Was danach kam, habe ich aber nicht erwartet. Im Grunde genommen war das so etwas wie ein Zwergerlpurzeln. Vorne stürzt das erste Zwergerl, und dann stürzen alle anderen hinterher. Innerhalb von Stunden ändern 90 Abgeordnete ihre Meinung. Angesichts eines solch entscheidenden und wichtigen Themas, über das man im Landtag jahrelang so intensiv debattiert hat, ist das unglaublich. Alle Argumente sind über Bord geworfen worden; die Positionen sind geräumt worden. Ich sage Ihnen: Ohne Urteil wäre das doch nicht passiert. Das muss man doch ehrlicherweise ganz offen sagen. Wenn das Urteil nicht so ausgegangen wäre, Herr Ministerpräsident, dann würden
wir doch heute nicht über Studienbeiträge reden. Insofern bildet das Urteil den neuen Sachstand. Das ist so.
Ich hatte mich aber schon gefragt − das sage ich auch ganz offen −, ob man in der Koalition vor solchen Entscheidungen nicht miteinander redet: Denn ich hatte den Eindruck, dass die FDP von dem schnellen Sinneswandel sehr überrascht war. Am Wochenende hat man sich dann intensiv beraten. Das Ergebnis war: Man beruft sich auf den Koalitionsvertrag. Ich erinnere mich noch an den Satz des Fraktionsvorsitzenden der CSU: Pacta sunt servanda. Man müsste die Frage stellen: Ist ein Koalitionsvertrag ein Vertrag? Die Bindungswirkung ist sehr umstritten. Das ist eine Willenserklärung.
Wenn es ein fester Vertrag wäre, ein fester, bindender Vertrag, an den alle Abgeordneten gebunden sind, dann müsste man sich wirklich fragen, wie man es hier mit dem freien Mandat hält. Das wäre es dann wirklich nicht.
Nur, einen Tag später waren die Meinungen schon wieder anders. Da haben Sie, Herr Ministerpräsident, verkündet: Wenn die Bevölkerung das Volksbegehren mit mehr als zehn Prozent unterstützt, dann werden Sie und die gesamte CSU in der nächsten Landtagsabstimmung der Abschaffung der Studiengebühren zustimmen. Das habe ich zumindest im Videotext des Bayerischen Fernsehens gelesen. Sie sagten, es gehe dabei nicht um die Macht, und Sie würden das ohne die FDP tun.
Insofern frage ich Sie aber: Warum warten Sie so lange? Wenn Sie jetzt Ihre Überzeugung geändert haben, dann stehen Sie zu Ihrer Überzeugung und tun es heute, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Und nun zu dem, was mir ganz wichtig ist, zur Außenwirkung. Ich sage ganz offen, ich mache mir schon etwas Sorgen, wie das alles draußen ankommt. Glauben Sie wirklich, dass noch ein Bürger draußen versteht, was Sie hier tun?
Über 90 % der Abgeordneten in diesem Bayerischen Landtag wollen die Studienbeiträge abschaffen − dann müssen Sie es doch tun, dann muss es dieses Parlament tun.
Ich sage da auch, vielleicht ein bisschen selbstkritisch, zur Opposition, zu uns: Was wird denn heute passieren? Heute werden wahrscheinlich wir als Opposition für die Absicht des Ministerpräsidenten stimmen, und die Regierungsfraktionen werden gegen die Absicht des Ministerpräsidenten stimmen. Irgendwo − das muss ich ganz offen sagen − machen wir uns doch auch lächerlich, irgendwo ist das unwürdig. Deshalb sage ich Ihnen: Stimmen wir heute zu, stehen wir zu den Überzeugungen und stimmen wir gegen die Studienbeiträge! Stehen Sie, meine Damen und Herren, die Sie das wollen, zu Ihren Überzeugungen!
Nur, wenn das die Mehrheit der Abgeordneten der Regierungsfraktionen heute nicht kann, dann wird das halt das Volk tun. Das ist auch gut so; denn wir haben schon ein Bündnis geschmiedet. Dieses Bündnis ist jetzt schon stark, es wird stärker werden, und wir werden dafür kämpfen, dass wir zwischen dem 17. und dem 30. Januar mehr als 10 % der Bevölkerung in die Rathäuser bringen. Das ist unser Ziel, auch in dieser kalten Jahreszeit, und das werden wir schaffen.
