Protocol of the Session on September 30, 2015

Ich finde, es sollte der Konsens aller anständigen Demokraten in Europa sein, dass Humanität eben kein Preisschildchen hat und als Grundwert unserer Wertegemeinschaft unveräußerlich ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich frage mich: Warum kann man in Europa Milliardenbeträge zur Bankenrettung in kürzester Zeit bereitstellen – Herr Aiwanger hat das bereits ausgeführt -, sieht sich aber über einen viel zu langen Zeitraum nicht in der Lage, die notwendigen Mittel zur Bekämpfung der Fluchtursachen und zur Versorgung der Flüchtlinge in Jordanien, im Libanon und in der Türkei bereitzustellen? Sind uns die Menschen wirklich weniger wichtig als das Kapital?

Die Bundesregierung steht vor der zentralen und alles entscheidenden Aufgabe, dass es auf europäischer Ebene viel stärker als bisher zu einer gerechten Verteilung der Asylsuchenden kommt, einer Verteilung, die fair und nachvollziehbar ist und die kein Land aus der Verantwortung entlässt und kein Land überfordert.

Wir sind uns einig, dass die Bundeskanzlerin in der besonderen Verantwortung steht, mit unseren Partnern in Europa eine tragfähige Lösung auszuhandeln. Wir sollten sie dabei unterstützen und nicht behindern. Wir sollten ihre Bemühungen nicht torpedieren.

Ich halte es für falsch, die Position Deutschlands im Bemühen um europäische Solidarität durch Attacken auf die Bundeskanzlerin zu schwächen. Das ist das, worauf es jetzt ankommt. Ich halte es für falsch, einem antieuropäischen Halbdemokraten den roten Teppich auszurollen, unmittelbar vor dem wichtigsten

EU-Gipfel zur Flüchtlingsfrage in diesem Jahr. Das schwächt die Position Deutschlands.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Mar- garete Bause (GRÜNE))

Wer den Eindruck erweckt, hermetisch abgeriegelte Grenzen und neue Mauern wären eine Lösung für das europäische Flüchtlingsproblem, täuscht die Menschen. Abschottung konzentriert und vergrößert die Probleme, anstatt sie zu lösen. Neue Schlagbäume machen Europa nicht sicherer, nicht friedlicher und nicht berechenbarer. Wir brauchen jetzt politische Investitionen in das Verbindende in Europa, nicht in das Trennende, in europäische Solidarität und nicht in Grenzanlagen. Wir brauchen europäische Flüchtlingsquoten; das ist das, worauf es jetzt ankommt.

Ich finde es falsch, sollte die CSU in dieser Situation mit Alleingängen nach parteipolitischem Geländegewinn streben und ein durchsichtiges Schwarzer-PeterSpiel zulasten Dritter spielen. So war das Spiel der CSU unmittelbar vor der letzten Europawahl antieuropäisch. So war es auch vor elf Jahren, als diese Partei als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien gegen den Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union gestimmt hat und das Ratifizierungsverfahren als einziges Bundesland abgelehnt hat.

(Zuruf von der CSU)

Das war ein Fehler. Die CSU will offensichtlich ihre rechte Flanke gegen die AfD stärken und ihr Image mit einer rechtspopulistischen Symbolik der Marke Orbán aufladen.

Jetzt ist aber nicht die Zeit politischer Alleingänge, liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt ist die Zeit der Staatsräson in dieser schwierigen Phase. Es ist die Zeit der parteiübergreifend guten Zusammenarbeit in der Bundesregierung, in der Großen Koalition und in den Parlamenten. Wir sind dazu bereit und erwarten diese Kooperationsfähigkeit auch von unseren Partnern in der Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD)

Auch in seiner Rede heute konnte Herr Kreuzer immer weniger den Eindruck vermeiden, worum es ihm eigentlich geht, nämlich darum, die eigenen Versäumnisse in Bayern ein Stück weit zu verschleiern. Ich darf Sie an zwei oder drei Punkte erinnern. Erster Punkt. Die Asylverfahren dauern gegenwärtig auch deshalb so lange, weil das Bundesinnenministerium unter Hans-Peter Friedrich bis Dezember 2013 – das liegt noch gar nicht lange zurück - neues Personal für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verweigert hat.

(Volkmar Halbleib (SPD): Hört, hört!)

