Protocol of the Session on June 23, 2009

Die Unterbringung in diesen Gemeinschaftsunterkünften - das wurde schon erwähnt - ist - das ist bei dieser

Anhörung deutlich geworden - etwas, was die Menschen, die nach Bayern kommen und Schutz und Hilfe suchen, entmündigt, sie nicht zu einem selbstbestimmten Leben anhält. Die Versorgung mit Essenspaketen und all diesen Sachleistungen ist etwas, was den Menschen ein Stück weit ihre Würde und letztlich auch einen Teil ihrer persönlichen Entfaltungsmöglichkeit nimmt. Von den Experten wurde deutlich herausgearbeitet, und das ist, glaube ich, das Schlimmste an dieser ganzen Sache, dass Familien mit vielen, vielen Kindern - zwischen Alleinerziehenden oder Familien mit Mutter und Vater mache ich jetzt einmal keinen Unterschied - in diesen Gemeinschaftsunterkünften leben. Kinder, die mit ihren Familien in den Gemeinschaftsunterkünften leben - Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, das wirklich ernsthaft zu beachten -, haben keine Möglichkeit, sich persönlich zu entwickeln, sich zu bilden, an einem Schulprozess teilzunehmen oder auch nur in Ruhe Hausaufgaben zu machen und zu irgendeinem Zeitpunkt wirklich für sich selbst etwas mitzunehmen. Bildung, das wissen wir alle, ist das höchste Gut. Egal, wo die Menschen ihre Zukunft verbringen werden, diesen Aspekt darf man den Menschen nicht verwehren.

(Beifall bei der SPD)

In der Anhörung ist aber auch deutlich geworden - und das ist für die Sozialdemokratie, für uns eines der Grundprobleme -, dass man in der Asylpraxis im Land Bayern davon ausgeht, dass das Ziel der Asylpraxis die Rückführung sein soll, nicht, dass die Menschen sich hier wohlfühlen. Dieser Satz wurde vom Vertreter Ihres Ministeriums fast wörtlich so gesagt, Frau Haderthauer, und das finde ich schon schlimm, zum einen weil es hier um Menschen geht und weil das Recht auf Asyl eine der Grundfesten unserer Verfassung ist. Die Asylberechtigten sind Menschen, die am Asylverfahren mitwirken, sie sollen nicht als Entmündigte in einer Gemeinschaftsunterkunft sitzen. Da bitte ich Sie, einmal Bilanz zu ziehen unter dem Gesichtspunkt, dass Ihre Politik nicht aufgehen kann. Denn sonst gäbe es keine Menschen, die in Gemeinschaftsunterkünften 18 Jahre leben müssen.

(Beifall bei der SPD)

Ihre Bilanz geht in diesem Punkt schlicht und einfach nicht auf. Häufiger stellen Sie nach Jahren fest, dass Sie genau diese Menschen, obwohl sie keine Anerkennung haben, schlicht und einfach nicht zurückführen können. Sie versehen sie vielleicht mit einem Abschiebeverbot oder gewähren ihnen letztlich doch noch einen Flüchtlingsstatus. Diese Bewegungen in der Asylpraxis lassen sich durch die Grundgeisteshaltung, die Sie hier an den Tag legen, nicht einfangen. Eine moderne Asylpolitik, Frau Haderthauer, so haben Ihre

Behörden immer argumentiert, setzt wirklich voraus, dass man den Menschen im Mittelpunkt sieht, dass man letztlich auch europäische Richtlinien in Anspruch nimmt und diese dann in Bayern umsetzt. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, Kolleginnen und Kollegen - ich habe nur fünf Minuten Redezeit; sie ist gleich zu Ende -, ist für die SPD die Diskussion eröffnet. Wir haben einen Antrag dazu eingereicht, der bald eine Drucksachennummer bekommen wird. Darin sprechen wir uns deutlich für eine Wende in der Asylpraxis aus. Zum vorliegenden Gesetzentwurf der GRÜNEN haben wir einige Fragen, die wir - da nehme ich meinen Vorredner beim Wort - in einer hoffentlich sehr sachbezogenen Diskussion im sozialpolitischen Ausschuss stellen werden.

