Protocol of the Session on October 27, 2009

Frau Staatssekretärin, wir haben am 25.02.2009 in einem Antrag die Erhöhung um 100.000 Euro der Haushaltsposition für Suchtprävention gefordert. Die lapidare Begründung zur Ablehnung war, das sei nicht notwendig. Die heutige aktuelle Stunde hat gezeigt, dass es schon nötig gewesen wäre, die 100.000 Euro einzustellen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Frau Staatssekretärin.

Ich habe vorhin etliche Projekte erwähnt, für die wir ein Finanzvolumen von etwa 1 Million Euro pro Jahr haben. Wir werden über die Initiative "Gesund. Leben. Bayern." wenn es nötig ist noch weitere Suchtprojekte aufnehmen. Präsidentin Barbara Stamm:

Danke schön. Jetzt habe ich noch eine Wortmeldung des Herrn Kollegen Thalhammer.

Frau Staatssekretärin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Da dieses gesellschaftliche Thema immer nur auf die Jugend bezogen wird, wäre es mir wichtig, für das Protokoll festzuhalten, ob Sie denn auch wie ich der Meinung sind, dass die Jugend von heute nicht schlechter ist als die Jugend von gestern.

Frau Staatssekretärin, bitte.

Das ist in meinen Ausführungen gleich nach der ersten Frage hoffentlich zum Ausdruck gekommen.

Frau Staatssekretärin, noch einen Augenblick, Frau Dittmar hat noch sechs Sekunden.

Frau Staatssekretärin, wird die Staatsregierung jugendliche Testkäufer einsetzen, ja oder nein?

Ich habe Ihnen vorhin schon gesagt, dass das eine Möglichkeit ist, über die man nachdenken muss.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Ja oder nein?)

- Dazu kann ich jetzt weder Ja noch Nein sagen; das ist eine Möglichkeit.

Vielen Dank. Damit ist die Befragung beendet. Danke schön, Frau Staatssekretärin.

(Unruhe)

Ich bitte zu akzeptieren, dass es der Staatssekretärin freigestellt ist, wie sie ihre Antworten gibt. - Die Ministerbefragung ist beendet.

Ich bitte, die Plätze einzunehmen, damit wir fortfahren können.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der FDP-Fraktion "Datenmissbrauch im Internet verhindern Medienkompetenz stärken"

Die Geschäftsordnung, die Rednerliste und die Redezeiten sind bekannt. Ich darf als Erste Frau Kollegin Sandt bitten, bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit wem flirtet eigentlich mein Freund - oder wahlweise - Ihre Freundin? Das wäre einmal eine interessante Frage. Lehrer wollen wissen, ob ihre Schüler vielleicht gerade blaumachen oder ob sie wirklich krank sind. Der Einbrecher hat ein Interesse daran zu erfahren, wo gerade zur Urlaubszeit eine Villa leer steht. Andere machen ihre Beute ohne Brecheisen, zum Beispiel indem sie Konten ausspähen. Vor wenigen Tagen wurden eine Million Datensätze aus dem Netzwerk "SchülerVZ" einem Blog zugespielt. Diese Daten sind etwas wert. Man kann daraus ein genaues Profil von Zielgruppen generieren. So kann man die Namen aller dreizehnjährigen Mädchen aus Grünwald erfahren, auf welche Schule sie gehen, und man kann ihre Bilder erhalten.

Leider hat dieser Fall gezeigt, dass auch die Anbieter solcher Netzwerke eine gehörige Lektion in Sachen Datenkompetenz benötigen. Doch selbst ohne Datenklau kann man über Social Networks jede Menge herausfinden, zum Beispiel über die neue Flamme, den neuen Mitarbeiter, den Schwiegersohn in spe usw. Persönliche Daten wecken große Begehrlichkeiten.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Wer sich ein Bild von jemandem machen möchte, tut das zunächst über das Internet. Wenn von jemandem ein Bild veröffentlicht wird, das ihn bei einem Komabesäufnis zeigt, wird das der mögliche Arbeitgeber entsprechend würdigen und vermutlich nicht der künftige Arbeitgeber sein.

Gerade Jugendliche sind sich meistens nicht dessen bewusst, wer ihr Profil einsehen kann. 61 % der Jugendlichen meinen, ihre Daten nutzen nur Freunde. Nun geben aber die meisten Jugendlichen an, dass sie im Durchschnitt 80 bis 90 Freunde haben. Das ist nicht verwerflich; denn sie kommunizieren quer über den Globus. Sie können also viel einfacher als früher Schüler aus jüngeren Jahrgangsstufen und anderen Schulen kennenlernen, ihr Aktionsradius erweitert sich immens. Das ist für unsere Generation vielleicht ungewohnt, aber das ist im Prinzip nicht verwerflich. Vor allem gestalten die jungen Leute ihr Profil selbst. Wenn sie ihr Profil im Internet gestalten, lernen sie dabei, sich darzustellen. Auch das ist im Job sinnvoll. Sie betätigen sich als Autoren, als Webdesigner, machen kleine Filme, bearbeiten Bilder, sind also in diesem Bereich unheimlich kreativ.

