Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Martin Güll, Kathi Petersen u. a. und Fraktion (SPD) Berufliche Bildung stärken und Gleichwertigkeit gegenüber dem akademischen Weg herausstellen (Drs. 17/17814)
Ich eröffne die Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt nach der Geschäftsordnung 24 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich dabei an der Redezeit der stärksten Fraktion. Die erste Rednerin ist Frau Kollegin Petersen. Bitte schön, Frau Petersen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Antrag, den wir im Juli als Dringlichkeitsantrag gestellt haben, ist auch jetzt noch aktuell, nachdem das neue Ausbildungsjahr schon begonnen hat; denn Angebot und Nachfrage passen in der Berufsausbildung immer noch nicht zusammen. Einerseits klagen viele Betriebe, sie könnten keine Lehrlinge finden, andererseits haben zahlreiche Jugendliche trotz ihrer Bemühungen keinen Ausbildungsplatz gefunden.
Zahlen von Ende August besagen, dass noch 19.000 Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz waren. Ihnen standen 34.000 freie Stellen gegenüber.
Diese Diskrepanz hat ganz verschiedene Gründe, zum Beispiel die Attraktivität oder die fehlende Attraktivität mancher Berufe, die Ausbildungsbedingungen oder einfach regionale Unterschiede. Diesen verschiedenen Gründen werden wir bei Gelegenheit noch genauer nachgehen.
Offensichtlich ist jedoch der Nachwuchsmangel im Bereich der beruflichen Bildung. Chancen auf Karriere, höheres Einkommen und gesellschaftliches Ansehen sind nach weit verbreiteter Einschätzung eher durch einen akademischen denn durch einen beruflichen Bildungsweg erreichbar. Die gut gemachte Imagekampagne der Handwerkskammern konnte daran ebenso wenig grundsätzlich ändern wie die bisher von der Staatsregierung ergriffenen Maßnahmen wie zum Beispiel Praktika und andere Berufsorientierungsmaßnahmen. Deshalb muss mehr getan werden, um die Gleichwertigkeit der beruflichen mit der akademischen Bildung in der Gesellschaft stärker zu verankern. Daran hapert es ja offensichtlich.
Mit diesem Antrag greift die SPD-Fraktion einige wichtige Punkte auf. Zu anderen Aspekten haben wir schon verschiedene Anträge gestellt und werden dies auch künftig tun. Mit dem vorliegenden Antrag neh
men wir die Mittel- und Realschulen in den Blick. Sie müssen personell besser ausgestattet werden. In den Mittelschulen fehlen vielfach Lehrer. Die Realschulen weisen immer noch vergleichsweise große Klassen auf. Dies beeinträchtigt den Lernerfolg in allen Bereichen und lässt den Schulen auch nicht genügend Spielraum, um die Schülerinnen und Schüler mit beruflichen Tätigkeitsfeldern vertraut zu machen. Dabei ist auch der Wandel in der Arbeitswelt und in den Berufsbildern zu beachten, damit die notwendigen Kompetenzen in der Schule vermittelt werden können. Übrigens, das wird in diesem Antrag nicht genannt, auch in den Gymnasien schadet eine Berufsorientierung keineswegs.
Zunehmend wichtiger wird der Kontakt zwischen den Schulen und den Eltern. Diese wollen in der Regel das Beste für ihr Kind. Ihnen gilt es zu vermitteln, dass es nicht den Königsweg der Bildung gibt, sondern dass es je nach Fähigkeiten und Neigungen zwar verschiedene, aber gleichwertige Bildungswege gibt. Viele Eltern sind sich des Stellenwerts der beruflichen Bildung nicht wirklich bewusst. Informationsveranstaltungen zu diesem Thema, organisiert von Mittel- und Realschulen, können hier Abhilfe schaffen. Wenn Eltern dort zum Beispiel erfahren, dass der Meisterbrief als Abschluss im Deutschen und Europäischen Qualifikationsrahmen dem Niveau 6 und damit dem Bachelor entspricht, kann und wird sie dies zu größerer Wertschätzung der beruflichen Bildung motivieren; und das ist doch in unser aller Interesse. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.