Ein letzter Satz: Neugierig bin ich auf das Verhalten der FDP in dieser Frage. Frau Meyer, Sie haben ja schon verkündet, dass Sie sich für eine Wende aussprechen. Da warten wir auf Ihre Anträge und auf Ihr tatsächliches Handeln.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Fahn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Freien Wähler begrüßen die derzeitige Diskussion über die Verbesserung der Lebensbedingungen der Asylbewerber. Noch nie waren die Chancen für eine Kehrtwendung in der bayerischen Asylpolitik so groß wie jetzt. Und das ist auch gut so. Denn Flüchtlinge und Asylbewerber sind Menschen, um es auf einen knappen Nenner zu bringen, die Hilfe benötigen. Dazu hat insbesondere die Anhörung am 23. April beigetragen. Die Schlagzeilen in der Presse waren ja klar. Die Presse hat das sehr gut rübergebracht, dass Gemeinschaftsunterkünfte krank machen. Man lebt dort nicht, man stirbt langsam. Die Zahl der Asylbewerber ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Im Moment leben in Bayern "nur" 7.700 Personen in 118 Flüchtlingslagern - eine durchaus überschaubare Zahl. Diese Flüchtlingslager sind aber meist trostlose Gemeinschaftsunterkünfte, zum Beispiel mit Stacheldraht als Umgrenzung, wie in Würzburg, ohne Privatsphäre, mit vorgegebenen Essensund Hygienepaketen, laufenden Polizeikontrollen und Arbeitsverboten.

Bisher galt in Bayern leider unter der absoluten Mehrheit der CSU eine restriktive, eine strenge Asylpolitik gemäß dem Motto: Man darf es keinem zu gemütlich machen; er soll ja schnell wieder verschwinden.

Derzeit wird in den Parteien aber sehr stark diskutiert. Die FDP - ich hoffe, dass Frau Meyer das dann auch

vorbringt - hat dazu sehr konstruktive Vorschläge veröffentlicht, zum Beispiel in der Pressemitteilung vom 13. Mai. Deswegen bin ich der Meinung, dass hier insgesamt in die Koalition Bewegung kommen wird. In der bayerischen Asyldurchführungsverordnung steht ein wichtiger Satz, der diskutiert wird: Das Leben in den Gemeinschaftsunterkünften soll die Bereitschaft zur Rückkehr in die Heimatländer fördern. - Mit diesem Satz könnte man die bisherige Vorgehensweise rechtfertigen. Aber es scheint ja Änderungen zu geben, und selbst die Sozialministerin Christine Haderthauer möchte, das habe ich zumindest gelesen, diesen Satz streichen. Ich hoffe, dass Sie sich in Ihrer Partei damit durchsetzen können, Frau Haderthauer.

Für die Freien Wähler ist klar, dass die bisherigen Gesetze zugunsten der Asylbewerber unbedingt verbessert werden müssen. Den wirklich verfolgten Menschen - und darum geht es -, die in Bayern Zuflucht und Schutz suchen, muss es ermöglicht werden, menschenwürdige Bedingungen und eine Zukunftsperspektive für sich und ihre Familien zu finden. Die durchschnittliche Verweildauer von über drei Jahren in den Gemeinschaftsunterkünften ist einfach zu lange.

Deshalb unterstützen wir den Gesetzentwurf der GRÜNEN grundsätzlich, haben allerdings in einigen Punkten eine andere Auffassung. Deswegen haben wir auch einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Zum einen stellt der Entwurf die Umsetzung des sozialhilferechtlichen Prinzips "Selbsthilfe vor staatlicher Hilfe" in den Vordergrund. Insbesondere die Mindestanforderungen für Gemeinschaftsunterkünfte erscheinen sinnvoll, zum Beispiel abschließbare Wohneinheiten für Frauen und Familien. Die Frage der erforderlichen Finanzmittel ist für uns noch nicht abschließend geklärt, auch wenn Frau Ackermann geklagt hat, dass in Leverkusen die Kosten mit 76.000 Euro geringer sind. Wir meinen, das ist noch nicht endgültig geklärt. Man müsste in Bayern zumindest einmal Modellversuche machen, um zu sehen, ob das Leverkusener Modell auch in Bayern umsetzbar ist. In den Schulen gibt es viele Modellversuche; auch hier könnte man einmal einen Modellversuch in verschiedenen Regierungsbezirken machen, um die tatsächlichen Kosten einmal aufgeschlüsselt zu bekommen.

