Protocol of the Session on November 11, 2009

Wir sind hier im Hohen Haus das Sprachrohr derer, die auf ihre Probleme und Notlagen nicht immer selbst aufmerksam machen können.

(Zuruf von der CSU: Wir auch!)

Wir verstehen uns auch in Zukunft als programmatischer Schrittmacher in der bayerischen Bildungspolitik. In der Umweltpolitik werden wir außerparlamentarisch auch jene unterstützen, die gegen die Atomkraft mobil machen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Zum Abschluss darf ich noch folgendes sagen: Frau Bundeskanzlerin Merkel und der neuen Bundesregierung wünschen wir trotz des Koalitionsvertrags, der unseres Erachtens nicht nur Gutes verspricht, eine glückliche Hand. Es geht um unser Land. Es geht um die Zukunft von Deutschland und es geht um Bayern.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD und Abge- ordneten der GRÜNEN)

Auf die Regierungserklärung wird für die Freien Wähler Herr Kollege Aiwanger erwidern.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich kommentiere den schwarz-gelben Koalitionsvertrag mit den Auswirkungen auf Bayern, ergänzt durch die Regierungserklärung von Herrn Ministerpräsident Seehofer. Sie haben Ihren Koalitionsvertrag mit "Wachstum, Bildung und Zusammenhalt" überschrieben. Richtiger wäre es gewesen, das Wort "Entsolidarisierung" darüberzuschreiben.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Entsolidarisierung hätte alles das getroffen, was wir in den Zeilen oder zwischen den Zeilen des Koalitionsvertrags wiederfinden.

Aufgefallen ist mir auch, dass dieser Koalitionsvertrag wahrscheinlich nur von einer handvoll Steuerberatern geschrieben worden ist. In erster Linie findet man nur Ausführungen zur Steuerpolitik. Man meint, durch das Drehen an Steuerschrauben Deutschland retten zu können. Ein sehr viel breiteres Angebot an politischen Lösungsansätzen ist nötig, um Deutschland und Bayern aus dem herauszumanövrieren, wo wir momentan drinstecken. In der Rede des Herrn Ministerpräsidenten zeigte sich, dass er ratlos hin- und her-pendelt zwischen dem eisernen Sparwillen und dem unbedingt nötigen Investieren. Auf der einen Seite wurden die 100 Milliarden Euro schweren Konjunkturprogramme beschworen, auf der anderen Seite im nächsten Satz der eiserne Sparwille.

Meine Damen und Herren, wenn man nur mit diesen beiden Rezepten arbeitet, wird man das nötige Rezept nie finden. Das ist vergleichbar mit der Situation, dass sich eine Dame für einen Ball kleiden will, weil sie tanzen gehen will, und nur einen Badeanzug und einen Pelzmantel hat.

(Beifall und Heiterkeit bei den Fraktionen der Frei- en Wähler, der SPD und der GRÜNEN)

Nimmt sie den Badeanzug, ist sie zu dünn gekleidet, nimmt sie den Pelzmantel, dann ist sie zu dick gekleidet. Dass das richtige Kleid nicht im Kleiderschrank hängt, ist ihr nicht aufgefallen. Sie machen es wie die Dame und probieren nur zwei Dinge.

(Beifall bei den Freien Wählern und der SPD)

Meine Damen und Herren, mit diesem Bild begeben Sie sich in die Auseinandersetzung um die Zukunft unseres Staates. Sie versuchen durch Drehen an den Steuerschrauben die Situation zu retten. Zum Ziel kommen werden Sie damit nicht. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Wir Freien Wähler denken von der Basis her, wenn wir Lösungsansätze suchen.

(Zurufe von der CSU)

Im Koalitionsvertrag steht eine halbe Seite zum Thema Kommunen. In der schriftlichen Vorlage zur Rede des Herrn Ministerpräsidenten - das sollten Sie an die Redenschreiber weitergeben - habe ich das Wort "Kommunen" kein einziges Mal gefunden. Zu Ihrer Ehrenrettung kann ich sagen, dass Ihnen in der freien Rede das Wort "Kommunen" über die Lippen gekommen ist. Ihren Redenschreibern und Einflüsterern ist es nicht in den Sinn gekommen, die Kommunen zu nennen, wenn von der Zukunft Bayerns gesprochen und wenn davon ge

redet wird, wie es in unserem Land weitergehen soll. Meine Damen und Herren, das ist beschämend.

(Beifall bei den Freien Wählern - Jörg Rohde (FDP): Er ist Ministerpräsident und kein Bürgermeister!)

