Protocol of the Session on December 1, 2009

Wir können in der Erwachsenenbildung wirklich keinen Stillstand brauchen. Frau Tolle, Sie haben schon darauf hingewiesen: Am 26.06.2007 haben die CSU-Bildungspolitiker einen Antrag vorgelegt, der darauf abzielte, dass die Staatsregierung das Erwachsenenbildungsgesetz anpassen und insbesondere Qualitätsverbesserungen, Qualitätssteigerungen und Qualitätssicherungen bringen sollte. Immerhin, so sage ich, ist so etwas im Jahr 2007 vorgesehen worden. Dann wurde die Beratung des Antrags im Ausschuss zweimal vertagt. Im Februar 2008 hatten wir endlich einmal einen Beschluss. Im Mai 2008 legte das Ministerium einen Zwischenbericht vor und darin war zu lesen: Alles ist gut, wir reden weiter mit den Trägern. - Jetzt sind wir am Ende des Jahres 2009, und was ist passiert? - Gar nichts! Das ist Stillstand.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Kollegin Werner-Muggendorfer hat das Bild vom Bildungselefanten gebraucht. Ich hoffe, dass Sie nach einer langen Schwangerschaft diesen Bildungselefanten endlich einmal gebären.

Wir betrachten es als wichtig, dass man hier tätig wird, weil Bayern einen besonderen Weiterbildungsbedarf hat; darauf möchte ich noch eingehen. Bayern hat - das wissen wir alle - im Vergleich mit den anderen Bundesländern immer noch eine hohe Quote von Hauptschulabgängern. Das muss uns ein Ansporn sein, um diesen jungen Menschen im Erwachsenenleben die Möglichkeit einer Höherqualifizierung zu bieten.

(Beifall bei der SPD - Wir stellen fest, dass die so- ziale Schere auseinandergeht. Weiterbildung wird immer mehr zu einer Angelegenheit von gut Qua- lifizierten. Das bedeutet, dass sich die Bildungsun- gerechtigkeit in der Schule in der Weiterbildung fortsetzt. Auch das muss uns Anlass sein, um tätig zu werden. - Beifall bei der SPD)

Es gibt erkennbare Disparitäten in Bayern - dieser Gesichtspunkt darf nicht vernachlässigt werden - bei der Teilnahme an Angeboten. Leider hat der jüngste Bil

dungsbericht in Bayern nur die Schulen untersucht. Es gibt keine statistischen Daten über die Weiterbildungsentwicklung in Bayern. Wir erwarten, dass dieses Segment im nächsten Bildungsbericht aufgenommen wird und dazu Zahlen vorgelegt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich behaupte, dass es in der Erwachsenenbildung in Bayern ebenso Disparitäten gibt wie in der Schulbildung.

Ich möchte noch kurz auf unseren Antrag eingehen. Wir haben versucht, mit diesem Antrag einige Grundlinien zu ziehen, die ich ein bisschen beschreiben möchte.

Wir wollen erstens einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. In Artikel 1 des Gesetzentwurfs der GRÜNEN wird dieser Anspruch auch erhoben. Er wird allerdings - mit Ausnahme der Bildungsfreistellung - im Gesetzentwurf nicht weiter umgesetzt. Wir fragen uns zum Beispiel: Wo bleibt das Recht auf ein Nachholen von Schulabschlüssen, vielleicht sogar des Abiturs?

(Beifall bei der SPD)

Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass wir über das Nachholen der Schulabschlüsse auch eine Debatte hier im Landtag geführt haben. Kaum hat die Bundesregierung gesagt, wir bezahlen das, wir geben diese Mittel der Bundesagentur für Arbeit, weil die Jugendarbeitslosigkeit zu hoch ist, in dem Augenblick hat Bayern gesagt: Taschen zu, wir finanzieren das nicht mehr. Es gibt vom Land kein Geld mehr für das Nachholen von Schulabschlüssen. Das ist die Erwachsenenbildungspolitik in Bayern. Es wäre überhaupt nicht abwegig gewesen, das, was dadurch eingespart worden ist, für andere Maßnahmen auszugeben. Zum Beispiel könnte man Erwachsenen anbieten, einen mittleren Bildungsabschluss oder das Abitur nachzuholen. Auch das wäre denkbar gewesen. Dann hätte man das Geld wenigstens noch sinnvoll ausgegeben.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zu einem weiteren Punkt. Wo bleibt das Recht auf Zugang zu staatlichen Bildungsinstitutionen? Das ist ganz interessant. Ich habe mir einmal angeschaut, welche Möglichkeiten des Zugangs zu Hochschulen Gasthörer haben. Dafür wird der Nachweis der Hochschulreife verlangt. In Rheinland-Pfalz gilt dagegen folgende Regelung - ich verkürze es einmal -: Als Gasthörer kann man, egal mit welchem Schulabschluss, an eine Hochschule gehen und dort wissenschaftliche Weiterbildung betreiben. In Bayern gilt eine Verordnung, wonach Gaststudierende für die Immatrikulation grundsätzlich der gleichen Qualifikation bedürfen wie Studenten. Das ist das Abitur. Hierbei kann die

