Frau Kamm, ich habe es gerade gesagt. Ich empfinde es als falsches Zeichen, wenn man es diesen Staaten dadurch einfach macht, indem man Dublin III aussetzt. Wir müssen uns massiv dafür einsetzen, dass diese Länder ihre Verpflichtungen erfüllen, dass sie Dublin III erfüllen, dass sie menschenwürdige Unterkünfte bereitstellen. Wir haben es in der Rede des Herrn Ministerpräsidenten gehört, es wird auch massiv so gemacht. Ich glaube, da ist in Europa einiges unterwegs.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die CSU erstaunt uns immer wieder, wie sie mit diesem Thema, das wir oft genug im Parlament diskutieren, tatsächlich umgeht.
Kollege Straub, Sie sind sich nicht zu schade, am Anfang ein paar lockere humanitäre Sätze loszulassen, Ihren Redebeitrag dann damit zu beenden, dass natürlich die CSU für eine humanitäre Flüchtlingspolitik steht, aber dann gleichzeitig wieder zu sagen: Natürlich können wir diesem Ansinnen der GRÜNEN, dem wir eigentlich durchaus nahetreten können, nicht beitreten. Welche Argumente haben Sie eigentlich? Sie haben ein Argument genannt: Es gehe Bayern nichts
an. Das stimmt nicht, weil in Ziffer 3 dieses Antrags Frau Kollegin Kamm hat gerade noch einmal darauf hingewiesen - ausdrücklich die Verantwortung des Freistaats Bayern im Bundesrat und bei der nächsten Innenministerkonferenz eingefordert wird. Das ist ein konkretes Anliegen, das auf Bayern zutrifft. Da können Sie nicht auf das BAMF oder sonst etwas verweisen.
Beschreiben wir zum anderen doch einmal ein bisschen, was humanitäre Flüchtlingspolitik bedeutet. Humanitäre Flüchtlingspolitik bedeutet, einer Familie, die aus Syrien flüchtet, zu helfen. Sie hat einen sehr langen Fluchtweg, zum Teil über das Meer, hinter sich, zum Teil auf Booten, die gar nicht an den europäischen Inseln ankommen. Sie werden dann - auch das halten wir nicht für gut, das sage ich ausdrücklich - vielleicht von Italien aus aufgefordert, gleich nach Deutschland weiterzureisen. Ich sage ausdrücklich, dass ich das nicht gut finde. Aber ist es eine humanitäre Flüchtlingspolitik, wenn wir diesen Familien nach einem zum Teil monatelangen Fluchtweg
gleich nach ihrer Ankunft eine Zugfahrkarte geben und sie zurück nach Italien schicken? Ist das eine humanitäre Flüchtlingspolitik?
Wir wissen, dass die Verhältnisse in Europa so nicht in Ordnung sind. Wir treten für eine humanitäre Flüchtlingspolitik ein. Das macht ein Teil der Bundesregierung - wir sind daran ja auch beteiligt -, das macht unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier, und das machen viele in diesem Land, die für eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik stehen. Das ist überhaupt nicht das Thema. Aber, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, fragen Sie sich doch einmal, da Sie immer so betonen, Deutschland und Schweden nähmen die meisten Flüchtlinge auf, wo Deutschland und Bayern im europäischen Vergleich stehen. Wer hat denn die höchsten wirtschaftlichen Kapazitäten?
Wer hat denn die wenigsten Schulden? Wer hat denn die besten Möglichkeiten, auch humanitär in diesem Bereich zu wirken? Dann kommen Sie nämlich ganz schnell auf Bayern. Wenn ich mir die wunderbaren Rankinglisten anschaue, die von Ihrer Regierungsbank aus überall zitiert werden, dann sehe ich, dass
Bayern und Deutschland eine herausragende Verpflichtung haben. Ich betone noch einmal, dass das nicht heißt, dass wir nicht letztlich für eine gesamteuropäische Flüchtlingspolitik einstehen.
