Protocol of the Session on October 15, 2015

Vielleicht könnten wir das so pragmatisch lösen, ohne gleich zu sagen: Alle, die kommen, sind Gewalttäter, alle, die kommen, sind Kriminelle, alle, die kommen, sind Vergewaltiger. Auf diese Art und Weise werden wir nicht weiterkommen.

(Kerstin Schreyer-Stäblein (CSU): Das sagt auch keiner!)

Deswegen müssen wir schauen, dass wir in den Unterkünften Möglichkeiten schaffen, um besonders schutzbedürftigen Personen auch Schutz zu gewähren.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Jetzt hat für die CSUFraktion der Kollege Neumeyer das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Margarete, es ist nicht das Privileg der GRÜNEN, in Gemeinschaftsunterkünfte zu gehen. Ich bin sehr oft in Gemeinschaftsunterkünften und sehe das.

(Margarete Bause (GRÜNE): Du warst auch nicht gemeint!)

Ich habe einmal in einer Gemeinschaftsunterkunft übernachtet und wollte mir anschauen, wie das abläuft. Es läuft oftmals sehr gut ab und manchmal auch nicht so gut. Aber daran können wir ja arbeiten.

Es gebe eine objektive Integrations- und Belastungsgrenze; dass wir das bisher abstrakt ignorieren konnten, habe nur daran gelegen, dass nicht so viele Menschen gekommen sind. – Wissen Sie, wer das gesagt hat? Der Oberbürgermeister von Tübingen, ein Politiker der GRÜNEN.

Ja, aber wenn dieses Jahr wirklich zwanzigmal mehr Flüchtlinge zu uns kommen als noch 2010, sind wir gezwungen, zu unterscheiden zwischen denen, die vor Krieg fliehen und um ihr Leben fürchten, und denen, die bei uns ein besseres Leben suchen. Wir können die Aslystandards nicht halten.

Das stammt aus demselben Interview der "taz" vom 21. September mit Herrn Boris Palmer. Das war ein tolles Interview. Viele Fragen wurden gestellt, und viele Antworten, wie sie Ihr Spitzenpolitiker gegeben hat, sind vielleicht für die GRÜNEN nicht ganz schlecht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Michael hat es dargestellt. Es ist eine Katastrophe, wenn man uns vorwirft, wir wollten diese Menschen unterwerfen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen explizit die Zusammenarbeit, wir wollen keine Parallelgesellschaft, wir wollen Gemeinsamkeiten sehen. Deshalb soll mit dem Programm, das der Ministerpräsident vorgestellt hat, Zusammenhalt gefordert und gefördert und Integration gestärkt werden.

Integration verändert natürlich nicht die Welt. Das wissen wir auch alle. Aber Integration verändert die Menschen, und die Menschen können dann die Gesellschaft beeinflussen. Integration ist die Chance und der Schlüssel für eine zukünftige, offene Gesellschaft in Deutschland. Dazu zählt natürlich auch, dass man gegen Rechtsradikalismus, gegen Rechtsextremismus mit aller Härte vorgeht. Aber zeitgleich müssen wir aufpassen, wie wir miteinander reden. Da wird von Herrn Gabriel von "Pack" gesprochen, es wird von einem hellen und einem dunklen Deutschland gesprochen.

Ich war gestern in Marktoberdorf. Menschen sind zu mir gekommen und haben gesagt: Ich bin kein Rechter, ich will kein Rechter sein, aber ich traue mich nicht mehr, etwas zu sagen, weil ich dann einer von den Dunkeldeutschen bin. Ich bin nicht Dunkeldeutschland, und ich bin auch nicht Pack. – Wir müssen schon aufpassen, wie wir miteinander umgehen. Deshalb ist es notwendig, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir gemeinsam die Menschen mitnehmen. Wir brauchen übrigens alle Menschen nicht nur jetzt, bei der Flüchtlingsarbeit, sondern auch bei der Integrationsarbeit. Wir können es uns nicht erlauben, Menschen auszusieben, weil wir so gescheit sind, weil wir so toll sind. Da spreche ich einfach mit Johannes Rau: Die Diskussion über Integration ohne Angst und ohne Illusionen - das ist genau der richtige Ansatz.

Integration, meine sehr verehrten Damen und Herren, findet vor allem dort statt, wo die Bürgerinnen und Bürger leben, sie findet weniger in der Chefetage statt. Sie findet dort statt, wo die kleinen Menschen leben. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir diesen zuhören, ihnen unser Ohr schenken, wie auch immer sie das Gesagte meinen. Ob das immer meine Meinung ist, was die Menschen in der Diskussion sagen, ist etwas ganz anderes. Wahrscheinlich teilen auch Sie nicht meine Meinung. Das ist aber die Politik. Deshalb sage ich: Wir brauchen von Anfang an die Menschen. Wir dürfen die Integrationsrechnung nicht ohne den Wirt, nicht ohne die Bürgerinnen und Bürger machen.

