Protocol of the Session on February 4, 2010

Für die FDP hat sich Herr Dr. Kirschner zu Wort gemeldet. Sie sind dran, Herr Dr. Kirschner.

(Abgeordnete Simone Tolle (GRÜNE) erhebt sich von ihrem Platz)

- Wollten Sie eine Zwischenfrage stellen?

(Zuruf der Abgeordneten Simone Tolle (GRÜNE))

Sie sind dran, Herr Dr. Kirschner, glauben Sie es mir. Da müssen auch meine grünen Kolleginnen warten, bis sie an der Reihe sind.

(Beifall)

Nein, keinen Beifall von der falschen Seite!

(Allgemeine Heiterkeit)

Bitte, Herr Dr. Kirschner.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn eine Dame zu mir sagt: Sie sind dran, dann bin ich im wahrsten Sinne des Wortes jetzt dran.

Spaß beiseite: Das Thema, das wir heute behandeln, ist nicht zum Lachen. Es geht wieder um Anträge, die dazu führen sollen, in Bayern Arbeitsplätze zu erhalten. Ich glaube, wir müssen uns zum Teil auch mit der Ver gangenheit beschäftigen. Ich habe festgestellt, dass das die Freien Wähler mit Hingabe tun.

Im Grunde genommen wollen wir zwei Dinge. Erstens wollen wir die Ist-Situation für die Menschen, für die be troffenen Mitarbeiter sozial verträglich abschwächen, wie es Herr Dr. Weiß dankenswerterweise hinreichend ausgeführt hat. Wir müssen zwischen Personen diffe renzieren, die in Altersteilzeit gehen können, und an deren und so einen entsprechenden Ausgleich schaf fen. Mir und uns bereiten vor allen Dingen die Auszubildenden die größte Sorge, die zukünftig nicht mehr in den Markt eintreten können, weil die Region zu schwach ist. Wir haben schon Einwirkungsmöglichkei ten. Ich bedanke mich auch bei Martin Zeil ganz be sonders, der in den letzten 24 Stunden

(Beifall bei der FDP)

mit den betroffenen Mitarbeitern und der Gewerkschaft, mit dem Landrat, aber auch mit dem Vorstand der Sie mens AG verschiedenste Gespräche dahingehend ge führt hat, wie die Folgen abgeschwächt werden können. Das ist der erste Punkt.

Zweitens. Wenn man ein Unternehmen führt, kommt man oftmals an betriebswirtschaftlichen Entscheidun gen nicht vorbei. Wir können von Siemens oder von anderen Unternehmen, egal, wie sie heißen mögen, nicht verlangen, eine betriebswirtschaftlich notwendige Entscheidung unendlich hinauszuzögern. Den Vorwurf, den ich mir im Hinblick auf den großen Konzern erlaube, ist, dass solche Entscheidungen - davon bin ich über zeugt - nicht von heute auf morgen fallen, sondern von langer Hand vorbereitet sind. Traurig an der Situation ist, dass die Mitarbeiter dann überrascht und innerhalb kürzester Zeit entlassen werden. Ich bin auch davon überzeugt, dass diese Entscheidung deswegen schon lange geplant ist, weil wahrscheinlich in Tschechien be reits ein Werk aufgebaut worden ist, um auch dort den Markt zu erschließen, und dieses Werk mittlerweile we sentlich mehr Mitarbeiter beschäftigt. Ich sage Ihnen etwas aus eigener Praxis. Bei mir gibt es auch einen Motorenhersteller, dessen Umsätze mittlerweile nach haltig um 50 % eingebrochen sind. Statt 90.000 Moto ren stellt er nur noch 50.000 Motoren her. Es geht einfach nicht mehr. Ihm stellt sich die Frage, ob er ein Werk schließen muss. Wahrscheinlich schließt er das Werk in Tschechien, weil es kleiner ist, und verlagert die Produktion wieder nach Deutschland. Das ist die Kehrseite der Medaille.

Wir erwarten von Siemens Alternativinvestitionen, die dazu führen, dass dort Produkte gefertigt werden, die in dieser Region zukünftig und auch langfristig Arbeits plätze sichern. Ein Konzern in dieser Größenordnung, mit dieser Vielfalt und Ausprägung muss dies möglich machen. Ich meine, das ist keine unangemessene, son dern eine angemessene Forderung. Das muss möglich sein.

Ich habe noch zwei Punkte. Wir lehnen den SPD-Antrag deswegen ab, weil in ihm steht, dass wir die 840 Ar beitsplätze erhalten sollen. Wir als Politiker und auch der Wirtschaftsminister sind dazu nicht in der Lage.

(Zuruf von der SPD: Dass Sie sich dafür einsetzen sollen!)

- Wir setzen uns dafür ein; das ist überhaupt keine Frage; das haben Sie gehört.

