Protocol of the Session on December 2, 2014

geschehen. Wir alle müssen gemeinsam Stopp rufen; ansonsten verhallt der Ruf in Berlin ungehört, und das gute Gesetz zum Mindestlohn wird ausgehöhlt, und zwar schnell und gewaltig. Lassen Sie in Bayern und vor allem in Berlin nicht zu,

(Beifall bei den GRÜNEN)

dass nach wie vor vielen Arbeitnehmern noch immer kein Mindestlohn bezahlt wird. Das sind nicht die Arbeitsplätze, die wir brauchen, sondern das ist nur ein Einknicken vor denjenigen, denen der Mindestlohn von Anfang ein Dorn im Auge war. Das ist ein Einknicken vor denjenigen, die jetzt in Berlin Schlange stehen, um Ausnahmeregelungen zu erreichen. Mit diesen Ausnahmeregelungen werden aber nur Lasten abgewälzt, und zwar auf die Steuerzahler, die für aufstockende Hartz-IV-Leistungen bezahlen müssen, weil der Lohn so niedrig ist, dass man davon nicht leben kann. Die Lasten werden auf die Menschen abgewälzt, die ihren Wert auch danach bemessen, was ihnen im Arbeitsleben bezahlt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zwei Punkte sind wichtig, wenn man den Mindestlohn betrachtet, der von der Großen Koalition verabschiedet wurde, und wenn man ihn auch umsetzen möchte: Das Erste ist die effektive Kontrolle, das Zweite ist die Zeiterfassung.

Zu den Kontrollen. Zuständig für die Kontrolle ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, bei der zurzeit etwa 600 Stellen nicht besetzt sind – das sind 10 % der vorhandenen Stellen. Ab August sollen 320 Stellen mit Nachwuchskräften besetzt werden – anders ausgedrückt: Bis August passiert gar nichts. Gleichzeitig scheiden jährlich 3 % der Beschäftigten aus dem Dienst aus. Ab August wird das Personal demzufolge jährlich netto um 130 Stellen aufgestockt. Jetzt können Sie sich ausrechnen, wie lange es dauert, bis die von der jetzigen Bundesregierung versprochene Aufstockung um 1.600 Stellen umgesetzt ist. Voraussichtlich liegen bis zu drei Bundestagswahlen dazwischen.

Damit kann man doch keine zusätzlichen Aufgaben schultern. So kann man auch nicht auf die Einhaltung des Mindestlohnes dringen – im Gegenteil: Das ist doch ein staatlicher Freibrief für Unternehmen, die den Mindestlohn unterlaufen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Unterländer, dies wird zu weniger Sozialversicherungsabgaben und zu weniger Steuereinnahmen führen, mit denen man die Mitarbeiter beim Bun

desamt für Migration und Flüchtlinge bezahlen könnte.

Jetzt zum zweiten Punkt: zur Zeiterfassung. Nur mit einer Zeiterfassung kann relativ leicht nachgewiesen werden, ob tatsächlich ein Mindestlohn bezahlt wird. Was sehen die von der Bundesregierung geplanten Verordnungen denn vor? – Sie sehen vor, dass Arbeitgeber in bestimmten Branchen nur die Dauer der geplanten Arbeitszeit erfassen müssen. Dies soll immer dann erlaubt werden, wenn die Arbeitnehmer mobil tätig sind, wenn sie für ihre Arbeitszeit keine Vorgaben haben. Damit können die Zeiten von Hunderttausenden von Arbeitnehmern, die Pakete zustellen, Abfälle sammeln, Straßen reinigen, so erfasst werden und so geplant werden, dass der Mindestlohn umgangen wird. Dies widerspricht dem Gesetz.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das beste Gesetz ist ohne Kontrollen wirkungslos. Betroffen sind besonders die Arbeitnehmer in Branchen, die immer wieder mit Skandalen aufhorchen ließen: Paketzusteller, Taxifahrer, ausländische Arbeitnehmer mit Zeitverträgen, also ausgerechnet diejenigen, die den Mindestlohn besonders dringend brauchen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich Ihnen zum Abschluss noch erklären, was passieren wird, wenn wir dem nicht Einhalt gebieten. Wir hätten jetzt mit einem konsequent eingehaltenen und in Zukunft wachsenden Mindestlohn die Chance, der wachsenden Ungleichheit bei der Umverteilung des Volksvermögens ein wenig entgegenzuwirken. Ich bin ganz bei Ihnen, Herr Unterländer: Der Mindestlohn von 8,50 Euro darf nicht bleiben, sondern er muss in Zukunft auch angehoben werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Fakt ist: Wer schon viel hat, bekommt noch mehr, und wer nur wenig hat, wird ärmer. Der französische Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Paris School of Economics Thomas Piketty hat das in seinem Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert" genau beschrieben. Er hat gezeigt, wie diese wachsende Ungleichheit im Vermögen weitergehen wird, wenn wir nicht gegensteuern. Im Europa des Jahres 2010 hatten die oberen 10 % 25 % des Arbeitseinkommens zur Verfügung. Das oberste Prozent hatte 7 % des Arbeitseinkommens zur Verfügung. Wollen wir immer näher an amerikanische Verhältnisse heranrücken, wobei die reichsten 10 % schon 35 % des Arbeitseinkommens zur Verfügung haben und wo die Ungleichheit immer weiter zunimmt? - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mag Amerika, aber ich will definitiv keine amerikanischen Verhältnisse hier haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Frau Kollegin, Ihre Redezeit!

