Wenn wir vom sozial verträglichen Abbau reden, müs sen wir darauf achten, dass die Firma Siemens wirklich nur so viele Plätze streicht und abbaut, wie dies nicht zum Schaden der Region und der Zukunftschancen vor allem der jungen und leistungsfähigen Menschen in dieser Region ist.
Drittes Ziel muss es schließlich sein, wenn ein Arbeits platzabbau in gewissen Maßen nicht vermeidbar ist, die Folgelasten, die Folgen für die Kaufkraft, die Folgen für Handel und Gewerbe, für die Zulieferer, die Folgen für die Ausbildungsplätze und für qualifizierte Arbeitsplätze abzufedern. Auch insoweit ist die Politik gefragt, damit, wie gesagt, gerade die jungen Menschen bei uns im ländlichen Raum eine Perspektive haben, damit sie, auch wenn Ausbildungsmöglichkeiten, Zukunftschan cen und Arbeitsplatzmöglichkeiten bei der Firma Sie mens nicht mehr im bisherigen Umfang zur Verfügung stehen, die Perspektive haben, dazubleiben, weiter in Lohn und Brot zu sein und sich Wohlstand zu erarbei ten.
Das sind die drei großen Ziele, die wir haben müssen. Aber oberstes Ziel - ich wiederhole es an dieser Stelle noch einmal - ist ein ernsthaftes Zugehen der Bayeri schen Staatsregierung auf die Konzernspitze von Sie mens, ein Zugehen auf höchster Ebene und auf gleicher Augenhöhe, damit möglichst viele jener Ar
Den Menschen in der Region - das möchte ich Ihnen auch sagen - ist mit irgendeiner fundamental daher kommenden Kapitalismuskritik nicht geholfen. Den Menschen in der Region ist auch nicht damit geholfen, dass man sich an irgendwelchen Äußerungen, bei spielsweise des Ministerpräsidenten, aufhängt. - Mir hat seine erste Äußerung auch nicht gefallen. - Den Menschen in der Region ist damit geholfen, dass wir als Landtag ernsthaft hinter ihnen stehen und einfordern, dass die Staatsregierung, dass wir alle, die wir politisch Einfluss haben, auf die Firma Siemens zugehen und im Rahmen dieser drei genannten Ziele dafür sorgen, dass möglichst wenig Arbeitsplätze abgebaut werden und die Menschen in meiner Heimat eine Zukunftsperspek tive haben. Dafür - das sage ich Ihnen ganz ehrlich nehme ich jede Hilfe, die ich bekommen kann.
Danke schön, Herr Dr. Weiß. Für die SPD hat sich Frau Dittmar zu Wort gemeldet. Frau Dittmar, ich bitte Sie nach vorn.
(Von der Rednerin nicht auto risiert) Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dr. Weiß hat es gesagt: Eine Region steht unter Schock. Die Ankündi gung der Siemens AG, allein im Werk Bad Neustadt innerhalb der nächsten zwei Jahre 840 Arbeitsplätze abbauen zu wollen, hat im Landkreis Rhön-Grabfeld und in Unterfranken ein wahres Beben, eine Welle der Empörung ausgelöst.
Ich möchte an dieser Stelle nicht vergessen, auch die 300 Stellen im mittelfränkischen Erlangen zu erwäh nen. Denn auch dahinter stehen Menschen und Schick sale.
Der Schock, das Entsetzen, die Angst sitzen tief, und angesichts des vor wenigen Tagen vermeldeten Re kordgewinns der Siemens AG von 1,5 Milliarden Euro allein im letzten Quartal 2009 herrscht völliges Unver ständnis für die Entscheidung des Siemens-Manage ments. - Anders als bei Ihnen, Herr Ministerpräsident. Ich darf Ihnen sagen: Die Menschen vor Ort haben kein Verständnis. Sie sind sauer, sie sind enttäuscht über die von Ihnen getroffene Aussage, Sie hätten Verständ nis für die Entscheidung des Managements.
Das war ein absolut falsches Signal an die Arbeitneh merinnen und Arbeitnehmer und deren Familien, die um ihre Arbeitsplätze, um ihre Zukunft bangen.