Damit kann die CSU ihren Wahlspruch "Keine Macht den Landräten" mit dem Satz ergänzen "Alle Last den Kommunen, sie aber bitte nicht erwähnen". Mit Ihrer Politik blenden Sie die Kommunen aus, belasten sie aber massiv. Darin sind sich Schwarz und Gelb einig, wenngleich sie sich ansonsten gerne in die Haare kriegen. Wenn es darum geht, einen unbeteiligten Dritten zu belasten, sind sie sich wieder einig. Den Kommunen die Lasten aufgebürdet, nicht darüber geredet - dann ist die Welt für Sie in Ordnung.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Meine Damen und Herren, die etwa 360 Millionen Euro zusätzliche Belastungen für Bayern, die Sie uns vorrechnen, werden zu wenig sein. Der Ministerpräsident hat die Belastungen aus der Regierungszeit von Schwarz-Rot schon ins Feld geführt mit rund 14 Milliarden Euro. Die Steuermodelle, die 24 Milliarden Euro bringen sollen, sind im Prinzip kaum erwähnenswert. Rechnet man das auf die Länder und Kommunen um, werden bei dem Einkommensteueranteil von 42,5 % die Länder leiden. Je 100 Euro Mindereinnahmen fehlen den Ländern 42,5 Euro. Die Kommunen werden mit dem Einkommensteueranteil von 15 % auch massiv belastet.

(Zurufe von der CSU)

Die von Ihnen vorgeschlagene Steuerreform geht eindeutig zulasten der Länder und Kommunen. Gegenfinanzierung? - Fehlanzeige. Sie spielen das Spiel weiter. Die Steuereinsparungen werden die Länder und Kommunen entweder zu neuen Schulden, zu Leistungseinschränkungen zuungunsten der Bürger oder zur Erhöhung der Beiträge für die Kindergärten, die Schwimmbäder, die Müllabfuhr und dergleichen mehr zwingen. Den Bürgern wird in der linken Tasche ein bisschen mehr belassen und aus der rechten Tasche wird es ihnen sofort wieder genommen. Das ist ein Nullsummenspiel. Es ist schade um die Zeit. Man tritt auf der Stelle.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Meine Damen und Herren, Sie haben sogar die Gewerbesteuer infrage gestellt. Reden Sie mit den kommunalen Spitzenverbänden. Sie springen im Dreieck, wenn sie davon hören. Sie wissen, dass sie Ihnen nicht mehr über den Weg trauen können, obwohl Sie versprechen, dass die Gewerbesteuer durch höhere An

teile an anderen Steuern ersetzt wird. Das glaubt mit gutem Recht niemand mehr. Lassen Sie die Finger von der Gewerbesteuer, sofern Sie keine tausendprozentige Lösung haben. Diese ist nicht in Sicht. Diese Steuer wird nach Kassenlage gewährt werden oder auch nicht. Auf alle Fälle können sich die Kommunen nicht darauf verlassen.

Das Konnexitätsprinzip ist im Koalitionsvertrag angesprochen. Sie haben das richtige Wort gewählt. Es ist aber nur zwischen den Zeilen zu finden. Die Inhalte zu diesem Thema fehlen. Es fehlen die konkreten geistigen Unterstützungen, um das Konnexitätsprinzip zu leben.

Die Belastung der Kommunen reicht weiter. Aktuell sind die ständig sich erhöhenden Ausgaben für die Grundsicherung. Dazu wurden Kürzungen des Bundes in den Raum gestellt. Der Schlüssel sind die Bedarfsgemeinschaften. Diese sind in den letzten Monaten zwar zurückgegangen, nicht aber die Kosten, weil die Energiekosten gestiegen und die Mieten hoch geblieben sind. Auch mit diesem Problem lässt man die Kommunen allein. Man weist ihnen weniger Geld zu, obwohl die Ausgaben mindestens gleich bleiben, wenn nicht steigen.

Wie geht es aus kommunaler Sicht weiter? - Sie haben den Wehr- und damit auch den Zivildienst auf sechs Monate gekürzt. Darüber kann man verschiedener Meinung sein. Aus Sicht des Wehrdienstes wird argumentiert, dass mehr Leute einberufen werden könnten, was die Möglichkeit biete, eine größere Anzahl Längerdienende zu rekrutieren. Das ist die eine Sicht. Allerdings kann man in sechs Monaten nicht sehr viel mehr lernen als die Stiefelbänder richtig zu binden. Dann sind die sechs Monate vorbei.