Ja. – Deswegen müssen wir heute über den Mindestlohn reden – hier und jetzt. Deswegen finde ich es gut, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das Thema für die Aktuelle Stunde gewählt haben.

Frau Kollegin, ich bitte Sie. Wenn ich Ihnen schon mehr Zeit gelassen habe, dann schauen Sie wenigstens auch auf die Uhr.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Format der Aktuellen Stunde umfasst nun einmal fünf Minuten Redezeit. Das war jetzt schon über eine Minute mehr an Redezeit.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Zwei!)

Wir kommen zur nächsten Wortmeldung. Für die Fraktion der CSU spricht Herr Kollege Freller. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, hohes Haus! Über Jahrzehnte hat sich in der Bundesrepublik Deutschland die sogenannte Tarifautonomie bewährt. Es war ein großer gesellschaftlicher Konsens, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber unter sich ausmachen, wie hoch die Gehälter sind. Dieser Konsens wurde von allen Parteien über Jahrzehnte hinweg getragen. Das hat sich nachweislich bewährt; in den letzten Jahrzehnten hatten wir eine Wirtschaftsentwicklung in Deutschland wie kaum ein anderes Land auf dieser Welt. So schlecht kann es also nicht gewesen sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist aber durchaus legitim, wenn man sagt: Es ist gut, wie es war, aber wir machen es noch besser, indem wir aufpassen, dass niemand wegen eines zu geringen Einkommens unter die Räder kommt und ein Arbeitnehmer von dem Lohn, den er für das bekommt, was er leistet, auch seinen Unterhalt bestreiten kann.

Jetzt kam das Thema Mindestlohn - skeptisch von vielen beäugt, aber immerhin konsensfähig für eine Koalitionsvereinbarung. Liebe Koalitionäre, ihr habt in Berlin mitgestimmt, dass man ab dem 01.01.2015 einen Mindestlohn von 8,50 Euro einführt.

Wir hoffen, dass dieser Mindestlohn umgesetzt wird und dabei nicht die Gefahr besteht, die Kollege Unterländer kurz angedeutet hat, dass es mit dem Mindest

lohn eine Nivellierung nach unten gibt. Es wäre das Verhängnisvollste, was uns blühen könnte, wenn die Firmen damit werben, dass sie den Mindestlohn bezahlen. Wir brauchen nach wie vor – das ist für die Arbeitnehmer in diesem Land noch weitaus wichtiger – eine funktionierende Wirtschaftspolitik; denn Bayern hat es geschafft, mit seiner Unternehmensförderung, mit seinen Betrieben und mit seinen Handwerksmeistern ein Einkommensniveau zu schaffen, das für die meisten längst viel höher als der Mindestlohn ist.

(Beifall bei der CSU)

Nichts ist besser für ein Land als eine große Wirtschaftskraft und Wirtschaftsleistung mit Vollbeschäftigung – noch besser ist die Vollbeschäftigung, sie ist das Wichtigste überhaupt –, damit die Menschen von ihrem Lohn leben können, und zwar gut und besser leben können als anderswo, wo man auf den Mindestlohn angewiesen wäre.

