Protocol of the Session on September 27, 2017

Es gibt auch noch andere Zuzugsregionen in Bayern, an denen man nicht vorbeikommen wird. Außerdem muss man sich darüber im Klaren sein, dass eine Nachverdichtung in den Städten auch zulasten der Wohnqualität geht. Freiflächen werden wegfallen. Ich denke vor allem an Kinder, die Platz brauchen, um sich zu entfalten. Auch das wird immer schwieriger in nachverdichteten Städten.

Den Flächenverbrauch gesetzlich zu deckeln, wie es die GRÜNEN in ihrem angekündigten Volksbegehren fordern, wird schon allein deshalb nicht funktionieren, weil man den Regionen außerhalb der Ballungsräume nicht jede Entwicklungsmöglichkeit nehmen darf. In manchen Landstrichen würde das Abwanderungstendenzen beschleunigen und die Ballungsräume weiter unter Druck setzen. Ländliche Gebiete würden sich irgendwann selbst renaturieren. Vielleicht gibt es Leute, die das wollen. Wir wollen es nicht. Wir wollen in ganz Bayern eine gesunde Entwicklung. Die GRÜNEN wollen das anscheinend schon; denn genau das würde passieren, wenn man einen strikten Deckel darauf macht und die verfügte Fläche handelt.

Zum Anteil der Landwirtschaft am Klimawandel, Herr Kollege von Brunn, sollte man durchaus wissen, dass die Bauern mit lebenden Tieren arbeiten, die Bauern Kühe für die Milcherzeugung brauchen, die Kühe leben und die Bauern den Pflug nicht mehr mit drei

Knechten durch den Acker ziehen, sondern mit Maschinen. Das ist auch gut so.

(Zuruf von der SPD)

Zum Schluss habe ich noch einen Tipp zum Flächensparen: Verzichten Sie auf die dritte Startbahn!

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Dann werden nicht nur 345 Hektar ökologisch wertvolle Flächen versiegelt, sondern der Landwirtschaft gehen auch noch 900 Hektar Konversationsfläche verloren. Der Verzicht auf die dritte Startbahn wäre ein deutliches Signal, und er wäre ein vernünftiges Signal, vor allen Dingen ein vernünftiges Signal, dass man es ernst meint mit dem Klimaschutz. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Herr Kollege Zierer. – Der nächste Redner ist Herr Kollege Dr. Magerl. Bitte schön.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst einmal mit einem Dank beginnen, mit einem Dank an die Beamtinnen und Beamten im Ministerium, die sich viel Arbeit gemacht haben.

(Zuruf)

Dann kommt die Kritik auch noch; keine Sorge. – Ich möchte ganz herzlich den ehrenamtlich in Bayern tätigen Spezialistinnen und Spezialisten gerade im Naturschutz danken, die sehr viel dazu beigetragen haben, dass die CSU-Staatsregierung wenigstens ein paar Daten hat; denn viele sind es ja nicht. Ohne diese ehrenamtlich Aktiven wäre die Staatsregierung auf dem Sektor weitgehend blind; denn 90 % der Daten, gerade was den Naturschutz anbelangt, kommen von Ehrenamtlichen. Denen gilt unser ganz besonderer Dank. Ich glaube, es sind nicht nur wir, die hier danken und danken müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Der Umfang der Interpellation – etwa 350 Seiten – und die vielen darin angerissenen Themen erlauben mir leider nur, dass ich mich auf einige Punkte konzentriere. Wir werden in den kommenden Monaten im Umweltausschuss wahrscheinlich noch den einen oder anderen Punkt vertieft diskutieren müssen. In 15 Minuten kann man das leider nicht tun. Ich werde mich, nachdem die Interpellation "Zustand der Natur in Bayern" heißt, im Wesentlichen auf den Bereich Natur und Naturschutz als sozusagen exemplarischen

Bereich konzentrieren; denn die Kritik, die hier anfällt, kann man im Bereich Wasser, Klima, Flächenfraß und bei anderen Themen genauso anbringen. Das wären ähnliche Kritikpunkte, die ich vorbringe.

Das Erste, was ich kritisieren muss, ist ganz klar: Die Datenlage, die das Ministerium hat, also das, wofür man in Erhebungen investiert, ist absolut mangelhaft. Ich habe es schon gesagt: Ohne Ehrenamtliche wüssten wir fast nichts. Wir haben nur für 30 % der in Bayern vorkommenden Arten Daten, wie die Populationsentwicklung ist; für 70 % haben wir diese Daten nicht. Da wissen wir nicht: Ist der Zustand der Populationen gut, ist er schlecht, nehmen diese Arten zu oder ab?

