Protocol of the Session on October 27, 2009

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Franz Maget, Hans-Ulrich Pfaffmann, Karin Pranghofer u. a. und Fraktion (SPD) Moratorium zugunsten einer nachhaltigen Schulentwicklung in Bayern (Drs. 16/1689)

Ich eröffne die Aussprache. Die Redezeit beträgt wieder fünf Minuten pro Fraktion. Erster Redner ist Herr Kollege Martin Güll.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Dringlichkeitsantrag wollen wir ein Moratorium zugunsten einer nachhaltigen Schulentwicklung in Bayern erwirken. Obwohl dieser Antrag bereits aus dem Frühsommer stammt 30. Juni -, ist er aktueller denn je.

Warum? Und warum dieses Moratorium? - Das Moratorium ist notwendig, weil die bayerische Schullandschaft in eine erhebliche Schieflage gekommen ist und die Gegensteuerungsmaßnahmen von Ex-Kultusminister Schneider und dem amtierenden Kultusminister, Herrn Spaenle, das Schiff nicht wieder auf Kurs gebracht haben oder bringen.

Bayern rühmt sich, ein gut aufgestelltes gegliedertes Schulsystem zu haben. Das träfe zu, wenn alle Schüler, die beispielsweise in ein Gymnasium eintreten, dort bis zum Ende blieben. Oder wenn das G 8 auch in den Augen von Lehrern, Schülern und Eltern verträglich abliefe. Oder es träfe zu, wenn die Grundschulen wieder ihren eigenen Auftrag erfüllen könnten und nicht zur Rennstrecke zum Gymnasium geworden wären. Es träfe auch dann zu, wenn Eltern ihre Kinder mindestens genauso gern und freiwillig auf die Hauptschule wie auf die Realschule schickten.

Eine Schieflage haben wir dann, wenn eine Schulart wie das Gymnasium überläuft und eine andere wie die Hauptschule abgelehnt wird.

Ein Schulsystem kann sich im Laufe der Jahre einseitig entwickeln. Dann bleibt aber immer noch die Frage:

Was ist zu tun? Ich möchte gar nicht in Abrede stellen, dass alle erkannt haben, dass eine Schieflage vorhanden ist.

Aber was ist die Reaktion des Kultusministeriums? Das G 8 muss sich selber stabilisieren. Der Übertrittsdruck wird angeblich verkleinert, indem man die Beratung verbessert oder die Notengrenzen aufweicht, einen angeblichen Korridor einrichtet oder die Zahl der Proben vereinheitlicht.

Die Realschulen bleiben nahezu unerwähnt, was Ihnen wahrscheinlich am liebsten ist.

Und was fiel unserem Herrn Spaenle für die Hauptschule ein? Ich zitiere aus dem Kabinettsbeschluss. Das Kabinett hat am 30. Juni ein Zukunftspaket für die Hauptschulen beschlossen. Wörtlich sagte Herr Spaenle:

Wir machen unsere Schüler stark für den Beruf, stark im Wissen und stark als Person. Hauptschulen, die alle Qualitätsmerkmale anbieten, erhalten den neuen Namen "Mittelschule" als Qualitätssiegel. Ziel ist es, Hauptschulen in Bayern künftig flächendeckend allein oder über Schulverbünde zu Mittelschulen weiterzuentwickeln. Schulverbünde sichern höchste Qualität und erhalten Standorte.

Das alles soll in einer Dialogform geschehen, also unter Mitnahme aller Beteiligten.

Das klingt gut, ist aber nicht gut. Hätte sonst Kollege Huber, den ich hier nicht mehr sehe, vor Kurzem deutlich Kritik geübt? Hätten sonst Bürgermeister und Landräte ihre kritische Stimme erhoben? Hätten sonst Schulleiter und Verbände hier deutliche Worte gesprochen?

Gut wäre es dann, wenn es den Schülern nützt und es eine schulpolitische Wirkung erzeugen würde, nämlich dadurch, dass die Akzeptanz der Hauptschule erhöht wird, sich die Eltern ihr wieder freiwillig zuwenden und das gegliederte System wieder in eine stabile Lage kommt.

Aber nichts von alledem wird eintreten. Vor allem wird - das ist besonders tragisch - das Sterben der kleinen Hauptschulstandorte weitergehen. Daran werden auch noch so große Schulverbünde nichts ändern.

Dabei, Herr Spaenle, sind wir uns einig. Ich darf Sie aus der "Süddeutschen Zeitung" zitieren: "Wohnortnahe Hauptschulen werden als Lebensqualität gesehen." Darin stimmen wir uneingeschränkt überein.

