Protocol of the Session on March 17, 2011

Wir sprechen uns aber nicht per se gegen die Kernenergie aus. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir mit der Kombination aus einem hohen Anteil von Kernenergie und einem überdurchschnittlichen Anteil an erneuerbarer Energie, vor allem mit der Wasserkraft, eine äußerst klimaverträgliche, CO2-neutrale Energieversorgung in Bayern prak

tizieren. Deswegen sind wir beim Klimaschutz Vorreiter. Andernorts ist der Anteil von Kohle- oder Mineralölkraftwerken deutlich höher als in Bayern. Das soll so bleiben. Zunächst ist festzustellen, dass wir in Bayern 57,4 Prozent der Stromerzeugung aus der Kernenergie erhalten. Nach der Stilllegung von Isar 1 werden es immer noch um die 50 Prozent sein. Das ist die Faktenlage, unabhängig hiervon, ob man das gut oder schlecht findet. Fakt ist auch, dass der Anteil deutlich über dem deutschen Durchschnitt liegt.

Welche Folgen hätte die starke Reduzierung der Kernkraft in Bayern? - Einen Kahlschlag. Was passiert, wenn die erneuerbaren Energien den Wegfall der Kernenergie nicht auffangen können? - Dann müssten wir beispielsweise auf Kohlekraftwerke umsteigen. Diese können zwar die Grundlastversorgung gewährleisten, gefährden aber unsere Klimaschutzziele. Auch das wollen wir nicht. Wenn die erneuerbaren Energien den Wegfall der Kernenergie nicht auffangen können, müssen wir folglich Strom aus Nachbarländern zukaufen und importieren. Auf die Sicherheitsstandards dort haben wir derzeit aber keinen Einfluss. Auch das muss sich ändern. Nicht nur die Stromproduktion muss sicher sein, sondern auch die Stromversorgung. Deshalb sollten wir uns nicht in weitere Abhängigkeiten von Drittstaaten stürzen. Mir reicht die Abhängigkeit vom Gas aus Russland. Ich will nicht auch noch beim Strom von Tschechien abhängig werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP)

Selbstverständlich müssen wir auch über Geld sprechen. Die Angebotsverknappung wegen der geringeren Stromproduktion in den Kernkraftwerken hat bei gleichbleibender Nachfrage eine Preissteigerung zur Folge. Das volkswirtschaftliche Grundtheorem, nämlich der Zusammenhang zwischen Angebot und Nachfrage, gilt auch auf dem Energiesektor.

Sie sehen, der Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien ist nicht leicht. Er wird uns nicht geschenkt. Wir müssen uns anstrengen. Wir müssen zielstrebig und bedacht vorgehen. Deshalb und weil Bayern mit anderen Bundesländern nicht zu vergleichen ist, müssen wir das bayerische Energieumsetzungskonzept erweitern und den neuen Gegebenheiten anpassen. Der bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil hat bereits sehr gute Arbeit geleistet und die entsprechende Basis für das weitere Vorgehen geliefert. Vielen Dank, Martin, dafür.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CSU)

Das Energieumsetzungskonzept soll aufzeigen, wie und in welchem Umfang der Umstieg Bayerns in den nächsten zehn Jahren auf eine auf erneuerbare Ener

gien gegründete Energieversorgung erreicht werden kann.

Wie kommen wir nun in das neue Zeitalter der Energieversorgung? - Zunächst ist festzuhalten: Erneuerbare Energien leben vom Mitmachen der Menschen. Auch die Politik muss mehr erklären, ehrlich sein und die Menschen für die erneuerbaren Energien begeistern. Wir müssen sie mitnehmen. Wir dürfen sie nicht überfordern. Anders als ein großes Kernkraftwerk sind erneuerbare Energien facettenreich und erfordern deswegen eine dezentrale Energieversorgung. Dezentral bedeutet aber, dass die Energieproduktion dem Energieverbrauch näher rückt. Dies bedeutet somit auch, dass die Energieproduktion an vielen Orten sichtbar und manchmal vielleicht auch als störend empfunden werden wird. Wir alle kennen die Debatten. Auf den ersten Blick wollen alle erneuerbare Energien, aber niemand vor der eigenen Haustüre. Ich erinnere an viele Bürgerinitiativen gegen Biogasanlagen, Windräder oder Solarparks.