Dieser Verpflichtung kommen Sie nicht nach. Ich sage es noch einmal: Der Antrag der GRÜNEN ist aktuell, Frau Kamm. Er ist sehr aktuell. Ich halte es für nicht zumutbar, dass man Menschen nach diesem langen Fluchtweg nach Bulgarien, Italien oder Ungarn zurückschickt. Dies sind Herkunftsländer, die hier genannt werden. In dem Antrag wird lediglich eine sechsmonatige Aussetzung gefordert, nicht die Aufhebung von Dublin III, und letztlich eine entsprechende Argumentation bei der Innenministerkonferenz. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat vor wenigen Tagen zu einer Flüchtlingskonferenz hier in Deutschland eingeladen und tatsächlich – Kollege Straub, Sie haben es erwähnt – auch die Anrainerstaaten dazu gebeten und für die Anrainerstaaten zusätzliche Hilfe durch die Bundesrepublik Deutschland zugesagt. Dies begrüßen wir ausdrücklich. Das ist sehr wichtig und sehr notwendig.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier betont aber wie alle, die in diesem Land Verantwortung tragen, dass wir auch hier in unserem Land unserer Verpflichtung nachkommen müssen und den Syrern, die hier ankommen, ein Stück Geborgenheit vermitteln müssen, ein Stück Willkommenskultur. Wir müssen ihnen deutlich machen, sie seien nach dem langen Fluchtweg angekommen, indem wir uns um die Kinder kümmern, damit sie Schule und Ausbildung bekommen, und indem wir den Menschen Sprachkurse geben und die Möglichkeit eröffnen, die Berufsabschlüsse aus ihrem Heimatland – sie sind zum Teil hoch qualifiziert – hier in Deutschland nachträglich zu erwerben.
Herr Kollege Straub, Sie haben selber gesagt, dass wir uns für lange Zeit darauf einrichten müssen, hohe Flüchtlingszahlen in Bayern und in Deutschland zu haben. Dazu gehören auch Integrationsmaßnahmen, und dazu gehört, die Leute nach einem langen Fluchtweg nicht mehr gleich wieder zurückzuschicken, sondern hier gebührend aufzunehmen und ihnen hier ein Stück Geborgenheit zu vermitteln.
Danke schön, Frau Kollegin Weikert. – Ich gebe bekannt, dass die CSU-Fraktion für diesen Antrag namentliche Abstimmung beantragt hat.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Straub, Sie haben völlig recht. Derzeit haben in Syrien sechs Millionen Menschen ihre Heimat verloren, über 100.000 sind ums Leben gekommen. In Deutschland haben allein in diesem Jahr 23.525 Syrer Asyl beantragt. Ich glaube, wir alle in diesem Parlament sind uns einig, dass das Leid dieser Menschen unglaublich groß ist. Deshalb war und ist es nach wie vor gut, dass sich der Bayerische Landtag im Jahr 2011 einstimmig gegen die Abschiebung aller syrischen Flüchtlinge ausgesprochen hat. Für uns war das eine richtige und wichtige Entscheidung.
Die Frage, die wir hier diskutieren, ist nur: War oder ist das ausreichend? – Wir meinen, es ist noch nicht ausreichend. Wir dürfen uns angesichts dieses unvorstellbaren menschlichen Leids nicht vor unserer Verantwortung drücken.
Wir wissen natürlich, dass seit dem Frühjahr 2011 in Deutschland zwar keine Abschiebungen mehr stattfinden. Syrische Flüchtlinge werden aber weiterhin nach der Dublin-III-Regelung in andere Schengenstaaten abgeschoben, also in die Länder, in die sie eingereist sind. Dagegen ist grundsätzlich natürlich nichts einzuwenden. Das ist ganz klar die aktuelle Rechtslage. Die Frage ist, ob wir nur nach dieser aktuellen Rechtslage vorgehen oder ob wir noch andere Möglichkeiten haben. Frau Kollegin Kamm und Frau Kollegin Weikert haben es angesprochen. Es gibt Probleme, wenn diese Flüchtlinge trotzdem innerhalb jener Staaten abgeschoben werden. Es gibt Bestrebungen von PRO ASYL, Ungarn wegen eklatanter Menschenrechtsverletzungen und systematischer Mängel im Asylverfahren zu belangen. Sogar das Bundesverfassungsgericht hat sich hier kürzlich sehr kritisch ausgesprochen.