Ich frage mich, wie die Rednerinnen und Redner der CSU sagen können, es sei doch alles in Ordnung, wenn man über 70 % absolut nicht Bescheid weiß. Es ist eine Schande für ein reiches Land, dass hier so wenig Geld in die Kartierung dieser Arten investiert wird, die dringend notwendig ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es geht auch in Zukunft so weiter. Ich habe das einmal abgefragt. Außerhalb der Interpellation – das kann man auch in die Rede einfließen lassen – ist eine quantitative Bilanz zur Veränderung der Gefährdungssituation bedrohter Arten in der Bayerischen Biodiversitätsstrategie frühestens für 2020 vorgesehen. Sie werden dann zum Ende der Biodiversitätsstrategie feststellen, dass Sie bei der Umsetzung dieser Strategie krachend gescheitert sind. Darauf komme ich gleich noch.

Wenn man nachfragt, ob es in Bayern ähnliche Daten zum Insektensterben gibt wie in Nordrhein-Westfalen, wo man einen Rückgang von 80 % zu verzeichnen hat, kommt die Antwort.

(Dr. Otto Hünnerkopf (CSU): Zwei Aufnahmen!)

Herr Kollege Hünnerkopf, nennen Sie mir einmal eine bayerische Aufnahme. Sie haben nie Aufnahmen in Bayern und kritisieren, dass es bei den anderen nur zwei Aufnahmen gibt.

Zu der Frage nach dem Rückgang sagt die Staatsregierung vage, eine nähere Quantifizierung der Bedeutung und der verschiedenen Gefährdungsursachen für den Rückgang der Insektenfauna ist nicht möglich. Sie kennen die Daten. Ich wage es fast zu sagen: Es ist Systematik, dass Sie die Daten hier bei uns in Bayern nicht erheben, wenn man sich anschaut, wie Sie mit Programmen umgehen, wo auch Daten erhoben werden müssen. Bayerische Arten- und Biotopschutzprogramme aus den Neunzigerjahren – das war einmal ein Flaggschiff des Naturschutzes in Bayern. Aber

man muss sagen: Es war. In 33 Landkreisen und drei Städten sind die Datenbände älter als 15 Jahre, in 13 Landkreisen und 19 Städten sogar älter als 20 Jahre. Das habe ich abgefragt. Da ist noch nicht einmal die FFH-Richtlinie eingearbeitet worden.

Schauen wir uns einmal die Entwicklung der Geschichte an. Wir haben 2008 abgefragt: Wann geht es mit dem Arten- und Biotopschutzprogramm weiter? Damals hieß es: Für die Haushaltsjahre 2008 bis 2012 sind insgesamt 1,8 Millionen Euro für zwölf neue Bände eingeplant. – Dann fragt man 2017 nach, wo denn diese zwölf neuen Bände bleiben. Dann heißt es: Das zunächst eingeleitete Vergabeverfahren – man war sogar schon bis zur Vergabe gekommen – für die Aktualisierung von zwölf ABSP-Landkreisbänden wurde aufgrund begrenzter finanzieller Ressourcen eingestellt.

Ein Land mit einem Haushaltsvolumen von 60 Milliarden Euro pro Jahr hat keine 1,8 Millionen Euro, um den Zustand der Natur zu erfassen und um den unteren Naturschutzbehörden in den Landkreisen das Datenmaterial an die Hand zu geben. Man stelle sich einmal vor, der Verkehrsminister Herrmann würde sagen: Ich habe kein Geld, um die Straßen untersuchen zu lassen. Was wäre dann in diesem Hause los?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Kollegin hat vorhin etwas über die landwirtschaftliche Nutzung und die Böden gesagt. Dazu steht in der Interpellation etwas hoch Spannendes. Auch hierzu gibt es kaum Untersuchungen. Die Frage der SPD lautet: Wie hat sich die biologische Vielfalt dort entwickelt? – Die Antwort: Zur Untersuchung der biologischen Vielfalt in den landwirtschaftlich genutzten bayerischen Böden liegen keine quantitativ auswertbaren Zeitreihen vor. Die Untersuchungen der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft konzentrieren sich auf Regenwürmer. Hier wird eine einzige Art von Regenwürmern untersucht, und daraus wird abgeleitet, dass alles in Ordnung ist. Hierüber kann ich nur den Kopf schütteln. Liefern Sie entweder noch mehr Datenmaterial oder geben Sie zu, dass Sie nichts wissen. Es ist eine Schande, wenn man über die Böden in Bayern und die Artenvielfalt in den Böden offensichtlich nichts, aber absolut nichts weiß.