Danke schön, Frau Kollegin Petersen. – Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Heckner. Bitte schön, Frau Heckner.
Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung mit der akademischen Bildung ist eine Selbstverständlichkeit,
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Sie stellen es als Problem dar, wenn der Übertritt ins Gymnasium nicht erreicht wird. Sie beklagen, dass die Übertrittsquote in manchen Regionen trotz gymnasialer Eignung unterdurchschnittlich sei. Sie sprechen außerdem von "früher Selektion". Von einer "gefühlten
Allein der Überschrift des Antrags, "Berufliche Bildung stärken und Gleichwertigkeit gegenüber dem akademischen Weg herausstellen", könnten wir zustimmen. Das ist wie häufig bei Ihren Anträgen: Die Überschrift passt, aber was dann kommt, ist leider oft wenig fantasiereich. Bei Ihnen heißt es nämlich immer: Wir brauchen mehr Geld, und wir brauchen mehr Personal, um die Berufsorientierung noch intensiver zu gestalten. Dann steht in Ihrem Antrag auch noch das wunderbare Wort "umgehend" drin. Es soll "umgehend" mehr Geld und Personal zur Verfügung gestellt werden. Sie tun damit so, als ob in Bayern in diesem Bereich ein Notstand bestehen würde.
Bei dem, was Sie alles an Berufsorientierung fordern, bitte ich Sie, sich an die Fakten zu halten. Die Berufsorientierung in der Schule findet statt, und zwar mit Schülern und mit Lehrern. Die strukturierte Berufsorientierung in der Mittelschule ist eine verpflichtende Säule. Sie beginnt ab der Jahrgangsstufe 5 und stellt ein Alleinstellungsmerkmal im bayerischen Schulsystem dar. Zahlreiche Maßnahmen sind hier zu einem Netzwerk verknüpft worden. Ich möchte nur einige Beispiele nennen: Wir haben bayernweit 84 SchuleWirtschaft-Experten. Wir haben Schule-Wirtschaft-Regionalsprecher. An jeder Schule sind Kontaktlehrkräfte eingesetzt, die den Kontakt zur Wirtschaft und damit auch zu den Berufen herstellen sollen.
In Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit werden im Rahmen der Maßnahmen zur Berufsorientierung acht Module angeboten. Insgesamt werden für die Mittelschulen 13 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, damit unsere Schülerinnen und Schüler Kontakt, und zwar praktischen Kontakt, zu den Berufsfeldern bekommen.
Im Schuljahr 2017/2018 sind an 18 Standorten Berufsorientierungsklassen Mittelschule/Berufsschule eingerichtet worden, die den Einstieg in die Berufswelt fördern sollen. Denn natürlich ist eines klar: Wenn etwas als gleichwertig eingeschätzt wird, muss auch der Wert bekannt sein, und man muss Informationen bekommen.
Das Gleiche gilt übrigens auch für die Realschule. In 98 % aller Realschulen gibt es feste Ansprechpartner für die Koordinierung der beruflichen Orientierung. Die Berufsvorbereitungsprogramme mit den örtlichen Firmen werden von den Lehrkräften organisiert und durchgeführt. Gerade die Realschulen und ihre Absolventen bilden mit ihrem eigenen praktischen Profil das
Liebe Frau Petersen, Sie haben davon gesprochen, dass Berufsorientierung auch bei den Gymnasien nicht schadet. Beim neuen neunjährigen Gymnasium, das wir auf den Weg bringen, stellt die berufliche Orientierung einen Schwerpunkt dar. Das Gymnasium ist eine Schulart mit einer großen Schülerzahl. Es ist notwendig und verpflichtend, dass wir auch die Gymnasiasten mit der Berufswelt in Berührung bringen, wenn wir in unserer Gesellschaft von Fachkräftemangel und von Studienabbrechern sprechen. Die Gymnasiasten sollen Berufe kennenlernen und ausprobieren. Sie sollen ihre Talente systematisch entdecken. Auch vor der Neustrukturierung des Gymnasiums haben fast alle 322 staatlichen Gymnasien mit der Agentur für Arbeit zusammengearbeitet. Die Durchführung eines Betriebspraktikums ist schon jetzt an 84 % der Gymnasien Pflicht. Wir wollen die Pflicht des Betriebspraktikums auf alle Gymnasien ausweiten. Die Kammern und die Betriebe sind für die berufliche Orientierung die Ansprechpartner. Wir brauchen die jungen Leute, um unsere Wirtschaft weiterhin am Laufen zu halten. In Bayern ist die berufliche Bildung ein Wert. Dieses Signal geben wir den jungen Leuten und auch den Eltern.
