Protocol of the Session on June 23, 2010

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion darf ich Herrn Kollegen Dechant das Wort erteilen.

(Vom Redner nicht autori- siert) Verehrte Frau Präsidentin, verehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute sehr viel Richtiges und Wichtiges gehört. Ich bedanke mich ausdrücklich bei der SPD-Fraktion und bei Frau Kollegin Karl dafür, dass sie dieses Problem heute zum Thema gemacht haben.

Wir müssen sicherstellen, dass wir im ländlichen Raum die Strukturen erhalten. Wir müssen die Infrastruktur erhalten und dafür sorgen, dass die Güter des täglichen Bedarfs vorhanden sind. Wir müssen außerdem unsere Förderprogramme solide weiterfinanzieren. Die Städtebauförderung wurde bereits angesprochen. Wir dürfen die Menschen auf dem Land nicht allein lassen. So viel vorab.

Ich komme aus einem Dorf, in dem es keinen Bus und kein DSL gibt. Wir wissen uns aber sehr wohl selbst zu helfen. Als Betroffener wünsche ich mir, dass wir vor Ort mehr von der Verantwortung, zu der wir stehen, wahrnehmen dürfen. Wir wollen von Bürokratie befreit werden und wünschen uns, dass wir mehr Entscheidungskompetenzen erhalten. Heute wurde zitiert, was dazu im Koalitionsvertrag steht. Dazu stehen wir. Wir wollen, dass die Kompetenz an die Menschen heranrückt und dass sich die Menschen einbringen können. Ich weiß, dass ich einen Teil meiner Probleme selbst lösen muss. Das möchte ich auch. Ich möchte schließlich auch gestalten. Ich möchte nicht von irgendwoher irgendetwas aufgedrückt bekommen. Ich will meine Verantwortung und meine Freiheit wahrnehmen und selbst gestalten.

Dazu ist es nötig, Kompetenzen zu verlagern. Wir müssen den Leuten vor Ort helfen. Wir müssen Bürokratie abbauen und die Grenzen für kleine Unternehmen, die Geld aus Förderprogrammen erhalten wollen, abbauen. In einem Dorf gibt es nicht den Mittelständler mit 50 Beschäftigten, sondern einen Schreiner oder einen Elektriker, der zwei Gesellen und zwei Lehrlinge beschäftigt. Für diese Leute müssen wir etwas tun. Das sind die Menschen, die das Land am Leben erhalten. Auch die Landwirtschaft wird mit überbordender Bürokratie belastet und verliert dadurch fast den Spaß an der Arbeit. Der kleine Handwerker und der Landwirt vor Ort tragen auf dem Land das gesellschaftliche Leben. Sie erfüllen dort die Freiwillige Feuerwehr oder den Sportverein mit Leben. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass der ländliche Raum Mittel erhält und über Förderprogramme vernünftig und stabil mit finanziellen Ressourcen

ausgestattet wird. Wir müssen aber den Leuten helfen, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Die Leute sind dazu bereit. Sie brauchen dafür aber auch einen Spielraum.

Der ländliche Raum sollte nicht mit Regeln und Vorschriften überzogen werden, die für große Strukturen angelegt sind. In Berlin wird häufig in großen Strukturen gedacht und von großen Unternehmen ausgegangen. Für das Land ist dies sehr kontraproduktiv; es wird dadurch abgeschnürt.

Eines möchte ich noch sagen: Ich wohne gerne auf dem Land. Mir gefällt es dort. Dort ist es wunderbar. Deshalb warne ich davor, das Land schlechtzureden.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Wegen diesem Schlechtreden versucht der eine oder andere, vom Land wegzukommen. Dadurch wird es für diejenigen, die dort bleiben wollen, schwierig, einen Partner zu finden. Manche Hofnachfolgerin, mancher Hofnachfolger hat Schwierigkeiten, einen Ehepartner zu finden. Wenn wir das Landleben schlechtreden, brauchen wir uns über diese Entwicklung nicht zu wundern.