(Beifall bei der CSU)

Die Integrationsarbeit hat sehr viele Facetten. Da ist zunächst die Integration durch Sport. Es ist mir ganz egal, ob Mesut Özil das Tor für Deutschland schießt oder Thomas Müller. Das ist wirklich vollkommen egal. Integration durch Sport ist eigentlich ein idealer Partner, -

(Ministerpräsident Horst Seehofer: Müller ist bes- ser, weil er für Bayern spielt!)

Weil er für Bayern spielt, gut; aber ich bin Mitglied von 1860, und ich habe da ganz andere Probleme.

(Allgemeine Heiterkeit)

Wir haben nicht einmal einen Ball.

Jedenfalls ist Integration durch Sport eine sehr wichtige Facette. Im Sport gibt es keine deutschen Regeln für einen Elfmeter. Es gibt keine französische Eckballregelung; es gibt auch keine syrische Torschussregelung. Alle spielen nach gemeinsamen Regeln.

Genau diesen Ansatz brauchen wir auch in Deutschland. Wenn wir in Zukunft miteinander leben wollen, brauchen wir einen gemeinsamen Weg, gemeinsame Regeln und gemeinsame Zielsetzungen. Deshalb dürfen wir keinen unserer Werte auf dem Altar der Beliebigkeit opfern. Wir haben jetzt die Chance, endlich einmal über Werte ehrlich und offen zu diskutieren. Wir haben jetzt die Chance, uns Gedanken darüber zu machen, auch über Religion.

Wir haben in Deutschland viel anzubieten. Viele Menschen, die zu uns nach Deutschland kommen, fragen: Wohin soll ich mich überhaupt integrieren? Wie sieht euer Angebot aus? – Das Angebot besteht in unserem Grundgesetz, in unserer Bayerischen Verfassung und in der Freiheit. Es gibt keine gute Religionsfreiheit oder schlechte Religionsfreiheit, sondern es gibt die Religionsfreiheit. Ebenso gibt es auch nur die Pressefreiheit, und zwar vor dem Hintergrund: "Je suis Charlie". Das war ein Bekenntnis zur Pressefreiheit. Das sind unsere Angebote, und dazu zählt natürlich auch der Rechtsstaat. Wir brauchen keine Scharia, wir brauchen keine Friedensrichter, sondern wir haben den Rechtsstaat.

Wir haben außerdem die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Da kann ich Ihnen einige Beispiele nennen, die mir in Gesprächen zugetragen worden sind. Wenn man das Manifest vom Zentralrat der Muslime in Deutschland liest, dann erkennt man: Hier wird nicht von Gleichberechtigung gesprochen, sondern von Gleichwertigkeit. Das ist etwas ganz anderes. Kürzlich habe ich ein Gespräch mit jungen Muslimen geführt, und da ist die Rede von "Geschlechtergerechtigkeit". Das hat mit Gleichberechtigung nichts zu tun. Deshalb ist es so notwendig und so wichtig, dass wir diese Werte genauso setzen, wie wir sie wollen, wie es unserem Werteverständnis entspricht.

Ich nenne Ihnen ein Zitat von einem Mitarbeiter, der bei mir in der Bayerischen Staatskanzlei arbeiten darf; das ist ein syrischer Praktikant namens Jazdan Ayo. Er sieht die Gleichberechtigung von Mann und Frau als Herausforderung für viele Syrer. Er sagt: Unser syrisches Gesellschaftssystem war anders; die Rollen waren klar verteilt. In Deutschland ist das ganz anders. Das wird Auswirkungen auf die syrischen Familien und den familiären Frieden haben. Einfach wird das garantiert nicht.

Das ist schon eine Riesenhürde, die wir überspringen müssen, und zwar von beiden Seiten. Da kann man nicht so locker vom Hocker reden. Wir müssen hier eine entsprechende Leitkultur anbieten. Unsere Werte haben Deutschland groß gemacht; sie haben Bayern groß gemacht. Diese Werte werden nicht geopfert,

hier wird kein Jota nachgegeben! Das ist die Entscheidung für unsere Zukunft.

(Beifall bei der CSU)

Dazu zählt auch die Wertedebatte in den Schulen. Da hat der Kultusminister eine Riesenaufgabe zu bewältigen. Das bedeutet eine enorme Herausforderung; denn das Ganze muss richtig und vernünftig diskutiert werden.

Ganz wichtig ist es auch, Islamunterricht anzubieten, und zwar in allen Schularten. Das ist für das kommende Zusammenleben entscheidend. Über den Islamunterricht wird man sehr viele Gemeinsamkeiten finden können. Wir brauchen auch den Sprachenausbau.

Wir brauchen die Schule, die Schülerinnen und die Schüler. Wir brauchen aber auch die Eltern. Ohne Eltern haben wir keine Chance. Die Eltern haben am Schulerfolg einen Anteil von 60 % bis 70 %. Der Anteil der Schule ist weitaus geringer, und noch weniger haben die Freunde oder die Umgebung einen Anteil.