Daher wollen wir auch die Schulart nicht vergessen, die ganz besonders zum hohen Stellenwert der beruflichen Bildung in Bayern beiträgt: Ich rede von unseren beruflichen Schulen. Diese leisten mit den Ausbildungsbetrieben eine hochqualitative Arbeit. Sie führen zahlreiche Informationswochen durch, wie die vom Kultusministerium jährlich mit organisierte Aktionswoche Aus- und Weiterbildung. In diesen Veranstaltungen wird die Öffentlichkeit intensiv darüber informiert, dass auch eine berufliche Ausbildung Karrierechancen bietet und dass man sich in Richtung Techniker, Meister oder Studium bzw. duales Studium weiterentwickeln kann.
Frau Petersen, Sie haben völlig richtig erwähnt, dass die Eltern natürlich nur das Beste für ihre Kinder wollen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Eltern erfahren, dass eine berufliche Ausbildung alle Karrierechancen eröffnet. Dies ist die beste Wertschätzung, die wir unseren jungen Leuten zukommen lassen können.
In Ihrer Antragsbegründung behaupten Sie, dass es in Bayern eine einseitige Fokussierung auf das Gymnasium gebe. Das ist mitnichten der Fall. Unsere Bildungspakete erstrecken sich über alle Schularten, um
die Berufsorientierung strukturiert durchzuführen. Aus diesem Grund werden wir Ihren Antrag ablehnen.
Danke schön, Frau Kollegin Heckner. – Der nächste Redner ist der Kollege Häusler. Bitte schön, Herr Häusler.
Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die berufliche Bildung zu stärken und die Gleichwertigkeit gegenüber dem akademischen Weg herzustellen, ist ein hehres Ziel. Ich hatte ursprünglich angenommen, dass wir alle diesem Ziel zustimmen müssten. Frau Kollegin Heckner, Sie haben auch in Ihren Ausführungen gesagt, dass Sie eigentlich zustimmen müssten und gleichzeitig dagegen sein sollten. Das ist eine unlogische – –
Ich habe gut zugehört. Sie haben eine unterschiedliche Bewertung im Vergleich zu anderen im Plenarsaal. Aber die Bewertung unterscheidet sich letztlich im Detail. Wir, die FREIEN WÄHLER, als Partei der Handwerkerschaft und des Mittelstandes werden diesem Antrag natürlich zustimmen.
Allerdings geht an die Adresse der Sozialdemokraten die kritische Bemerkung, dass der Antrag sehr oberflächlich formuliert ist. Sie fordern geeignete Maßnahmen und beschreiben dabei zwei hinlänglich bekannte Forderungen, nämlich die bessere Ausstattung der Mittel- und Realschulen sowie die Bewusstseinsbildung und Aufklärung der Eltern. Wer am letzten Donnerstag rechtzeitig im Plenum war, wurde von Prof. Michael Piazolo anlässlich der Aktuellen Stunde umfassend über die Attraktivität und Ausstattung der Mittel- und Realschulen informiert. Er ging explizit auf die Stärkung der Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung ein. Die Gleichwertigkeit beginnt im digitalen Zeitalter bereits bei der zeitgemäßen Ausstattung.
Darüber haben wir eben gesprochen. Gleichwertigkeit muss eine attraktive und vergleichbare Besoldung zur Folge haben. Deshalb ist es vordringlich, dem Schülerrückgang, der sich leidvoll auf die Besetzung der offenen Ausbildungsplätze auswirkt, entgegenzuwirken.
