Protocol of the Session on May 15, 2018

In den Medien und auf Veranstaltungen wird insbesondere beim Begriff der drohenden Gefahr der unzutreffende Eindruck erweckt, dass der Polizei ansatzlos, anlasslos und willkürlich Befugnisse zustehen würden. Wenn Sie Artikel 11 Absatz 3 des PAG lesen, erkennen Sie, dass dies schlichtweg falsch ist. Artikel 11 Absatz 3 des PAG ist im Übrigen bereits zum 01.08.2017 in Kraft getreten. Verehrte Damen und Herren der SPD, Sie haben sich damals bei der Abstimmung im Plenum enthalten. Es wundert mich schon sehr, dass Sie jetzt einen solchen Popanz um diesen Begriff aufführen, obwohl Sie damals nicht einmal dagegen gestimmt haben.

(Beifall bei der CSU)

Im Übrigen ist zu diesem Zeitpunkt auch die Befugnis der Ingewahrsamnahme im PAG neu geregelt worden und nicht erst jetzt. Ich möchte eindeutig klarstellen: Die drohende Gefahr ist an strenge Voraussetzungen gebunden. Auch bei einer drohenden Gefahr muss selbstverständlich ein konkreter Verdacht vorliegen. Eine drohende Gefahr liegt vor, wenn die Polizei aufgrund von Tatsachen nachweisen kann, dass Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung absehbar sind, die zu Schäden an bedeutenden Rechtsgütern führen. Es droht also tatsächlich etwas Schlimmes, ohne dass jedoch Zeit und Ort der Tat bereits konkretisiert werden und somit eine konkrete Gefahr eben noch nicht genau vorliegt. Bereits durch den Begriff "Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung" und die Beschränkung auf "ein bedeutendes Rechtsgut" ist sichergestellt, dass hier nur gewichtige Gefährdungslagen erfasst werden.

Als Beispiel sei zu erwähnen: Erklärt ein Mann seiner Ex-Frau nach dem Scheidungstermin, dass er finanziell ruiniert sei und manche Ehefrau dies nicht überlebt habe, und taucht dann unter, darf die Polizei dessen Telefon nach richterlicher Anordnung orten, überwachen und Kontaktverbote aussprechen, selbst wenn noch nicht klar ist, wo und wann der Mann seiner Ex-Frau auflauern wird. Wollen Sie dieser Frau sagen, dass Sie leider nichts machen können, weil Ihnen die Befugnisse fehlen, da noch keine konkrete Gefahr vorliegt, weil die Polizei noch keine Erkenntnisse über Ort und Zeit der Tat hat? Sollen wir hier abwarten, bis eine konkrete Gefahr vorliegt und es zum Schadenseintritt kommt? – Das entspricht nicht unserer Auffassung von Sicherheit.

(Beifall bei der CSU)

Genauso verhält es sich, wenn wir von einem ausländischen Geheimdienst beispielsweise die Information über einen geplanten Terroranschlag durch eine polizeibekannte Organisation erhalten. Wenn sich diese Organisation konspirativ verhält oder gar untergetaucht ist, soll die Polizei dann abwarten, bis eine konkrete Gefahr vorliegt? Was erklären Sie später den Opfern, wenn Sie nicht handeln konnten, da der Tatbestand der drohenden Gefahr nicht eingeführt worden ist? – Wir alle wissen, dass der Begriff der drohenden Gefahr auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz vom April 2016 zurückgeht. Wenn ich oft höre und lese, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil die Berücksichtigung der drohenden Gefahr nur für Terrorlagen zulasse und daher unser Gesetz zu weit gehe, frage ich Sie: Welchen Unterschied macht es für die Opfer und Hinterbliebenen, ob sie Opfer eines Terroranschlags oder eines Amoklaufs in der Schule geworden sind? – Der Aufgabenbereich des PAG ist

im Gegensatz zum BKAG nämlich nicht auf die Terrorabwehr beschränkt.

Schreibt beispielsweise ein Schüler, der von seinen Mitschülern gehänselt wird, in der WhatsApp-Gruppe seiner Klasse "Ich kriege euch alle! Winnenden ist überall!" und verlässt anschließend die WhatsAppGruppe und taucht unter, liegt weder eine Straftat noch eine konkrete Gefahr vor; Ort und Zeit der Tat sind nämlich nicht bekannt. Soll die Polizei dann bis zum tatsächlichen Amoklauf warten? Soll man nicht vorher tätig werden, den Schüler ausfindig machen, mit ihm sprechen und die Situation abklären? – Dies ist Sicherheit.

