich bei Ihnen bedanken für Ihre lange, ausführliche Erklärung, wogegen Sie sich alles stellen. Vielen Dank, dass Sie das so ausführlich dargestellt haben.

Sie waren bei der Anhörung dabei. Die Expertinnen und Experten haben davon berichtet, dass die Radikalisierungswege junger Mädchen und Jungen unterschiedlich verlaufen. Meine erste Frage lautet: Haben Sie das mitbekommen?

(Dr. Florian Herrmann (CSU): Eine Unverschämtheit! Was soll denn das? Das ist doch kein Kindergarten hier! Die spinnt wohl!)

Ich komme zu meiner zweiten Frage: Sind Sie, wenn Sie das mitbekommen haben sollten, der Meinung, dass man für unterschiedliche Radikalisierungswege vielleicht unterschiedliche Präventionsansätze braucht, damit es nicht zu einer Radikalisierung kommt?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Erstens. Liebe Kollegin Schulze, ich glaube, dass ich bei der gesamten Anhörung da war.

(Lachen bei der SPD – Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Körperlich anwesend!)

Ich habe wahrscheinlich aufmerksamer zugehört als viele andere Kollegen, auch manche, die gerade meinen, sie müssten hier noch ihren Kommentar abgeben.

Zweitens. Radikalisierung erfolgt immer individuell. Radikalisierung erfolgt zum größten Teil geschlechtsunspezifisch. Wie bei einem Mosaik kommt ein Stein zum anderen. Man weiß nicht, welcher der letzte Stein ist, der die Radikalisierung zum Ende bringt. Deswegen sagen wir: Lasst uns die Prävention allgemein und die Deradikalisierung individuell gestalten. Das Herausgreifen einzelner Gruppen hätte eine Stigmatisierung zur Folge. Deswegen werden wir den Antrag ablehnen.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank. – Jetzt hat für die SPD-Fraktion der Herr Kollege Dr. Wengert das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Problem Salafismus zu beschreiben und seine fatalen Wirkungen und Folgen zu beklagen reicht nicht aus, lieber Kollege Reichhart.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Genau!)

Sie haben viel geredet, aber nur von repressiven Maßnahmen gesprochen und im Übrigen WikipediaWissen zum Besten gegeben.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN – Zuruf des Abgeordneten Dr. Hans Reich- hart (CSU))

Mit Allgemeinplätzen lässt sich das Problem leider nicht lösen.

Eigentlich sollten wir über diese beiden Anträge überhaupt nicht im Plenum diskutieren müssen. Mich hat schon die Begründung der Ablehnung seitens der CSU im Innenausschuss irritiert, wonach die Anträge das Handeln der Exekutive beträfen, in das sich der Landtag nicht so detailliert einmischen sollte.

(Volkmar Halbleib (SPD): Hört, hört!)

Es ist aber unser Auftrag, der Exekutive dort, wo es nötig ist, Vorgaben zu machen und ihr zu sagen, was sie tun soll, wo wir Handlungsbedarf sehen.

Das zweite Argument war genauso wenig überzeugend, ein Deradikalisierungsprogramm müsse immer individuell sein und dürfe sich nicht nur auf eine Gruppe beziehen, die dadurch stigmatisierend herausgegriffen werde.

Mit ihrem Antrag zur Salafismusprävention möchten die GRÜNEN ein bayerisches Präventions- und Deradikalisierungsprogramm für den Bereich des Salafismus und gewaltbereiten Islamismus anstoßen, das sich speziell an Mädchen und junge Frauen wendet. Das hat mit Stigmatisierung nichts, aber rein gar nichts zu tun,

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

zumal es sich nicht um ein Angebot in aller Öffentlichkeit handelt, wo jemand bloßgestellt oder an den Pranger gestellt wird, sondern um ein diskretes Zugehen auf die gefährdeten jungen Menschen und die Familien, in denen sie noch leben.

Spätestens seit unserer Anhörung im Oktober wissen wir, dass Aussteigerprogramme und Deradikalisierungsprogramme langwierige Prozesse sind und dass man drei, vier oder gar fünf Jahre arbeiten muss, um Erfolge zu erzielen. Das heißt im Umkehrschluss, dass wir schnell handeln müssen. Die Zahl der Radikalisierten und der Gefährdeten wächst täglich. Als Sicherheitsbehörden 2010 begonnen haben, sich mit dem Salafismus zu beschäftigen, ist man von einer Zahl von rund 3.000 Salafisten in Deutschland ausgegangen. Diese Zahl hat sich bundesweit mittlerweile

verdreifacht, in Bayern von 130 auf über 600 mehr als vervierfacht. Das ist ein rasanter Anstieg.

Warum wächst diese Bewegung so schnell? – Auch darauf gab es in der Anhörung klare Antworten durch die Sachverständigen. Lieber Kollege, ein Faktor ist demnach, dass sich der Salafismus in gewisser Hinsicht als Jugendkultur verstehe, als eine gewisse Rebellion gegenüber der Mehrheit der Gesellschaft und gegenüber den Eltern. Der Salafismus biete sich als Problemlösungsstrategie an. Er biete gerade Jugendlichen, die Probleme haben, ob nun sozial, beruflich, ökonomisch oder auch psychisch, einfache Lösungen auf ihre Fragen. Dabei würden die jungen Menschen auf der Gefühlsebene angesprochen. Sie seien vollkommen davon überzeugt, dass sie sich für eine gute Sache einsetzten. – Ich zitiere:

Sie haben von den entsprechenden Vertretern des Extremismus ein Rundum-sorglos-Paket erhalten, das es ganz schwierig macht, diesen Panzer zu durchbrechen, wenn man sie erreichen möchte.

