Protocol of the Session on March 17, 2011

(Alexander König (CSU): Aber jetzt!)

Zwei Jahre nach Tschernobyl ist in Bayern ein weiteres Atomkraftwerk ans Netz gegangen. Seit dieser Zeit ist der Anteil des Atomstroms in Bayern konstant bei 60 % geblieben. Daran hat sich nichts geändert. Traurig ist, dass die Staatsregierung diese 60 % auch noch als einen gesunden und ausgewogenen Mix zu verkaufen versucht. Das ist nicht ausgewogen, sondern das ist ein atomarer Klotz, den wir am Bein haben, der so schnell wie möglich beseitigt werden muss.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vor eineinhalb Jahren haben die Kolleginnen und Kollegen Ihrer Bundestagsfraktionen die Hand dafür gehoben, dass der Anteil des Atomstroms in Bayern auch die nächsten zehn Jahre bei 60 % gehalten wird. Dafür wurden in Berlin die Hände gehoben. Das muss man den Menschen ganz deutlich sagen. Das war ein gravierender Fehler, der rückgängig gemacht werden muss.

Vorhin wurde darüber diskutiert, ob Ihr jetziges Verhalten Wahlkampftaktik ist. Sicher ist am Hinweis auf Wahlkampftaktik etwas dran. Ich glaube aber, dass Ihnen die Menschen draußen diesen Sinneswandel nicht abnehmen werden. Das wird nicht funktionieren. Sie können nicht plötzlich vom Saulus zum Paulus werden. Das wird auf diesem Gebiet nicht klappen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte Ihnen an vier Beispielen zu erklären versuchen, warum das nicht funktionieren wird. Ich habe mir vier einfache Beispiele herausgesucht.

Sie haben immer davon gesprochen, die Atomkraft sei eine Brückentechnologie. Das wurde heute auch wieder angesprochen. Seit zweieinhalb Jahren wird dieses Wort ständig gebraucht. Jahrelang haben Sie das Gespenst einer Stromlücke durchs Land getrieben. Sie haben behauptet, es bestehe eine Stromlücke und Versorgungsunsicherheit. Deswegen sei der Verzicht auf Kernkraft unter keinen Umständen möglich, besonders deshalb nicht, weil dadurch die Grundlastfähigkeit betroffen sein könnte und erneuerbare Energien dafür noch nicht ausreichend vorhanden seien.

Was ist nun seit ein paar Tagen? Innerhalb von wenigen Tagen klemmt die Bundesregierung Kraftwerke mit einer Grundlast von ca. 8.500 Megawatt vom Netz ab. Siehe da, es passiert nichts, es funktioniert auch.

Ein zweites Beispiel: Sie sagen, unsere Kraftwerke seien sicher. Jahrelang haben Sie sich in diesem Hohen Hause jeglicher Sicherheitsdebatte verweigert. Erhöhte Kinderkrebsraten in der Umgebung von Kernkraftwerken, immer neu auftretende Risse an Rohrleitungen und Armaturen, Gefahren durch Flugzeugabstürze, Alterserscheinungen an den Atomkraftwerken, die Zunahme der meldepflichtigen Ereignisse, auf alles das wurde nie eingegangen. Die einzige stereotype Antwort lautete immer wieder: Unsere Kernkraftwerke sind sicher. Nun führt die unglückliche Verkettung verschiedener Ereignisse in Fukushima plötzlich zu der Erkenntnis, dass Isar 1 einem Flugzeugabsturz nicht standhalten kann. Das ist wirklich eine seltsame Logik.

Alle Kernkraftwerke seien gleich sicher. Das war auch eine Devise, die Sie immer wieder durchs Land getragen haben. Sie haben uns glauben machen wollen, Atomkraftwerke aus den sechziger Jahren hätten den gleichen Sicherheitsstandard wie Anlagen aus den achtziger Jahren. Umgangssprachlich ausgedrückt würde das heißen: Sicherheitstechnisch gibt es zwischen einem Trabi und einem Mercedes keinen Unterschied, denn beide haben schließlich den TÜV. Innerhalb von wenigen Tagen erkennen Sie, dass nicht

alle Kraftwerke gleich sicher sind. Wie erklären Sie sonst den Menschen, dass die sieben ältesten Anlagen in Deutschland geschlossen werden müssen? Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass Sie verstanden haben, dass diese Anlagen nicht so sicher sind wie die neueren.