Auch die Roten Listen sind angesprochen worden. Der ganz große Teil an Roten Listen, über 40, stammt aus dem Jahr 2003. Nur drei Listen sind aktuellen Zustandes. Die Aussagen des Ministeriums sind ganz, ganz klar: Insgesamt hat sich der Zustand der Arten seit 1976 weiter verschlechtert. Nach der Liste zu den Vogelarten sind aktuell 54 % der Vogelarten in Bayern gefährdet. Das ist die aktuelle Zahl. Das ist eine abso

lute Schande. Hierzu ist in der Biodiversitätsstrategie formuliert worden, dass bis 2020 eine Verbesserung des Status um eine Stufe bei der Hälfte der Arten angestrebt wird. Laut Nachfragen haben Sie das bislang erst bei acht Arten geschafft. Bei den restlichen 1000 Arten haben Sie das nicht geschafft. Schauen wir uns beispielsweise das FFH-Gebiet Paartal an, welches sich von Schwaben bis nach Oberbayern erstreckt und teilweise im Stimmkreis des Herrn Ministerpräsidenten liegt. Dieses Gebiet ist fast 3.000 Hektar groß. Ein Vergleich zwischen dem Standarddatenbogen des Umweltministeriums und dem erst kürzlich vorgelegten Managementplan zeigt: Bisher hatten wir 558 Hektar Flachland-Mähwiesen. Davon sind nur noch 18,5 Hektar übrig. Da schießt einem die Schamesröte ins Gesicht. Damals gab es noch 34 Hektar Pfeifengraswiesen, das sind alles FFH-Schutzgebiete. Davon ist nur noch ein halber Hektar übrig. Wann geben Sie endlich Ihren blöden Grundsatz "Freiwilligkeit statt Ordnungsrecht" auf? – Hier sind Sie mit der Freiwilligkeit nicht weitergekommen. Sagen Sie endlich einmal, wie Sie die FFHRichtlinie umsetzen wollen. Solche Beispiele können wir in Bayern zur Genüge finden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch das folgende Zitat spricht eine deutliche Sprache: Der tiefgreifende Landschafts- und Nutzungswandel hat enorme Verluste an Biodiversität zur Folge. – Das zeigt klar und deutlich, dass wir in Bayern mehr Schutzgebiete brauchen. Wir brauchen im Naturschutz mehr Ordnungsrecht. Man muss klar und deutlich sagen, dass Ihre Strategie gescheitert ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Am schlimmsten ist die Entwicklung im Bereich der Bodenbrüter in der Agrarlandschaft. Dies zeigt sich klar in der Antwort zur Interpellation. Die Feldlerchen und Kiebitze haben seit 2000 Bestandseinbrüche von über 50 % des jeweiligen Brutbestandes erlitten. Für andere Arten kann dies ähnlich durchdekliniert werden. Auf die Frage, was dafür verantwortlich ist, drücken Sie sich verschwurbelt aus. Nennen Sie doch endlich die Landwirtschaft und treten Sie in einen wirklich ernst zu nehmenden Dialog mit den Landwirten ein, damit wir hier endlich zu Verbesserungen kommen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Manchmal lohnt es sich, über den Tellerrand zu schauen. Das Bundesamt für Naturschutz sagt klar und deutlich: Die Hauptgefährdung der Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien, Heuschrecken usw. ist die Landwirtschaft. In anderen Bereichen ist es auch der Wasserbau bzw. bei den Tagfaltern der Frost.

Aber bei den genannten Tierarten ist die Landwirtschaft klar als Ursache benannt. Die Landwirtschaft steht bei den Ursachen an erster Stelle. Daran müssen wir arbeiten. Wir können das Ganze nicht einfach so weiterlaufen lassen wie bisher.