Auch ich halte diese Aussage für einen Skandal, und ich bin dem Kollegen Dr. Weiß dankbar, dass er damit ebenfalls nicht einverstanden ist.
Meine Damen und Herren, ich akzeptiere diese Ent scheidung auch nicht. Sie ist eine Entscheidung zum strukturellen Stellenabbau, eine Entscheidung, die nicht wirtschaftlichen Problemen geschuldet ist, son dern einzig und allein der Gewinnmaximierung und dem Befriedigen von Aktionärsinteressen dient.
Diese Entscheidung hat nicht nur für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch für die gesamte Region Rhön-Grabfeld und die Nach barlandkreise Bad Kissingen und Haßberge katastro phale Folgen. Diese Region ist von jeher struktur schwach und nicht übermäßig stark besiedelt und wurde schon durch die Strukturreformen im Gesund heitswesen, vor allem im Kur- und Rehabereich, stark gebeutelt - übrigens auch unter Ihrer Verantwortung, Herr Ministerpräsident, damals als Gesundheitsminis ter. Sie kann sich zwar seit der Grenzöffnung die Mitte Deutschlands nennen, hat aber seitdem mit einem ext remen Fördergefälle zu Thüringen zu kämpfen.
Kollege Dr. Weiß hat es auch gesagt: Eigentlich sind es viel mehr als 840 Arbeitsplätze. Zu denken ist auch an Zulieferer und Speditionen. Das Wirtschaftsreferat des Landratsamts geht von 200 weiteren direkt vom Stel lenabbau bei Siemens betroffenen Arbeitsplätzen aus. Ein solcher Verlust von Arbeitsplätzen innerhalb von zwei Jahren wäre kaum zu verkraften. Die Auswirkun gen wären in ganz Unterfranken und bis nach Thürin gen zu spüren.
In unserem Landkreis Rhön-Grabfeld steigt die Arbeits losenquote wieder. Ende 2009 lag sie noch bei 4,5 %; zwischenzeitlich liegt sie bei 5,4 %. 1.980 Menschen suchen einen Job, und wirklich besorgniserregend ist die Tatsache, dass die Jugendarbeitslosigkeit im ge samten Raum zunimmt. In der Rhön gibt es schlicht und ergreifend zu wenige Arbeitsplätze für junge Men schen.
Nun sollen nochmals 840 Arbeitsplätze wegfallen. Da ich der Ankündigung, dies solle ohne betriebsbedingte Kündigungen vonstatten gehen, wenig Glauben schen
ke, gehe ich davon aus, dass eine Sozialauswahl hauptsächlich junge Menschen treffen wird. Die Folge wird ein Abwandern von jungen Menschen und Famili en sein: weniger Arbeitsplätze, weniger Menschen, schwächere Kaufkraft, schwächere Infrastruktur - ein Teufelskreis.
Herr Kollege Dr. Weiß hat es kurz angeschnitten. Ich möchte es verdeutlichen: Der Arbeitsplatzabbau in der geplanten Höhe trifft den Landkreis Rhön-Grabfeld min destens mit der gleichen Härte wie die Quelle-Schlie ßung den Großraum Nürnberg/Fürth traf oder immer noch trifft.
Durch die Quelle-Schließung gingen im Großraum Nürnberg knapp 0,5 % der sozialversicherungspflichti gen Arbeitsverhältnisse verloren; im Landkreis RhönGrabfeld wären es 3 %. Aber auch in den benachbarten Wirtschaftsräumen Schweinfurt, Fulda und Südthürin gen stehen kaum Alternativen zur Verfügung. Man kann hieran ganz klar erkennen, wie schwach die Region wirtschaftlich aufgestellt ist, wie abhängig sie von ein zelnen Branchen ist und wie wichtig es deshalb - un abhängig von Siemens - für diese Region ist, dass sie durch geeignetes Regional-Marketing und Wirtschafts förderungsmaßnahmen wettbewerbsfähiger gemacht und gestärkt wird.
