Es wäre schön, wenn wir uns an den Fakten orientieren könnten. – Ich nenne Ihnen nachher noch zwei Fehler, die ich gemacht habe, aber erst besprechen wir noch kurz die Sachverhalte.
Das ZBFS hat bis jetzt bereits knapp 170.000 Bescheide erlassen. 240.000 Kinder sind berechtigt. Das heißt, 73 % der Fälle haben wir bereits abgearbeitet. Für diese Kinder wird das Geld auch bereits ausbezahlt.
Wir haben zwei Leistungen verschmolzen. Das Landeserziehungsgeld und das Betreuungsgeld befinden sich jetzt in einer Leistung. Wir haben es extra so aufgebaut, dass diese nicht auf Hartz IV anzurechnen ist.
Das Familiengeld ist bewusst so gestrickt worden. Wir haben gesagt, es wird keine Anträge geben. Jeder bekommt es ausbezahlt, ganz gleich, in welcher finanziellen Situation er sich befindet. Es ist nämlich besser, das Geld in die Familien anstatt in die Bürokratie zu investieren.
Insofern haben wir uns strikt an das Bundesrecht gehalten. Das Familiengeld hat einen komplett anderen Zweck als Hartz IV. Dabei geht es eben nicht um die Existenzsicherung, sondern um Bildung, Erziehung, Betreuung, Gesundheitsförderung. Dafür gibt es im Recht die Ausnahme im SGB II. Wer es nachschlagen möchte: Das ist § 11a Absatz 3 SGB II. Dort ist das klar festgelegt.
Um aber sicherzugehen, dass es definitiv anrechnungsfrei ist, haben zunächst alle Juristen bei mir im Haus geprüft und kamen – Sie wissen, mehrere Juristen sind manchmal unterschiedlicher Meinung – zu der einen Auffassung: anrechnungsfrei.
Die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit hat mir schriftlich bestätigt: Das Familiengeld ist anrechnungsfrei. Die Bundesebene wurde also dort eingebunden, wo sie der Ansprechpartner ist:
Ich möchte auch noch sagen: Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat in Abstimmung mit dem Bundesgesundheitsministerium die gleiche Haltung vertreten.
Kein Mensch kommt auf die Idee, dass, wenn alle diese Ebenen, die alle zuständig sind, eine Rechtsauffassung haben, irgendwer eine andere haben könnte. Im Übrigen hat sich mittlerweile der erste Rechtsprofessor, den ich persönlich nicht kenne, der aber Sozialrecht unterrichtet, in einer Zeitung geäußert. Das ist Prof. Dr. Kingreen von der Universität Regensburg, der dem Familiengeld zwar kritisch gegenübersteht, aber klar sagt: anrechnungsfrei. Der ehemalige Richter am Bundessozialgericht, Herr Dau, sagt ebenfalls: anrechnungsfrei. Derzeit gibt es keinen einzigen Sozialrechtler, der die Auffassung hätte, wir müssten anrechnen, keinen einzigen.
Insofern mutet es schon spannend an, dass alle, die nicht Sozialrechtler sind, hier im Raum diskutieren, und die, die vom Fach sind, sind sich einig.
Besonders lustig finde ich an der Stelle – auch das möchte ich schon deutlich sagen –: Alle miteinander sind einer Meinung, und plötzlich, nachdem wir im April mit dem Prozedere angefangen haben, erreicht mich am 10. August das Schreiben von Herrn Heil. Das ist insofern spannend, als er, wenn er eine andere Rechtsauffassung hat – die darf er haben; in einem Rechtsstaat gibt es viele Rechtsauffassungen, nur am Ende muss es geklärt werden –, seit Mai Zeit gehabt hätte, mich darüber zu informieren, dass er eine andere Rechtsauffassung hat.
Spannend ist: Die Kollegin Kohnen hat beim VdK klar formuliert und mir gesagt, es gebe dieses Schreiben. Ich habe sie gebeten, es mir zur Verfügung zu stellen. Ich habe es bis heute nicht. Das heißt, es gibt kein Schreiben, in dem er sich dazu geäußert hat. Ich kann Ihnen auch sagen, warum Frau Kollegin Kohnen es nicht haben kann. Sie wird einen Schriftwechsel vom März zitieren. Ende März hat mein Amtschef ein Schreiben an den Bund gerichtet und sich erkundigt, wie man die Frage in Bezug auf das Betreuungsgeld lösen kann. Diese Antwort haben wir einbezogen, damit die Leistung definitiv anrechnungsfrei ist, als wir im April/Mai das Gesetz entwickelt haben. Es kann also keinen Brief vom März zu einem Gesetz geben, das erst im April und Mai entstanden ist. Das geht einfach nicht. Sie sollten das auch einmal verstehen. Sie können im April noch nicht wissen, was wir im Mai entwickeln. Dazu gibt es kein Schreiben.