(Margarete Bause (GRÜNE): Die Menschen haben die Solarzellen auf den Dächern! - Was soll das?!)

Das St.-Florians-Prinzip darf es bei dem vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien nicht mehr geben. Das muss uns allen klar sein.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜ- NE))

Wir brauchen demzufolge ein neues Bewusstsein, dass zum Beispiel ein Windrad vor einem Ort kein Schandfleck ist, sondern eine innovative Visitenkarte sein kann.

(Ludwig Wörner (SPD): Sagen Sie das Ihrem Koalitionspartner!)

Sie sehen, jeder Einzelne muss einen bzw. seinen Beitrag leisten. Das beginnt damit, dass jeder seinen Energieverbrauch kritisch hinterfragen und beobachten sollte, angefangen von Stand-by-Knopf an der TVFernbedienung bis hin zu den Haushaltsgeräten.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Das sind alte Hüte!)

Über 40 % des Energieverbrauchs finden in den privaten Haushalten statt. Die Energieeinsparung ist das allerbeste Energiekonzept. Selbiges gilt auch für die Industrie. Hier sehen wir großes Potenzial in der Steigerung der Energieeffizienz. Beispielsweise sollte dem Faktor Energie bei der Prozessoptimierung ein höherer Stellenwert beigemessen werden. Energiebe

rater sollen die Unternehmen auch bei nicht ganz so energieintensiven Produktionsprozessen begleiten.

(Christa Naaß (SPD): Was ist daran neu?)

Industrie und Haushalte eint, dass die Energiekosten beim Umstieg auf die erneuerbaren Energien steigen werden. Alleine 2011 hatten wir eine Strompreissteigerung von durchschnittlich 6 bis 7 Prozent. Für einen durchschnittlichen Zwei-Personen-Haushalt bedeutet dies die jährliche Mehrbelastung von ca. 42 Euro. Die deutschen Industriestrompreise befinden sich im EUVergleich seit Längerem im oberen Drittel. Dies ist auch auf die EEG-Umlage zurückzuführen. Wenn wir den Ausbau von Photovoltaik, Windrädern, Biogasanlagen usw. noch ambitionierter angehen wollen, müssen wir uns zwangsläufig über die EEG-Umlage Gedanken machen und uns fragen, ob wir sie weiter reduzieren oder ob wir uns neue Modelle überlegen müssen.

Wir brauchen mehr Investition, weniger Subvention. Andernfalls wird der Strom ein Luxusgut und unbezahlbar. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre weder sozial noch wirtschaftlich vernünftig. Außerdem ist der erforderliche Leitungsbau immens teuer und würde die Stromkosten ebenfalls erhöhen. Wir alle wissen, dass darüber hinaus auch die Akzeptanz für Leitungsneubauten, beispielsweise für eine 380-kVHochspannungsleitung, bei den Bürgerinnen und Bürgern äußerst überschaubar ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier müssen wir gemeinsam, parteiübergreifend für die erforderlichen Maßnahmen werben. Wir können nicht auf der einen Seite Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien wollen, gleichzeitig aber die unpopuläre Verteilung der Leitungen ausblenden. Erneuerbare Energien, das muss uns allen und auch den Bürgerinnen und Bürgern bewusst sein, bringen ein neues Zeitalter, sie sind aber kein Schlaraffenland.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CSU)

Große Anstrengungen brauchen wir auch bei der Speicherbarkeit der erneuerbaren Energien. Wir sind hier auf einem guten Weg. Das zeigt beispielsweise das Pumpspeicherkraftwerk Riedl, das aber leider noch nicht gebaut ist. An vorderster Front der Gegenbewegung stehen auch hier die GRÜNEN. Das hat auch die Diskussion hier im Landtag gezeigt, als wir ausführlich über das Pumpspeicherkraftwerk Riedl gesprochen haben. Sogar die SPD hat Sie aufgefordert: Springen Sie über Ihren eigenen Schatten!

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Was heißt hier "sogar"! - Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Sie müssen sich einbringen. Hören Sie bitte auf, ständig bei allem dagegen zu sein. Ob Sonne oder Regen, einfach dagegen - das muss doch auch bei Ihnen der Vergangenheit angehören.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CSU)

Wir stehen vor großen Herausforderungen, die wir parteiübergreifend schultern müssen. Hier muss es um die Sache gehen und nicht um parteipolitisches Geplänkel. Erneuerbare Energien liefern uns derzeit den Strom noch nicht bedarfsgerecht. Leider haben wir keinen Einfluss darauf, wann die Sonne scheint oder wann der Wind weht.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): So ein Kas!)