Die Politik ist jetzt gefordert, und ganz speziell Sie, Herr Ministerpräsident. Stellen Sie sich an die Speerspitze einer breiten gesellschaftlichen Bewegung aus Arbeit nehmern, Gewerkschaften und Kommunalpolitikern. Kämpfen Sie für den Erhalt der Arbeitsplätze und ak zeptieren Sie nicht widerstandslos die Unternehmens entscheidung!
Machen Sie Herrn Löscher und Co. klar, dass die Sie mens AG eine sozial-ethische Verantwortung hat: eine Verantwortung für den Standort, der bislang durch seine Leistungsfähigkeit überzeugt hat, eine Verant wortung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bis lang sehr stolz darauf waren, Siemensianer zu sein, und eine Verantwortung für die gesamte Region, einer Regio, die Siemens über 72 Jahre ein verlässlicher kommunaler Partner war.
Siemens ist eines der wenigen Unternehmen, das welt weit agiert und gesund und gut aufgestellt ist, ein Global Player, der das Krisenjahr mit einer Gewinnsteigerung von fast 25 % im vierten Quartal 2009 abschließt. Ver deutlichen Sie den Vorständen, dass die Auftragsbü cher der Unternehmen auch in der Vergangenheit mit öffentlichen Aufträgen gefüllt wurden. Und: Machen Sie den Vorständen deutlich, dass sie trotz des Korrupti
onsskandals, in den Siemens verwickelt war, nicht aus den Auftragslisten der öffentlichen Hand gestrichen wurden.
Auch wenn Siemens die Produktlinie aus strategischen Gründen aufgibt, bin ich davon überzeugt, dass Sie mens sowohl die Finanzkraft als auch die organisatori sche und technische Gestaltungskraft aufbringen kann, um vor Ort entsprechende Kompensationen zu schaf fen.
Und deshalb, Kolleginnen und Kollegen von der CSU und der FDP, bereitet mir Ihr Antrag ein bisschen Bauchschmerzen; denn ich kann mich beim Lesen des Antrags des Eindrucks nicht erwehren und habe auch bei den letzten Ausführungen von Dr. Weiß den Ein druck gewonnen, dass Sie sich mit dem Verlust von 840 Arbeitsplätzen in der Region schon abgefunden haben und dass Sie bereits Szenarien aufbauen, wie es danach weitergehen kann.
Da machen Sie den zweiten vor dem ersten Schritt. Wir werden dem Antrag der CSU trotzdem zustimmen; denn er ist letztendlich so windelweich formuliert, dass man eigentlich gar nicht dagegen sein kann. Ich bitte aber auch um Zustimmung zu unserem Antrag, denn es ist wichtig, dass wir ein breites Band der Solidarität mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, mit den Kommunalpolitikern vor Ort, aber auch mit der gesam ten Region knüpfen.
Sehr geehrte Frau Präsi dentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Die beiden Vorredner haben es gesagt: Wir sind einmal mehr gezwungen, hier im Landtag im Zusammenhang mit den vorliegen den Dringlichkeitsanträgen darüber zu sprechen, dass es in einer Region erhebliche Arbeitsplatzverluste zu beklagen gibt; dieses Mal in einer wirklich struktur schwachen Region, dem Kreis Rhön-Grabfeld, einem typischen ländlichen Raum, wie wir ihn hier oft strapa zieren. Doch im Gegensatz etwa zu Quelle oder Nacht mann geht es in diesem Fall nicht darum, einen kranken Patienten - sprich: einen kranken Konzern, der insol vent ist - gesund zu machen, sondern darum, über die
Entscheidung eines gesunden Konzerns den Kopf zu schütteln. Siemens, einem der weltweit größten Kon zerne, geht es bekanntermaßen nicht schlecht, was erst die kürzlich dargebotenen Gewinnausschüttungen gezeigt haben. Insofern ist es nicht einzusehen, dass eine Region, die für die Weiterentwicklung und Gewinn maximierung eines Unternehmens jahrzehntelang gut war, durch die scheinbar knallharte betriebswirtschaft liche Sicht der Siemens AG mit einem Federstrich in allergrößte Turbulenzen gebracht werden soll und dass Sie dafür, Herr Ministerpräsident, auch noch Verständ nis zeigen. Ich kann das, genauso wie die beiden Vor redner, nur missbilligen. Das werde ich nachher nochmals ausführen. Ich hoffe aber, Sie haben den Mut und bringen sich hier nochmals ein.
