Protocol of the Session on July 16, 2013

Aber die Frau Bundeskanzlerin fordert – ich denke, da ist sie aufgrund ihrer Richtlinienkompetenz für ihren Bundesinnenminister zuständig –, deutsches Recht zu achten. Das kommt mir so vor, als ob sie zusammen mit Herrn Friedrich auf einer Eisscholle auf dem Äquator treibt und in ihrer Not nach dem Klimawandel ruft. Das ist aber zu wenig angesichts dessen, was geschehen ist. Deswegen genügt das, was sie gesagt hat, nicht. Es ist reine Makulatur.

Die Praxis, die uns vor Augen geführt wird, muss uns aber auch für die Vorgänge innerhalb des Freistaats Bayern und innerhalb des Bundes wachsam machen. Es ist nämlich sehr leicht, im Windschatten der Empörung Entscheidungen zu treffen und Gesetze durchzuboxen, die auch die Grundrechte antasten, die wir allgemein als verletzt ansehen. Die Grundrechte werden nicht in dem gebotenen Maß geachtet.

Wir haben auch eigene Versäumnisse zu beklagen. Gerade vor zwei Wochen wurde hier das Gesetz für die Stammdaten verabschiedet. Wir haben gesagt: Es ist absurd, wenn eine Ordnungswidrigkeit wie das "sinnlose Umherfahren im Straßenverkehr" die Ordnungsbehörden dazu befugt, flächendeckend Stammdaten zu erheben, Pins und Codes zu knacken. Das darf in diesem Zusammenhang einfach nicht sein.

Meine Damen und Herren, wo ist die Verhältnismäßigkeit? Wenn wir es wirklich ernst meinen, müssen wir es noch einmal hinterfragen.

Wir haben die Staatstrojaner bekämpft – Gott sei Dank mit mancherlei Hilfe, nicht zuletzt auch durch eine Verfassungsklage, bei der die FDP mit im Boot war – und als Mittel zur Ausspähung des Bürgers durch den Staat verhindern können. Trotzdem bin ich in Sorge, dass einige es immer noch installieren wollen.

Die Vorratsdatenspeicherung, die angesprochen worden ist, ist vor diesem Hintergrund extrem kritisch zu sehen.

Dann komme ich zu der großen Gefahr des Totschlagsarguments der Pharisäer: Wer das nicht will, will möglicherweise Terrorismus, der will, dass Kinder irgendwo in Einöden verkommen, weil man sie nicht orten kann. Wer so auftritt, trampelt im Prinzip auf unserem Allgemeinverständnis der Grundrechte herum, der spricht uns letztendlich auch die Seriosität ab, über solche Dinge auf dem Boden der Verfassung zu sprechen. Diese billige Rhetorik verfängt bei der Ernsthaftigkeit der Problematik und angesichts der bislang angerichteten Schäden einfach nicht.

Es ist nämlich genau umgekehrt: Die Grundrechte sind Rechte des Bürgers zur Abwehr gegenüber dem Staat. Man darf nicht nach dem Motto verfahren: Wer nichts angestellt hat, hat auch nichts zu verbergen. Dies ist genau die Lesart dessen, Herr Weiß, was da herauskommt: Wenn alles rechtmäßig vonstatten geht, dann ist auch nichts Schlimmes passiert. So geht es nicht. Wer so argumentiert, kennt offensichtlich nicht das Lied: "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder." Aber offensichtlich hat unser Geheimdienst Kontakte mit dieser Praxis des NSA, nämlich dahin, dass sich der Bundesinnenminister nunmehr rühmt, dass möglicherweise vier bis fünf Terroranschläge verhindert worden sind. Das heißt mit anderen Worten: Wir haben bereits selbst Kenntnis davon, dass unser Fernmeldeverkehr und unser Datenverkehr illegal angezapft worden sind.

Der Fortschritt der Technik ist angesprochen worden. Aber es darf nicht sein, dass ein demokratisch gewähltes Parlament ein Bautrupp ist, der der Technik hinterhereilt in dem Bemühen, die Schneisen der Verwüstungen in den Grundrechten zu begradigen und zu beschönigen. Nein, das Parlament ist ein Abwehrtrupp, der rechtswidrige Angriffe von vornherein abzuwehren hat und deswegen auch in diesem Zusammenhang gesetzgeberisch handeln muss. Da genügt es nicht, nur nach Informationen zu fragen, sondern es ist zwingend erforderlich, zu handeln, auch wenn

es wehtut. Das Einbestellen des amerikanischen Botschafters ist wohl die geringfügigste Maßnahme, die denkbar ist, um sich Aufschluss über dieses Gebaren zu verschaffen.

