Protocol of the Session on March 11, 2010

Auch hier muss ich wieder sagen, dass wir das nur für die Zukunft ändern können. Für die Vergangenheit und soweit es Vorfälle sind, die die Kirche betreffen, sehe ich eine moralische Verantwortung, eine Verantwortung der Deutschen Bischofskonferenz, mit einem Entschädigungsfonds notwendige Schritte einzuleiten; denn - ich sage es noch einmal - die Hilfe für die Opfer ist keine juristische, sie ist eine moralische Frage.

(Beifall bei der FDP)

Zu einem abschließenden Beitrag hat sich Frau Staatsministerin Dr. Merk zu Wort gemeldet. Bitte schön.

Herr Präsident, Hohes Haus! Die enorme Anzahl an Missbrauchsfällen in Internaten vor allen Dingen der katholischen Kirche bestätigt, was in Zusammenhang mit Dunkelfelderhebungen immer befürchtet wird. Das ist eine schlimme Situation für die Kinder in diesen Fällen, weil sie nicht nur unter dem Missbrauch leiden, sondern weil ein zweites Leid hinzukommt, dass sie nämlich auch dann keine Hilfe bekommen haben, wenn sie sich offenbaren konnten. Das ist also eine doppelte Pein für diese Kinder.

Vielfach sind diese Fälle, wie wir inzwischen wissen, verjährt; dennoch geht es darum, aufzudecken. Herr Kollege Schindler, tun Sie doch nicht so, als ob vonseiten des Staates nicht alles getan würde, um diese Taten aufzudecken, zu verfolgen und zu ahnden.

(Beifall bei der CSU)

Selbstverständlich sind die bayerischen Staatsanwaltschaften - wie immer! - allen bekannt gewordenen Verdachtsfällen konsequent nachgegangen. Sie haben unverzüglich alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen. Das ist doch klar, das ist ihre Aufgabe, die sie überzeugend wahrnehmen. Ich habe darauf nicht nur ein Auge. Selbstverständlich geht Strafjustiz vor. Selbstverständlich genießen kirchliche Einrichtungen bei Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaften grundsätzlich keinen besonderen Schutz des Kirchenrechts. Das muss man zwar eigentlich nicht eigens sagen, aber das tue ich doch gerne noch einmal.

(Harald Güller (SPD): Nach Ihren Äußerungen muss man das schon sagen!)

- Ich möchte gleich auf das zu sprechen kommen, was auch Frau Gote gesagt hat, was meine Äußerungen angeht. Schauen Sie sich die doch im Zusammenhang an

(Harald Güller (SPD): Habe ich doch!)

und lesen Sie sie umfassend. Da geht es zum Beispiel darum, dass die Bundesjustizministerin gleich zu Beginn einen Runden Tisch gefordert und den Kirchen nicht einmal genügend Zeit gegeben hat, das aufzuklären, was intern aufzuklären ist. Damit meine ich nicht die Arbeit der Staatsanwaltschaften, sondern ich meine, dass sie erst einmal die Verdachtsmomente klären, die nach außen getragen werden müssen, damit die Staatsanwaltschaften überhaupt ansetzen können. Bitte denken Sie doch ein klein bisschen daran, wie es in der Praxis abläuft.

Die Erörterung bei einer Dienstbesprechung mit den Leiterinnen und Leitern der bayerischen Staatsanwaltschaften gestern hat bestätigt, dass die verantwortlichen kirchlichen Stellen mit den Staatsanwaltschaften derzeit eng zusammenarbeiten. Das kann ich jedenfalls zu allen uns bekannt gewordenen Fällen sexuellen Missbrauchs und Fällen von Körperverletzung sagen. Den Strafverfolgungsbehörden kann es - wie auch sonst - nur um die Aufklärung und Ahndung individueller Schuld gehen; das muss man auch einmal betonen. Eine Kollektivschuld gibt es nicht. Pauschale Kritik an der Kirche ist deswegen fehl am Platz, und dagegen habe ich mich gewehrt.