An dieser Stelle ist es mir wichtig, auf zwei Fehler hinzuweisen, die ich begangen habe. Ich formuliere sie auch. Der erste Fehler war, dass ich davon ausgegangen bin, dass ein Bundessozialminister für Soziales zuständig ist. Ich bin im Leben nicht auf die Idee gekommen, dass in einem Fall, bei dem ein Rechtsrahmen so ausgelegt werden kann, dass alle Juristen einer Meinung sind, jemand so lange sucht, bis er es anders machen kann.
(Beifall bei der CSU – Markus Rinderspacher (SPD): Quatsch! Dass alle Juristen einer Meinung waren, ist eine Schutzbehauptung!)
Nennen Sie mir einen namhaften Sozialrechtler, der eine andere Meinung hat. Bis jetzt hat mir gegenüber keiner so etwas geäußert.
(Markus Rinderspacher (SPD): Das ganze Bundessozialministerium ist dieser Auffassung, einschließlich aller Sozialrechtler!)
Der zweite Fehler war, dass ich davon ausgegangen bin, dass bei einem SPDler das "S" für "Soziales" steht. Es steht aber offensichtlich für "sozialdemokratisch". Wir haben das "S" in unserem Namen und werden uns darum kümmern, dass alle Menschen dieses Geld bekommen. Es geht nur um 8 % der Menschen, aber auch diese 8 % der Menschen werden dieses Geld erhalten. Wir zahlen aus. Sollte Herr Heil so wenig Herz haben, dass er am Ende des Tages diesen Schwächsten das Geld nimmt, müssen wir uns überlegen, wie wir die zwei Rechtssauffassungen zueinander bringen. Ich hoffe immer noch, dass es irgendwo ein Herz gibt, das sich den juristischen Meinungen anschließt und den Menschen am Ende des Tages dieses Geld nicht nimmt. Insofern ist der Dringlichkeitsantrag, den die CSU-Fraktion gestellt hat, völ
lig richtig. Wir stellen uns hinter die Schwachen. Wir haben das Gesetz so aufgebaut, dass das Geld bei keinem angerechnet wird. Wenn Herr Heil eine andere Rechtsauffassung hat, gibt es zwei Rechtsmeinungen. Dann muss darüber ein Gericht entscheiden.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – In letzter Sekunde hat sich Frau Celina zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben einen Gesetzentwurf eingebracht, von dem Sie wissen, dass er bezüglich der Anrechnung auf Bundesebene strittig ist. Ist es nicht üblich, dem Bundesministerium einen Gesetzentwurf möglichst frühzeitig vorzulegen, und zwar nicht auf dem Umweg über eine untergeordnete Behörde? Sie hätten diesen Gesetzentwurf direkt dem Ministerium, das Bestandteil einer Bundesregierung ist, der Sie angehören, vorlegen müssen. Hier müsste der Weg eigentlich kurz sein.
Die CSU hat in der Bundesregierung immer die Auffassung vertreten, dass Einkommen auf Leistungen angerechnet werden muss. Das gilt für das Betreuungsgeld, das Kindergeld und das Elterngeld. Warum sind Sie jetzt dagegen? Sie sagen in Bayern, dass Sie möchten, dass diese familienpolitische Leistung allen zugutekommt. Warum sind Sie gegen eine rechtliche Regelung auf Bundesebene, die es ermöglichen würde, diese Leistung allen Kindern in Deutschland zugutekommen zu lassen? Das wäre ähnlich der Kindergrundsicherung, die wir GRÜNE schon immer vorgeschlagen haben.
Zu meiner dritten Frage: Pflegeeltern bekommen das Familiengeld unter bestimmten Umständen nicht, es sei denn, die leiblichen Eltern stimmen zu. Auf diese Ausnahmeregelung gehe ich jetzt nicht ein. Im Gesetzestext steht: "… erhalten Eltern … eine … gesonderte Anerkennung ihrer Erziehungsleistung … zugleich den nötigen Gestaltungsspielraum...". Ich stelle mir eine Pflegefamilie vor, die zwei eigene Kinder und zusätzlich ein Pflegekind hat. Warum darf diese Pflegefamilie dieses Geld nicht bekommen? Das, was die Familie als Pflegefamilie bekommt, deckt die Auslagen und die Lebensführung, aber nicht die gesonderte Erziehungsleistung. Sie wollen alle Kinder gleich behandeln, dann aber auch die Pflegekinder.
Ich beginne mit der dritten Frage. Wegen der Bestimmungen zum Pflegegeld ist eine Gewährung des Familiengeldes für Pflegekinder leider ausgeschlossen. Ich würde dieses Geld jedem gönnen. Das ist aber ausgeschlossen; denn Pflegeeltern erhalten schon das Pflegegeld.
Wir haben das Gesetz dem Bund vorgelegt. Schließlich ist die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit mein Ansprechpartner. Dort wurde mir gesagt, diese Leistung wäre anrechnungsfrei. Deshalb konnte ich nicht davon ausgehen, dass der Bundesminister die Rechtsauffassung seiner Behörde ersetzt, und das auch noch so spät, dass ich nichts mehr tun konnte. Auf diese Idee bin ich, mit Verlaub, wirklich nicht gekommen.