Es gilt mehr denn je das Wort: Vertrauen ist gut – wenn es denn Freundschaft ist; jedoch bei Vertrauen gibt es Schmerzgrenzen -, aber Kontrolle ist besser. Und es gilt auch mehr denn je das Wort, dass bei jeder Kontrolle Transparenz herzustellen, zu wahren und zu achten ist. An dieser Transparenz fehlt es.

Es ist ein schlechtes Bild, wenn sowohl der Freistaat als auch der Bund vor diesem Hintergrund immer noch im Dunkeln tappen und gegenüber den Bürgern auf der einen Seite äußern müssen, davon nichts gewusst zu haben, während sie auf der anderen Seite sagen: Wir haben damit möglicherweise Anschläge abgewehrt.

Dies darf nicht heißen, dass für alle Zeit, auch nach dieser Legislaturperiode, allein der Zweck die Mittel heiligt. Dazu sind die Grundrechte in unserem Staat viel zu wertvoll, dazu ist unser Zusammenleben durch die Grundrechte viel zu sehr geprägt. Wenn es, um diese Grundrechte abzuschaffen, heißt, der Zweck heiligt die Mittel, und dann vielleicht Verhältnismäßigkeitsabwägungen bemüht werden, dann müssen diese tatsächlich in dem Bewusstsein angestellt werden, dass nicht jedes Mittel den Zweck heiligt. Deswegen besteht hier dringender Handlungsbedarf.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächste hat Frau Kollegin Christine Kamm vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank an die FREIEN WÄHLER für das heute wahrhaft aktuelle Thema der Aktuellen Stunde "Recht auf Privatsphäre erhalten – Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und Politik im Freistaat vor geheimdienstlicher Überwachung schützen!".

Von unseren Regierungen bekommen wir keine neuen Informationen über die beispiellosen Lauschangriffe der Geheimdienste. Dennoch kommen immer neue Details zu den Überwachungsprogrammen der NSA und anderer Geheimdienste an das Tageslicht. Viele Bürgerinnen und Bürger empfinden Wut über die Verzögerungstaktik und die Nichtaufklärung. Wir fordern Aufklärung und fordern jetzt dringend Konsequenzen.

Prism und Tempora stellen in Inhalt und Umfang die größten jemals bekannt gewordenen Überwachungs

aktionen dar. Sie bedrohen unsere freiheitlich-demokratischen Grundrechte und damit die Fundamente und den Kernbestand unseres Rechtsstaats. Diese Gesamtüberwachung verstößt eklatant gegen unser Verständnis von Datenschutz, gegen die EU-Grundrechte und gegen das Völkerrecht.

Es ist auch davon auszugehen, dass der US-Geheimdienst auch die Bundesregierung, Botschaften in den USA, EU-Einrichtungen in Brüssel und europäische Unternehmen ausspäht. Der britische Geheimdienst greift mit Tempora auf transkontinentale Seekabel und damit auf einen wesentlichen Teil des Gesamtverkehrs des weltweiten Internets zu, filtert und rastert diese Daten. Diese stehen auch anderen Geheimdiensten offen. Durch den Datenabgriff sind sensible private Daten, aber auch sensible Kommunikationen von Verfassungsorganen und für die Wirtschaftsspionage interessante Daten betroffen. Das verstößt gegen alle internationalen Regelungen zum Datenschutz, darunter auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, weil völlig unterschiedslos gespeichert und anlasslos gesammelt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Betroffen sind offiziell Nicht-US-Bürger. Es ist von der Überwachung von über einer halben Milliarde von deutschen Telefonaten, E-Mails und SMS pro Monat auszugehen.

Spätestens seit dem Bekanntwerden möglicher Bespitzelungen von Bundesregierung, Botschaften und EU-Einrichtungen hat die Behauptung, die man heute von Ihnen, Herr Kollege Weiß, wieder gehört hat, das ganze Überwachungsprogramm diene allein der Terrorabwehr, jede Glaubwürdigkeit verloren. Sie wollen den Grad der Bedrohung der Freiheit und der nationalen Sicherheit offenbar nicht wahrnehmen.

