Protocol of the Session on April 10, 2018

Wir hätten von Ihnen schon erwartet, dass Sie nicht bei jedem dieser Polizeigesetze

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

bis an den Rand der Verfassung gehen; ich behaupte, in einigen Teilbereichen sogar darüber hinaus. Aber das werden wir noch sehen, weil dieses Gesetz ganz sicher einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen wird. Dann werden wir sehen, was dabei herauskommt. Der Gesetzentwurf wird in der vorliegenden Form nicht unsere Zustimmung finden.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön. – Die nächste Rednerin ist Kollegin Gottstein.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der Aktuellen Stunde lautet: "Freiheit verteidigen – Bürgerrechte schützen – Überwachungsgesetz stoppen".

Freiheit verteidigen: Wir haben 70 Jahre Bayerische Verfassung, wir haben ebenso lange das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, und dabei ist es immer um die Verteidigung der Freiheit gegangen. Nach einem verheerenden Weltkrieg, der von unserem Land initiiert wurde und viel Leid gebracht hat, ist es darum gegangen, die freiheitliche Ordnung wieder zu installieren.

Bürgerrechte schützen: Genau das hat man versucht. Ich denke, man hat das in dieser Verfassung vorbildlich gemacht. Ich bin stolz, Bürgerin dieses Deutschlands zu sein, in dem gerade unter dem Einfluss des Krieges, des Zusammenbruchs der Weimarer Republik und als Folge einer Diktatur letztendlich diese Grundrechte in Worte gefasst, sozusagen zementiert worden sind – auch unter dem Einfluss der Alliierten und – auch wenn es inzwischen fast ironisch klingt, wenn man an den jetzigen amerikanischen Präsidenten denkt – gerade unter der Freiheitsidee der Amerikaner, die sich bei vielen Dingen sehr wohl eingebracht haben.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Es ist klar, dass der Schutz der Bürgerrechte und unsere Freiheit im Vordergrund stehen müssen.

Ob man jetzt "Überwachungsgesetz stoppen" sagen muss, ist fraglich. Es ist plakativ, aber es geht – das

weiß jeder, auch der Bürger weiß es inzwischen – um das neue Polizeiaufgabengesetz, das ab morgen in den Ausschüssen diskutiert wird und dann hier verabschiedet werden soll.

Prävention und Gefahrenabwehr sind die Komponenten, die die Gewährleistung der inneren Sicherheit maßgeblich bestimmen. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Deswegen begrüßen wir FREIEN WÄHLER, seitdem wir in diesem Parlament vertreten sind, dass die Befugnisse der Polizei weiter optimiert werden sollen.

Wir begrüßen auch alle Bestrebungen, die eine effiziente und erfolgreiche Ermittlungsarbeit der Polizei fördern und verbessern. Natürlich ist jedem von uns klar – die Medien lassen uns dabei nicht aus, die Ereignisse überrollen uns immer wieder –, dass die Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus, von akuten Bedrohungslagen, von Wohnungseinbruchskriminalität, Drogenkriminalität usw. zeitgemäß erfolgen muss.

Die FREIEN WÄHLER haben in diesem Haus sehr wohl die Vorratsdatenspeicherung, die Videoüberwachung, den Taser-Einsatz etc. mitgetragen. Man muss aber schon sehr deutlich sagen: Dieses Polizeiaufgabengesetz geht mehrere Schritte zu weit. Wir geben eine Überfrachtung vor, aber der Personalmangel bei der bayerischen Polizei bleibt bestehen. Es wurden neue Befugnisse aufgezählt. Kollege Schindler hat diese wie aus der Pistole geschossen vorgetragen, wenn man den Vergleich hier bringen darf. Diese Befugnisse nehmen zu, aber der Personalmangel bleibt bestehen. Es werden mehr Daten erfasst und mehr Daten gespeichert. Wir haben aber immer noch den Personalmangel. Auch diese Dinge muss man, wenn man so einen Gesetzentwurf einbringt, berücksichtigen.

Herr Lederer, Sie haben vorhin gesagt, dass wir noch nie so viel Polizei gehabt haben. Erstens hatten wir eine Zeit lang weniger Polizei und mussten aufstocken, und zweitens gibt es jetzt neue Aufgaben. Die Polizistinnen und Polizisten haben doch nicht umsonst inzwischen mehr als 2 Millionen Überstunden. Das ist doch nicht so, weil sie nichts zu tun haben, sondern weil sie inzwischen viel mehr zu tun haben. In diesem Zusammenhang kommen aber letztendlich die freiheitlichen Grundrechte zu kurz. Wir müssen unser Augenmerk wesentlich mehr darauf richten.

Herr Lederer, wenn Sie vorhin für die CSU gesagt haben, Bayern sei das sicherste Bundesland, dann ist das richtig und auch schön. Man muss dann aber doch die Suppe nicht noch mehr würzen. Wenn man feststellt, ein Gericht ist wunderbar, dann kann man

es auch verderben, indem man des Guten zu viel tut. Das machen Sie gerade.

