Über Datenschutz brauchen wir gar nicht zu reden. Eines ist klar: Artikel 6, Vollzugsprogramm, sieht in Absatz 2 Satz 4 vor, gewisse Aufgaben auf Dritte zu übertragen. Da besteht die große Gefahr der Privatisierung des Strafvollzugs. Wie brutal muss man denn sein, wenn man mit dem Strafvollzug auch noch Geld verdienen will, nur um Kosten zu sparen? Das ist nicht der ethische Sinn von Strafe. Das ist einfach sinnlos, und deswegen muss das abgelehnt werden.
Sie wollen angeblich Kosten einsparen, aber Kosten werden erst einmal aufgepumpt. Man muss die Einrichtung von Überwachungsinstrumenten finanzieren; man muss möglicherweise mit GPS und Ähnlichem arbeiten. Das geht nicht. Die Vergleichbarkeit habe ich bereits angesprochen.
Ihr Gesetzentwurf ist vernachlässigenswert, seicht, unangemessen, niveaulos und ein nachgeschaltetes Plagiat der Regelung von Baden-Württemberg. In diesem Bereich übersetze ich den Namen "Freie Wähler" in "Beliebige Wähler".
Vielen Dank, Herr Kollege. Als nächste Rednerin darf ich für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Frau Kollegin Stahl ans Mikrofon bitten.
Liebes Präsidium! Die Fußfessel schafft auch aus unserer Sicht ein Mehrklassensystem im Strafvollzug. Das werden Ihnen auch die Kriminologen bestätigen, welche die bereits vorhandenen Modellprojekte begleitet haben. Es ist tatsächlich zu befürchten, dass man hier den leichten und so einfach aussehenden Weg beschreiten wird.
Außerdem kommt die Fußfessel die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen teurer und bringt bei Sexualstraftätern nur bedingt Lösungen. Es ist zwar richtig, dass es hier nicht um die Sexualstraftäter geht, aber ich muss den Kollegen von der CSU entgegenhalten: Der Mischmasch von Vorschlägen, der hier immer wieder durch die Medien geht, verführt natürlich dazu, auch gleich hierzu Stellung zu nehmen.
Alle Vorschläge haben eines gemeinsam: Sie haben keine Rechtsgrundlage im Bundesrecht. Die technische Machbarkeit ist in unseren Augen absolut fraglich, vor allem, wenn es darum geht festzuhalten, welche Orte der Täter oder die Täterin besucht, wie man das kontrollieren will, welche Wege begangen werden dürfen und welche nicht. Die Einschränkungen durch
Zudem ist es verfassungsrechtlich bedenklich, ob die Fußfessel nach Verbüßen einer Haftstrafe eingesetzt werden kann, wie es unter Umständen bei Sexualstraftätern erforderlich sein könnte.
Es bleibt offen, wie damit Straftaten verhindert oder Verstöße geahndet werden sollen; dafür gibt es im Gesetzentwurf keine Vorgaben.
Ich bin der Meinung, dass wir in diesem Zusammenhang dringend eine konzeptionelle Debatte brauchen. Das richtet sich jetzt nicht an die Freien Wählerinnen und Wähler, sondern es geht darum, wie dieses Thema in allen möglichen Facetten bearbeitet wird. Die bunte Vielfalt an Vorschlägen, zu welchen Zwecken und bei welchen Tätergruppen die Fußfessel angewendet werden soll, muss hier komplett aufgedröselt werden. Eine Fußfessel nach Gusto funktioniert jedenfalls nicht. Die Freien Wähler wollen die Fußfessel im vorliegenden Gesetzentwurf als Mittel der elektronischen Aufsicht, als Ergänzung zu "Schwitzen statt Sitzen", als Ersatz für Gefängnis oder für Gefängnisleid und als Möglichkeit der Entlassungsvorbereitung. Alleine das sind ganz viele verschiedene Vorschläge, und man müsste jeden für sich genau anschauen.