Leider geben aber die meisten Jugendlichen auf solchen Plattformen viel zu viel von sich preis. Sie machen intime Geständnisse, die man vor dem Internetzeitalter möglicherweise nicht einmal seinem Pfarrer gebeichtet hätte. Sie stellen auch Fotos von Freunden und von Fremden ohne deren Genehmigung ins Netz. Das ist eine Persönlichkeitsrechtsverletzung. Sie stellen auch Bilder von Fotografen ins Netz, ohne deren Genehmigung dafür zu haben. Das ist dann meistens eine Urheberrechtsverletzung.

Man merkt also: Medienkompetenz ist nicht nur eine technische Kompetenz. Das wird oft von der Generation der Eltern und Lehrer übersehen, die sich sagen: Mein Kind ist im Internet so schnell und fix, das kann das schon alles. Dass der Umgang mit dem Internet aber ein gehöriges Maß an sozialer und kultureller Kompetenz erfordert, wird leider viel zu häufig übersehen.

Das Internet ist ein hochgradig freiheitliches und demokratisches Medium. Das Netz ist interaktiv, man ist dort selbst Mediengestalter. Es dient auch zum wissen

schaftlichen Austausch, zur Kommunikation und zur Unterhaltung. Bei all den immensen Chancen, die das Internet bietet, ist es wichtig, dass gerade Jugendliche die richtige Kompetenz im Umgang mit dem Internet haben. Gerade neue Trends wie Cyber-Mobbing oder Happy Slapping beweisen das. Cyber-Mobbing ist Mobbing über das Internet, das eine ganz große Reichweite hat. Es kann von Tausenden, wenn nicht von Millionen Menschen gesehen werden. Man weiß nicht, ob und wann diese Daten jemals gelöscht werden. Happy Slapping bedeutet: Auf dem Schulhof werden kleine Filmchen mit dem Handy gedreht, zum Beispiel von Schlägereien. Die Schüler verschicken das dann. Vielen Eltern und Lehrern ist oft zu wenig bewusst, dass das Handy schon längst nicht nur ein Telefon ist, sondern eine, wenn auch winzig kleine, aber in seiner Wirkung gigantische Kommunikationsmaschine.

Wir brauchen meines Erachtens eine groß angelegte Initiative in Sachen Medienkompetenz. Der Medienführerschein ist ganz klar ein wichtiger, erster Schritt in die gewünschte Richtung. Es gibt an Schulen die sogenannten medienpädagogisch-informationstechnischen Berater, aber es kommt ein solcher MiB auf ungefähr 45 Schulen. Vieles ist zwar im Lehrplan verankert, aber das wird von Schule zu Schule unterschiedlich umgesetzt. Bei einer Initiative für mehr Medienkompetenz müssten wir ganz stark über die Schulen gehen. Eine Maßnahme wäre Aufklärung bei Info- und Spieleabenden für Eltern. Jugendliche brauchen einen Ansprechpartner. Es wäre zu überlegen, ob und inwieweit die neuen Jugendsozialarbeiter an Schulen nicht nur qualitativ gestärkt werden, sondern auch Medienkompetenz haben müssen, um über solche Dinge wie CyberMobbing Bescheid zu wissen; denn das sind die Dinge, die Jugendliche sehr stark beschäftigen.

Eine weitere Maßnahme wäre, Medienschaffende an Schulen zu holen, damit die Schüler zum Beispiel lernen, wie man kompetent mit Quellen und Informationen umgeht. Meines Erachtens wäre es nicht richtig, einfach das Lernziel Medienkompetenz zu proklamieren, sondern Medienkompetenz muss ein fächerübergreifendes Lernziel sein. So könnten die Schüler im Kunstunterricht Bilder bearbeiten und die Wirkung von Bildern verstehen lernen. Im Erdkundeunterricht könnte man in Google Earth recherchieren, und in allen möglichen Fächern gibt es Ansatzpunkte, wo man sehr viel stärker als bisher mit dem Medium Internet arbeiten könnte. Es gibt aber schon Schulen, die hier durchaus vorbildlich sind, die man als Best-Practice-Beispiele verstehen sollte.