Daraus folgt ganz deutlich ein weiterer Punkt, den Sie auch angesprochen haben: Unsere Kernkraftwerke werden im Jahr tausendmal geprüft. Ich habe nicht mitgezählt, wie oft ich diesen Satz hier gehört habe. Wie erklären Sie eigentlich den Menschen, dass sie jetzt eine erneute Prüfung brauchen? Was haben denn diese tausend Prüfungen ergeben? Sind die Prüfer damals wirklich nur durchgelaufen und haben beide Augen zugedrückt? Lassen sie jetzt wenigstens ein Auge offen, wenn sie durch die Anlagen gehen? Ich verstehe nicht, was sie anderes finden sollen als die Schwachstellen, die bereits vorhanden sind. Müssen etwa die Wandstärken von Isar 1 neu gemessen werden? Die sind doch bekannt. Muss erst einmal geprüft werden, ob die Einflugschneise über den Reaktor führt oder nicht? Das ist auch hinreichend bekannt. Muss erst einmal nachgeschaut werden, wo sich das Lager für die abgebrannten Brennelemente befindet? Muss man das erst nachschauen? Es liegt außerhalb des Sicherheitsbereichs. Das ist doch bekannt. Man braucht also nicht weiter zu prüfen, es gibt nur eine logische Konsequenz: Die sieben ältesten Anlagen, zu denen Isar 1 und Krümmel gehören, müssen dauerhaft abgeschaltet werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ihr erstaunlicher Kurs in den letzten Tagen hat Ihre Glaubwürdigkeit massiv beschädigt. Am Montag ging Minister Söder noch nach vorne und sagte, das Unglück ändere alles, am Dienstag ist er leicht zurückgerudert, am Mittwoch wurde im Kabinett schon ziemlich stark zurückgerudert, und erst heute kam die Anweisung, den Reaktor vorübergehend vom Netz zu nehmen. In Japan ereignet sich ein nuklearer GAU. Einen Super-GAU der Glaubwürdigkeit erleiden gerade Sie.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aus den schrecklichen Ereignissen in Japan gibt es nur eine Konsequenz. Die Konsequenz kann keine weitere Untersuchung sein. Bei den bekannten Sicherheitsrisiken der Atomkraftwerke brauchen wir keine x-te Untersuchung anzuordnen, da gibt es nur eins: Die Anlagen müssen abgeschaltet werden. Alles andere wäre verantwortungsloses Handeln, wäre nicht die richtige Politik und käme einer reinen PRShow gleich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist eine reine PR-Show, wenn Sie heute sagen, Sie möchten ernsthaft und zügig aus der Kernenergie aussteigen. Warum haben Sie dann vor einem halben Jahr die Laufzeit für alle Anlagen verlängert? Diesen Satz hätte ich Ihnen vielleicht sogar abgenommen, wenn man damals die Laufzeiten zumindest für die ältesten Anlagen nicht verlängert hätte. Nicht einmal das hat man gemacht. Durchschnittlich gab es zwölf Jahre mehr für alle Kernkraftwerke.

Sie haben dann in Ihrer Regierungserklärung ausgeführt - da frage ich mich schon, wie unser Umweltminister Söder eigentlich rechnet -, dass Isar 1 eine Leistung von knapp über 800 Megawatt habe, die ersetzt werden müsste. Sie haben erwähnt, wir bräuchten 1.000 neue Windkraftanlagen. Bayern hat übrigens schon 400. Sie haben erwähnt, dass wir 2.300 neue Biogasanlagen bräuchten; derzeit haben wir bereits 2.000. Sie haben zusätzliche Photovoltaikanla

gen mit einer Fläche von 65 km2 für notwendig gehalten. Derzeit hat Bayern schon derartige Anlagen mit

einer Fläche von 50 km2. Wer diese drei Angaben zusammenzählt, sieht, dass die Strommenge aus erneuerbaren Energien in den letzten Jahren bereits angewachsen ist, sodass Isar 1 dauerhaft vom Netz gehen kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir brauchen zwar noch mehr derartige Anlagen, aber für die Abschaltung von Isar 1 reicht der Strom aus den vorhandenen Anlagen, die mit erneuerbaren Energien arbeiten. Das hat nicht die Staatsregierung geleistet, sondern das haben die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land geleistet, die in Windkraftanlagen, zum Teil gegen den Widerstand der Staatsregierung, investiert haben, die in Biogasanlagen investiert haben, die in Solaranlagen investiert haben. Diese Bürger haben die Wende eingeleitet, nicht die Staatsregierung; das muss man hier deutlich sagen.