Universität Ausnahmen zulassen, wenn jemand mittlere Reife hat, ein besonderes Interesse glaubhaft machen kann und so weiter und so fort. Was heißt es denn, ein besonderes Interesse glaubhaft zu machen? Muss ich mich dafür dreimal an die Hochschule wenden oder muss ich mich an den Gartenzaun hängen und schreien, "Ich will hier rein"? Das sind Beispiele dafür, dass es nur Schranken, aber keinen Zugang zu den Hochschulen gibt.

(Beifall bei der SPD)

Die zweite Grundlinie, die uns wichtig ist, betrifft die Trennung der Zuständigkeiten für die Weiterbildung. Im Sozialbericht wurde nur von der beruflichen Fort- und Weiterbildung geschrieben, aber nichts von der Erwachsenenbildung. Daran sieht man, wie klar diese Bereiche in Bayern noch voneinander getrennt werden. Wir sollten uns auf den Weg machen und nicht an der Humboldtschen Meinung hängen bleiben. Humboldt hat einmal gesagt - ich zitiere:

Was das Bedürfnis des Lebens oder eines einzelnen seiner Gewerbe erheischt, muss abgesondert und nach vollendetem allgemeinem Unterricht erworben werden.

Das heißt, nach dem Vormittag kommt der Nachmittag.

Wird beides vermischt, so wird die Bildung unrein und man erhält weder vollständige Menschen noch vollständige Bürger.

Das war im Jahr 1809. Im Zeitalter des 21. Jahrhunderts sollten wir wesentlich weiter sein.

Eine dritte Grundlinie betrifft die Sicherung des öffentlichen Angebots. Ich könnte jetzt die Frage stellen, wie Sie dazu eingestellt sind, ob wir es uns leisten könnten, die öffentlich verantwortete Weiterbildung aufzugeben und alles privaten Trägern zu überlassen. Ich glaube, auf diese Frage würde ich ein deutliches Nein als Antwort bekommen. Sicher wird jeder sagen: Natürlich muss die öffentliche Weiterbildung bleiben und jeder soll das auch machen können. Wer länger im Landtag ist, weiß es. Ich bin 1998 hierhergekommen. Zwischen 2000 und 2008 hatte die Erwachsenenbildung eine Achterbahnfahrt durchzumachen. Sie erinnern sich. Ministerpräsident Stoiber wollte die Zuschüsse für die Erwachsenenbildung komplett streichen. Gott sei Dank gab es dagegen auch bei der CSU einen Aufschrei. Erst mit dem Doppelhaushalt 2007/2008 haben Sie die Mittel wieder auf jetzt 19,7 Millionen Euro angehoben. Dafür haben Sie sich groß feiern lassen. Ich darf die Bildungspolitiker der CSU jedoch daran erinnern, dass die Erwachsenenbildung ursprünglich 0,6 % des Bildungsetats einnahm. Heute sind es nur noch 0,2 %. Sie können sich ausrechnen, welches Geld der Erwachse

nenbildung zusätzlich zur Verfügung gestellt werden könnte. Es wäre das Doppelte der Zuschüsse, die sie heute bekommt.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zum Schluss. Ich glaube, wir brauchen die öffentliche Verantwortung für die Weiterbildung. Die Träger brauchen Planungssicherheit. Wir brauchen Qualität. Wir brauchen in der Erwachsenenbildung Durchlässigkeit. Wir brauchen aufeinander abgestimmte Systeme der Erst- und Weiterbildung. Wir brauchen trägerübergreifende Bildungsberatung. Wir brauchen eine Bildungszeit. Auch das ist ein wichtiges Element. In diesem Sinne hoffe ich, dass Sie unseren Antrag unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Als nächsten Redner darf ich für die CSU-Fraktion Herrn Kollegen Rüth ums Wort bitten.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die beiden Vorrednerinnen haben ein Bild gemalt, das der Wirklichkeit in Bayern nicht entspricht.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU - Karin Prang- hofer (SPD): Sind Sie blind? - Johanna WernerMuggendorfer (SPD): Haben Sie eine Wahrnehmungsschwäche? )

Wenn Sie mit offenen Augen durch Bayern gehen, sehen Sie, dass Bayern ein innovatives Land ist, in dem Menschen ständig viele und neue Patente entwickeln und in dem die Forschung an erster Stelle steht.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist aber nicht der Erwachsenenbildung zu verdanken!)