Meines Erachtens muss der Umgang mit dem Computer zu einer neben Lesen, Schreiben und Rechnen ganz selbstverständlich zu einer vierten Kulturtechnik in der Schule werden. Wir haben vor Kurzem eine Notebook

Klasse in Ottobrunn besucht. Es war wirklich erstaunlich, was die Schüler da tun. Sie recherchieren selbst. Sie bekommen einen umfassenden Überblick über ein Thema, lernen selbstständig zu arbeiten, sind sehr organisiert und präsentieren vor allem das Gelernte. Diese Schüler sind sehr präsentationsstark. An konventionellen Schulen habe ich das in der Art selten gesehen. Es ist wirklich erstaunlich, was dort geschieht. Die Schüler haben gesagt, dass sie morgens zunächst einmal mitbekommen, was das aktuelle Tagesgeschehen ist, sie haben eine entsprechende Leiste auf dem Bildschirm.

Interessant war auch die Antwort, als ich die Schüler gefragt habe, wie sich ihr Mediennutzungsverhalten insgesamt geändert hat. Sie haben gesagt, wir spielen zwar auch noch hie und da am Computer, aber der Computer ist für uns vorrangig ein Arbeitsgerät. Wir sind in unserer Freizeit froh, wenn wir auch einmal etwas anderes tun. Ich hatte jedenfalls den Eindruck, dass sie ein sehr kompetentes Mediennutzungsverhalten an den Tag legen.

Es wäre ein Ziel - das ist natürlich nicht von heute auf morgen zu schaffen und angesichts des Haushaltes eher als langfristiges Ziel zu betrachten -, dass irgendwann jeder Schüler ein einfaches Notebook erhält. Bei der Finanzierung müsste man überlegen, inwieweit Industrie oder Stiftungen beteiligt werden können. Das Ganze kann man natürlich nur durchführen, wenn auch die Lehrer eine entsprechende Medienkompetenz haben. Das Wissen muss an den Universitäten vermittelt werden, aber auch die Weiterbildung ist hier gefordert; denn die Entwicklung in diesem Bereich ist schnell. Erforderlich ist vor allem eine andere Methodenkompetenz. Es wäre natürlich falsch, wenn der Lehrer vorn steht und seinen Frontalunterricht erteilt, während hinten die Kinder am Computer spielen. Erforderlich sind vielmehr ein anderes Arbeiten und eine andere Methodik.

All das sind Zukunftsvisionen, aber irgendwann müssen wir anfangen, den ersten Schritt zu tun. Wie gesagt, ein erster Schritt war die Einführung des Medienführerscheins. Ich meine aber, dieser Weg muss noch viel weiter gehen. Wir müssen an der Sache dranbleiben; denn, meine Damen und Herren: Dumme Menschen nutzen das Internet, um noch dümmer zu werden, schlaue nutzen es, um noch schlauer zu werden. Es ist wichtig, dass die Eltern und Lehrer über eine angemessene Medienkompetenz verfügen, damit sie die Schüler schlau machen können.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Es wäre schon schön, wenn es hier - ganz wertneutral - nach einer Rede zumindest einen kleinen Beifall gäbe.

(Beifall bei der FDP, Abgeordneten der CSU und der Freien Wähler - Harald Güller (SPD): Zumindest von der eigenen Fraktion!)

- Ich habe auch nur in eine Richtung geschaut, Herr Kollege. Jetzt darf ich das Wort Herrn Kollegen Sinner erteilen. Vielleicht genießt er etwas mehr Aufmerksamkeit in diesem Hause. Diese Aufmerksamkeit würde ich mir sehr wünschen, wenn Kolleginnen und Kollegen sich hier am Rednerpult abplagen und fast niemand zuhört. Ich muss das einmal los werden. Ich bitte darum, sich das in den Fraktionen zu überlegen. - Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir pflegen hier alle, unsere Laptops aufgeklappt zu haben, und ich war einer der Ersten, der das hier getan hat. E-Mail ist wichtig, aber manchmal ist Face-Mail - sich unmittelbar zu sehen, auszutauschen und in Rede und Gegenrede etwas zu diskutieren - wichtiger als E-Mail.