Vorher wurde gesagt, die grüne Partei sei die Dagegen-Partei. Man hatte schon fast den Eindruck, die grüne Partei wäre gegen die erneuerbaren Energien. Wie kommen Sie eigentlich darauf? Nennen Sie mir ein Beispiel dafür, dass die GRÜNEN vor Ort massiv gegen eine Hochspannungsleitung in Bayern kämpfen würden.

(Zuruf von Staatsminister Dr. Markus Söder)

Nennen Sie mir ein Beispiel dafür, dass wir uns massiv gegen Windkraftanlagen einsetzen würden. Wo geschieht das denn in Bayern? Wenn hier in Bayern irgendjemand etwas gegen Windkraftanlagen hat, dann ist das Alexander König. Man hat schon das Gefühl, jegliche Bürgerinitiative gegen Windkraftanlagen

bekommt beim ihm sofort einen Audienztermin, um Argumente gegen die Windkraft auszutauschen und Lobbyarbeit zu betreiben.

Vorhin wurden die Pumpspeicherkraftwerke angesprochen. Sie wissen doch ganz genau, dass wir zum Standort Riedl nicht pauschal Nein gesagt haben. Wir möchten die Möglichkeit haben abzuwägen, damit wir die Menschen bei einem solchen Projekt mitnehmen können. Wir können aber nur abwägen, wenn wir Vergleichsstandorte haben. Das heißt, dass wir erst ein Kataster für Pumpspeicherkraftwerke in Bayern brauchen, dass wir erst mögliche Standorte erheben und dann eine ökonomische Abwägung vornehmen, wo Anlagen entstehen sollen. Eine solche Grundlage brauchen wir. Da kann man sich nicht darauf zurückziehen, wie es im Ausschuss geschehen ist, dass das die Aufgabe der Energiewirtschaft wäre. Die Staatsregierung erstellt einen Windenergie-Atlas, was richtig ist; sie erstellt einen Solar-Atlas, was auch richtig ist. Dann muss doch auch ein Atlas für Anlagen der Speichertechnik gemacht werden, die in diesem Hause unumstritten und für die Energiewende ganz entscheidend ist. Dann erst reden wir über die Standorte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich habe gehört, dass in der CSU-Fraktion eine sehr lebhafte Debatte stattgefunden hat. Ich hoffe, dass sich nicht die Leute um Erwin Huber durchsetzen, sondern dass sich die Leute durchsetzen, die nachdenklich geworden sind und die einen anderen Weg einschlagen wollen, einen Weg, der zu konkreten Handlungen führt und nicht auf drei Monate begrenzt ist. Ich hoffe, dass sich die Leute durchsetzen, die sagen, dass mit der Atomkrafttechnik Schluss sein muss, und zwar so schnell wie nur irgend möglich. Die Behauptung, man brauche all diese Anlagen, ist eine Milchmädchenrechnung. Dass wir sieben Anlagen in Deutschland nicht brauchen, wird in den nächsten Monaten bewiesen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn das funktioniert, dann müssen die Anlagen dauerhaft vom Netz bleiben. Das ist die einzig richtige Antwort auf die Ereignisse in Japan.

(Lang anhaltender Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Hartmann. Als Nächster hat Kollege Thalhammer das Wort, bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ehe ich in die politische Debatte einsteige, möchte ich im Namen der FDPFraktion gegenüber den Bürgern Japans unser tiefes

Mitgefühl zum Ausdruck bringen. Die menschlichen Grenzen wurden uns durch drei Katastrophen mit aller Härte aufgezeigt. Demut ist das Gebot der Stunde. Wir wollen den Opfern der Erdbeben-, Tsunami- und Atomkatastrophe größtmögliche Hilfe zukommen lassen. Wir setzen nicht nur auf unsere Hilfsorganisationen, sondern auch auf die Hilfsbereitschaft der bayerischen Bevölkerung und der bayerischen Wirtschaft.