Ich finde es gut, wenn die Hand in die Wunde gelegt wird. Wir müssen aber darauf achten, dass der ländliche Raum die notwendige Mittelausstattung erhält. Wir brauchen aber auch die Freiheit und Fürsprecher für das Leben auf dem Land. Dafür bedanke ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen im Voraus. Ich danke auch der SPD-Fraktion und Frau Kollegin Karl noch einmal sehr herzlich, dass sie diese Probleme heute zum Thema gemacht haben.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Wengert das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang dieses Jahrtausends, etwa ab dem Jahr 2002, glaubten die Bürgermeister in den Kommunen angesichts dramatisch steigender Ausgaben aufgrund einer ungezügelten Aufgabenübertragung einerseits und des Wegbrechens der Steuereinnahmen andererseits, dass es schlimmer nicht mehr kommen könnte. Das zusätzlich über den Kommunen schwebende Damoklesschwert der Streichung der Gewerbesteuer und ihr Ersatz durch windige, unausgegorene andere Einnahmemodelle konnten die Kommunen zunächst dadurch fixieren, dass sie den Bayerischen Ministerpräsidenten beim Städtetag in Regensburg nicht ziehen ließen, bis er ehrenwörtlich versicherte, dass die Gewerbesteuer erst abgeschafft würde, wenn eine verbindliche und

mit den Kommunen abgestimmte Nachfolgeregelung gefunden sei.

Jetzt brandet die Diskussion wieder auf. Ich nenne das BDI-Modell, das kommunale Hebesatzrecht sowie die Besteuerung der Unternehmen am Wohnort der Unternehmer: Es gibt nichts, was es nicht gibt, und sei es noch so unsinnig. Das Schlimmste ist, dass der Öffentlichkeit verschwiegen wird, dass die Zeche, also die nicht mehr vorhandenen 30 bis 40 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen, vom Bürger und vom Verbraucher über die Einkommensteuer oder über die Erhöhung der Mehrwertsteuer bezahlt werden müssen.

Zu dieser Bedrohung der kommunalen Selbstverwaltung durch die finanzielle Strangulierung kommen die Trostlosigkeit, die Mutlosigkeit und die Perspektivlosigkeit der derzeitigen bundesrepublikanischen Städtebau-, Infrastruktur- und Verkehrspolitik. Wo die Städte Planungssicherheit bräuchten, herrscht Planlosigkeit. Der Rotstift fegt eine zukunftsfähige nachhaltige Stadtentwicklung vom Tisch.

Schön, dass Kollege Rotter mit uns übereinstimmt in der Kritik an der Mittelkürzung in Berlin. Es sind Ihre Leute, Herr Kollege Rotter, die dafür in Berlin die Verantwortung tragen und deren Tun oder Nichtstun Sie nicht länger tatenlos zusehen sollten.

(Beifall bei der SPD)

"Stadtumbau West", "Soziale Stadt" - höchst notwendige wie erfolgreiche Projekte werden kastriert, sie schnurren weiter, sind aber weitgehend unproduktiv. Wie sollen wir denn in unseren Städten, und das sind nicht allein die Großstädte, sondern auch die mittleren und die kleinen Städte, den sozialen Raum gestalten, der ganz entscheidend ist für die wirtschaftliche Prosperität, für die Sicherheit und den sozialen Frieden, wenn es dafür nur noch die halbe Miete und vielleicht bald gar nichts mehr gibt?

Es gibt nach wie vor keine Botschaft, wie die Zukunft des ÖPNV aussehen soll. Wie der Hase auf die Schlange starrt man auf das Auslaufen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes, aber bleibt jede Antwort darauf schuldig, wie denn der Milliardenbedarf an Investitionen im ÖPNV, der täglich von 30 Millionen Menschen in Deutschland genutzt und dringend benötigt wird, gedeckt werden soll. Wir alle kennen doch die Studie des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen - VDV - über den Finanzierungsbedarf des ÖPNV in den nächsten zehn Jahren, der insgesamt eine Größenordung von über sieben Milliarden Euro ausmacht.