Letztes Jahr waren wir mit einer Gruppe des Sozialausschusses in Rom. Da haben wir gesehen, dass die Flüchtlinge dort sehr menschenunwürdig untergebracht sind. Die Situation in Deutschland ist wesentlich besser als zum Bespiel konkret in Rom oder, wie berichtet wird, in Bulgarien. Dort fehlt der Zugang zu Basisleistungen wie Nahrungsmittel und Gesundheitsversorgung. Das ist die aktuelle Situation, mit der man sich beschäftigen muss. Es gibt auch lange Verzögerungen bei der Registrierung und die Gefahr einer willkürlichen Verhaftung. All das sind Kritikpunkte.
Herr Straub, in einem Punkt muss ich Ihnen natürlich recht geben. Wir in Deutschland können nicht alle Probleme in Europa lösen. Wir müssen mittel- und langfristig europäische Lösungen finden. Es kann nicht sein, dass zehn EU-Staaten – deswegen habe ich bei Ihnen auch geklatscht – 90 % aller Flüchtlinge aufnehmen. Wir brauchen hier eine europäische Lösung. Dabei ist auch die Bundesregierung insgesamt gefragt. Da sind auch Sie von der CSU an der Reihe, das Ganze schnell in Bewegung zu bringen. Trotzdem meine ich: Wir tragen für diese Menschen eine Verantwortung. Es ist deshalb schon ein bisschen widersprüchlich, die Flüchtlinge zum Teil nach Dublin III in andere Länder abzuschieben. Wir sagen natürlich, wir nehmen sie auf.
Herr Kollege Straub, Sie haben im Rechtsausschuss ausgeführt, es bestehe keine Möglichkeit, diese Abschiebungen zu verhindern. Aber Sie haben es jetzt schon wieder ein bisschen differenziert dargestellt. Wir meinen, es gibt sehr wohl eine Handhabe für Bayern. Das ist der § 60 a des Aufenthaltsgesetzes. Dabei kann die oberste Landesbehörde aus humanitären Gründen - das ist der Punkt, der für uns wichtig war - anordnen, die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten für längstens sechs Monate auszusetzen. Nur darum geht es eigentlich: um längstens sechs Monate. Deswegen gilt bei allen Abwägungen pro und contra - ich habe es ja gesagt, wir sind vor allem für eine europäische Lösung, Deutschland kann nicht mittel- und langfristig alle Probleme lösen -, in diesem Fall für die syrischen Flüchtlinge aus humanitären Gründen eine Ausnahme zu machen.
Wir haben uns ein bisschen darüber gewundert, dass ein entsprechender Berichtsantrag der GRÜNEN von der CSU abgelehnt wurde. Das wäre wichtig: Berichten Sie einmal darüber! Wir stimmen diesem Antrag aus humanitären Gründen zu.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch einmal ganz sachlich einige Punkte ansprechen, die teilweise in der Diskussion schon angesprochen wurden. Liebe Frau Kamm, die von Ihnen vorgetragenen Schicksale sind schlimm und teilweise fürchterlich. Ich möchte das unterstreichen. Nichtsdestotrotz müssen wir uns an Recht und Gesetz halten. Das gilt auch für die dramatischen Fälle, die Sie vorgetragen haben. Mein Kollege Straub hat es höflich und freundlich formuliert: Wir in der Bundesrepublik Deutschland können nicht alle Probleme der Welt
Liebe Frau Kollegin Weikert, Sie haben viele Punkte vorgetragen, die ich unterstreichen kann. Die GRÜNEN haben den Antrag gestellt, bei der Innenministerkonferenz darauf hinzuwirken, dass dieses Thema noch einmal diskutiert wird. Ich stelle fest: Über dieses Thema wurde bereits diskutiert, und über dieses Thema wird zukünftig sicherlich noch diskutiert werden. In der Innenministerkonferenz herrscht das Einstimmigkeitsprinzip. Dort wird um die beste Lösung gerungen. Ich möchte jetzt nicht parteipolitisch werden, muss aber doch sagen, dass es in der Innenministerkonferenz mehr SPD- als CDU-Innenminister gibt. Ich bitte Sie, in Ihrem eigenen Haus dafür zu sorgen, dass dieses Thema mit der nötigen Kraft und Wucht vorgetragen wird.