Aber lassen Sie uns noch einmal in Ruhe darüber nachdenken, wie wir bei dem Moratorium die vielen kleinen

wohnortnahen Schulen wirklich retten können. Lassen Sie uns eine echte regionale Schulentwicklung gestalten, bei der die Beteiligten passgenaue Reformmodelle machen dürfen. Hierzu könnten wir einiges beitragen. Und lassen Sie uns nach Lösungen suchen, die geeigneten Schülern in allen Schularten eine echte mittlere Reife anbieten. Denn das ist das Akzeptanzkriterium für viele Eltern.

Machen wir uns gemeinsam an die Arbeit. Voraussetzung ist allerdings, dass Sie dem Dringlichkeitsantrag zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile für die CSU-Fraktion dem Kollegen Eduard Nöth das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion steht zum zweiten Mal auf der Tagesordnung. Wir haben uns mit dem Thema bereits am 2. Juli, drei Tage, nachdem das Kabinett diese wichtigen schulpolitischen Entscheidungen getroffen hat, im Beisein des Ministers - wir haben uns damals alle sehr herzlich dafür bedankt, dass er sofort zur Verfügung stand - eingehend befasst. Wir haben den Dringlichkeitsantrag am 2.Juli im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport abgelehnt. Auch der mitberatende Haushaltsausschuss hat den Antrag abgelehnt.

Der Antrag beinhaltet - Herr Güll hat es hier noch einmal formuliert -, alle schulpolitischen Maßnahmen zu stoppen und stattdessen ein Moratorium zu verabschieden. Wie wir wissen, heißt Moratorium: auf die lange Bank schieben, verzögern, zuwarten, bis uns scheinbar bessere Einfälle kommen.

In dem Moratorium soll letztendlich das von der SPD seit Langem geforderte und favorisierte regionale Schulentwicklungskonzept des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands durchgesetzt werden. Weiterhin sollen sogenannte Reformschulen eingeführt werden, deren Strukturen allerdings in dem Antrag nicht ersichtlich werden. Es ist nicht klar, wie das letztendlich aussehen soll.

Meine Damen und Herren, im Grunde genommen geht es in diesem Antrag darum, die längere gemeinsame Beschulung in Bayern einzuführen, wobei uns die SPDFraktion auch hier erst einmal sagen muss, was sie letztendlich will. Wir kennen die unterschiedlichen Vorstellungen der SPD: Einmal wird von einer sechsjährigen gemeinsamen Schulzeit gesprochen, einmal von einer achtjährigen, dann von einer zehnjährigen gemeinsamen Schulzeit gesprochen wie auf Bundesebene gefordert. Jedenfalls, meine ich, müsste sich die SPD erst einmal selbst einigen, was sie letztendlich will,

welche Vorstellungen sie in die politische Debatte einbringt und nicht das Ministerium zu beauftragen, entsprechende Konzepte darzulegen.

(Beifall bei der CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die CSULandtagsfraktion hat sich für die Beibehaltung des bestehenden bewährten und erfolgreichen bayerischen Schulsystems klar entschieden. In unserer Koalitionsvereinbarung haben wir beschlossen, dieses bayerische Schulsystem in den nächsten Jahren entsprechend weiterzuentwickeln, im Interesse unserer Kinder und auch des Bildungsstandortes Bayern.

Das gegliederte Schulsystem, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist beliebt und anerkannt. Das sollten auch Sie von der SPD einmal respektieren und nicht jeden zweiten Antrag dazu nutzen, integrierte Modelle in die politische Debatte einzubringen.

(Beifall bei der CSU)

Ich würde Ihnen raten, meine Damen und Herren, sich auch einmal mit Umfragen zu beschäftigen. Es gab jüngst eine Forsaumfrage, die Sie kennen. Sie müssten einmal nachschauen, wie Ihre Wähler, Ihr Klientel, zum gegliederten Schulsystem stehen. 55 % von ihnen befürworten es nämlich. Das sollten Sie meiner Meinung nach zum Maßstab Ihres weiteren Handels machen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU)

Ich möchte an der Stelle unserem Kultusminister Dr. Spaenle sehr herzlich danken, dass er die Koalitionsvereinbarungen zum Anlass genommen hat, bereits im Dezember letzten Jahres Maßnahmen zur Weiterentwicklung des bayerischen Schulsystems anzukündigen und bis zum heutigen Tag in mutigen Schritten anzugehen. Ich will die einzelnen Punkte des ZehnPunkte-Programms nicht im Detail besprechen, aber ich möchte die wesentlichen Punkte nennen, die auch Schwerpunkte der politischen Arbeit des ersten Jahres dieser Regierung waren, wovon auch meines Erachtens schon sehr viel umgesetzt worden ist.