Wir Freien Wähler setzen uns insbesondere auch für die unbegleiteten minderjährigen, schwerbehinderten, schwangeren, alleinerziehenden oder traumatisierten Asylbewerber ein. Mit den Bargeldleistungen haben wir einige Probleme. Es ist nämlich durchaus damit zu rechnen, dass die ausgezahlten Gelder in die Heimatländer geschickt werden. Das ist zwar von der menschlichen Seite her verständlich, aber nicht Sinn der Vorschrift. Vielleicht wäre es ein Kompromiss, eine Gutscheinlösung einzuführen. Die Gutscheine könnten

dann bei örtlichen Geschäften eingelöst werden. Der Verwaltungsaufwand würde sich hier darauf beschränken, die erforderlichen Beträge mit den Ladeninhabern abzurechnen.

Dann ist noch ein Punkt im Gesetzentwurf der GRÜNEN, das ist Artikel 3 Absatz 5 Nummer 7. Auf jeden Fall sollen in Wohnungen kommen "Personen in familiärer Beziehung". Dieser Satz ist uns zu weit gefasst und müsste ein bisschen konkretisiert werden. Wer sind "Personen in familiärer Beziehung"? Das könnte ja der 56. Cousin sein.

Zum Schluss. Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur in München und Oberbayern Gemeinschaftsunterkünfte, es gibt sie auch in anderen Regierungsbezirken und Städten, beispielsweise in Würzburg. Die dortige Gemeinschaftsunterkunft war in den Medien, sogar in den "Tagesthemen". Die Frau Sozialministerin hat dazu gesagt: Da muss man eingreifen. Wir haben deshalb einen Dringlichkeitsantrag gestellt, der im Sozialausschuss behandelt wird. Es müsste einmal eine Bestandsaufnahme über die gegenwärtigen Zustände in dieser Gemeinschaftsunterkunft in Würzburg gemacht werden. Wenn die Ergebnisse vorliegen, kann man entscheiden, inwieweit in Würzburg vorgegangen werden soll.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Vielen Dank, Herr Kollege. Nächste Wortmeldung: Frau Meyer für die FDP.

Verehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gemeinschaftsunterkünfte machen krank. Ich sage Ihnen das nicht als Expertin und nicht als Ärztin, auch nicht als Einzelperson, sondern hinter mir steht ein ganzes Team von medizinischem Fachpersonal, und wir haben ausreichend Erfahrung.

Die Menschen in Gemeinschaftsunterkünften nehmen psychisch und körperlich Schaden, und Sie müssen sich von der Politik her und vor allem in den ausführenden Ministerien die Frage stellen: Wollen wir das, können wir das zulassen?

Dies war eine Stellungnahme aus unserer Anhörung, und es gab noch mehrere Stellungnahmen von medizinischem Fachpersonal, die in eine ähnliche Richtung gingen. Ich denke, dass die Worte des Privatdozenten Dr. Stich aus der Anhörung des Sozialausschusses niemanden unbeeindruckt ließen.

Wenn man sich dann noch vor Augen führt, dass gegenwärtig 22 % aller Bewohner der Gemeinschaftsun

terkünfte minderjährig sind, dann, so denke ich, wird noch deutlicher, dass es Handlungsbedarf gibt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der GRÜ- NEN)

Was wir als FDP möchten, ist, dass die bestehende Situation überprüft, überdacht und unter dem Aspekt einer menschenwürdigen Unterbringung neu geregelt wird. Es muss aus unserer Sicht definitiv dazu kommen, für den Aufenthalt in Gemeinschaftsunterkünften eine Höchstdauer festzusetzen. Es kann nicht sein, dass Menschen dort drei, fünf oder zehn und noch mehr Jahre verbringen. Wir denken, wie in der Anhörung mehrfach empfohlen, an einen maximalen Aufenthaltszeitraum von einem Jahr,

(Beifall der Abgeordneten Margarete Bause (GRÜ- NE))

zumal unter normalen Bedingungen davon ausgegangen werden kann, dass der Abschluss eines regulären Asylverfahrens nicht mehr Zeit in Anspruch nimmt.