Unsere Bevölkerung hat mit Recht ein hohes Vertrauen in die Polizei. Die Polizei ist die anerkannteste Berufsgruppe, der ich an dieser Stelle auch danken möchte. Bitte haben Sie doch auch Vertrauen in den Bürger. Indem Sie jetzt alles in den Begriff der "drohenden Gefahr" legen, unterstellen Sie dem Bürger eigentlich – das ist jeder von uns, das sind wir alle –, dass er selbst schon zu einer Drohung wird, zu einer "drohenden Gefahr". Das ist eben nicht der Fall. Sie schütten hier das Kind mit dem Bade aus.

Wir bitten Sie deshalb, dieses Gesetz nicht so zu verabschieden. Wir werden zwar umsonst bitten, aber, wie gesagt, es wird sich rächen, weil Sie letztendlich unsere Polizistinnen und Polizisten – –

Frau Kollegin, beachten Sie bitte die Uhr.

– Oh, die ist schon im Minus.

Genau.

Minus machen wir nicht, danke. Wir haben noch einen Dringlichkeitsantrag zum gleichen Thema. Dort kann ich den Satz dann noch sagen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön. – Nächster Redner ist der Kollege Muthmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Freiheit und Sicherheit – das sind zwei entscheidende Pole, zwischen denen wir uns im Bereich des Polizeirechts bewegen. Seien wir uns auch in dieser Debatte der Verantwortung bewusst, die wir auf diesem Feld haben! Eine Aktuelle Stunde reicht dafür jedenfalls nicht aus. Es geht auch nicht nur um ein Polizeiaufgabengesetz. Es geht um die Koordinaten des Staates, die hier neu justiert werden.

Auch ich appelliere an die CSU, den Entwurf der Staatsregierung nicht nur einfach durchzuwinken; denn ich halte gemeinsam mit der FDP in Bayern dieses Gesetz in seiner Gesamtheit für nicht nur problematisch, sondern für schlicht untragbar.

Zentral ist dabei die Überwachungsgesamtrechnung. Das heißt konkret: Wir könnten uns in diesem Haus sicherlich trefflich über jede einzelne Eingriffsbefugnis

der Polizei streiten – DNA-Untersuchungen, Meldeanordnungen, Drohnen, automatisierte Erkennungssoftware usw. Kaum eine dieser Einzelmaßnahmen würde unser Sicherheits- und Freiheitsgesamtgefüge per se ins Wanken bringen, auch wenn wir Freien Demokraten bei vielen Punkten sicherlich den Enthusiasmus der CSU nicht teilen. Bei Ihrem PAG geht es aber um mehr; denn im Sinne einer Gesamtrechnung geht es um die Summe der Einzelmaßnahmen, geht es um eine mögliche Rundumüberwachung. Es geht um das Gesamtgefüge, für das im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht Grenzen angemahnt hat.

Wir hören immer wieder, es gehe um Sicherheit vor Terror, um frühe Eingriffsmöglichkeiten gegen Gefährder, um die Verhinderung von Anschlägen. Auch hierüber ließe sich hervorragend diskutieren. Es kann aber nicht angehen – und wir können das der Regierung auch nicht durchgehen lassen –, dass sie die Terrorismusbekämpfung als Argument anführt, dann aber, sozusagen als Beifang, die neuen Befugnisse ohne Bezug zum Terrorismus ausgestaltet. Das passt nicht zusammen.

Die Politik darf vor dem Hintergrund von Bedrohung eines nicht vergessen: Die Menschen in unserem Land wollen nicht nur ein sicheres Leben, sie wollen auch ein freies Leben – und dafür werbe ich.

Herr Kollege, beachten Sie bitte die Uhr.

Ja. – Wenn Sie auf der einen Seite immer mehr Eingriffsrechte wollen, dann ist es auf der anderen Seite notwendig, den Schutz der Bürger vor diesen Eingriffen zu erhöhen. Das PAG will aber leider nur einseitig die Befugnisse ausweiten, die Kontrollmechanismen hingegen halten mit dieser Entwicklung nicht Schritt.

Danke schön. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Claudia Stamm.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde markiert wohl ein bisschen den Startschuss für den Wahlkampf der Opposition. Die CSU ist ja im Dauerwahlkampf, aber die Opposition erwacht jetzt anscheinend endlich zum Leben. – Ich finde das gut, und genauso gut ist auch, was alles zum Thema Rechtsstaat und Bürgerrechte vonseiten der Opposition gesagt wurde. Ich muss aber noch einmal bemerken und an dieser Stelle loswerden: Die SPD hat sich leider beim sogenannten Gefährdergesetz enthalten. Ich finde, der Rechtsstaat verträgt einen solchen Tiefschlaf nicht.

Ich muss aber auch in Richtung meiner ehemaligen Kolleginnen und Kollegen sagen: Schön, dass auch euer Widerstand jetzt endlich laut geworden ist! Ich freue mich auf den Kampf im gemeinsamen Bündnis in Bayern.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Ich muss aber auch noch einmal sagen, was schon der Kollege Schindler gesagt hat: In Teilen habt ihr genau solche Gesetze in anderen Bundesländern mit auf den Weg gebracht.