Frau Ministerin Merk spricht sich nach wie vor für die Fußfessel bei Sexualstraftätern aus. Sie alle verweisen auf bereits vorhandene Modellprojekte in BadenWürttemberg und in Hessen. Beide Projekte haben eben diese ganz unterschiedlichen Tätergruppen zum Gegenstand, und die Sexualstraftäter sind von diesen Modellprojekten überhaupt nicht erfasst. Sie müssten bis nach Frankreich fahren, um sich Vorschläge zu holen.
Ich plädiere dafür, nicht ausgerechnet Frankreich und die USA, die ein sehr marodes Sanktionssystem haben, als Beispiel heranzuziehen. Die Erfahrungen aus den Modellprojekten sind auf Bayern nicht anwendbar. Ich verstehe den Hype überhaupt nicht, den die Debatte zu Fußfesseln als Sonderbehandlung gerade wieder erfährt.
Ich stimme allerdings den Freien Wählern zu, was ihre Einschätzung zur Ausstattung im bayerischen Strafvollzug anbelangt. Sie betrachten die Fußfessel als einen Weg, um eine Lösung zu finden, vor allem hinsichtlich des Personalschlüssels. Wie ich erstaunt feststellen konnte, stellt Bayern auch hinsichtlich der Verpflegung mit 2,19 Euro pro Kopf das Schlusslicht dar.
Wir haben immer wieder Debatten, zuletzt im Ausschuss, zum Übergangsmanagement geführt. Ich traue der Arbeitsgruppe, die eingesetzt wird, nicht zu, dass sie wirklich Lösungen finden wird; denn Bayern hat im Strafvollzug einen derartigen Nachholbedarf an Personal, bei der medizinischen Versorgung und bei der Verpflegung, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass man wirklich Geld in die Hand nimmt, um ein Übergangsmanagement auf den Weg zu bringen, wie wir uns das vorstellen. Aber genau das ist der Knackpunkt, denn das ist Sicherheitspolitik. Jeder, der nicht rückfällig wird, ist ein guter Strafgefangener. Das ist ein Beitrag zur Sicherheit. Die Staatsregierung jedenfalls wird um eine bessere Ausstattung nicht herumkommen. Ich schließe mich dem Bund der Strafvollzugsbediensteten in Deutschland an, der gesagt hat: Die elektronische Fußfessel löst kein einziges Problem im Strafvollzug - weder die personellen noch die rechtlichen.
Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei der Ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf war ich skeptisch und - um es vorwegzunehmen - die Beratungen haben diese Skepsis nicht verringert, sie haben sie verstärkt. Herr Kollege Streibl, wenn ausgerechnet die Freien Wähler sagen, wir würden mit gespaltener Zunge sprechen, nur weil ein FDP-Politiker in einem anderen Bundesland eine andere fachliche Meinung hat, weiß ich nicht, was von der Zunge der Freien Wähler überhaupt noch übrig wäre.
Der Blick ins Ausland mag oft den Horizont erweitern, und ich habe auch nichts dagegen, dass man das tut. Ob wir uns aber ausgerechnet am amerikanischen Justizsystem und am amerikanischen Strafvollzug ein Beispiel nehmen sollten, möchte ich sehr stark bezweifeln. Sie wollen Modellversuche in Bayern. Ich sage Ihnen: Wir haben Modellversuche in Hessen und Baden-Württemberg, deren Auswertungen noch nicht abgeschlossen sind. Wir brauchen keinen dritten Feldversuch.
Sie behaupten, die elektronische Fußfessel sei eine Kostenfrage; sie würde billiger. Ich sage Ihnen: Die Kostenfrage zieht nicht, denn zum einen haben wir hohe Fixkosten, weil man trotzdem die Hafträume vorhalten muss. Wir haben nur einen sehr schmalen Anwendungsbereich, sodass der Einzelfall teuer bleibt. Vor allem haben wir neue Kosten, die etwa durch die notwendige psychosoziale Betreuung entstehen.
Am wesentlichsten ist jedoch, dass es im Strafvollzug nicht in erster Linie um die Verringerung von Kosten gehen darf, sondern es geht um eine gesellschaftliche Aufgabe; es geht um Resozialisierung, die uns alle angeht. Dazu müssen wir den Justizvollzug mit den nötigen Mitteln ausstatten und dürfen nicht Wege zu einem billigen Vollzug suchen.