Es gab unter dem CSU-Innenminister keine einzige neue Stelle. Keine einzige! Deshalb lautet die Wahrheit, die man an dieser Stelle aussprechen darf: Die CSU ist bei der Frage schnellerer Asylverfahren nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Hätte Herr Friedrich nicht gezögert und gezaudert, wäre der Antragstau im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht so groß.

Zweiter Punkt. Die Opposition im Bayerischen Landtag hat bereits 2011 mehr Erstaufnahmeeinrichtungen in Bayern gefordert; denn bereits damals waren die Einrichtungen überfüllt. Hätten Sie früher auf das Hohe Haus gehört, wären wir heute ein Stück weiter und besser vorbereitet.

(Beifall bei der SPD)

Dritter Punkt. Die Asylverfahren an den Bayerischen Verwaltungsgerichten dauern heute nicht kürzer, sondern länger als in den Vorjahren, und zwar mit stetig steigender Tendenz. Der Grund dafür ist Personalmangel. Wir haben zu wenige Verwaltungsrichter. Die Zahl der Hauptsache- und Eilverfahren an den Verwaltungsgerichten hat sich in den letzten Jahren vervielfacht. Die durchschnittliche Verfahrensdauer lag im ersten Halbjahr 2015 in Hauptsacheverfahren bei sieben Monaten, bei Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei 0,7 Monaten. Herr Kreuzer erkundigt sich in der Schweiz nach sogenannten 48-Stunden-Verfahren, weil alles schneller gehen müsse, und verschließt die Augen davor, dass es in Bayern teilweise drei, vier oder fünf Tage dauert, bis die ersten Fingerabdrücke genommen werden, die medizinische Untersuchung vorgenommen wird und die Flüchtlinge registriert werden. Dann vergehen Wochen, bis der Bescheid kommt, dass die erste Anhörung des Flüchtlings im Mai 2016 stattfindet. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns in Bayern doch diese Hausaufgaben bewältigen! Dort, wo wir Verfahren beschleunigen können, sollten wir das tun.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FREI- EN WÄHLER)

Was wir aber nicht brauchen können, sind Schaufensterverfahren wie ein Ausflug in die Schweiz mit ihren 48-Stunden-Verfahren, wenn wir von dieser Realität schon aufgrund der Personalknappheit bei uns im Freistaat meilenweit entfernt sind.

(Zuruf von der CSU)

Tatsächlich geht es darum, die bayerischen Kommunen zu entlasten. Deshalb hat die SPD bereits vor ei

nigen Wochen die Gesundheitskarte beantragt, die auch die GRÜNEN heute in einem Antrag zur Sprache bringen. Mit einem effizienten Zugang zur Gesundheitsversorgung sparen wir administrative Kosten. Herr Ministerpräsident, deshalb fordern wir Sie auf, gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden mit den Krankenkassen einen Rahmenvertrag für eine Gesundheitskarte auszuhandeln. Solche Regelungen existieren bereits in Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Wie läuft das in Bayern ab? - In Bayern müssen sich Flüchtlinge während ihrer ersten Aufenthaltsmonate zunächst einen Behandlungsschein bei der Kommune holen, wenn sie krank sind und zum Arzt müssen. Der Arzt stellt anschließend der Kommune die Leistung in Rechnung. Ich finde, wer akut krank ist, sollte zum Arzt gehen können. Der Arzt entscheidet dann, ob und wie behandelt wird. Es geht um eine medizinische Grundversorgung, die effizient zu organisieren und unbürokratisch ist. Man kann damit auch Geld einsparen, wie mittlerweile verschiedene Studien gezeigt haben. Deshalb wäre es gut, wenn wir hier und heute im Parlament neben der Aufstockung bei den Verwaltungsgerichten die Gesundheitskarte beschließen würden. Machen wir Schluss mit der überbordenden Bürokratie!

(Beifall bei der SPD)