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen und Herren, ich möchte den Eltern an dieser Schule nicht erklären müssen, warum nichts unternommen worden ist, wenn sich die Gefahr verwirklicht hat. Das wollen Sie wahrscheinlich auch nicht.

Nun komme ich zur Diskussion über die Ingewahrsamnahme. Es wird so getan, als ob es eine Unendlichkeitshaft gäbe, was natürlich schlichtweg falsch ist. Der Blick in die Artikel 17 und 20 des Gesetzes, deren Änderungen im Übrigen ebenfalls am 01.08.2017 in Kraft getreten sind, zeigt: Eine Freiheitsentziehung allein aufgrund des Vorliegens einer drohenden Gefahr ist gerade nicht möglich. Für die Ingewahrsamnahme muss auch weiterhin eine konkrete Gefahr vorliegen. Hier hat sich überhaupt nichts verändert.

(Beifall bei der CSU)

Darüber hinaus ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Es gibt auch weiterhin die Einzelfallprüfung, die richterliche Anordnung und die richterliche Überprüfung. Der Richter muss regelmäßig überprüfen, ob die Gefahr noch besteht. Das wissen Sie ganz genau. Sobald die konkrete Gefahr nicht mehr besteht, ist der Betreffende natürlich sofort zu entlassen.

Meine Damen und Herren, nicht zuletzt muss erwähnt werden, dass der aktuelle Gesetzentwurf neben der maßvollen Erweiterung der polizeilichen Befugnisse auch Vorgaben der EU und des Bundesverfassungsgerichts umsetzt. Darüber sprechen Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, leider nie. Der Gesetzentwurf berücksichtigt die Maßgaben der neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vor allem aus dem sogenannten BKAG-Urteil des Jahres 2016. Dies bedeutet konkret die Einführung weiterer Richtervorbehalte, zum Beispiel für längerfristige Observationen, eine explizite Regelung und Vorgaben zum Einsatz von Vertrauenspersonen im

PAG und eine Stärkung des Parlamentarischen Kontrollgremiums im Zusammenhang mit verdeckter Datenerhebung. Der Gesetzentwurf stellt neue Befugnisse und rechtsstaatliche Kontrollen in ein praxisgerechtes Verhältnis zueinander.

Die CSU steht an der Seite unserer Polizei und unserer Bürgerinnen und Bürger, die einen Anspruch auf Sicherheit haben. Wir schützen unsere Bürgerinnen und Bürger vor Terroranschlägen und schwerster Kriminalität. Wir erweitern dafür die Befugnisse unserer Polizei zeitgemäß und verantwortungsvoll auf der Grundlage der verfassungsgemäßen Ordnung.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Deshalb bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Ich persönlich fühle mich verpflichtet, der Polizei diese Befugnisse zu geben, die rechtsstaatlich in Ordnung sind, weil ich nicht dafür verantwortlich sein will, dass unnötig Opfer in unserer Bevölkerung entstehen.

(Lang anhaltender Beifall bei der CSU)

Vielen Dank. – Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Kohnen.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Benjamin Franklin sagte einmal: "Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren."

(Beifall bei der SPD)

Wir haben als Parteien unterschiedliche Auffassungen über den vorliegenden Gesetzentwurf. Wir werden diese Auffassungen auch in den nächsten Stunden hier im Parlament vortragen und uns hart miteinander auseinandersetzen. Am Ende entscheidet die Mehrheit. Das ist in einer Demokratie normal. Doch etwas ist heute nicht normal. Wenn Sie das Polizeiaufgabengesetz mit Ihrer Mehrheit heute beschließen, dann ignorieren Sie schlichtweg, was in unserem Land los ist. Sie ignorieren Zehntausende friedlich demonstrierende Menschen in den letzten Tagen und Wochen, Herr Kreuzer. Friedlich! Sie aber tun hier nichts anderes, als diese Menschen zu diffamieren.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CSU – Zuruf von der CSU: Unsinn!)