Das entscheidende Argument aber ist - das gilt für beide von Ihnen angesprochenen Anwendungsfälle -: Der Vorschlag ist ungeeignet. Ich spreche dabei nicht - ich sage das ausdrücklich - über den Bereich, zu dem sich die Bayerische Staatsministerin der Justiz in der "Welt am Sonntag" geäußert hat, nämlich über die aus der Sicherungsverwahrung entlassenen Täter. Wir sprechen über das Thema, das Sie angesprochen haben. Das betrifft zum einen die Entlassungsvorbereitung und zum anderen die Ersatzfreiheitsstrafe. Was ist denn Entlassungsvorbereitung? Es ist die Vorbereitung auf ein normales Leben in der Gesellschaft. Mit der Fußfessel haben Sie kein normales Leben. Sie ist gerade kein Betrag zur Resozialisierung. Auch als Ersatzfreiheitsstrafe ist die Fußfessel ungeeignet, und zwar zum einen, weil wir nicht wollen, dass der Verurteilte von der Zustimmung seines Mitbewohners abhängig ist, zum anderen, weil wir nicht wollen, dass es ein Wahlrecht zwischen Geldstrafe und Hausarrest gibt. Vor allem aber - das ist ganz entscheidend - gilt dies, weil die Bedingungen unterschiedlich sind. Ich möchte nicht, dass der eine Strafgefangene mit der elektronischen Fußfessel im hauseigenen Pool Champagner schlürft, während der andere in der kalten Wohnung sitzt. Das ist vielleicht die Politik der Freien Wähler, aber nicht meine Vorstellung von Strafvollzug.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Vielleicht können wir uns nach diesem starken Abgang beruhigen. Die Aussprache ist damit geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Abstimmung liegt der Initiativgesetzentwurf auf Drucksache 16/5192 zugrunde. Der federführende und endberatende Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Verbraucherschutz empfiehlt auf Drucksache 16/6400 die Ablehnung des Gesetzentwurfs. Wer dagegen dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Fraktion der Freien Wähler. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Fraktionen der CSU, der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? - Keine. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.
Abstimmung über Verfassungsstreitigkeiten und Anträge, die gemäß § 59 Abs. 7 der Geschäftsordnung nicht einzeln beraten werden (s. a. Anlage 5)
Hinsichtlich der jeweiligen Abstimmungsgrundlagen mit den einzelnen Voten der Fraktionen verweise ich auf die Ihnen vorliegende Liste.
Wer mit der Übernahme seines Abstimmungsverhaltens bzw. dem jeweiligen Abstimmungsverhalten seiner Fraktion entsprechend der aufgelegten Liste einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist einstimmig so beschlossen. Damit übernimmt der Landtag diese Voten.
Antrag der Abgeordneten Margarete Bause, Sepp Daxenberger, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für eine wirksame Bekämpfung der Kinderarmut für eine Kindergrundsicherung (Drs. 16/3091)
Antrag der Abgeordneten Diana Stachowitz, Angelika Weikert, Christa Steiger u. a. (SPD) Finanzierungsmöglichkeiten Kindergrundsicherung (Drs. 16/4945)
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Kindergrundsicherung - ich habe den Antrag schon einmal verschoben, weil er ursprünglich zur ungefähr gleichen Uhrzeit behandelt werden sollte, und da hieß es, es sei zu spät. Ich finde es ziemlich schade, weil es um etwas eigentlich sehr Visionäres geht. Es geht um einen Systemwechsel, es geht um die Frage, wie Kinderarmut bekämpft werden kann. Für uns GRÜNE geht es um die Frage, wie das Geld, das bisher schon an Transferleistungen im System ist, umgeschichtet und sinnvoll eingesetzt werden kann.