Als ein Hauptargument gegen die private Wohnsitznahme werden immer wieder vermeintlich entstehende zusätzliche Kosten genannt. Ganz abgesehen davon, dass es bei der Forderung nach menschenwürdigem Unterkommen nicht darum gehen kann, centgenau zu rechnen, stellt sich zusätzlich die Frage, ob diese Vermutung, die immer wieder aufgestellt wird, auch tatsächlich stimmt. Bei hochgerechneten Kosten von circa 680 Euro pro Asylbewerber in einer Gemeinschaftsunterkunft kommt man bei durchschnittlich vier Quadratmetern pro Person zu der Überzeugung, dass die langfristige Unterbringung von Flüchtlingen in Gemeinschaftsunterkünften viel kostenintensiver ist als die Möglichkeit, in Privatwohnungen leben zu dürfen.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

Nicht eingerechnet sind dabei übrigens die sozialen und gesundheitlichen Folgekosten, die aus dieser Lebensweise in Gemeinschaftsunterkünften resultieren. Wir haben vorhin gehört, dass sie die Menschen mehr krank als gesund machen.

So wie bei der im Stadtrat von Würzburg bereits beschlossenen Erleichterung für die private Wohnsitznahme wollen wir von der FDP, dass sich Asylbewerber eigeninitiativ eine Mietwohnung suchen können. Wir erwarten von der Staatsregierung, dass die Kosten für beide Unterbringungsmöglichkeiten einmal detailliert aufgeschlüsselt vorgelegt werden.

Auch wir wollen wie die Fraktion der GRÜNEN, dass bestimmte Personen aufgrund ihrer besonderen Be

dürfnisse ohne besonderen Antrag grundsätzlich und regelmäßig aus den Gemeinschaftsunterkünften ausziehen können.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der FDP)

Wir wollen dies in erster Linie für alleinstehende und alleinerziehende Frauen, für traumatisierte Personen, für Schwerbehinderte und ältere Menschen und andere, die noch näher definiert werden müssen. Für diese Personen mit besonderen Bedürfnissen sollte die Beschränkung auf eine Höchstdauer für den Aufenthalt in einer Gemeinschaftsunterkunft gesetzlich geregelt werden.

(Angelika Weikert (SPD): Wo bleibt Ihr Antrag?)

- Sie werden die Antwort von mir noch bekommen. Lassen Sie mich bitte zu Ende reden.

Alles andere bedarf nicht zwangsläufig einer Gesetzesänderung, weil wir glauben, dass man nicht alles neu gesetzlich regeln muss. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Aber wir werden gemeinsam mit unserem Koalitionspartner Wege beschreiten. Wir werden uns das gemeinsam zum Ziel setzen in einer sachbezogenen Diskussion, von der ich hoffe, dass wir uns dann alle wieder zusammenfinden. Wir werden uns auch dafür einsetzen, dass das Ganze zeitnah vonstatten geht, dass jetzt dann wirklich die entsprechenden Weichen gestellt werden, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner und - das wäre meine Idealvorstellung - vielleicht gemeinsam über alle Fraktionsgrenzen hinweg. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Frau Kollegin Meyer, vielen Dank. Für die abschließende Stellungnahme der Staatsregierung hat jetzt Frau Staatsministerin Haderthauer das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ein paar Gedanken möchte ich gerade angesichts der Ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf äußern. Ich empfehle die Ablehnung, aber wir befinden uns insgesamt in einem Diskussionsprozess um die richtige Ausrichtung der Asylsozialpolitik. Dazu gehört es für mich auch, die Fragen, die heute angesprochen wurden, kurz zu beleuchten.

Ich möchte am Anfang hervorheben, dass neben Bayern weitere sieben Bundesländer ganz ausdrücklich an der gemeinsamen -

(Es werden Zettel von der Tribüne geworfen und ein Transparent entfaltet)

- Das nimmt ja Formen an.

Entschuldigen Sie, Frau Staatsministerin. - Jetzt geben Sie doch nach. Sie haben nicht das Recht, von der Tribüne etwas herunterzuwerfen oder Transparente zu entrollen. Ich bitte alle, die gültigen Regeln zu beachten.

Wir fahren in der Tagesordnung fort. Bitte schön, Frau Staatsministerin.

(Alexander König (CSU): Kann man einmal feststellen, wie die Leute überhaupt reinkommen, Herr Präsident?)