(Beifall bei der CSU und Abgeordneten der Freien Wähler)

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie differenzierte Äußerungen nicht verstehen - ich nehme Herrn Pohl jetzt aus -, dann tut es mir herzlich leid. Lesen Sie die Äußerungen doch richtig! Ich wehre mich gegen einen Generalverdacht,

(Zurufe von den GRÜNEN)

und ich wehre mich dagegen, dass engagierte Mitarbeiter der Kirche, die einen unverzichtbaren Beitrag zum Gemeinwohl leisten, angegriffen werden, ohne dass es entsprechende Hintergründe dafür gibt. Ich bin meiner Fraktion, der Fraktion der CSU, sehr dankbar für die klaren Worte, die gesprochen worden sind.

(Margarete Bause (GRÜNE): Dann können Sie unserem Antrag zustimmen!)

Sexueller Missbrauch ist nicht allein ein Problem der Kirche; sexueller Missbrauch ist aber auch ein Problem der Kirche. Wir wissen alle, dass sexueller Missbrauch bedauerlicherweise überall in unserer Gesellschaft vorkommt. Ich brauche jetzt nicht zu wiederholen, was die Vorredner dazu schon gesagt haben.

Ein zentrales Problem, meine sehr verehrten Damen und Herren - wir sollten über diese Themen nicht streiten, sondern uns zum Wohl der Opfer zusammentun -, besteht darin, dass ein Großteil der in den Medien dis

kutierten Fälle sowohl in strafrechtlicher und erst recht in zivilrechtlicher Hinsicht seit Langem verjährt sind. Das ist äußerst unbefriedigend. Sexueller Missbrauch bleibt oft lange, viel zu lange im Dunkeln, und wenn er entdeckt wird, wird er viel zu lange nicht an die Staatsanwaltschaften gemeldet.

Selbstverständlich stehen Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung neuer Taten des sexuellen Missbrauchs im Vordergrund. Leider lassen sich - das müssen wir auch ganz klar konstatieren - diese Taten nicht völlig ausschließen; das ist nun einmal nicht möglich. Deswegen müssen wir alles dafür tun, dass solche Straftaten angezeigt und verfolgt werden. Das ist der beste Schutz für mögliche künftige Opfer. Vor diesem Hintergrund habe ich einen Gesetzentwurf erarbeiten lassen, der sowohl im Strafrecht als auch im Zivilrecht eine 30jährige Verjährungsfrist ab Eintritt des 21. Lebensjahres des Opfers vorsieht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß, dass es da mancherlei Skepsis gibt, aber ich bin der Überzeugung, dass es unwahrscheinlich wichtig ist, den Opfern diese Möglichkeit offenzuhalten.

Ich komme damit zur Besonderheit des Delikts des sexuellen Missbrauchs. Kinder werden von Menschen missbraucht, zu denen sie ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis haben. Das sind in diesem Fall Eltern, Angehörige, Lehrer, Betreuer und Pfarrer. Sehr oft schweigen sie danach - aus Furcht, aus Scham, weil ihnen gedroht wird, und sie verdrängen. Oft wird ihnen das Geschehen erst nach Jahren und Jahrzehnten wieder bewusst. Das sind die Gründe, weshalb sie erst nach so langer Zeit, oftmals mit einer erstaunlichen Präzision ihre Peiniger nennen können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Aufarbeitung der Tat ist aber gerade für die Opfer von großer Bedeutung, dass man gegen die Täter vorgehen kann.

Darüber hinaus nehme ich mich der Frage an, ob eine Meldepflicht, jedenfalls für Erziehungsinstitutionen, gesetzlich geregelt werden muss. Wir haben besonders geschulte, qualifizierte Staatsanwälte, und wir werden uns darum bemühen, diese Tatsache bekannt und wahrnehmbar zu machen. Das sage ich besonders in Richtung an die Kollegen der SPD. Selbstverständlich müssen solche Ansprechpartner ein Gesicht haben; sonst ist es für Opfer sehr schwer, sich an sie zu wenden. Wir setzen uns auch dafür ein, dass gerade diese Verfahren, ihrer Sensibilität entsprechend, so zurückhaltend behandelt werden, was die Presse- und die Öffentlichkeitsarbeit anbetrifft, wie es ihrer Besonderheit entspricht.