Das führte eine Sachverständige aus dem Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes NordrheinWestfalen aus.

Die Gefühlsebene ist bei Mädchen und jungen Frauen eben eine andere als bei Jungen und jungen Männern. Es gibt zum Beispiel Mädchen aus sehr konservativ-traditionellen, sehr patriarchalischen Familien, wo der Vater sein Patriarchat nur auf den Islam zurückführt. Der Junge darf alles, das Mädchen darf nichts. Die Mädchen werden vom koedukativen Unterricht abgemeldet und dürfen nicht mit auf Klassenfahrten, Jungen aber schon. Innerhalb dieser Familienstruktur können sich Mädchen nur bis zu einem bestimmten Grad entwickeln. Der Bruder und der Vater werden immer über ihnen stehen. Für diese Mädchen sind der politische Salafismus und vor allem der Dschihadismus eine vermeintliche Möglichkeit der "Emanzipation". Während junge Männer im Krieg Abenteuer erleben, ihre Männlichkeit im Kampf zu zelebrieren suchen – man geht in den Krieg, fährt Panzer, läuft durch den Dreck und grillt am Abend – oder ihre sehr oft krankhaften Kriegsphantasien ausleben wollen, ist das bei jungen Frauen eben anders, so die Sachverständigen. Sie glauben, im Kalifat Geschichte schreiben zu können als Zweit- oder Drittfrau eines Gotteskriegers. Sie sind die erste Generation des neuen Weltreiches. Sie bekommen Anerkennung in ihrer klassischen Frauenrolle. Und insbesondere Mädchen, vierzehn-, fünfzehn-, sechzehnjährige Mädchen, haben tatsächlich diesen romantischen Traum von "Ich finde meinen Dschihadisten". Da drängt es sich geradezu auf, für diese jungen Frauen eigene

Präventions- und Deradikalisierungsprogramme zu entwickeln.

Der zweite Antrag betreffend "Ausbau der Forschungsförderung im Themenbereich Salafismus" greift die eben dargestellte Problematik auf. Da wir es mit einem laufenden Prozess zu tun haben, nicht mit einem einmaligen Ereignis, entstehen immer wieder neue Wissenslücken bei der Frage nach den Faktoren der Radikalisierung junger Menschen, insbesondere auch von Frauen, und der Frage nach geeigneten Gegenmaßnahmen. Ohne fundierte Untersuchungen und Analysen auf der Basis zuverlässiger empirischer Studien werden wir uns sehr schwertun, Erfolg versprechende Präventionsstrategien zu entwickeln. Diese brauchen wir aber ganz dringend, um der Radikalisierung junger Menschen wirksam begegnen zu können.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, da lasse ich das Argument, das in der Mitberatung im Haushaltsausschuss von Ihrer Seite kam, nicht gelten, dass Forschungsarbeiten dazu mit großem Aufwand und hohen Kosten verbunden seien. Es geht hier um Menschenleben, sowohl um das Leben der jungen Leute, die für den Salafismus angeworben und für den Dschihad begeistert werden sollen, als auch um das Leben der Menschen, die diesen radikalisierten und fanatischen Kämpfern zum Opfer fallen, ob in Syrien oder hier in Europa. Daher werden wir auch diesem zweiten Antrag zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Jetzt darf ich für die Fraktion der FREIEN WÄHLER Herrn Kollegen Hanisch das Wort erteilen. Bitte.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Innenausschuss hat sich intensiv mit dem Thema Salafismus beschäftigt. Im Herbst letzten Jahres hatten wir dazu eine Anhörung. Ich glaube, das Thema ist viel zu ernst, als dass man darüber unterschiedlicher Auffassung sein könnte. Herr Kollege Dr. Reichhart, vieles von dem, was Sie gesagt haben, würde für die beiden Anträge der GRÜNEN sprechen. Präventionsarbeit ist immer noch billiger, als wenn wir hinterher das ausbaden müssen, was durch vernünftige Präventionsmaßnahmen hätte verhindert werden können. Das haben wir sehr häufig gesehen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN, der SPD und den GRÜNEN)

Die Anhörung hat uns gezeigt, dass junge Frauen und Mädchen wohl wesentlich anfälliger für die Ideen der

Salafisten und Dschihadisten sind, als man gedacht hat. Die Situation im Einzelfall ist jedoch unterschiedlich und darf nicht über einen Kamm geschoren werden. Deshalb haben wir im Innenausschuss beiden Anträgen zugestimmt. Ich kann es deshalb relativ kurz machen: Wir werden diesen Anträgen auch heute zustimmen, weil wir der Auffassung sind, dass sie Hand und Fuß haben.

Wehret den Anfängen. Dann können wir uns hinterher einiges ersparen. Die Anhörung hat außerdem gezeigt, dass gerade zwei Gruppen für den Salafismus sehr anfällig sind, nämlich diejenigen, die aus sehr strengen Elternhäusern kommen, und diejenigen, die aus Elternhäusern kommen, in denen ein Laisserfaire-Stil praktiziert wurde. Aus diesen Gruppierungen kommen die meisten der Dschihadisten, die wir jetzt kennen. Wir müssen diesen Jugendlichen durch präventive Maßnahmen helfen. Die Dschihadisten betreiben eine frauenspezifische Propaganda. Sie versprechen den Mädeln das Blaue vom Himmel herunter: Sie werden mit einem Krieger verheiratet sein. Sie können Lorbeeren ernten. Sie können einen neuen Staat aufbauen. Das kommt an. Deshalb müssen wir frauenspezifische Präventionsarbeit leisten. Dieses Instrument wird am ehesten greifen und helfen.