In der letzten Woche hat sich gezeigt, dass eine parteiübergreifende Zusammenarbeit über alle Ebenen hinweg möglich ist. Das Asylpaket, das die Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten der Länder, im Übrigen auch mit Unterstützung von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, ausgehandelt hat, kann sich durchaus sehen lassen. Um Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen, werden die Mittel aufgestockt. Um Länder und Kommunen zu entlasten, zahlt der Bund ab 2016 eine Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asylbewerber für die Dauer des Verfahrens. Für die Versorgung der unbegleiteten Minderjährigen gibt der Bund zusätzlich 350 Millionen Euro. Wir haben jetzt bei den sicheren Herkunftsstaaten die GRÜNEN mit an Bord. Ministerpräsidenten und Bundesregierung hatten im Übrigen bereits am 18. Juni einen Beschluss gefasst. Sie hatten dann die JuliKonferenz hier im Bayerischen Landtag zum Anlass genommen, das Thema parteipolitisch aufzuladen. Die Mittel für Sprach- und Integrationskurse werden aufgestockt, die Eingliederungsleistungen der Jobcenter gestärkt. Es gibt im Hinblick auf die Flüchtlingsunterkünfte Erleichterungen im Bauplanungsrecht. All das sind wichtige Maßnahmen. Anders als von der CSU bisweilen dargestellt, ist diese Bundesregierung durchaus handlungsfähig, allen Querschlägen und Obstruktionen eines einzelnen Koalitionspartners zum Trotz.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Bravo! – Lachen bei der CSU)

Bei einem wichtigen Punkt bleibt der Bund jedoch deutlich hinter unseren Erwartungen zurück. Das Thema Wohnungsbau gehört ganz unabhängig von der Flüchtlingsthematik nach ganz oben auf der Agenda. Wir brauchen in den kommenden fünf Jahren 100.000 zusätzliche Wohnungen in den bayerischen Ballungsräumen und Boomregionen. Im vergangenen Jahr, das die Staatsregierung zum Jahr des Wohnungsbaus ausgerufen hatte, kam es zum Bau von nur 1.900 zusätzlichen Wohnungen. Zugleich schrumpft die Zahl der Sozialwohnungen bis 2020 bayernweit von 176.000 auf 112.000. Das entspricht einem Rückgang um 35 %. Deshalb werden wir auch in den nächsten Sitzungen hier im Bayerischen Landtag und bei den Haushaltsverhandlungen eine Erhöhung der Landesmittel zur Wohnraumförderung auf 600 Millionen Euro pro Jahr fordern. Die Staatsregierung muss endlich wieder mehr Geld für die Förderung bezahlbaren Wohnraums zur Verfügung stellen.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße es, dass der Ministerpräsident für den 15. Oktober eine Regierungserklärung zum Thema Integration angekündigt hat. Er kommt damit unserer Forderung von vor der Sommerpause nach. Es ist gut, dass die Fraktionen die Gelegenheit erhalten, hier ihre ganz konkreten Vorschläge – davon gab es ja zahlreiche – gebündelt zur Aussprache zu bringen. Es wird darum gehen, wie wir unsere Schulen mit mehr Lehrerinnen und Lehrern und mit mehr Schulsozialarbeitern besser ausstatten, wie wir unsere Kitas ausbauen und für mehr Kita-Plätze sorgen. Wir wollen die Qualität unserer Krippen und Kitas mit den freigewordenen Mitteln des Betreuungsgeldes verbessern. Es wird um Integration auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt gehen.

Wir befinden uns inmitten eines historischen Umbruchs. Unser Land wird in den nächsten Jahren einen tiefgreifenden Veränderungsprozess erleben, der geschichtlich kaum vergleichbar ist: nicht mit der Gastarbeiter-Bewegung vor einem halben Jahrhundert und auch nicht mit der Deutschen Einheit vor einem Vierteljahrhundert mit ihren Veränderungen auch für die politische Kultur in unserem Land. Auch Parallelen zu den Fluchtbewegungen zu Beginn der 1990er-Jahre sind durchaus schwierig; denn die Veränderungen sind diesmal differenzierter, ja, umfassender und umwälzender als in den vergangenen Jahrzehnten. Die Veränderungen bringen mit Blick auf den demografischen Wandel, mit Fokus auf den schon heute existierenden Fachkräftemangel und im Hinblick auf die Stärkung sozialer Sicherungssysteme

große Chancen mit sich. Deutschland verspricht als Einwanderungsland offener, bunter und vielfältiger zu werden.

Aber es gibt natürlich auch Ängste, dass sich die soziale Statik in unserer Gesellschaft verändert, dass der Wettbewerb der Schwächsten um gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Genugtuung auf dem Arbeitsmarkt und dem Wohnungsmarkt zunimmt und dass die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter aufgeht, und zwar nach unten. Es stehen bereits erste Forderungen im Raum, dass für Flüchtlinge nicht der Mindestlohn gelten solle. Es gibt Ängste, dass kulturelle Gepflogenheiten der Zuwanderer bislang hart erkämpfte Errungenschaften, beispielsweise des Feminismus in unserer Gesellschaft, zurückdrängen werden. Es ist unsere Aufgabe hier im Hohen Haus, mit Zuversicht und Mut den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt zu organisieren und dafür Sorge zu tragen, dass in unserer Gesellschaft keiner verloren geht und jeder zu seinem Recht kommt, egal ob er oder sie Maximilian oder Abdul, Sandra oder Nüket heißt.