Zum Dringlichkeitsantrag der SPD und der GRÜNEN: Ich bin gern bereit, über den Stand der Ermittlungen und der Vorermittlungen im Landtag Bericht zu erstat

ten. Man wird sehen müssen, welche Daten zu Fällen aus der Vergangenheit zur Verfügung stehen. Ich kann nur über das berichten, was wir wissen. Ich sichere Ihnen aber mit Überzeugung zu, dass wir auch das in aller Gründlichkeit prüfen. Sie werden jederzeit Informationen zur Strafverfolgung bekommen. Ich bitte aber noch einmal darum, differenzierte Betrachtungen auch als solche zu sehen und gemeinsam für die Opfer zu arbeiten. Das sind wir ihnen schuldig.

(Beifall bei der CSU)

Kollege Arnold zeigt eine Kurzintervention an. Dann erteile ich Ihnen dafür das Wort.

Frau Staatsministerin Dr. Merk, Sie sprechen von differenzierter Betrachtungsweise. Ich habe ein Interview mit Ihnen zur Aufklärungsarbeit in der "Süddeutschen Zeitung" gelesen. Im Zusammenhang mit den Kirchen haben Sie dabei gesagt: Es läuft manches nicht so, wie es laufen sollte. Mir ist da ein Verdacht gekommen. Vielleicht könnten wir jetzt differenzieren, und Sie könnten uns sagen, was da nicht so gelaufen ist, wie es hätte laufen sollen, oder betraf das laufende Ermittlungen, sodass Sie dazu nichts sagen können?

Bitte, Frau Minister.

Das betrifft die Tatsache, dass bis zu dem Zeitpunkt, zu dem ich das gesagt habe, nicht alle Verdachtsmomente an die Staatsanwaltschaften direkt herangetragen wurden, sondern dass manche Verdachtsmomente auf anderen Wegen an die Staatsanwaltschaften kamen. Ich habe nach Gesprächen mit Verantwortlichen der Kirche die Zusage, dass alle Verdachtsmomente an uns weitergeleitet werden. Das war der Hintergrund. Wir arbeiten mit den Kirchen jetzt in den Bereichen sehr gut zusammen, in denen bereits bekannt ist, dass Verdachtsmomente bestehen. Hier sind die Kirchen sehr offen und haben uns wirklich in jeglicher Hinsicht unterstützt. Das muss man bei differenzierter Betrachtungsweise selbstverständlich auch betonen.

Vielen Dank, Frau Minister. Weitere Wortmeldungen oder Interventionen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/4101 - das ist der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Vielen Dank. Das sind fast alle Fraktionen des Hauses. Enthaltungen? - Gegenstim

men? - Bei Gegenstimmen der Freien Wähler und von Frau Dr. Pauli bei Zustimmung von CSU, SPD, FDP und GRÜNEN ist der Antrag angenommen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/4127 - das ist der Antrag der SPD-Fraktion - seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Dieses Mal waren es alle Fraktionen und Frau Dr. Pauli. Enthaltungen? - Gegenstimmen? Damit ist der Antrag einstimmig angenommen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/4128 - das ist der Antrag der Fraktion der Freien Wähler seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen der Freien Wähler, der SPD und Frau Dr. Pauli. Gegenstimmen? - Das sind die Fraktionen der CSU, der FDP und einzelne Stimmen der GRÜNEN. Enthaltungen? - Das sind im Wesentlichen die GRÜNEN. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Volkmar Halbleib, Franz Schindler u. a. und Fraktion (SPD) Steuerhinterzieher nicht straffrei davonkommen lassen (Drs. 16/4102)

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist Herr Kollege Halbleib für die SPD-Fraktion. Ich darf Ihnen das Wort erteilen.

Herr Präsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Herr stellvertretender Ministerpräsident - Sie beide brauche ich bei meinem Beitrag noch -, liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich müssen die Staatsregierung wie jede andere Landesregierung und auch der Bund jedes Angebot zum Ankauf von Steuerdaten sorgfältig prüfen. Maßgeblich sind die Substanz des Angebots, der Ausschluss von Trittbrettfahrern und die fiskalische Ergiebigkeit. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Freistaates erwarten aber zu Recht, dass diese Prüfung unverzüglich, das heißt, ohne schuldhaftes Zögern, erfolgt.

