das heißt für diejenigen, die schon verurteilt sind und die wir aus gutem Grund in Sicherungsverwahrung haben, nicht auch eine Regelung brauchen? Meinen Sie nicht, dass es da noch erhebliche Defizite in der Vorstellung des BMJ, des Bundesjustizministeriums, gibt? Und warum stellen Sie sich dann so hinter diese Regelung?
Man muss doch eines am praktischen Fall sehen. Einen Sexualtäter, der vielleicht schon ein Kind umgebracht hat und bei dem die Neigung von einem Experten nachgewiesen ist, kann man aus der Sicht der Verantwortung heraus doch nicht ernsthaft aus einer Verwahrung entlassen, wobei ich es anders sehe als Sie: Wir haben keine Strafe in Bayern, sondern es ist eine echte Maßnahme der Sicherung, die hier vollzogen wird.
Letzteres kann man unterschiedlich sehen. Aber ich gebe Ihnen recht: Sie brauchen eine eigenständige Regelung, und die werden Sie für die jetzt aktuellen Fälle nicht über die nachträgliche Sicherungsverwahrung schaffen können, sondern da werden Sie tatsächlich überlegen müssen, wie es wohl auch in Ihrem Justizministerium der Fall ist, ob Sie über das Unterbringungsgesetz gehen oder ob Sie die Maßnahmen zur Besserung und Sicherung noch einmal verschärfen, aber nicht über die nachträgliche Sicherungsverwahrung.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Das Thema Sicherungsverwahrung ist hoch sensibel und eignet sich nicht für populistische Aussagen. Was in den letzten Wochen in der Presse zu lesen war, ist daher nicht immer hilfreich gewesen. Das hat auch etwas mit Verantwortung zu tun. Das ständige Schüren von Ängsten und Fordern von Gesetzesverschärfungen führt dazu, dass die Leute mehr Angst haben, und das, obwohl Bayern jedes Jahr noch sicherer wird.
Wenn man sagt: "Die nachträgliche Sicherungsverwahrung darf nicht abgeschafft werden", dann muss man sich überlegen, ob es nicht sinnvoller ist, ein neues Gesamtkonzept zu entwickeln. Hier komme ich zur ersten Differenzierung. Wir müssen ganz genau differenzieren zwischen den Altfällen, die durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entstanden sind, und einer Neuordnung des Systems. Ich verstehe den Antrag der SPD so, dass es um die Neuordnung geht, nicht um die Altfälle. Ich verhehle nicht, dass manches in diesem
Antrag durchaus in die richtige Richtung geht. Wenn wir trotzdem nicht zustimmen, dann liegt das an einigen Formulierungen, wie ich im Folgenden näher erläutern werde.
Was wir brauchen, ist ein durchdachtes, schlüssiges und sinnvolles Konzept, das bestehende Schutzlücken schließt und - nur das hilft uns wirklich weiter rechtsstaatlich und europarechtskonform ist. Denn was haben wir davon, wenn ein Konzept zwar den bestmöglichen Schutz der Bevölkerung garantiert, aber vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wieder aufgehoben wird? Wir müssen also ein Konzept vorlegen, das in sich schlüssig und rechtsstaatlich ist.
Ein solches Konzept kann in Teilbereichen auch zu einer Ausweitung der Sicherungsverwahrung, in anderen Bereichen aber zu einer Begrenzung der Sicherungsverwahrung führen. Das Konzept, das das Bundesministerium der Justiz jetzt vorgelegt hat, ist in meinen Augen ein solches Konzept.
Es führt dazu, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung abgeschafft, aber die vorbehaltene Sicherungsverwahrung ausgebaut wird. Damit können in dieses neue Konzept auch Ersttäter einbezogen werden. Das bringt eine Ausweitung, aber auch einen wirklichen Sicherheitsgewinn für die Bevölkerung.
Man darf auch nicht übersehen, was viele Experten zum Thema Sicherungsverwahrung sagen. Professor Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts in Hannover, ein angesehener Experte, sagt: "Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist ein Volksberuhigungsgesetz, das nur die Illusion von mehr Sicherheit weckt." Durch eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung haben die Gerichte in erster Instanz die Möglichkeit zu reagieren, und gleichzeitig ist Rechtssicherheit gewährleistet.
Wir brauchen aber auch - und das ist der zweite Aspekt - das Instrument der Führungsaufsicht und müssen dieses stärken. Damit erfassen wir die Täter, die nun freigelassen werden müssen - das sind die Altfälle -, und all die, bei denen die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung nicht vorliegen.