(Zuruf des Abgeordneten Markus Rinderspacher (SPD))

- Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Wir haben uns aber auf diese 8,50 Euro geeinigt.

Wir haben ein neues Gesetz beschlossen, das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie. Das ist zwar paradox in der Formulierung, aber es hat Gott sei Dank auch Elemente, in denen die Tarifautonomie sichergestellt ist. Tarifliche Abweichungen für Branchen mit laufenden Mindestlohnverträgen sind bis zum Jahr 2016 möglich. Die Mindestlohnkommission entscheidet alle zwei Jahre über Anpassungen.

Ich sage es ganz bewusst: Dank des Bayerischen Ministerpräsidenten haben wir in Branchen Ausnahmen erzielt, in denen die Anwendung des Mindestlohns in dieser Form absolut nicht praktikabel gewesen wäre: für Jugendliche unter 18 Jahre ohne abgeschlossene Berufsausbildung – hier hat man das Ziel, junge Menschen nicht von der Aufnahme einer geringer vergüteten Ausbildung abzuhalten –, Langzeitarbeitslose während der ersten sechs Monate ihrer Beschäftigung, kein Mindestlohn für Pflichtpraktika sowie freiwillige Praktika bis zu einer Dauer von drei Monaten, Auszubildende und ehrenamtlich Tätige.

Wenn all das, was hierzu von Ihrer Seite an Forderungen gestellt worden ist, gekommen wäre, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann hätten wir ein Chaos und ein Bürokratiemonster ohne Ende. Ich warne dennoch davor – –

(Zuruf der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Sie haben heute in Ihren Reden dauernd das Wort "Kontrolle" gebracht.

(Florian von Brunn (SPD): Weil es notwendig ist!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, 1.600 Beschäftigte werden für die Zollverwaltung gesucht, nur damit kontrolliert werden kann. Die IHK hat veröffentlicht, was in Zukunft alles erfasst werden muss, und zwar innerhalb einer Woche jede Stunde, jede Minute, die jemand tätig ist. Schauen Sie sich einmal die Praxis an. Der Mindestlohn für die Zeitungszusteller ist verschoben worden, weil sich die Verlage dagegen gestemmt haben. Es ist ungeheuer schwer. Wenn sich einer beeilt und seine Zeitungen schneller verteilt, wäre das die Zeit, die ihm eigentlich zugute käme. Er bekommt in Zukunft aber weniger Geld, weil er logischerweise sonst das Ganze nicht einhält. Somit gibt er mehr Zeit an, damit der Mindestarbeitslohn auch für sein Einkommen stimmt.

Das und vieles mehr kommt in der Praxis auf uns zu. Wenn wir dort nicht aufpassen, ist das Ganze ein Schuss nach hinten, und wir schaffen in Deutschland mehr Bürokratie, als es Sinn hat und gut wäre.

Wir haben den Mindestlohn bejaht, aber passen wir, bitte schön, auf, dass er nicht zum Hindernis für unsere Wirtschaft wird; denn ich sage eines: lieber Wirtschaftsförderung als Wirtschaftshinderung!

(Beifall bei der CSU – Zurufe von der SPD)

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Kollege Rosenthal das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion mutet an, als ob wir uns im Grundsatz einig wären. Wenn man aber genau zuhört, erkennt man, dass nur Befürchtungen geäußert worden sind. Kollege Freller, ich versuche einmal, die Intention dieses Gesetzes wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.

(Beifall bei der SPD)

Warum bedurfte es dieses Gesetzes? Warum heißt dieses Gesetz "Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie"? – Weil es in den letzten Jahrzehnten mit den ganz normalen Arbeitnehmerrechten immer weiter bergab ging, weil immer mehr Arbeitgeber aus den Tarifverträgen ausgestiegen sind und weil wir hier im Prinzip unwürdige Verhältnisse haben. Darin sind wir uns doch einig.

Es ist mehrfach betont worden, dass ein Arbeitnehmer von seinem Lohn leben können muss. Die Ergeb

nisse vieler Studien zeigen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer offensichtlich nicht von ihrem Lohn leben können, und das ist die eigentliche Auseinandersetzung. Die unwürdigen Verhältnisse in vielen Branchen auf dem Arbeitsmarkt müssen beendet werden. Das war die Motivlage für dieses Gesetz. Deshalb ist es ein gutes Gesetz.

(Beifall bei der SPD)