Die veränderte Welt zeigt, dass der beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie richtig ist. Es wird aber auch deutlich, dass wir entschlossener und zielstrebiger vorgehen müssen als bisher; denn was früher ausgeschlossen wurde, ist jetzt Wirklichkeit. Mathematische Modellrechnungen sind und bleiben Theorie. Jetzt belehrt uns die Praxis eines Besseren. Einer der größten Industrienationen der Welt, die noch vor Deutschland liegt, dem Hochtechnologieland Japan, ist die Kernenergie aus den Händen geglitten. Das zeigt uns, dass auch wir in Deutschland die Atomtechnik neu bewerten und unter dem Aspekt der Sicherheit hinterfragen müssen. Deshalb begrüßen wir, dass uns die Bundesregierung drei Monate Zeit gibt, um neue Erkenntnisse für eine neue Weichenstellung zu gewinnen. Es gilt: nachdenken, überdenken, neu denken.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, welche Chancen bietet uns das Moratorium, und welche Fragen müssen wir bis zum 15. Juni dringend beantworten? - Erstens. Welche Rückschlüsse lassen die Ereignisse in Fukushima auf unsere Kernkraftwerke zu? Zweitens. Welche Anforderungen müssen wir an die Sicherheitsstandards unserer Kernkraftwerke stellen, um uns alle vor schrecklichen Unfällen zu schützen? Drittens. Welche Sicherheitsstandards brauchen wir grenzübergreifend in ganz Europa?

Wir erwarten vom Moratorium präzise Antworten auf unsere Fragen und letztendlich eine wirkliche Veränderung. Dies könnte auch eine deutliche Änderung unserer bisherigen Haltung zur Kernenergie bedeuten. Während des Moratoriums soll die bisherige Haltung ergebnisoffen und ohne Tabus hinterfragt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet dies alles nun für Bayern? - Zunächst ist festzustellen, dass das älteste Kernkraftwerk Isar 1 nun vom Netz geht. Als FDP-Vertreter möchte ich schon noch eine Lanze für Herrn Umweltminister Söder und für die Staatsregierung brechen. Es gibt zwei Arten von Politikern. Die einen beharren stur auf ihrer Haltung komme, was wolle. Die anderen sind bereit, neue Erkenntnisse an-, auf- und zu übernehmen. Mir, liebe

Kolleginnen und Kollegen, ist die zweite Art von Politikern deutlich lieber als die erste Art.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CSU)

Es sei mir an dieser Stelle erlaubt, darauf zu verweisen, dass ich bereits vor Monaten mehrmals aufgezeigt habe, dass das Kernkraftwerk Isar 1 mit dem Konzept der sogenannten Reststrommengen-Übertragung schon eher hätte vom Netz genommen werden können.

(Ludwig Wörner (SPD): Und Sie haben dann im Ausschuss gekniffen!)

Damals war die Mehrheit im Parlament noch nicht so weit. Weder die Regierungsfraktionen noch einzelne Vertreter der Opposition haben für das Konzept gestimmt. In unserer gestrigen Fraktionssitzung haben wir klar und deutlich unseren politischen Willen unterstrichen und festgestellt, dass die FDP-Fraktion voll und ganz hinter der Staatsregierung steht. Wir wollen Isar 1 stilllegen, und zwar dauerhaft und unwiderruflich.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der SPD)

- Auf Ihre Nachfrage, Herr Kollege: Das war ein einstimmiger Beschluss.

Die FDP-Fraktion hat sich schon vor geraumer Zeit Gedanken darüber gemacht, ob wir in Bayern wirklich alle Atomkraftwerke benötigen. Dieser Frage sollten wir während des Moratoriums genau nachgehen. Es wäre doch toll, wenn wir die erforderliche Strommenge mit weniger Kernkraftwerken bereitstellen könnten. Das würde weniger atomaren Abfall bedeuten, der die Achillesferse der Kernenergie ist. Sicherer wäre das auch. Isar 1 ist das einzige bayerische Kernkraftwerk, das nicht ausreichend gegen den Absturz eines großen Flugzeuges geschützt ist. Die Flugbewegungen und insbesondere die Langstreckenflüge haben in den letzten Jahren zugenommen. Auch das ist ein Aspekt des Gefahrenpotenzials von heute, der erhöhte Aufmerksamkeit verdient. Es ist davon auszugehen, dass sämtliche Verstärkungen der Hülle von Isar 1 den Kostenrahmen sprengen würden. Damit wird kein Ergebnis vorweggenommen. Wer aber nüchtern analysiert, kann deutlich erkennen, dass es eine Renaissance von Isar 1 nicht mehr geben wird.

Wir sprechen uns aber nicht per se gegen die Kernenergie aus. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir mit der Kombination aus einem hohen Anteil von Kernenergie und einem überdurchschnittlichen Anteil an erneuerbarer Energie, vor allem mit der Wasserkraft, eine äußerst klimaverträgliche, CO2-neutrale Energieversorgung in Bayern prak