Das ist deshalb so, weil sich die Menschen im weiteren Leben und in der weiteren beruflichen Laufbahn weiterbilden und weil wir in Bayern vor allen Dingen sieben Träger der Erwachsenenbildung haben, die hervorragende Arbeit leisten. Das sollten Sie sich einmal vor Augen halten. Wir haben sieben Träger der Erwachsenenbildung, die hier hervorragende Arbeit leisten. Wir sollten heute auch einmal Danke sagen für die Arbeit, die diese Träger geleistet haben.

(Beifall bei der CSU - Karin Pranghofer (SPD): Deshalb werden ihnen die Mittel gekürzt! - Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Sie geben ihnen immer weniger Geld, weil sie so gut arbeiten!)

Es gibt aber auch eine Reihe von Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Wir wissen auch, dass das lebenslange Lernen zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Die Menschen werden immer älter; das Schöne dabei ist, dass sie fit und leistungsfähig bleiben. Auf der anderen Seite haben wir viel zu wenig junge Menschen. Die Geburtenrate könnte höher sein. Daran merken wir, dass es auf Dauer nicht mehr ohne das Engagement der älteren Menschen gehen wird. Insofern ist auf die Erwachsenenbildung ein sehr hohes Augenmerk zu richten.

Der alte Satz "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr" gilt heute längst nicht mehr. Wir haben viele Veränderungen. Der einmal erreichte Schul-, Lehr- oder Studienabschluss reicht nicht mehr aus. Die Menschen müssen sich immer weiterbilden und sich neuen Herausforderungen stellen. Auch die Bildungsbiografien sind in Bewegung geraten. Jeder von uns muss heute bereit sein, kontinuierlich Neues zu lernen, sich weiterzuentwickeln und sein Wissen fortzuentwickeln. Wir wissen auch, dass das Wissen eine neue Halbwertszeit hat. Das heute erworbene Wissen kann morgen bereits überholt sein.

Das lebenslange Lernen ist aber nicht nur auf den Beruf beschränkt. Die Deutschen haben glücklicherweise viel Freizeit, so viel wie selten zuvor. Der dritte Lebensabschnitt nach der Berufstätigkeit dauert im statistischen Durchschnitt bis zu 20 Jahre. Das ist viel Zeit, die sinnvoll verbracht werden will. Schließlich kann nicht alles, mit dem wir uns befassen, nur im streng betriebswirtschaftlichen Sinn nützlich sein. Vieles ist sinnvoll, wenn es die Persönlichkeit prägt und den einzelnen in seiner Entwicklung voranbringt. Ob dies nun die Beschäftigung mit Kunst, Musik, Philosophie oder einer fremden Sprache ist, Lernen wird für eine wachsende Zahl von Menschen ein Begleiter in den verschiedenen Lebensphasen sein. Es kann dazu helfen, in Bewegung zu bleiben.

Schließlich gibt es eine zunehmende Zahl von Menschen, denen Bildungsangebote helfen können, mit Brüchen in ihrer Biographie umzugehen. Migranten müssen sich zum Beispiel in einem Land mit anderer Sprache, anderer Kultur und anderen Wertvorstellungen zurechtfinden. Ich denke aber auch an diejenigen, die, aufgrund welcher Umstände auch immer, keinen Schul- oder Ausbildungsabschluss machen konnten und die für eine neue Chance dankbar sind.

Wegen dieser großen Herausforderungen erscheint es mir nach wie vor notwendig, dass die Träger der Erwachsenenbildung ihr Profil schärfen; denn in der Öffentlichkeit ist noch viel zu wenig bekannt, wofür die Erwachsenenbildung steht. Gleichzeitig ist festzustellen, dass es viele Menschen gibt, die das Bildungsan

gebot der Erwachsenenbildung nutzen, aber auch viele andere, die sich die vorhandenen Chancen entgehen lassen. Aus meiner Sicht sind daher die Träger der Erwachsenenbildung gut beraten, wenn sie eine aktive Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Der Staatsempfang, der in der letzten Woche in der Residenz stattgefunden hat, war hierfür ein gutes Beispiel. Dabei wurde nämlich vielen Bürgerinnen und Bürgern und Entscheidungsträgern vor Augen geführt, was die Erwachsenenbildung zu leisten in der Lage ist.