Ich sage es Ihnen noch einmal: Die Juristen in meinem Haus, die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit und der Bund der Krankenkassen waren alle der Auffassung, dass diese Leistung anrechnungsfrei sei. Hätte die Regionaldirektion eine andere Auffassung geäußert, hätte ich natürlich bei der nächsthöheren Ebene nachgefragt. Nachdem sich aber alle einig waren, können Sie doch nicht erwarten, dass ich so lange suche, bis ich jemanden finde, der das, aus welchen Motiven auch immer, anders interpretiert. Ich bin doch froh, dass alle einer Meinung sind. Wir haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir diese Regelung im Falle eines Rechtsstreits durchkriegen. Freuen wir uns doch, dass alle Kinder diese Leistung bekommen können. Wenn Sie einen Draht nach Berlin haben, dann helfen Sie bitte mit, dass sich Herr Heil der Rechtsauffassung aller anderen anschließt.
Ihre Kritik, dass wir uns bei anderen Leistungen für die Anrechenbarkeit eingesetzt haben, kann ich gut nehmen. Gott sei Dank haben sich alle Fraktionen und die Staatsregierung entschieden, diese Leistung anrechnungsfrei zu gewähren, weil diese Leistung eine besondere Bedeutung hat. Sie soll nicht Bestandteil der Existenzsicherung durch Hartz IV sein. Sollte sie darin enthalten sein, müssten wir neu diskutieren. Sie haben einen Ausnahmetatbestand genannt. Ich bin froh, dass diese Leistung anrechnungsfrei ist, was von allen Juristen so gesehen wird. Sollte der Bundesminister nicht einlenken, müsste diese Frage rechtlich geklärt werden. Ich bin im Grundberuf Sozialpädagogin und glaube immer an das Gute im Menschen. Ich hoffe bis zum Schluss, dass sich der Bundesminister noch ein Stück weit bewegen wird, diese Leistung den Menschen gönnt und sich der Rechtsauffassung aller anderen anschließt.
Frau Ministerin, ich habe nur eine kurze Frage. Haben Sie Kenntnis davon, dass die erste Einschätzung der Regionaldirektion zurückgenommen und darauf verwiesen wurde, dass dies nur eine vorläufige und keine rechtssichere Einschätzung war?
Die Einschätzung wurde aufgrund des Briefes vom 10. August revidiert. Herr Heil hat sie ersetzt. Die Einschätzung, die wir vorher hatten, war klar: Beim Landespflegegeld besteht Anrechenbarkeit und beim Familiengeld keine Anrechenbarkeit. Erst nachdem Herr Heil das Schreiben am 10. August geschickt hat, wurde die Meinung der Behörde ersetzt. Herr Heil hat am 10. August entschieden, die Einschätzung der unteren Behörde zu ersetzen. Das liegt in seinem Ermessensspielraum. Ob das im Sinne der Familien gescheit war, muss er bewerten. Wir zahlen das Geld jeder Familie aus. Sollte Herr Heil den Familien das Geld wegnehmen wollen, kann ich ihn daran nicht hindern. Das müssen wir dann eben gerichtlich klären.
Danke schön, Frau Staatsministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt.
che 17/23750, das ist der Antrag der CSU-Fraktion, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die CSU-Fraktion. Gegenstimmen! – Das sind die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie die Kollegen Muthmann (fraktionslos) und Felbinger (fraktionslos). Enthaltungen? – Keine. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag angenommen.
che 17/23765, das ist der Antrag der SPD-Fraktion, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen! – Das ist die CSU-Fraktion. Stimmenthaltungen? – Das sind die Fraktion der FREIEN WÄHLER und die Kollegen Muthmann (fraktionslos) und Felbinger (frak- tionslos). Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.
Ich komme nun zurück zur Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag unter Punkt 1 mit den drei nachgezogenen Dringlichkeitsanträgen. Wir haben also insgesamt vier Abstimmungen durchzuführen. Zum Dringlichkeitsantrag der CSU-Fraktion wurde namentliche Abstimmung beantragt.
Ich lasse zunächst in einfacher Form über die anderen Anträge abstimmen. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/23749 – das ist der Antrag der Fraktion BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und die Kollegen Felbinger (fraktionslos) und Muthmann (fraktionslos). Gegenstimmen! – Das ist die CSU-Fraktion. Enthaltungen? – Keine. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
che 17/23762 – das ist der Antrag der Fraktion der FREIEN WÄHLER – seine Zustimmung geben will, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die SPD-Fraktion und die FREIEN WÄHLER. Gegenstimmen, bitte. – Die Kollegen Muthmann (fraktions- los) und Felbinger (fraktionslos) und die CSU-Fraktion. Enthaltungen? – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
che 17/23764 – das ist der Antrag der SPD-Fraktion – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die SPD-Fraktion und das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen bitte. – Die CSU-Fraktion und die Kollegen Felbinger (frakti- onslos) und Muthmann (fraktionslos). Enthaltungen? – Die Fraktion der FREIEN WÄHLER. Damit ist auch dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.