Wir lehnen den Antrag der Freien Wähler deswegen ab, weil er sich ausschließlich mit Dingen wie der Regio nalförderung und dem beschäftigt, was Siemens erhal ten hat. Mittlerweile kann man sich das im Internet herunterladen.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Trotzdem dürfen sie das fragen!)

- Klar; sie können alles fragen.

Ein letzter Punkt beunruhigt mich langfristig und strate gisch sehr. Im Grunde genommen gibt es mehrere solcher Anträge, von Quelle bis jetzt hin zu Siemens. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage Deutschlands und auch Bayerns werden wir solche Anträge im Laufe des Jahres, wie ich meine, leider noch öfter haben. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Was bedeutet das für uns als Politiker, als Vertreter der Menschen in Bay ern? Wir können lamentieren; wir können Dinge for dern, die nicht realistisch sind. Auf alle Fälle können wir eines tun und uns eines ersparen, wie ich meine: den Menschen Hoffnung zu machen, wenn es in solchen größeren Strukturen und solchen Monostrukturen keine Hoffnung gibt. Wir können aber eines tun: Dinge in der Regionalpolitik organisieren, insbesondere für den ländlichen Raum. Das gilt von Passau bis nach Hof; das gilt von Hof bis nach Kempten und Berchtesgaden. Ich habe größte Sorge, dass in unserem ländlichen Raum die Arbeitsplätze nicht nur wegfallen, sondern dass dort auch keine neuen mehr entstehen, weil wir eine Stadt Land-Flucht haben.

(Zuruf von der SPD: Es wird nichts dagegen getan!)

Im Grunde genommen lautet unser Auftrag, langfristig dahingehend zu wirken, dass wir wieder Unternehmer

bekommen - ich wiederhole: dass wir Unternehmer be kommen. Es nützt nichts, Dinge zu fordern, wenn wir keine Unternehmer haben. Wir bekommen keine Un ternehmer, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn wir diese Menschen bei der Existenzgründung mit Bürokratie und mit all diesen Dingen nachhaltig belas ten.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Niemand mag sich mehr selbstständig machen. Das selbe gilt, wenn wir sie mit arbeitsrechtlichen Vorschrif ten belasten, die im internationalen Vergleich nicht hinnehmbar sind. Schauen Sie doch einmal, wie viele Handwerksbetriebe heute noch weitergeführt werden, in denen es 50-, 60- und 70-Stunden-Wochen gibt, weil wir Bürokratie und Belastungen haben, aufgrund derer sich die Menschen nicht mehr selbstständig machen können,

(Ulrike Gote (GRÜNE): Märchen!)

weil wir Banken haben, die Existenzgründern keine Kredite mehr ausreichen. Wir lamentieren, dass wir keine Arbeitsplätze haben. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass es wieder Spaß macht, Unternehmer zu sein.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Die nächste Wortmeldung stammt von Frau Kollegin Tolle, BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN.

(Von der Rednerin nicht au torisiert) Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kirschner, Sie haben ein fatales Signal ausgesandt. Sie haben a) ge sagt, dass es keine Hoffnung gibt und b), dass die Lage schon wieder in Ordnung sei, wenn wir nur ein bisschen entbürokratisieren. Das glaube ich nicht. Der angekün digte Arbeitsplatzabbau in der Region Rhön-Grabfeld hat die Region erschüttert. Herr Kollege Weiß, ich glau be, dass Kapitalismuskritik sogar angebracht wäre. Von einer Diplombetriebswirtin ist sie auch legitim; ich will aber darauf verzichten. Kapitalismuskritik ist aber viel leicht deshalb ganz gut, da es heute die Region RhönGrabfeld trifft und morgen eine andere Region. Wir müssen endlich beginnen, aus dieser Geschichte Leh ren zu ziehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich will die Region Erlangen ausdrücklich einbeziehen. Die Region Rhön-Grabfeld steht dafür exemplarisch.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Von der Rednerin nicht au torisiert) Nein; stellen Sie die Zwischenfrage bitte am Ende; ich möchte meine Argumentationskette aufbau en.

Die Gewerkschaft hat ein Flugblatt herausgegeben, auf dem steht: Die Rhön steht auf und lässt sich Arbeits platzabbau nicht gefallen. Das halte ich für richtig. Ich glaube, genau ein solches Signal muss heute aus dem Bayerischen Landtag kommen, nicht eine Aussage wie: Es hat sowieso keinen Sinn.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es handelt sich um ein regionales Erdbeben; denn es droht der Wegfall von 3 % der sozialversicherungs pflichtig Beschäftigten. Es geht nicht nur um 840 Ar beitsplätze. Es geht um sehr viel mehr. Der Landrat von Rhön-Grabfeld spricht von 1.100 Arbeitsplätzen.