Frau Staatsministerin, nehmen Sie bitte ernst, was ins Stammbuch geschrieben worden ist: Auch wenn es vereinzelt Erfolge durch den Einsatz gezielter Maßnahmen bei der Erhaltung der Biodiversität gibt, sind die Aktivitäten noch nicht ausreichend, um die vom Ministerrat 2008 beschlossenen Ziele der Bayerischen Biodiversitätsstrategie bzw. des Biodiversitätsprogramms Bayern 2030 zu erreichen. Alle Beteiligten müssen deshalb ihre Anstrengungen deutlich verstärken, das Umweltministerium, das Landwirtschaftsministerium, das Verkehrsministerium, das Wirtschaftsministerium und die Staatsregierung. Daran müssen Sie endlich einmal arbeiten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn man in die Analyse der Ursachen näher einsteigt, dann wird ein Punkt immer wieder genannt: Eine der Hauptursachen für den Artenrückgang ist der Flächenfraß. Pro Tag sind es immer noch 13,1 Hektar. Frau Kollegin, man sollte hier keine Äpfel mit Birnen vergleichen. Die Statistik ist mittlerweile bundesweit deutlich umgestellt worden. Wir erheben die Flächen nun anders. Die Daten aus dem Jahr 2000 können nicht mit den Daten aus dem Jahr 2015 verglichen werden. Hier vergleicht man Äpfel mit Birnen. Der Flächenverbrauch ist immer noch viel zu hoch.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bundesweit gibt es eine Strategie, den Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag zu reduzieren. Bei einer aktiven Beteiligung würde dies für Bayern maximal 5 Hektar pro Tag bedeuten und nicht mehr 13,1 Hektar. Deshalb haben wir, die GRÜNEN, ein Volksbegehren gestartet. Dafür mache ich auch Werbung. Wir müssen einen Deckel auf den Flächenfraß setzen. Wir müssen den Flächenverbrauch in Bayern endlich auf ein vernünftiges Maß reduzieren. Daran führt kein Weg vorbei. Ich gehe davon aus, dass das Volksbegehren ein ganz großer und enormer Erfolg werden wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

An einer Stelle der Interpellation kritisieren Sie die Kommunen sehr stark. Sie sollten aber mit der Faust auf die Brust schlagen und sich selbst kritisieren. Der Freistaat Bayern ist mit seiner Politik einer der ganz großen Flächenverbraucher. Allein das Programm, welches der Freistaat für den Bundesverkehrswege

plan angemeldet hat, zeigt einen enormen Flächenfraß.

Ich erwähne auch die dritte Startbahn. Wenn man alles zusammenzählt, dann werden hier fast 1.000 Hektar Land verbraucht. Verzichten Sie endlich auf das Projekt! Im bayerischen Naturschutz wäre dies ein enormer Schritt nach vorne. Diese Planung muss weg. Sie muss aus dem Landesentwicklungsprogramm raus. Auf diese Planung muss verzichtet werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es sei noch ein anderer Punkt kurz erwähnt. Sie behaupten, dass Sie über keine Daten hinsichtlich der Mortalität der Tierarten durch Verkehrstod in Bayern verfügen. Hierzu gibt es im Anzeiger der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern eine sehr schöne Arbeit. Es liegen also bayerische Daten vor. Im Autobahnnetz der Bundesrepublik werden jährlich etwa neun Millionen Vögel überfahren. Hierin ist die Dunkelziffer nicht enthalten. Das ist eine enorme Verlustquote. Dazu sollten Sie vielleicht auch einmal Daten erheben.

Insgesamt muss ich klar und deutlich sagen, dass es einen ganz dringenden Handlungsbedarf auf ganz, ganz vielen Feldern im Bereich des Naturschutzes gibt. Wir sind bei den Naturschutzgebieten im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich. Wir sind hinsichtlich der Nationalparks unterdurchschnittlich, wenn wir uns beispielsweise mit Österreich vergleichen. Ein weiterer Nationalpark ist dringend notwendig. Wir hören aber nicht bei drei zu zählen auf. Wir können uns durchaus noch einen vierten oder fünften Nationalpark vorstellen. Wir brauchen nicht nur Großschutzgebiete, sondern auch flächendeckend kleinere Schutzgebiete, die wirklich dem Charakter von Schutzgebieten entsprechen. Wir müssen in diesem Bereich nach vorne kommen.

Wir haben noch weitere Forderungen. Wir haben ein Antragsbündel mit zehn Anträgen eingebracht. Diese Anträge werden in wenigen Wochen im Umweltausschuss behandelt. Sie enthalten Vorschläge, welche Ziele wir im Natur- und Artenschutz erreichen wollen. Beim Klimawandel, beim Gewässerschutz und der Luftverunreinigung könnten wir mit ähnlichen Daten aufwarten. In diesen Bereichen sieht es ähnlich düster aus. Das habe ich am Beispiel des Naturschutzes in Bayern durchdekliniert.