Ein dritter Aspekt ist wichtig. Wir müssen die Sicherungsverwahrung auf die wirklich gefährlichen Delikte beschränken, das heißt auf die Delikte, die die Bevölkerung essenziell bedrohen. Ich spreche von Gewaltund Sexualdelikten. Ich sage auch: Einen einfachen Dieb lebenslänglich wegzusperren, nur weil Wiederholungsgefahr droht, ist für mich nicht verhältnismä
Darüber hinaus - und da sind wir auf Länderebene gefragt - brauchen wir auch eine bessere Ausgestaltung der Unterbringung, das heißt bessere Therapieangebote, aber auch ein Konzept, das die Sicherungsverwahrung vom klassischen Strafvollzug trennt. Das hat uns der Europäische Gerichtshof vorgegeben, und diese Vorgabe nehmen wir an.
Was ich mir deshalb in den nächsten Wochen und Monaten wünsche, ist, dass wir dieses wichtige und schwierige Thema sachlich und besonnen diskutieren und der Versuchung widerstehen, mit populistischen Sprüchen in die Schlagzeilen zu kommen. Das sind wir unseren Bürgern schuldig.
(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CSU - Franz Schindler (SPD): Das steht im Koalitionsvertrag!)
Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die SPD greift mit ihrem Antrag eine wichtige und drängende Frage auf, nämlich die Frage danach, wie wir nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Bevölkerung bestmöglich vor hochgefährlichen Rückfalltätern schützen. Die Antwort, welche die SPD darauf gibt, packt das Thema aber nicht an der Wurzel. Aus diesem Grunde möchte ich hier zu einigen Punkten sehr klar Stellung nehmen.
Zuvor möchte ich allerdings sagen, dass ich mich herzlich für den ernsthaften Umgang mit diesem wichtigen Thema bedanke.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es dient nicht dem Schutz der Bevölkerung, wenn wir den Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung stagnieren lassen. Vielmehr müssen wir Widersprüche bereinigen und Schutzlücken schließen, die wir in dem Recht der Sicherungsverwahrung feststellen müssen, wie das auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbart wurde. Der Richterspruch aus Straßburg ändert daran nichts.
Nun hat die Bundesregierung ein Eckpunktepapier veröffentlicht, das die Sicherungsverwahrung neu ordnet. In diesem Eckpunktepapier greift sie einige der Lücken, die wir angesprochen haben, auf und gibt dafür Lösungsansätze. Als wichtigstes Beispiel dafür nenne ich die Erleichterung der Anordnung einer Si
Eines ist in meinen Augen ganz klar: Auf die Möglichkeit einer nachträglichen Sicherungsverwahrung darf nicht verzichtet werden. Das ist eine Regelung, für die wir in Bayern lange gekämpft haben, für hochgefährliche Täter, die hinter Gittern sitzen. Wir haben dafür gekämpft, weil uns die Erfahrung lehrte: Wir müssen auch in den Fällen reagieren können, in denen sich die besondere Gefährlichkeit eines Straftäters erst während des Vollzugs zeigt, zum Beispiel weil psychische Störungen erstmalig erkannt werden oder weil ganz neue Motive für weitere Straftaten ans Licht kommen, Dinge, die zur Zeit der Anlassverurteilung noch nicht bekannt waren. Ich erinnere nur an den Mord am kleinen Peter. Das ist einer der Fälle, die für uns maßgeblich waren, um darauf hinzuweisen, dass wir die nachträgliche Sicherungsverwahrung brauchen.
Herr Schindler, ich halte es für sarkastisch, wenn man Politikern Populismus vorwirft, die in solchen Situationen und aufgrund von derartigen Erfahrungen, die erst da zum Ausdruck kommen, auf Lücken hinweisen und Lösungen anbieten.
Es ist die Verpflichtung von Sicherheitspolitikern, gerade in solchen Fällen darauf hinzuweisen, dass Lücken bestehen, und Regelungen diskutieren, die eine solche Lücke schließen können, und zwar endgültig schließen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich halte es nahezu für blauäugig, wenn wir negieren, was Wissenschaftler belegen, nämlich dass es Straftäter gibt, die trotz aller Therapien und trotz aller Bemühungen hinter Gittern weiter gefährlich bleiben und nicht zu resozialisieren sind. Der Forderung nach einem Recht auf Freilassung für jeden muss ich schlicht entgegenhalten: Das können wir nicht tun. In den Fällen, in denen keine Resozialisierung möglich ist, müssen wir als Ultima Ratio auch die Möglichkeit haben, die Täter hinter Gittern zu behalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind Ausnahmesituationen, das ist Ultima Ratio. Es gab aber solche Fälle, und es wird sie auch in Zukunft geben. Das werden in Zukunft vielleicht weniger sein, weil wir jetzt aufgrund des Eckpunktepapiers Möglich
keiten haben, die wir vorher nicht hatten. Es wäre aber blauäugig, von vornherein zu sagen, dass es solche Fälle nicht mehr geben wird; das wird nicht so sein.