(Thomas Kreuzer (CSU): Brauchen Sie so lange?)

- Ich war dabei, ich weiß das. Ich weiß nicht, ob Sie dabei waren, Herr Kreuzer.

(Zuruf des Abgeordneten Tobias Thalhammer (FDP))

- Waren Sie dabei? - Er ist rot geworden. Er war anscheinend nicht dabei.

(Heiterkeit und Beifall bei den Freien Wählern)

Meine Damen und Herren, zur Auswirkung auf den Zivildienst sagen die Sozialverbände, dass damit kein hochqualifizierter Ausbildungsprozess eingeleitet werden könne. Ein Zivildienstleistender wird drei bis vier Monate ausgebildet und muss dann bald wieder entlassen werden. Für die minder qualifizierten Arbeiten werden dann Abiturienten eingesetzt werden müssen,

die das Essen ausfahren und dergleichen mehr. Für die Kommunen ist zu erwarten, dass die Sozialausgaben steigen werden. Das ist in den Berechnungen noch nicht enthalten.

(Zuruf des Abgeordneten Tobias Thalhammer (FDP))

Im anderen Fall müssen schlechtere soziale Dienstleistungen und die Vergrößerung des Pflegeproblems in Kauf genommen werden. Der Koalitionsvertrag bietet keinen Lösungsansatz. Darin werden auch nicht die 100.000 osteuropäischen Schwarzarbeiterinnen in der Pflege erwähnt. Wir brauchen eine durchschlagende Lösung für den Bereich der Pflege, für die vielen zusätzlichen alten Leute, die menschenwürdig betreut werden müssen. Dafür fehlt der Lösungsansatz.

Zur Bildungspolitik: Im Koalitionsvertrag sprechen Sie durchaus davon, den Anteil der Akademiker steigern zu wollen, weil mehr Studienabgänger benötigt werden. Sie entwickeln dazu ein hoch kompliziertes Stipendiatensystem, wonach künftig nicht nur 2 %, sondern 10 % der Studierenden ein Stipendium erhalten sollen, wobei die Wirtschaft einbezogen werden soll. Sie soll dafür spenden.

Meine Damen und Herren, in Bayern gibt es nach wie vor Studiengebühren, was die Auswirkung hat, dass etwa 17.000 junge Menschen - genau wird man es nie wissen - wegen der Studiengebühren auf das Studium verzichtet haben.

(Zuruf von der Regierungsbank: So ein Schmarrn!)

Im Koalitionsvertrag steht, Sie möchten mehr Studierende.

(Zurufe von der CSU)

Dazu fehlt der Lösungsansatz. Hier gibt es Widersprüche.

(Zurufe von der CSU und der FDP)

- Schreien Sie nur weiter so! - Was Sie völlig vergessen - schreien Sie nur ruhig weiter so -, ist der zunehmende Exodus der Hochqualifizierten aus unserm Land. Immer mehr gut ausgebildete Leute verlassen Deutschland. Ich hoffe, Sie schaffen es, diese Auswanderungswelle zu stoppen, weil es nichts nützt, wenn wir immer mehr Abiturienten und Studierende erzeugen, die im Anschluss wegen schlechter Rahmenbedingungen, sei es im Bereich der Medizin, sei es im Bereich des Ingenieurwesens, sei es im Bereich der Wirtschaft und so weiter ins Ausland gehen.

Hier halte ich Ihnen zugute, dass Sie im Bereich der Wirtschaft und Wissenschaft ernsthafte Anstrengungen unternehmen, um ein wirtschaftsfreundliches - "Klimapolitik" hätte ich fast formuliert - Klima für die Wirtschaft zumindest anzustoßen. Was wirklich herauskommt wir werden uns überraschen lassen müssen. Ihr Hang zur Lobbypolitik ist unübersehbar. Der Mittelstand ist deutlich unterrepräsentiert in diesem Bereich. Es geht viel Richtung Lobbypolitik. Steuerentlastung für die Großen ist das große Schlagwort. Der Mittelstand wird nicht so groß davon profitieren. Das ist meine Sorge. Bürokratie, Einsparungswünsche in aller Ehren. Wir hoffen, dass Sie sich durchsetzen. Ich wünsche Ihnen dabei alles Gute. Es ist zumindest ein ernstzunehmender Ansatz. Viele, auch zu unterschreibende Lösungsansätze für weniger Bürokratie, das halte ich Ihnen zugute.