In diesem Zusammenhang, Herr Ministerpräsident, möchte auch ich meine Kritik an Ihrer Äußerung in der Presse vom 28. Januar, mit der Sie Ihr Verständnis für die Entscheidung von Siemens zum Ausdruck gebracht haben, sehr deutlich aussprechen. Diese Äußerung hat vor allen Dingen eines gezeigt. Sie haben den Arbeits platzabbau der Krise zugeschrieben. Diese Äußerung war inkompetent, weil der Arbeitsplatzabbau nicht der Krise geschuldet ist, sondern seine Ursache in einer unternehmerischen Entscheidung von Siemens hat. Siemens will abwandern, weil Siemens trotz eines Net togewinns im letzten Quartal von 1,5 Milliarden Euro Kosten sparen will. Herr Kollege Weiß, dieser Nettoge winn ist umso bemerkenswerter, wenn man weiß, dass Analysten eigentlich mit einem Rückgang in Höhe von einem Fünftel gerechnet hatten.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der CSU-Antrag ist eigentlich schon die Kapitulation. Herr Ministerpräsi dent, ich stelle Ihnen die Frage eines "Mainpost"-Le sers, der sehr treffend geschrieben hat: Verhält sich so ein mutiger bayerischer Löwe? Jedes fränkische Haus kätzchen verteidigt seine Kinder entschlossener.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir brauchen heute ein anderes Signal. Wir brauchen das Signal, dass der Bayerische Landtag die geplanten Stellenkürzungen nicht hinnimmt. Wir fordern Siemens auf oder sollten dies zumindest tun, schlüssig nachzu weisen, warum es so und nicht anders gehen soll. Wir sollten die Firma Siemens beim Wort nehmen, die sich in ihren unternehmerischen Leitlinien zur Corporate Responsibility bekennt. Man kann diese Worte nicht einfach auf die Homepage schreiben und zur Mitarbei

termotivation nutzen, aber wenn es darum geht, Farbe zu bekennen, diese Zusage nicht einlösen. Siemens versteht unter Corporate Responsibility, herausragen de innovative Leistungen für die Gesellschaft unter Be achtung ethischer, ökologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Belange zu erbringen. Hier muss sich Siemens fragen lassen und Sie müssen diese Frage für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger stellen: Warum haltet ihr euch nicht an eure ethischen Grundsätze?

Eines möchte ich ebenfalls sagen: Sie und die Arbeit nehmerinnen und Arbeitnehmer kommen nicht als Bittstellerinnen und Bittsteller zu Siemens. Die Men schen in Bad Neustadt und Erlangen haben Know-how und Innovationspotenzial, das Siemens nicht einfach wegwerfen darf.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die Menschen in Bad Neustadt und Erlangen verfügen über die Gestaltungskraft für eine Kompensation. Meine Forderungen an Siemens lauten: Nutzt die Fä higkeiten der Menschen in der Region und gestaltet den Strukturwandel mit ihnen gemeinsam. Mein Ziel ist es, die Arbeitsplätze, die wegen der Verlagerung nach Tschechien wegbrechen, zu kompensieren. Mit dieser Vorgabe muss die Staatsregierung Gespräche mit Sie mens führen. Wer gestern die Unternehmensnachrich ten gelesen hat, der konnte sich dort darüber informie ren, dass Siemens in den nächsten drei Jahren insgesamt 250 Millionen Euro in die Energietechnik in Indien investieren und dort 8.000 neue Stellen schaffen wird.

Ich möchte, dass Sie bei Siemens nachfragen, warum im Rahmen dieser Investition für die Rhön und für Er langen nichts an Arbeitsplätzen drin ist. Herr Minister präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, jetzt gilt es, vehement und nachdrücklich für eine Region zu kämpfen, die seit Jahren führend bei Innovationen und neuen Geschäftsfeldern ist. So haben es gestern die Landräte der Region Mainfranken noch einmal doku mentiert. Wir werden dem Dringlichkeitsantrag der SPD und auch dem Dringlichkeitsantrag der CSU zustim men, obwohl er Wischiwaschi ist. Zum Antrag der Frei en Wähler werden wir uns der Stimme enthalten. Wir können uns zwar mit vielen Punkten einverstanden er klären, aber eine Task Force hat in Bayern noch nie zu einem Erfolg geführt. Hier wünschen wir uns eine diffe renziertere Betrachtung.

Jetzt gilt es, für eine Region zu kämpfen, deren Bevöl kerung trotz vieler Schwierigkeiten Hervorragendes ge leistet hat. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, für diese Menschen ist es wichtig, dass Sie nicht vorzeitig auf geben, sondern Siemens klarmachen, dass der Staat

ein Zeichen setzt, wenn bei einem Multikonzern Moral und Anstand nicht ausreichen.