Das Vorhaben, 840 Arbeitsplätze aus Bad Neustadt und 300 Arbeitsplätze aus Erlangen einfach nach Tschechien zu verlagern, ist in höchstem Maß bedenk lich und zu verurteilen. Doch Bedauern hilft nicht, da muss ich der Frau Kollegin Dittmar recht geben. Ich sehe im Antrag von CSU und FDP keine Zielstrebigkeit, wie man hier vorgehen will. Hier ist die Staatsregierung gefordert - das wünsche ich mir sehr -, Herr Minister präsident, unter Ihrer Beteiligung umgehend und nach drücklich auf höchster politischer Ebene mit der Füh rungsebene der Siemens AG abzuklären, durch welche Maßnahmen in Bad Neustadt a. d. Saale und in Erlan gen viele Arbeitsplätze dauerhaft erhalten werden kön nen. Ich fordere Sie dazu ganz bewusst auf, und zwar wegen der Äußerung, die Sie neulich getätigt haben, die den Menschen in dieser Region wehgetan hat und die sie Verachtung hat spüren lassen; aber auch des wegen, weil Minister Zeil noch nicht den nachdrückli chen Elan zeigt, um diese Probleme ernsthaft anzuge hen, wie wir gestern bei einem Gespräch vor Ort gesehen haben.
Insofern müssen hier von der Staatsregierung aus ei gener Initiative mit dem Management, dem Betriebsrat und den regionalen politischen Amtsträgern verstetigt Gespräche geführt werden, um sich über den Arbeits platzabbau oder über ähnliche Dinge wie die Sozial verträglichkeit abzustimmen und dann den Mitarbeitern und Familien entsprechende Hilfe zu leisten.
Die Bedeutung, die dieser Arbeitsplatzabbau für die Region hat, hat die Frau Kollegin Dittmar gerade dar gelegt. In absoluten Zahlen würde sich die Anzahl der Arbeitslosen in der Region Rhön-Grabfeld auf der Stelle um ein Viertel erhöhen. Da geht es also nicht um 0,5 % der Arbeitslosen wie im Raum Nürnberg, sondern um ein Viertel, also um eine wahre Katastrophe für diese Region. Um dieser Bedeutung gerecht zu werden, for dern wir in diesem Dringlichkeitsantrag, eine Task
Force "Rhön-Grabfeld" einzurichten, in der vor allem Vertreter der Staatskanzlei, des Ministeriums für Wirt schaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie und des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen gemeinsam mit den politischen Vertretern der Region an einer dauerhaften Stärkung der Region ar beiten und Kompensationsmöglichkeiten für den even tuellen Arbeitsplatzverlust schaffen.
Ein weiterer Bestandteil unseres Dringlichkeitsantrags ist es darüber hinaus, einen Bericht vorzulegen, welche strukturellen Fördermaßnahmen es in den letzten zehn Jahren durch die Staatsregierung für diese Region ge geben hat. Es ist wichtig, das einmal zu beleuchten, um zu sehen, was man da als Input hineingegeben hat, um hier eine strategische Ausrichtung für ein Gesamtent wicklungskonzept zu bekommen. Nach unserer Ansicht kann hier auch der Siemens-Konzern nicht ganz unge schoren bleiben und außen vor gelassen werden. Es sollte vielmehr einmal überprüft werden, welche För dermittel die Siemens AG in den letzten 20 Jahren an den Standorten Bad Neustadt a. d. Saale und Erlangen für Maßnahmen vom Freistaat und vom Bund bekom men hat.
Unser Dringlichkeitsantrag ist etwas detaillierter und zielführender formuliert. Deswegen bitte ich im Interes se der Menschen in der betroffenen Region um Zustim mung zu unserem Dringlichkeitsantrag.