Leider ist mittlerweile viel Zeit verstrichen, seit dem Freistaat Bayern die Angebote unterbreitet worden sind, und Tag für Tag wachsen die Zweifel, ob eine solche unverzügliche Prüfung stattfindet oder ob diese Prüfung länger dauert als notwendig und das Zögern in Wahrheit andere als fachliche Gründe hat.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, die Staatsregierung hat leider bisher wenig dazu beigetragen, solche Zweifel auszuräumen. Die immer gleichen stereotypen Äußerungen

des Finanzministers verstärken diese Zweifel eher, als dass sie sie entkräften, und diese Zweifel - ich sage es offen heraus - wachsen auch bei uns. Denn durch die bisher gezeigte Uneinigkeit innerhalb der Staatsregierung erweckt die Staatsregierung in der Öffentlichkeit zunehmend den Eindruck, den Ankauf von Steuerdaten zu verzögern und Entscheidungen immer weiter auf die lange Bank zu schieben oder überhaupt zu vermeiden. Der Eindruck wächst, dass dies vor allem deshalb passiert, um den völlig unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Koalition von CSU und FDP Rechnung zu tragen.

Dieses Verhalten trifft in der Bevölkerung - das weiß ich aus vielen Gesprächen - auf völliges Unverständnis, und die Bürger haben auch recht. Der gelbe Teil der Koalition sagt "hü"- Steuerdaten nicht kaufen -, ein Teil des schwarzen Teils sagt "hott" - Steuerdaten kaufen -, und ein anderer Teil des schwarzen Teils sagt "hü" und "hott" zugleich. Beredte Beispiele hat die letzte Plenarsitzung am 4. Februar gebracht. Herr Kollege Dr. Fischer hat sich in der Debatte sogar zu der Aussage verstiegen, der Ankauf von Steuerdaten sei mit der staatlichen Unterstützung des Folterns von Menschen zu vergleichen. Herr Dr. Fischer, heute wäre die Gelegenheit, sich für diesen unsäglichen Vergleich zu entschuldigen.

(Beifall bei der SPD)

Aber auch die Intervention des stellvertretenden Ministerpräsidenten und sein Schreiben an den Ministerpräsidenten zeigen, dass die FDP nicht bereit ist, das Notwendige zu tun. Herr Kollege König von der CSU hat dagegen ausgeführt, dass es nicht nur geboten, sondern unumgänglich ist, die Daten zu kaufen. Herr von und zu Guttenberg hat erklärt, er persönlich habe ein Problem damit. Die Bürger haben den Eindruck, die schwarz-gelbe Koalition in Bayern ist nicht handlungsfähig und nicht handlungswillig, wenn es um die Bekämpfung der Steuerhinterziehung durch den Ankauf von Steuerdaten geht.

(Beifall bei der SPD - Dr. Andreas Fischer (FDP): Handlungsfähig im Sinne der Rechtssicherheit!)

Das kommt nicht von ungefähr. Denn auch die schwarzgelbe Landesregierung in Baden-Württemberg hatte nicht die Kraft für eine solche Entscheidung. Die Bürger in Bayern empfinden es so: Bei der allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung kann es dieser Regierung gar nicht kämpferisch und schnell genug gehen. Bei der Bekämpfung der Steuerkriminalität von Wohlhabenden oder Reichen haben sie den Eindruck, eine seltsame Unentschlossenheit, Langsamkeit und Nachsichtigkeit vorzufinden.

(Beifall bei der SPD)

Zugleich verfestigt sich bei manchen in der Bevölkerung der Eindruck, dass der Ankauf auch deshalb verzögert und auf die lange Bank geschoben wird, um möglichst vielen Steuerhinterziehern die derzeit noch zur Straflosigkeit führende Selbstanzeige zu ermöglichen. Staatsminister Fahrenschon hat in der Plenardebatte am 4. Februar wörtlich erklärt - Zitat -:

Den Betroffenen kann man von dieser Stelle des Landtags aus nur raten, so schnell wie möglich eine steuerliche Selbstanzeige abzugeben. Diese Selbstanzeige ist die goldene Brücke zur Straffreiheit bei Steuerhinterziehung, und diese Brücke ist noch offen.