Erfolgreiches Wirtschaften steht und fällt ein gutes Stück mit der Mobilität der Menschen, und die findet

nicht nur auf der Straße statt, wenngleich auch hier viele dringende Verkehrsprojekte infrage stehen. Ich weiß nicht, ob Sie es lakonisch gemeint haben, Herr Kollege Rotter, aber Ihr Lob für die Staatsregierung, was die Fürsorge für die Staatsstraßen angeht, wird doch sehr stark konterkariert durch die sehr offene und ehrliche Darstellung des Innenministers über den Nachholbedarf bei den Sanierungen der Staatsstraßen.

(Beifall bei der SPD)

40 % sind mauskaputt.

All das kann und darf uns in einem Flächenland mit über Jahrhunderte gewachsenen Städten draußen in der ländlichen Region nicht kalt lassen. Es bleibt noch das Thema "Bahn": Statt ihre Investitionskraft zu sichern und zu stärken, soll sie zusätzlich 500 Millionen Euro an die Staatskasse abliefern.

Auch die Bayerische Staatsregierung bleibt Antworten schuldig. Der weithin im stillen Kämmerlein - ich kann es mir nicht ersparen, darauf einzugehen, auch wenn es wehtut - dahindämmernde Staatssekretärsausschuss ähnelt eher einem Kaffeekränzchen als einer dynamischen Ideenschmiede, die sich kraft ihrer Argumente auch im Kabinett durchsetzen würde. Von Ankündigungspolitik kann Bayern, kann ganz Deutschland nicht leben. Es müssen Mittel, und zwar in der erforderlichen Höhe, zu den Titeln kommen. Alles andere wären Placebos. Sonst würde es am Ende zu Recht heißen: Außer Spesen nichts gewesen.

(Beifall bei der SPD)

Für die CSU-Fraktion darf ich jetzt Herrn Kollegen Schöffel das Wort erteilen. Bitte schön.

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich freue mich sehr, dass die Entwicklung der ländlichen Räume Thema unserer Plenarsitzung ist, weil die wirtschaftliche Entwicklung des ländlichen Raums tatsächlich immer wieder unsere Unterstützung sowie unser Hinsehen und Impulse benötigt, damit es hier gut weitergeht. Frau Kollegin Karl, wenn wir aber im ländlichen Raum Entwicklungen voranbringen wollen, wenn wir Menschen dazu bewegen wollen, dorthin zu ziehen, sich selbstständig zu machen, Entwicklungen für Jahrzehnte einzuleiten, beispielsweise mit dem Bau oder Kauf einer Immobilie, dann dürfen wir das Leben auf dem Lande nicht so schlechtmachen, wie Sie es getan haben.

(Beifall bei der CSU)

Der Titel der Aktuellen Stunde hat mit dem Ausbluten zu tun. Davon spricht man üblicherweise bei einem Sterbenden.

(Zuruf von der SPD: Das tun Sie mit Ihrer Politik!)

Ich kann Ihnen nur sagen, ich bin Kronzeuge einer Region, die vom Strukturwandel stark gebeutelt ist, aber ich erlebe den ländlichen Raum als lebendig, dynamisch, kreativ und offen für neue Entwicklungen. Ich denke, das ist Grundvoraussetzung dafür, dass sich hier etwas entwickeln kann.

(Beifall bei der CSU - Alexander König (CSU): Sehr gut!)