Meine Damen und Herren, gerade in einem Flächenstaat wie dem Freistaat Bayern hat ein regional ausgewogenes und differenziertes Bildungsangebot zu Recht einen hohen Stellenwert. Bedeutsam für die Nutzer sind dabei die Transparenz und die Programmvielfalt der Anbieter sowie die Qualität der Angebote.

Lassen Sie mich jetzt zu dem bereits in den Fachausschüssen ausführlich diskutierten Antrag der SPD und zum Gesetzentwurf des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN kommen. Im Kern werden beide Initiativen der bayerischen Erwachsenenbildung nicht gerecht.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Wo ist euer Antrag?)

Diese Erwachsenenbildung zeichnet sich durch die Pluralität der Träger, ihre Angebote sowie die Freiheit der Organisationsform aus. Meine Damen und Herren, dies möchten Sie beschneiden. Wir wollen das nicht. Ich möchte an dieser Stelle den Trägern der Erwachsenenbildung Dank sagen und sie ermuntern, ihren Weg weiterzugehen.

Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Tolle hat darauf hingewiesen, dass im Gesetzentwurf der GRÜNEN ein einklagbarer Anspruch auf Erwachsenenbildung gegenüber dem Staat vorgesehen ist. Des Weiteren steht in diesem Gesetzentwurf die Forderung auf Einrichtung regionaler Erwachsenenbildungszentren. Außerdem ist dort ein Innovationspool vorgesehen, aus dem die Weiterentwicklung der bayerischen Erwachsenenbildung finanziert werden soll. Schließlich sollen Arbeitgeber verpflichtet werden, Arbeitnehmer zum Zwecke der Erwachsenenbildung freizustellen. Liebe Frau Kollegin Tolle, dies wäre ein glatter Eingriff in die Tarifautonomie. Wir wollen das nicht.

Meine Damen und Herren, die Begründung eines Rechtsanspruches auf Erwachsenenbildung ist zwar gut gemeint, aber praktisch nicht durchführbar. Der Gesetzentwurf schränkt insbesondere die Freiheit der Träger der Erwachsenenbildung durch die Aufgabe, den Rechtsanspruch auf Erwachsenenbildung durch Einrichtung eines entsprechenden Angebots an Bildungsgängen sicherzustellen, unverhältnismäßig ein.

Auch die vom Obersten Rechnungshof angemahnte Trennung zwischen beruflicher Bildung und Erwachsenenbildung wird im Gesetzentwurf in unvertretbarer Weise aufgehoben. Zu weit geht die Verpflichtung des Freistaates, die durch die Bildungsfreistellung anfallenden Kosten zu ersetzen. Unsere Erwachsenenbildung zeichnet sich durch die Pluralität der Träger, ihre Angebote sowie durch die Freiheit der Organisationsformen und Inhalte aus, mithin also durch eine Staatsferne.

Im bewussten Gegensatz zum Schulbereich und seiner staatlichen Schulaufsicht wurde und soll auch künftig bei der Erwachsenenbildung dem Grundsatz der Subsidiarität staatlichen Handelns der Vorrang eingeräumt werden.

Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich etwas zu den Kosten sagen. Der Gesetzentwurf enthält keine brauchbare Kostenschätzung. Vielmehr wird darin festgestellt, dass nach dem Inkrafttreten des Gesetzes Mittel einzustellen sind, deren Höhe sich an den Empfehlungen des Landesbeirats für Erwachsenenbildung ausrichten könnte. Weitere Kosten träfen die Kommunen durch die Einrichtung der regionalen Erwachsenenbildungszentren. Auch hier enthält der Gesetzentwurf keine Kostenschätzung. Er lässt damit unabsehbare Kosten für Freistaat und Kommunen erwarten.

Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, dass sich das bisherige Gesetz zur Förderung der Erwachsenenbildung bewährt hat. Liebe Frau Kollegin Tolle, im Übrigen haben wir nicht vor zwei Jahren diesen Auftrag erteilt, sondern erst vor einem Jahr. Sie haben das anhand der Jahreszahl schöngerechnet. Dieser Auftrag steht nach wie vor. Ich bin sicher, dass der Entwurf entwickelt wird und wir dann darüber reden werden. Am Ende werden alle zufrieden sein.

Meine Damen und Herren, wir lehnen den Gesetzentwurf der GRÜNEN und den Antrag der SPD ab.