Ich bin sicher: Wir werden diesen politischen Prozess besser miteinander und im guten Dialog bestehen als im rechtspopulistisch motivierten Parteienstreit. Wir werden den inneren Frieden dann bewahren können, wenn wir zur Erarbeitung gemeinsamer Lösungen und zur Zusammenarbeit fähig sind, zur Zusammenarbeit für ein solidarisches und weltoffenes, für ein tolerantes und soziales, ja, für ein starkes Bayern. – Vielen Dank fürs Zuhören.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD)

Bitte verbleiben Sie am Rednerpult. Wir haben eine Zwischenbemerkung vom Kollegen Steiner.

Herr Kollege Rinderspacher, wir müssen weitere Zuwanderung aus fremden Kulturen verhindern. Zuwanderung von Menschen aus Afrika löst die Probleme der Überalterung nicht. Deutschland hat sich die letzten 15 Jahre übernommen. Wir sind nicht in der Lage gewesen, all diese Menschen wirklich zu integrieren. Diejenigen, die sich nicht an die deutsche Gesellschaft anpassen und sich nicht integrieren wollen oder können, hätte man besser draußen gelassen. Ist das rechtspopulistisches Gerede? – Nein, das sind jüngste Aussagen Ihres Altbundeskanzlers Helmut Schmidt. Das zeigt deutlich, auf welchem Irrweg Sie sich befinden. Was Sie hier erzählen, sind Worthülsen.

(Widerspruch bei der SPD)

Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Sie kritisieren, dass wir mit Herrn Orbán reden, dessen Land überrollt wird. Sie reden mit Ihren tschechischen Parteifreunden. In der "Frankenpost" vom 5. Oktober 2015 heißt es:

Die SPD-Landtagsfraktion hat die tschechische Regierung ermuntert, mehr Flüchtlinge im Land aufzunehmen. Fraktionschef Markus Rinderspacher sprach auf der Klausurtagung in Regensburg im Beisein der tschechischen Sozialministerin Michaela Marksová von einer "Bitte unter Freunden".

Warum reden Sie nicht Klartext? Warum reden Sie mit denen nicht Klartext, die sich aalglatt aus der Verantwortung stehlen? Sie sollten fordern, dass diese etwas tun.

(Zurufe von der SPD)

Ich sage Ihnen eines: Tschechien hat bisher weniger Asylbewerber als der Landkreis Traunstein aufgenommen. Das ist Ihre Asylpolitik – eine Bankrotterklärung.

(Beifall bei der CSU)

Lieber Herr Kollege Steiner, ich hätte mir gewünscht, dass wir diese Debatte, wie es die Frau Landtagspräsidentin zu Beginn der Debatte angekündigt hat, nicht unnötig parteipolitisch aufladen.

(Kerstin Schreyer-Stäblein (CSU): Das haben Sie doch mit Ihrer Demonstration schon gemacht!)

Der parlamentarische Schlagabtausch gehört selbstverständlich dazu. Erstens: Wir haben Klartext mit der tschechischen Kollegin gesprochen. Sie wissen, dass die Berichterstattung darüber sehr intensiv war. In anderen Medien können Sie gerne einmal nachschauen, dass wir ganz konkret europäische Solidarität eingefordert haben. Ich sage es an dieser Stelle noch einmal: Wir erwarten von der Republik Tschechien, dass sie sich nicht entsolidarisiert, sondern Flüchtlinge aufnimmt.

(Beifall bei der SPD)

Der Unterschied ist: Wir haben diese Kritik sowohl vor der Ministerin als auch vor der versammelten Presse geäußert. Das war für jeden und für alle transparent. Sie haben Herrn Orbán eingeladen. In der gemeinsamen öffentlichen Pressekonferenz kam kein einziges kritisches Wort von unserem Herrn Ministerpräsidenten. Herr Orbán wurde über den grünen Klee gelobt, und die beiden Herren gefielen sich in ihrer Rolle, die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland zu kritisie

ren an einem Tag, der nun einmal sehr wichtig war, um europäische Solidarität zu organisieren.