Das Thema lautet: Bildung in Bayern, Qualität und Gerechtigkeit. Das erste Thema, das angesprochen worden ist, war die Weiterführung des Ganztagsangebotes, der Abbau von größeren Klassen, die Schulversuche zur Kooperation von Haupt- und Realschule letztendlich mit dem Ziel einer höheren Durchlässigkeit. Das Übertrittsverfahren - das ist angesprochen worden - ist weiterentwickelt und, wie ich höre, von der Basis auch auf große Zustimmung gestoßen. Und letztendlich, als Kernpunkt der Überlegungen, die Weiterentwicklung der Hauptschule zur Mittelschule, das

Thema, das wir, Herrn Güll, am 2. Juli im Ausschuss sehr eingehend und intensiv diskutiert haben. Es dienen letztendlich auch die vom Minister initiierten Dialogforen dazu, Ihre Forderungen umzusetzen, nämlich vor Ort passgenaue Lösungen für die einzelnen Schullandschaften zu finden, für die einzelnen Gemeinden, für die Städte und Landkreise. Ich darf Ihnen sagen, weil ich in Forchheim lebe, einem Modelllandkreis, der dieses Dialogforum durchführt, dass dieses Gesprächsangebot sehr gut angenommen wird und die Bürgermeister dabei spüren, dass es tatsächlich eine Chance ist, über lange Zeit ihre Hauptschulstandorte zu halten, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Ihre Redezeit ist schon lange um.

Ich komme zum Schluss. - Ich darf für meine Fraktion erklären, dass wir diesem Antrag heute zustimmen, dass wir weiterhin über die Weiterentwicklung unseres Schulsystems gerne diskutieren. Insgesamt gesehen sind wir auf einem guten Weg. - Danke sehr.

Einen kleinen Moment noch. Herr Dr. Herz hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte schön.

Herr Kollege, stimmen Sie mir zu, dass wir bei diesem Thema Dialogforen womöglich nicht über reine Diskussionsformen hinauskommen werden?

Jetzt haben Sie wieder zwei Minuten, Herr Kollege.

Herr Dr. Herz, das glaube ich absolut nicht. Ich weiß nicht, ob Sie an einem solchen Forum schon einmal teilgenommen oder sich darüber berichten haben lassen, mit welcher Ernsthaftigkeit alle am Bildungsprozess Beteiligten, Bürgermeister, Landräte und Elternbeiräte, sich bemühen, Strukturen in der Fläche zu errichten, die tatsächlich dem Ziel nahekommen, unsere Hauptschulstandorte möglichst lange zu behalten. Es geht hier also nicht nur um Diskussionsforen, sondern tatsächlich um die Erarbeitung ganz konkreter Vorschläge für die Bildungslandschaft der Zukunft.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege. Als nächstem Redner darf ich für die Fraktion der Freien Wähler Herrn Günther Felbinger das Wort erteilen. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr ge

ehrter Herr Kultusminister! Ich bin ganz irritiert darüber, dass die CSU-Fraktion dem Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion zustimmt, wie es Herr Nöth gerade gesagt hat; denn die Ausführungen, die er dazu vorher gemacht hat, genau gegenteiliger Art waren. Aber vielleicht ist während der Rede ein Sinneswandel bei ihm entstanden.

Es vergeht kaum eine Woche, in der wir uns nicht über ein Bildungsthema unterhalten, so auch in dieser Woche wieder. Heute steht der Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion zur Abstimmung an.

Unruhe - Glocke des Präsidenten

Dass eine Schieflage, wie es Kollege Güll gesagt hat, im bayerischen Bildungssystem im Gange ist, dazu kann ich für meine Fraktion nur Zustimmung signalisieren. Wir sagen sogar, es ist der falsche Weg, der momentan in der Weiterentwicklung der Hauptschule zur Mittelschule gegangen wird. Ein falscher Weg deswegen, weil man mit der Mittelschule eine weitere Konkurrenzsituation für die ohnehin schon schwächelnden Hauptschulen schafft. Der Weg, die Mittelschule mit Schulverbänden durchzudrücken, ist in unseren Augen falsch, zumal hiermit die kleinen Hauptschulstandorte sterben werden.

(Beifall bei der SPD)

Die sterben deswegen, weil es nicht mehr leistbar ist, diese Schülerzahl auf die Beine zu bekommen. Auch die angedachten Schulverbände machen das mit ihrem Bustourismus nicht besser. Das Busfahren alleine macht die Schüler nicht intelligenter.