Liebe Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Dublin-Verordnung handelt es sich um unmittelbar geltendes EU-Recht, das deutsche Behörden zu vollziehen haben. Für die Anordnung von Rücküberstellungen nach der Dublin-Verordnung ist allein das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig. Ich muss das hier wiederholen. Die Entscheidung, das Selbsteintrittsrecht auszuüben, also Asylverfahren in Deutschland durchzuführen, obwohl eigentlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig wäre, liegt ebenfalls allein beim Bundesamt. An dessen Entscheidungen sind die bayerischen Ausländerbehörden gebunden. Sie sind lediglich für die Vollstreckung der Rücküberstellung zuständig. Sie haben aber keinerlei eigenen Ermessensspielraum. Herr Kollege Dr. Fahn, Sie haben den § 60 a genannt. Dieser Paragraph wird von uns außerhalb von Dublin-Verfahren angewandt.
Ausgehend von diesen rechtlichen Rahmenbedingungen ist die geforderte Anweisung der bayerischen Ausländerbehörden, eingeleitete Dublin-Überstellungen syrischer Flüchtlinge zu stoppen, rechtlich nicht umsetzbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen das nicht.
Ebenso wenig ist die Anordnung eines Überstellungsstopps auf Landesebene möglich. Die Staatsregierung hat dafür keine Zuständigkeit.
Überdies möchte ich betonen, dass es sich bei Überstellungen nach Ungarn, Italien oder Bulgarien nicht um Überstellungen in das Krisengebiet handelt. Lieber Herr Kollege Dr. Fahn, diese Länder sind Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Sie sind ebenso wie
Deutschland nach europäischem und internationalem Recht zum Schutz von Flüchtlingen und Schutzbedürftigen verpflichtet. Diese Staaten sind Mitglied der Union. Das können Sie nicht wegdiskutieren.
Die europäische Rechtsprechung hat systemische Mängel des Asylverfahrens bislang nur in Bezug auf Griechenland festgestellt. In Bezug auf Italien hat der EGMR, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, ein systemisches Versagen im letzten Jahr ausdrücklich verneint. Das wurde überprüft. In Bezug auf Bulgarien hat sogar der UNHCR in seinem Bericht vom April 2014 festgestellt, dass ein Überstellungsstopp nicht gerechtfertigt ist.
Damit wir einmal die Zahlen parat haben: Deutschland nimmt in der EU zusammen mit der Schweiz und Norwegen, für die ebenfalls die Dublin-Verordnung gilt, mit Abstand die meisten Asylbewerber auf. Wir werden im Jahr 2014 200.000 Erstanträge haben. Hinzu kommen die Aufnahmeprogramme für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge. Wir sprechen hier bundesweit von circa 20.000 Personen. Das wurde überhaupt noch nicht angesprochen. Dagegen wurden nach den letzten verfügbaren Zahlen des Europäischen Statistikamtes im Jahr 2014 in Ungarn nur 9.300 Asylanträge gestellt, in Italien 25.000 und in Bulgarien 4.450.
Angesichts dieser Zahlen gibt es für mich daher keinen Grund, diese Staaten noch weiter zu entlasten und auf eine Dublin-Überstellung dorthin zu verzichten; ganz im Gegenteil. Aus diesen genannten Gründen bitte ich darum, diesen Antrag abzulehnen.
Danke schön. – Zunächst ist die SPD mit einer Zwischenbemerkung dran. Ursprünglich wurde mir Herr Kollege Pfaffmann gemeldet, aber zuerst ist Frau Kollegin Weikert an der Reihe. Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, Sie hätten keinen rechtlichen Spielraum. Wie kann es dann sein, dass Griechenland, das ein Land der Europäischen Union ist, vom Rückkehrverfahren ausgenommen wurde? Die Innenministerkonferenz hat festgelegt, dass keine Flüchtlinge nach der Dublin-II-Verordnung oder der Dublin-III-Verordnung nach Griechenland zurückgeführt werden, zumindest für einen bestimmten Zeitraum nicht. Wie
Frau Kollegin Weikert, besprechen Sie das doch auf parteipolitischer Ebene. Machen Sie diese Frage bei der nächsten Innenministerkonferenz zum Thema. Wir diskutieren dort mit. Sie werden dann das Ergebnis erfahren.