Ich verstehe auch nicht ganz, was heute gesagt worden ist − so wurde es mir übermittelt -: Wenn sich bei diesem Volksbegehren 10 % finden und ihm zustimmen, dann
sind in der nächsten Landtagssitzung mit den Stimmen der CSU die Studienbeiträge weg; wenn es aber nur 9,9 % sind, dann sind sie nicht weg, aber dann steht das im Wahlprogramm. − Ich muss sagen: Ich verstehe es nicht, ich verstehe es nicht!
Wofür stehen Sie? Auch 9,9 % der Bevölkerung sind wichtig. Auch wenn 9,9 % der Bevölkerung sagen, Studiengebühren weg, und Sie auch dieser Überzeugung sind, dann tun Sie es, Herr Ministerpräsident, und stehen Sie zu Ihren Überzeugungen, meine sehr verehrten Abgeordneten der CSU!
Auch das habe ich gelesen, Herr Ministerpräsident: Sie sagten, es gehe Ihnen nicht um Macht, sondern um soziale Balance. Dann sage ich − und ich nehme das ernst -: Wenn das Ihr Argument ist, dann müssen wir die Studienbeiträge jetzt abschaffen; denn wenn wir sie jetzt abschaffen, sind sie im nächsten Semester weg. Es ist sozialverträgliche Politik, die Studienbeiträge so schnell wie möglich abzuschaffen. Wenn wir erst bis Januar, Februar oder März warten, dann wird diese soziale Balance ein Semester länger nicht stimmen. Deshalb sage ich Ihnen nochmals: Stehen Sie zu Ihrer Überzeugung, stimmen Sie für die Abschaffung der Studiengebühren, stimmen Sie für die volle Kompensation; denn das ist ganz, ganz wichtig. Stehen Sie zu Ihren Überzeugungen!
Herr Kollege, Professor Dr. Piazolo, ich empfehle erst einmal jedem Mitglied des Hohen Hauses, sich noch einmal Ihre Vorstellungen von Vertragstreue bei Koalitionsverträgen anzuschauen. Das ist für den einen oder anderen in diesem Haus vielleicht lehrreich.
Aber was mich eigentlich noch viel mehr interessiert, ist die Frage, ob Sie sich zur Qualitätsverbesserung, die aufgrund der Studienbeiträge an den bayerischen Hochschulen entstanden ist, bekennen. Wenn Sie sich zu dieser Qualitätsverbesserung bekennen, frage ich Sie, ob Sie bei einem erfolgreichen Volksbegehren in Ihrem Volksentscheidsentwurf auch entsprechend berücksichtigen werden, dass diese Qualitätsverbesserung erhalten bleibt.
Meine erste Bemerkung: Ich habe nur deutlich gemacht, dass die rechtliche und insbesondere die verfassungsrechtliche Qualität von Koalitionsverträgen sehr umstritten ist,
und zwar gerade aus dem Grund, dass Koalitionsverträge immer mehr Politik binden, dass man sich immer mehr auf Koalitionsverträge beruft, um einen sich in mehreren Jahren ändernden Sachstand im Grunde genommen ad absurdum zu führen. Der Koalitionsvertrag ist nicht der Vertrag, der die Politik bestimmt. Die gewählten Abgeordneten bestimmen die Politik, und die handeln nach ihrem Gewissen. Da müssen wir schon einmal die Wertigkeit anschauen: Wo steht ein Koalitionsvertrag, und was ist das freie Mandat von Abgeordneten?
- Gerade auch als Hochschullehrer bin ich selbstverständlich für eine größtmögliche Qualität an den Hochschulen. Selbstverständlich setze ich mich dafür intensiv ein.
- Das steht deshalb nicht im Volksbegehren, weil es rechtlich nicht geht, eine Kompensation hineinzuschreiben.
Nur, sehr geehrter Herr Hacker, wir haben hier über Jahre immer wieder gefordert, dass die Studienbeiträge, wenn sie abgeschafft werden, voll kompensiert werden sollen, sogar mehr als das, weil wir steigende Studentenzahlen haben und deshalb mehr Geld brauchen als das, was im Moment an Studienbeiträgen hereinkommt. Insofern stehen wir dazu. Nur, rechtlich ließ es sich beim Volksbegehren so nicht machen.
Danke schön, Herr Kollege Piazolo. Als Nächster hat Frau Kollegin Margarete Bause von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.