Wir brauchen deshalb künftig neue Speichertechnologien. Deutschland und Bayern haben seit jeher eine Vorreiterrolle, wenn es um Innovation und Technik geht. Wieso nicht auch beim Ausstieg aus der Kernkraft? - Seien wir uns bewusst, dass unser starker bayerischer Mittelstand bereits heute auf den aufstrebenden Märkten der erneuerbaren Energien eine treibende und führende Rolle hat. Der bayerische Innovationsgeist ist ungebrochen. Hierauf können wir stolz sein. Hierauf können wir aufbauen. Wir können den vielen fleißigen Mittelständlern dieses Bereichs an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön aussprechen.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CSU - Ludwig Wörner (SPD): Warum habt ihr dann immer gebremst? Alles wird gut, hat der Ministerpräsident gesagt!)

Der Ausstieg aus der Kernenergie, liebe Kolleginnen und Kollegen ist, wie wir alle wissen, vielleicht hier und da aber ausblenden, längst vorbereitet und beschlossen. Neu ist, dass wir nun das neue Zeitalter fester im Blick haben und schneller und entschlossener handeln und vorangehen wollen,

(Markus Rinderspacher (SPD): Wollen Sie das auch, wenn die Wirtschaft nicht will?)

mutig, aber nicht übermütig, nachdenken, überdenken, neu denken, und das gründlich, gerade in einem der bedeutendsten Zukunftsfelder der Politik.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Wir fahren in der Aussprache fort. Nächster Redner ist Herr Kollege Wörner für die SPD-Fraktion. Ihm folgt Herr Staatsminister Zeil. Bitte schön, Herr Kollege Wörner.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatsminister Söder, im Grunde hätte ich erwartet, dass Sie sich heute bei den Menschen in Bayern für Ihre verfehlte Atompolitik entschuldigen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

Stattdessen haben Sie verzweifelt zu erklären versucht, warum Sie jetzt vermeintlich zurückrudern wollen oder müssen. Sie machen das aber nicht aus Überzeugung, und das ist das Fatale. Sie machen das angesichts des Drucks aus der Bevölkerung und im Hinblick auf die Wahlen in anderen Bundesländern. Sie sind nicht überzeugt, nein, Sie versuchen, politische Macht zu retten. Das ist ein feiner, kleiner Unterschied, der aber im Hinblick auf die Zukunft entscheidend ist.

(Albert Füracker (CSU): Sollen wir es denn nicht machen?)

Unmittelbar nach der Wende hätte man so jemanden, der so handelt wie Sie und Ihre CSU es jetzt tun, einen "Wendehals" genannt.

(Albert Füracker (CSU): Ein "Wörnerhals"!)

- Wendehälse! Wir wissen bei Ihnen nur nicht so genau, an welcher Stelle der Drehung und der Rotation der Kopf stehen bleibt und was Sie nach zwei Monaten sagen werden. Wir sind uns da nämlich nicht sicher. Sie werden das schon beweisen müssen. Sie können es aber bereits heute beweisen, wenn wir nachher über die Dringlichkeitsanträge beraten.

Meine Damen und Herren, wir wissen, wie schwierig die Situation angesichts des Dramas ist, das sich in Japan abspielt. Daraus aber abzuleiten, dass die Opposition hieraus Honig saugen will, ist eine Unverschämtheit.

(Beifall bei der SPD)

Das sage ich all denen, die in den letzten Tagen versucht haben, die Debatte in diese Ecke zu schieben. Meine Damen und Herren, die Debatte nimmt die Sorgen und Ängste der Menschen auf. Dafür ist Politik da.

(Beifall bei der SPD)

Wann, meine Damen und Herren, will man denn sonst die Sorgen und Ängste der Menschen vor Tod, Krankheit und letzten Endes auch Heimat- und Naturzerstörung ernst nehmen?

(Ministerpräsident Horst Seehofer: Dann trauen Sie das doch auch der Regierung zu!)

- Herr Ministerpräsident, es freut mich, dass Sie mit mir so engagiert diskutieren wollen. Das hätten Sie aber früher machen müssen, nicht erst heute.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)