Frau Kollegin Sandt hat für die FDP-Fraktion diese Aktuelle Stunde eingeleitet, und es ist heute ein guter Tag, um über so etwas zu diskutieren, weil nämlich heute, am 27. Oktober, der UNESCO-Tag des audiovisuellen Erbes ist. Das zeigt, dass das, was wir im Bereich der Medien besitzen, etwas Wertvolles ist, auf das wir stolz sein können. Gerade in München und Bayern verfügen wir über eine mediale Kultur, die sich sehen lassen kann. In München und Bayern wurde ein großer Teil der Filmgeschichte Deutschlands nach dem Krieg geschrieben. Daran zu erinnern, ist unter anderem der Sinn dieses Tages der UNESCO.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gehört dazu, dass man dann, wenn neue Medien entstehen, auch neue Kompetenzen entwickelt, um mit diesen Medien umzugehen. Die Europäische Kommission hat am 20. August 2009 eine Empfehlung gegeben zur Medienkompetenz in der digitalen Welt als Voraussetzung für eine wettbewerbsfähigere audiovisuelle und Inhalte-Industrie und für eine integrative Wissensgesellschaft. Medienkompetenz bedeutet zunächst einmal die Fähigkeit, Medien zu nutzen, verschiedene Aspekte der Medien und Medieninhalte zu verstehen und kritisch zu bewerten sowie selbst in vielfältigen Kontexten zu kommunizieren. Betroffen sind hier nicht nur die audiovisuellen Medien, sondern alle Medien.

Die Medienkompetenz dient der Entfaltung der Persönlichkeit. Sie dient auch der kulturellen Vielfalt. Was wir hier verhindern wollen, ist eine Spaltung der Gesellschaft in Menschen, die es können, und Menschen, die

es nicht können. Ich glaube, das ist das erste Ziel: Wir müssen erreichen, dass wie beim Lesen und Schreiben jeder den Zugang und die Möglichkeiten hat, mit den neuen Medien umzugehen.

Sicher sind die Risiken in diesem Bereich sehr groß. Täglich werden unsere Bewegungen und Daten aufgezeichnet, registriert und überwacht. Wir kaufen täglich im Supermarkt ein, wir telefonieren, wir heben Geld ab, wir verreisen, wir fahren durch Straßen und nutzen Navigationssysteme, wir rufen Websites auf, und jeder von uns zieht eine lange Datenspur hinter sich her, die von Menschen, die sich dafür interessieren - das sind nicht nur Hobbydatensammler -, allzu gern ausgewertet werden.

Das Bundeskriminalamt schätzt, dass sich 2008 jeder fünfte Fall von Wirtschaftskriminalität im Internet abgespielt hat - eine Zunahme von 70% in einem Jahr. Wir wissen von PricewaterhouseCoopers, dass wir bei Großunternehmen damit rechnen müssen, dass sechs von zehn davon betroffen sind. Der Schaden, der dadurch verursacht wird, wird auf 20 bis 80 Milliarden Euro geschätzt. Deshalb ist die Kompetenz - von der technischen Kompetenz bis zur Kompetenz, persönlich mit den Medien umgehen zu können - existenziell wichtig.

Jens Seipenbusch - wie ich sehe in diesem Hause in weiten Kreisen unbekannt -, der Vorsitzende der Piratenpartei, sagt: "Medienkompetenz ist das größte Problem, das es zu lösen gibt." Wer die Schwierigkeiten sieht, bei der Telekom, bei KarstadtQuelle und anderen großen Unternehmen Daten zu schützen, der weiß, vor welcher Aufgabe wir stehen.

Heute ist auch deshalb ein guter Tag für diese Aktuelle Stunde, weil im Koalitionsvertrag - hier gebührt der Dank den Verhandlern der CSU -, der gestern unterschrieben wurde, ein umfangreiches Kapitel zu den modernen Medien und insbesondere dem Internet enthalten ist, das sich stark von dem Kapitel unterscheidet, das im alten Koalitionsprogramm stand. Da geht es um Datenschutz und Online-Kriminalität. Da geht es um die Stärkung des Urheberrechts im Internet. Da geht es um die Stärkung des Jugendschutzes. Da geht es auch darum, dass Computerspiele ein selbstverständlicher Teil unserer Alltagskultur sind. Das Wort "Killerspiele" findet sich in diesem Vertrag im Gegensatz zum letzten Vertrag nicht mehr. Wir setzen vielmehr darauf, dass vor allem die Jugendlichen selbstständig Medienkompetenz entwickeln und wir sie bei dieser Entwicklung unterstützen.

Es wäre verfehlt, hier mit Verboten zu arbeiten. Verbote reizen. Jeder, der die vorherige Debatte zum Thema Alkohol mitverfolgt hat, weiß das. Niemand würde auf die Idee kommen, Alkohol zu verbieten, aber vieles

dafür zu tun, dass junge Menschen kompetent mit Alkohol umgehen können und wissen, welche Gefahren dabei lauern, das ist entscheidend wichtig, und ähnlich ist es bei der Medienkompetenz.