Es ist also entscheidend, wie wir mit den Eltern umgehen. Deshalb brauchen wir eine Beschulung der Eltern, bei der sie lernen, richtig Eltern zu sein. Da brauchen wir auch das niederschwellige Angebot "Aufsuchende Elternarbeit in Schule", das zeigt, wie man hier in Deutschland lebt. Für mich sind die Eltern die Hardware des Erfolgs. Wir brauchen also Elternschulungen, um die Menschen für das Leben in unserem Land zu qualifizieren.

Die Sprache ist der Schlüssel dafür. Sprache allein reicht jedoch nicht aus. Wenn Sie nach Frankreich fahren, zum Beispiel nach Paris oder Marseille, dann werden Sie dort vielen Menschen aus den MaghrebStaaten begegnen, also aus Algerien, Marokko und Tunesien. Alle diese Menschen haben als Muttersprache Französisch, aber die Herausforderung, der Streit in diesen Ländern geht um etwas ganz anderes, nämlich um die Bildung. Dort fehlt es an der Bildung. Die Basis ist die Sprache, und der Aufbau ist die Bildung.

Hier in Deutschland gibt es die Fortbildung, die Weiterbildung, die Ausbildung – nur nicht die Einbildung, etwas Besseres zu sein aufgrund der Religion oder Nation.

(Beifall bei der CSU)

In Bayern integrieren wir Menschen, aber keine Nationen oder keine Religionen. Entscheidend ist der Mensch.

Vorhin wurde schon über ein Integrationsgesetz gesprochen. Ich freue mich, ganz ehrlich. Der Vorschlag

von Grün und Rot war zunächst das Berliner Modell, das seinerzeit Herr Wowereit mit der heißen Nadel kurz vor der Wahl gestrickt hatte, weil er in Kreuzberg und Neukölln punkten wollte.

Das zweite vorgelegte Gesetz ist fast identisch mit dem von NRW, nur ist in dem Gesetz von NRW bei Weitem nicht das an Geld enthalten, was wir jetzt hier für die Integration aufwenden. In NRW hat es einen Schilderwechsel gegeben, aber nicht die intensive Auseinandersetzung mit der Thematik. Deshalb ist unser Ansatz jetzt richtig, ein Integrationsgesetz zu gestalten, das zeigt, wie man das Ganze in der Zukunft aussehen lassen will.

Das ist der bayerische Plan. Ich frage Sie, ob jeder in Deutschland einen Plan hat. Haben alle in Deutschland einen Plan? Gibt es in Berlin einen Plan? Gibt es in Brandenburg einen Plan? In Bayern und in München gibt es einen Plan, das ist das Entscheidende. Der Plan wird kommen, und da kann man natürlich sagen: Das hätte man schon früher machen können.

(Zurufe von der SPD: Ja! Genau!)

Natürlich, die Lottozahlen von gestern weiß ich auch.

(Beifall bei der CSU)

Entscheidend sind jedoch die Lottozahlen vom nächsten Mittwoch.

Wichtig ist auch die Integration durch Arbeit. Da nenne ich nur die Zahl von 60.000 Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, die hier in Bayern von der Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Integration ist auch aus demografischen Überlegungen notwendig, damit wir unseren Wohlstand halten können, damit wir unseren Wirtschaftsstandort halten können, aber auch, damit wir uns die sozialen Leistungen überhaupt leisten können. Dass die Wirtschaft so gut läuft, ist ja nicht gottgegeben. So gut, wie es uns jetzt geht – das ist eine Sensation. So gut ging es uns noch nie. Das ist nicht gottgegeben, und das kann morgen auch schon wieder anders sein.

Wir reden oftmals über Luxus, im Endeffekt aber müssen wir jedoch darüber nachdenken, was am Ende dabei herauskommt. Deshalb ist wirklich die Frage entscheidend, wie viele Menschen letztlich zu uns kommen. Wir brauchen Obergrenzen, wir müssen eine Kontingentierung haben. Da besteht auch Übereinstimmung mit Herrn Palmer aus Tübingen. Wir in Bayern haben Chancen wie nur wenige in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist der bayerische Plan, den der Herr Ministerpräsident vorgestellt hat. Wir

sind gut, wir sind besser. Am Schluss muss es für alle heißen: Da san mia alle dahoam.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Taşdelen das Wort für eine Zwischenbemerkung. Bitte schön, Herr Kollege.

Lieber Martin Neumeyer, ich freue mich auch. Ich bin noch nicht allzu lange Mitglied dieses Hohen Hauses. In der ersten Sitzung, bei der ich dich erleben durfte, hast du gesagt: Wir brauchen ein Integrationsgesetz. Bei der zweiten Sitzung hast du dann gesagt, dass man mit Gesetzen nichts regeln kann, und schon gar nicht die Integration; diese müsse man leben. Hierfür gibt es genügend Zitate.