Ich hielte es für absolut falsch, wenn wir jetzt ohne Not die nachträgliche Sicherungsverwahrung streichen würden. Wir müssen diese Möglichkeit haben, um in diesen wenigen Fällen reagieren zu können. Es kann nicht sein, dass wir dann sagen müssen: Der Täter ist höchst gefährlich, wir haben es erst während der Haft, also zu spät erkennen können, und jetzt müssen wir den Täter herauslassen, obwohl wir früher die Möglichkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung hatten, die das Bundesverfassungsgericht auch für verfassungsgerecht gehalten hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zurück zum Antrag der SPD: Es ist selbstverständlich, dass es auch bei der Sicherungsverwahrung darum geht, die Gefährlichkeit des Täters nach Möglichkeit so zu verringern - insbesondere durch Therapieangebote -, dass eine Entlassung unter Auflagen im Rahmen einer Führungsaufsicht verantwortet werden kann. Das wird immer das Ziel derjenigen bleiben, die diese Täter hinter Gitter halten. Was die in dem Antrag angesprochenen forensischen Ambulanzen angeht, habe ich mich massiv und, wie Sie wissen, mit Erfolg für eine Verbesserung der hierfür erforderlichen Rahmenbedingungen eingesetzt. Ich weiß aber auch, dass während der Sicherungsverwahrung dringend mit Therapien gearbeitet werden muss.
Bei den Sicherungsverwahrten, die vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betroffen sind, geht es doch um etwas anderes. Es geht darum, dass diese Täter deshalb in Sicherungsverwahrung sind, weil sie nach wie vor höchst gefährlich sind, weil alle Bemühungen, sie zu therapieren und zu resozialisieren, nichts gefruchtet haben, weil sie sich selbst nicht beherrschen können und wir sie natürlich auch nicht. Vollzugslockerungen sind da aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Bei diesen Tätern geht es in erster Linie darum, einen Weg zu finden, um sie so lange unterbringen zu können, wie es der Schutz unserer Bevölkerung erfordert. Ich habe dazu bereits Vorschläge vorgelegt, wie man mit einem neuen Rechtsinstitut der Sicherheitsunterbringung so einen deutlichen Abstand zur bisherigen Sicherungsverwahrung und zur Freiheitsstrafe erreichen kann,
dass in diesen Fällen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht mehr greift. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist
die Pflicht der Sicherheitspolitiker, alles in ihren Möglichkeiten Stehende zu tun, um die Bevölkerung vor Verbrechen zu schützen, so weit das geht, auf solche Gerichtsentscheidungen einzugehen und nach Lösungen zu suchen, um gegenzusteuern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das haben wir getan, und ich erwarte, dass diese Vorschläge dann auch diskutiert werden. Es geht nicht an, dass überhaupt nicht darüber nachgedacht wird, was mit den jetzt von dieser Entscheidung Betroffenen zu geschehen hat.
Deswegen sage ich kurz und knapp: Der Antrag der SPD geht in meinen Augen an der eigentlichen Problematik vorbei. Deswegen bitte ich darum, ihn abzulehnen. Ich bitte auch darum, dass wir alle weiter engagiert daran arbeiten, eine Sicherungsmöglichkeit für hochgefährliche Täter in unserem Land zu erreichen.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der federführende Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Verbraucherschutz empfiehlt auf Drucksache 16/5437 die Ablehnung des Antrags. Wer dagegen dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktion der SPD und die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? - Das sind die CSU-Fraktion, die FDP-Fraktion und die Fraktion der Freien Wähler. Stimmenthaltungen? - Keine. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Angelika Weikert, Diana Stachowitz u. a. und Fraktion (SPD) Kürzung des Schulgeldausgleichs für Schülerinnen und Schüler der privaten Berufsfachschulen für Altenpflege und Altenpflegehilfe sofort rückgängig machen! (Drs. 16/5027)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Sepp Daxenberger, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Schulgeldausgleich der Berufsfachschulen für Altenpflege und Altenpflegehilfe sicherstellen (Drs. 16/5032)
Ich darf jetzt schon darauf aufmerksam machen, dass für beide Dringlichkeitsanträge jeweils namentliche Abstimmung beantragt worden ist.
Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Im Ältestenrat wurden fünf Minuten Redezeit pro Fraktion vereinbart. - Als erster Rednerin darf ich Frau Kollegin Weikert das Wort erteilen.