In den letzten drei Jahren hat die Zahl der Studienanfänger die Anzahl der abgeschlossenen Ausbildungs
verhältnisse deutlich überschritten. Man kann sagen, dass die zunehmende Akademisierung der Arbeitswelt, teilweise über den Bedarf hinaus, in der Zukunft zu einem Fachkräftemangel führen wird. Ein sehr positives Zeichen ist, dass die Anzahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge seit dem letzten Jahr wieder ansteigt; jedoch nicht im erforderlichen Maß, um einer Generalisierung der beruflichen Ausbildung zugunsten eines ausgewogenen, regionalen Spezialistentums entgegenzuwirken. Unsere Kleinst- und Mittelbetriebe stehen in einem zunehmenden Verdrängungswettbewerb mit Hochschulen und Großbetrieben.
Im vorliegenden Antrag wird exemplarisch auf das Niveau 6 des Deutschen Qualifikationsrahmens – DQR – verwiesen. Dieser ist mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen identisch, der seit 2008 definiert ist und dem 27 Staaten beigetreten sind. Der DQR ist auf vier Säulen aufgebaut, nämlich auf Wissen, Fertigkeit, Sozialkompetenz und Selbstständigkeit. Hinsichtlich der Schul- und Ausbildungsabschlüsse lässt er jedoch einen ausgedehnten Spielraum. So sind im gegenständlichen Level 6 der Meister und der Techniker – dieser ist im Antrag nicht aufgeführt – dem Bachelorabsolventen gleichgestellt. Das ist gut so und verleiht der beruflichen Bildung die notwendige Anerkennung und Akzeptanz.
Ich komme nun zurück zum Antrag. Die Staatsregierung soll geeignete Maßnahmen ergreifen. Durch DQR und EQR gibt es einen Bezugsrahmen zur besseren Vergleichbarkeit der jeweiligen Bildungsabschlüsse. DQR und EQR sind sozusagen Transparenzinstrumente.
Welche Rückschlüsse und Forderungen will der Antragsteller davon ableiten? – Mit einer entsprechenden Zuordnung ist nämlich keine Berechtigung der Anerkennung von Bildungszugängen und von Abschlüssen verbunden. Sie bedingt auch keine wechselseitige Durchgängigkeit. Zum Beispiel erfordert ein Bachelorabschluss ein Hochschulstudium. Der Meisterbrief ersetzt den Bachelorabschluss eben nicht und umgekehrt. Die Eingruppierung und Besoldung, insbesondere im öffentlichen Dienst, stellt im Wesentlichen auf Schul- und Studienabschlüsse ab. Hier findet weder der Deutsche noch der Europäische Qualifikationsrahmen eine entsprechende Berücksichtigung. Ein transparentes Beispiel ist die Lehrerbesoldung an beruflichen Schulen. Der Berufsschullehrer erhält eine Einstiegsbesoldung in A 13, der Fachlehrer in A 10. Im Qualifikationsrahmen könnten beide Lehrkräfte Q 7 zugeordnet werden. Deshalb stelle ich den Antragstellern, den Sozialdemokraten, folgende
Frage: Zielen Sie ausschließlich auf die gesellschaftliche Wertschätzung ab, oder wollen Sie mehr? – Die Beantwortung dieser Frage sind Sie schuldig geblieben.
Wir, die FREIEN WÄHLER, fordern seit Jahren Maßnahmen zur Stärkung der dualen Bildung. Das betrifft insbesondere die Gleichstellung von Meistern und Bachelorabsolventen. Wir haben die Abschaffung der Studiengebühren erfolgreich erkämpft. Wir haben folgerichtig Bildungsgutscheine für erfolgreiche Meisterabsolventen eingefordert. So gibt es jeweils 3.000 Euro Entlastung bzw. Förderung. Die Staatsregierung erhöht ab 2018 zwar den Meisterbonus auf 1.500 Euro, aber dies sind exakt 50 % gegenüber der akademischen Bildung, nämlich dem vergleichbaren Bachelor.