So hätte ich mir zum Beispiel bei der Debatte über Hartz IV im Bund ein bisschen mehr Innovatives gewünscht. Ich hätte mir gewünscht, dass verstärkt davon gesprochen worden wäre, man wolle verstärkt die Kinderarmut bekämpfen. Es kam allerdings gar nichts aus Berlin, nämlich null Komma null von der
schwarz-gelben Koalition. Es war die Rede von Chips für arme Kinder. Ich weiß, dass auch die CSU dagegen war. Ich habe immer schon gesagt, dass ich nicht weiß, wie man sich das vorstellen kann. Es wird dann ein Chip-System im Arm implementiert und ein Guthaben auf die Chips geladen. Ganz schlau ist auch, dass es Gutscheine für Mittagessen an Schulen gibt, die keine Mittagessen anbieten. Das Gleiche gilt für Sportstunden an Orten, die kein entsprechendes Angebot vorsehen.
Die Grundidee hinter diesem Vorgehen war immer, Eltern würden das Geld versaufen, anstatt es für die Kinder auszugeben. Ich denke, wir müssen erstens den Eltern vertrauen, und zweitens gibt es Studien zum Beispiel die des angesehenen Familienforschers Hans Bertram -, die genau das Gegenteil zum Ausdruck bringen, nämlich dass Eltern, die Grundsicherungsleistung beziehen, eher bei sich selbst sparen als bei den Ausgaben für ihre Kinder. Deswegen glaube ich: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Wir müssen diesen anstoßen. Mir ist bewusst, dass das ein langer Prozess ist, weil es sich auch nicht um ein Länderthema handelt. Wir brauchen eine bedingungslose Kindergrundsicherung.
Mit der Kindergrundsicherung hätten wir die unwürdige Debatte über Gutscheine oder ein Chip-System nicht. Das heißt, die bisherigen Leistungen gehen in einer Kindergrundsicherung auf: Kindergeld, Kinderzuschlag, Sozialgeld, Unterhaltsvorschuss, Wohngeld, Ausbildungsförderung sowie das EhegattenSplitting, Leistungen nach dem SGB XII, Kinderzuschläge für Beamte usw. würden in dieser Kindergrundsicherung aufgehen. Wir GRÜNE wollen nicht, dass mehr Geld in die Transferleistungen fließt. Es geht darum, das Geld sinnvoll einzusetzen und dorthin umzuschichten, wo es gebraucht wird. Das Vorgehen hätte auch den großen Vorteil, dass eine aufwendige Bürokratie, die absurd ist - ich glaube, wir alle in diesem Haus wissen das - zusammengefasst und gebündelt wird und somit im Endeffekt - zumindest hier - gespart wird.
Den Menschen und den Antragstellern und Antragstellerinnen würde viel Unwürdiges und Bürokratisches erspart bleiben. Das Geld würde dort ankommen, wo es gebraucht wird, nämlich bei den Kindern. 2,4 Millionen Kinder leben in Deutschland in Armut. Das ist eine beschämende Zahl. Die Kindergrundsicherung ist ein wirksames Instrument gegen Kinderarmut. In Deutschland oder Bayern darf es nicht vorkommen, dass es sich auch nur ein einziges Kind nicht leisten kann, Schuhe oder ein Geburtstagsgeschenk für einen Kindergeburtstag zu kaufen.
Ich bin mir darüber im Klaren, dass die Einführung einer Kindergrundsicherung viele Gesetzesänderungen mit sich brächte. Wir brauchen eine fundierte gesetzliche Grundlage. Dieser Systemwechsel geht nicht von heute auf morgen. Umso mehr bitte ich Sie, dem Antrag zuzustimmen und damit einen Systemwechsel einzuleiten. Dabei geht es um 2,4 Millionen Kinder, die schon jetzt in Armut leben.
Dem offiziellen Sozialbericht des bayerischen Sozialministeriums können folgende Zahlen entnommen werden: Zwischen 2003 und 2005 ist die Armutsrisikoquote bei Alleinerziehenden um 8 %, bei Paaren mit Kindern um 6 % und bei Paaren ohne Kinder um 0,6 % - das ist nicht mal ein Prozent - gestiegen. Es kann nicht sein, dass Kinder in diesem Land ein Armutsrisiko für die Bürger sind.