Frau Kollegin Karl, Sie haben ein in der Tat haarsträubendes Beispiel einer Umnutzung eines Schulgebäudes angesprochen. Das ist soweit richtig, aber der Stand, den Sie zugrunde gelegt haben, ist der von vor 14 Tagen. Es hilft nicht weiter, wenn wir solche Dinge als Monstranz vor uns hertragen, unsere Aufgabe ist es vielmehr, uns der Dinge anzunehmen und sie zu besprechen. In diesem Zusammenhang danke ich dem Staatssekretär im Finanzministerium, dass er die Dinge im Sinne der Gemeinde gelöst hat. Die Gemeinde kann dieses Schulhaus als Ärztehaus nutzen. Das ist der heutige Stand, der vertreten werden muss. Das zeigt, dass die Staatsregierung solche Dinge am Ende löst.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Ich möchte darauf hinweisen, dass sich unser Bayern nie so entwickelt hätte, wenn die Staatsregierung nicht immer alle Landesteile im Blick gehabt hätte. Ich möchte nur die Verkehrsinfrastruktur und die Entwicklung der Hochschullandschaft nennen. Gerade die Entwicklung der Hochschullandschaft ist in ganz Bayern vorangekommen und wird gerade im Hinblick auf den doppelten Abiturjahrgang weitergehen. Herr Kollege Muthmann, das, was im Bayerischen Wald entstanden ist, ist beispielhaft dafür, wie Hochschulen die regionale Entwicklung stärken.

(Zuruf des Abgeordneten Alexander Muthmann (FW))

- Lieber Herr Kollege, ich war auch da, habe mir das angesehen und kann feststellen, dass die Hochschulen hier zu einer Verbreiterung der Forschungslandschaft und zu einer Stärkung der regionalen Wirtschaftsentwicklung beitragen. Im östlichen Oberfranken, in Kulmbach, Selb und Marktredwitz, stehen wir vor derselben Entwicklung, und das kann nur gut sein.

(Beifall bei der CSU)

Angesprochen wurde auch die regionale Wirtschaftsförderung. Hierzu haben wir heute einen eigenen Dringlichkeitsantrag eingebracht, weil es uns wichtig ist, die wirtschaftliche Entwicklung weiter zu stärken. Selbstverständlich, meine Damen und Herren, nicht alles, was wünschenswert ist, ist auch finanzierbar, aber wir werden unser Bayern auch weiterhin gestalten.

Ich bin dem Ministerpräsidenten dankbar, dass er darauf hinweist, es gibt nicht den ländlichen Raum, sondern es gibt den ländlichen Raum, der sich besser entwickelt als der Landesdurchschnitt, und es gibt auch ländliche Räume mit großen strukturellen Herausforderungen, die vorübergehend besondere Unterstützung brauchen. Der Ministerpräsident hat hier immer von der Konzentration der Mittel gesprochen. Ich kann aus eigenem Erleben nur sagen, dass Investitionen über die Dorferneuerung und die Städtebauförderung überlebensnotwendig sind. Ich denke, hier werden weiterhin an besonderen Punkten besondere Akzente gesetzt.

Frau Kollegin Karl, das hängt auch mit einer ordentlichen Ausstattung des Struktur- und Härtefonds zusammen. Es ist dringend notwendig, dass man hier besondere Akzente setzen kann. Dazu gehört auch, wie ich schon angesprochen habe, die Entwicklung der Hochschullandschaft und die Verlagerung von staatlichen Arbeitsplätzen. Mit dem Thema geht die Staatsregierung sehr verantwortungsvoll um, und prüft weitere Möglichkeiten in dem schwierigen Raum Oberfrankens.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass es kein Ausbluten, sondern weiterhin ein Gestalten unserer städtischen und ländlichen Gebiete im ganzen Bayernland geben wird, insbesondere der Gebiete, die auf die Unterstützung der Staatsregierung vorübergehend in gewisser Weise angewiesen sind. Die Bayerische Staatsregierung und die sie tragenden Fraktionen, aber vor allem die Menschen im ländlichen Raum werden es nicht zulassen, dass das Szenario Hinterdobler, das Sie hier dargestellt haben, tatsächlich eintritt. Wir werden das nicht zulassen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Jetzt darf ich für die CSU-Fraktion noch Herrn Kollegen Wägemann das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mit Verwunderung feststellen, dass das Thema Landwirtschaft bei der Diskussion über den ländlichen Raum überhaupt nicht zur Sprache gebracht wurde und dass ausgerechnet Frau Karl als Mitglied des zustän

digen Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten dieses wichtige Thema völlig ausblendet.

(Beifall bei der CSU)