Es waren Demonstrationen von Jungen und Alten, von Familien, von Eltern mit ihren Kindern, von Frauen und Männern aus Städten und Dörfern, von christlichen Vereinigungen, von Naturschützern und von Fußballfans. Sie stellen diese Menschen einfach in

die gleiche Ecke wie die Extremisten. Das gehört sich nicht. Aber Sie haben es gerade getan.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der Regie- rungsbank)

Die Menschen sind auf die Straße gegangen und werden weiter auf die Straße gehen, um für ihre Freiheit zu kämpfen. Sie werden weiter gegen ein vollkommen überzogenes und unverhältnismäßiges Gesetz der CSU-Staatsregierung demonstrieren. Und Sie tun nichts anderes, als Verfassungsrechtler zu ignorieren, die mit guten Argumenten belegen, dass dieses Gesetz unsere Freiheitsrechte einschränkt.

(Zuruf von der CSU: Erklären Sie das einmal näher!)

Hören Sie doch den Verfassungsrechtlern einfach zu; dann können Sie es verstehen.

(Beifall bei der SPD)

Sie ignorieren unsere hart arbeitenden Polizistinnen und Polizisten, die dieses Gesetz nicht brauchen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Oliver Malchow hat in einem Radiointerview kürzlich gesagt: "Wir wollen eine zivile und keine militarisierte Polizei." Das muss Ihnen doch zu denken geben.

(Beifall bei der SPD)

Aber vor allem ignorieren Sie doch Ihre eigenen Zweifel. Sie sind doch genauso wie wir in Gesprächen mit der Polizei in Ihren Wahlkreisen. Die Polizistinnen und Polizisten sagen Ihnen doch auch: Wir brauchen keine weiteren Eingriffsrechte. Sie sagen Ihnen vielmehr etwas anderes, nämlich: Wir brauchen mehr Kolleginnen und Kollegen, damit wir unsere Überstunden endlich abbauen können.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Die Polizistinnen und Polizisten in unserem Lande brauchen mehr Kolleginnen und Kollegen. Sie erfahren doch, wenn Sie mit ihnen reden, dass sie nur an einem Wochenende im Monat ihre Familien und Freunde sehen. Sie schuften und schuften. Sie brauchen mehr Kolleginnen und Kollegen, damit die Menschen der Polizei wieder auf der Straße begegnen. Sie müssen sie wieder wahrnehmen können als Freund und Helfer und sich sicher fühlen können in unserem Land.

(Zuruf von der CSU: Das ist doch eine Selbstver- ständlichkeit!)

Das ist das, was unsere Polizei braucht; sie braucht dieses Gesetz nicht; denn sie weiß, dass es Bayern nicht sicherer machen würde.

(Beifall bei der SPD)

Ehrlicher wäre es, Sie, meine Damen und Herren, würden eine offene und ehrliche Diskussion darüber führen, was die Polizei in Bayern wirklich braucht und was nicht. Aber das tun Sie nicht.

Ja, Sie haben die Macht hier im Hohen Haus, dieses Gesetz heute durchzudrücken; denn Sie haben die absolute Mehrheit hier in diesem Landtag. Das können Sie also tun. Das werden sich die Menschen in unserem Lande allerdings merken. Da dürfen Sie sich sicher sein.

(Ministerpräsident Dr. Markus Söder: Oh, oh!)

Glauben Sie wirklich, Herr Ministerpräsident, dass das ein "Oh!" braucht, ein verächtliches "Oh!"?

(Zuruf von der Regierungsbank)

Ich sage es Ihnen – ich höre Sie sehr genau. Eines wissen die Menschen in unserem Lande: Mit einer Machtposition geht Verantwortung einher. Ich meine die Verantwortung, Widerspruch und Zweifel ernst zu nehmen. Dieser Verantwortung werden Sie nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD)

Das vergessen Ihnen die Menschen nicht.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CSU)

Ich sage Ihnen noch eines: Da hilft auch keine Kommission aus Datenschützern, Verfassungsrechtlern und Polizeipraktikern, die das Gesetz begleitend überprüfen sollen.

Wir haben grundsätzlich nichts gegen die Evaluierung von Gesetzen. Im Gegenteil. Aber der Ministerpräsident kommt kurz vor der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes mit diesem Vorschlag. Da frage ich: Was soll das denn?

Wir hatten im Innenausschuss eine Expertenanhörung mit dem Landesdatenschutzbeauftragten und mit Verfassungsjuristen.