Herr Kollege Seehofer, bisher sind keinerlei wirksame Aktivitäten von Ihnen zur Aufklärung oder zur Eindämmung ersichtlich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In Bezug auf Großbritannien unternimmt die Bundesregierung nichts, außer Briefe zu schreiben. Von seinem Besuch in den Vereinigten Staaten kehrte Bundesinnenminister Friedrich mit denkbar leeren Händen zurück.

(Zuruf von den GRÜNEN: Sinnlose Steuergeld- verschwendung! - Widerspruch bei der CSU)

Wir müssen jetzt umfänglich aufklären, was die Bundesregierung von den Grundrechtsverletzungen der Geheimdienste wusste und was unsere Geheimdiens

te tun – und das in einem Untersuchungsausschuss. Herr Ministerpräsident, es kann nicht sein, dass man dieses Thema in das geheime Parlamentarische Kontrollgremium auf Bundesebene abzuschieben versucht. Die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands, aber auch die Unternehmen haben das Recht zu wissen, was mit ihren Daten geschieht.

Wir wissen auch nicht, was der Bundesnachrichtendienst in der großen ehemals amerikanischen Abhörzentrale Gablingen tut. Clinton hatte im Juli 1995 erklärt, Wirtschaftsspionage sei die Hauptaufgabe der US-Geheimdienste CIA und NSA. Dies sei nach dem Zusammenbruch des Ostblocks sinnvoll und liege im Interesse Amerikas. Wir wollen aber nicht, dass die Geheimdienste einen geheimen Staat im Staate bilden!

Herr Kollege Pohl, Sie haben einiges über Bad Aibling gesagt; Gablingen ist ein ähnlicher Fall. Der Standort wird heute technisch vom BND betrieben. Wir wissen nicht, welche Daten erfasst werden und wohin sie geliefert werden. Auch das gehört dringend an die Öffentlichkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir setzen uns weiter dafür ein, dass Edward Snowden, der diese Grundrechtsverletzungen aufgedeckt hat, Schutz findet – in Deutschland beispielsweise

(Beifall bei den GRÜNEN)

und nicht nur in Ländern mit zweifelhaften menschenrechtlichen Standards. Die Absage von Angela Merkel an eine Aufnahme von Edward Snowden zeigt die ganze Scheinheiligkeit der gegenwärtigen Regierung. Sie empört sich scheinbar, unternimmt aber nichts.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin, darf ich Sie an die Redezeit erinnern? Diese ist vorbei.

Die Redezeit? Zu der Redezeit möchte ich noch sagen,

(Heiterkeit)

dass es wichtig ist, auch die entsprechenden Abkommen auf den Prüfstand zu stellen.

Sie sollen zur Sache reden, nicht zur Redezeit.

Dazu gehören das SafeHarbor-Abkommen, das Fluggastdatenabkommen und sonstige Vertragsvereinbarungen zwischen Euro

pa und den Vereinigten Staaten. Es ist notwendig, ernsthaft Aufklärung zu betreiben. Das haben unsere Bürgerinnen und Bürger verdient.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin. – Als Nächster hat Herr Kollege Dr. Andreas Fischer von den Freien Demokraten das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Durch die NSA-Affäre ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre Privatsphäre im digitalen Raum auf einem Tiefpunkt angekommen. Betroffene Formate sind Mails, Internettelefonate, Inhalte von Chats in sozialen Netzwerken, Zugangsdaten und vieles andere. Wenn monatlich die Verbindungsdaten von bis zu 500 Millionen Telefonaten, SMS und E-Mails abgefangen worden sein sollen, dann hat das eine neue Dimension.

Ich möchte mich auf drei Aspekte beschränken.

Der erste Aspekt betrifft die internationale Ebene: Was müssen wir tun? Die Ausspähung europäischer Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen durch Nachrichtendienste aus den USA untergräbt das Vertrauen zwischen befreundeten Staaten. Unter Freunden hört man sich nicht ab, Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der FDP und den FREIEN WÄH- LERN)

Diese umfassende und anlasslose Überwachung ist inakzeptabel. Sie widerspricht fundamental unserem Verständnis von Rechtsstaat und Bürgerrechten.

(Beifall bei der FDP)