Es ist gut, dass wir heute hier gemeinsam etwas nach meiner Meinung eindeutig Verfassungswidriges bekämpfen. Dieses Gesetz ist ein wirklich unsäglicher Eingriff in unsere Demokratie. Das zu bekämpfen, ist genau deswegen gut, weil die Bundesrepublik Deutschland und der Freistaat Bayern mit zwei sehr modernen Verfassungen aus den Trümmern eines totalitären Staates entstanden sind. Die Verfassungen wurden in einem Geist geschrieben, der vor allem den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor einem allmächtigen Staat, vor Überwachung im Auge hatte. Das Anliegen unserer Verfassungsväter und -mütter ist überhaupt nicht überholt, ist kein Schnickschnack, den man einfach mal so wegwirft. Wer Ja zur Sicherheit sagt, darf nicht Nein zum Rechtsstaat sagen.

Die beiden Novellen des Polizeiaufgabengesetzes stellen vor allem die Freiheitsrechte unseres Rechtsstaats infrage. Ich freue mich, jetzt gemeinsam in diesem groß angelegten Bündnis in Bayern gegen dieses Gesetz zu arbeiten und zu kämpfen. Wie der Kollege Schindler schon gesagt hat, wird dieses Gesetz sicherlich auch in Karlsruhe noch einmal überprüft werden, es sei denn, Sie kommen noch zur Vernunft und holen es noch zurück.

Danke schön. – Nächster Redner ist der Kollege Flierl.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Vonseiten der Opposition wird ja geradezu das Schreckgespenst eines Überwachungsstaates Orwell‘schen Ausmaßes gemalt, das Schreckgespenst einer völlig ohne Grund und Anlass agierenden Polizei. Das wird insbesondere an der Eingriffsschwelle, am Begriff der "drohenden Gefahr", festgemacht. Ich glaube, das ist absurd und widersinnig. Es entspricht nicht der Sachlage, und dadurch wird insbesondere völlig unberechtigt Misstrauen gegenüber der Arbeit unserer Polizistinnen und Polizisten gesät. Ich glaube, deswegen sind diese Vorwürfe eindeutig und ganz klar daneben.

Wenn es um die "drohende Gefahr" geht, wird hier übersehen, dass dieser Rechtsbegriff bereits mit der

kleinen PAG-Novelle 2017 mit Beschluss vom 19.07.2017 in das Polizeiaufgabengesetz eingeführt wurde. Dieser Begriff entspricht auch den Feststellungen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20.04.2016, dass es eben möglich ist, nicht nur den klassischen Gefahrenbegriff heranzuziehen, sondern bereits im Vorfeld Maßnahmen zu ergreifen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies dient ganz klar auch der Rechtssicherheit für unsere handelnden Polizeibeamten. Der Begriff der "drohenden Gefahr" bedeutet eben nicht, dass überhaupt kein Verdacht mehr vorliegen muss, sondern es bedarf tatsächlicher Anhaltspunkte, wonach aufgrund eines konkretisierbaren Geschehens Angriffe von erheblicher Intensität zu erwarten sind, die Schäden an bedeutenden Rechtsgütern herbeiführen. Dies ergibt sich auch aus den von uns durchgeführten Expertenanhörungen, mit denen sich der Innenausschuss sehr lange beschäftigt hat. Ich denke, für jeden von uns hier liegt es auf der Hand, dass gerade angesichts der neuen Herausforderungen von Terrorismus und Extremismus der herkömmliche Gefahrenbegriff

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

egal, ob es jetzt eine konkrete, unmittelbar bevorstehende oder gegenwärtige Gefahr ist – nur noch bedingt tauglich ist.

Wir brauchen diese Vorfeldmaßnahmen, damit wir bereits bei einer drohenden Gefahr Maßnahmen ergreifen können – von der Identitätsfeststellung über die Durchsuchung bis hin zur Telekommunikationsüberwachung. Es bedarf aller rechtsstaatlichen und modernen Mittel, die teilweise auch mit einem Richtervorbehalt ausgestattet sind. Die Polizei muss diese Möglichkeiten ergreifen können und muss diese Maßnahmen treffen können, um Gefahren zu verhindern. Es ist richtig und notwendig, dass wir mehr Personal für die Polizei bereitstellen. Hieran arbeiten wir sehr stark. Wir müssen der Polizei aber auch die Mittel und das Instrumentarium zur Verfügung stellen, um Gefahren zu begegnen.

Ich glaube, dies ist ganz wichtig: dass ein Rechtsstaat nicht darauf warten darf, bis sämtliche Planungen und Vorbereitungshandlungen abgeschlossen sind oder Straftaten bereits versucht oder begangen werden. Wir müssen unsere Polizei in die Lage versetzen, im Bereich der Gefahrenvorsorge tätig zu werden,

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)