Protocol of the Session on November 14, 2012

Hinsichtlich der jeweiligen Abstimmungsgrundlagen mit den einzelnen Voten der Fraktionen verweise ich auf die Ihnen vorliegende Liste. Diese Liste wurde mittlerweile aufgelegt.

(Siehe Anlage 1)

Wer mit der Übernahme seines Abstimmungsverhaltens bzw. dem jeweiligen Abstimmungsverhalten seiner Fraktion entsprechend der aufgelegten Liste einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. − Danke schön. Ich bitte, die Gegenstimmen anzuzeigen. − Keine. Stimmenthaltungen? − Auch keine. Damit übernimmt der Landtag diese Voten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung der zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge

Zunächst rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Harald Güller, Franz Maget u. a. und Fraktion (SPD), Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Prof. Dr. Michael Piazolo und Fraktion (FREIE WÄHLER), Dr. Christian Magerl, Margarete Bause, Dr. Martin Runge u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Studienbeiträge abschaffen - soziale Balance wiederherstellen (Drs. 16/14722)

Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist Herr Kollege Rinderspacher von der SPD.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es eines weiteren Beweises bedurft hätte, dann haben wir es spätestens seit letzter Woche wieder einmal schwarz auf weiß: Das einzig Verlässliche an dieser schwarz-gelben bayerischen Staatsregierung ist die Unzuverlässigkeit. Das einzig Beständige ist die Unbeständigkeit und das einzig Stetige ist das Impuls- und Flatterhafte.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Der Koalitionsausschuss von CSU und FDP am Wochenende hatte eine einzige winzige Gemeinsamkeit zum Ergebnis, eine schnöde Pressemitteilung frei Haus über den Dissens zwischen den Parteien. Tenor: Wir können es nicht. Wir sind nicht regierungsfähig. Mit freundlichen Grüßen, Ihre bayerische Staatsregierung. Gezeichnet Seehofer und Leutheusser-Schnarrenberger.

(Beifall bei der SPD - Thomas Hacker (FDP): Wir haben den Doppelhaushalt für die Jahre 2013 und 2014 beschlossen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesmal geht es um mehr als das übliche schwarz-gelbe Gezänk. Das Regierungschaos um die Zukunft der Hochschulfinanzierung hat zu einer erheblichen Verunsicherung an den bayerischen Hochschulen geführt.

(Thomas Hacker (FDP): 50.000 zusätzliche Studienplätze in vier Jahren sind kein Hochschulchaos!)

Die Ankündigung, dass die Studiengebühren nicht vollständig kompensiert werden sollen, löst bei vielen Hochschulbeschäftigten nachvollziehbar erhebliche Unruhe aus. Manche Hochschulen haben die Direktive ausgegeben, befristete Arbeitsverträge im Kontext der Studiengebühren nicht mehr zu verlängern. Allein an der Ludwig-Maximilians-Universität in München geht es um mehr als 380 Stellen. Tausende wissenschaftliche Mitarbeiter in Bayern wissen nicht, ob sie im kommenden Jahr noch ihren Arbeitsplatz haben werden.

(Georg Schmid (CSU): Sie haben ihn!)

Wie viele Seminare und Lehrveranstaltungen werden im Jahr 2013 ausfallen? Welche Folgelasten müssen unsere Hochschulen tragen?

(Widerspruch bei der CSU)

Schwarz-Gelb macht mit dieser Hü-Hott-Politik nur eines deutlich: Diese schwarz-gelbe Regierung löst keine Probleme, sondern sie löst Probleme aus.

(Thomas Hacker (FDP): Vollbeschäftigung in zwei Dritteln aller Landkreise und kreisfreien Städte! Von Chaos keine Spur!)

Man ist immer wieder überrascht, wie sich die CSU in Lichtgeschwindigkeit von ihren früheren Positionen verabschiedet. Hier könnte die FDP durchaus einmal ein bisschen Wohlwollen zeigen. Der aktuelle Anlass ist das anstehende Volksbegehren zur Abschaffung

der Studiengebühren. Die CSU steht wie ein Kaninchen vor der Schlange. Sie hat Furcht vor dem Würgegriff der Volksabstimmung. Vor Angst gelähmt, vor Schreck erstarrt, den Macht- und Bedeutungsverlust vor Augen, leistet die CSU erbitterten Widerstand gegen sich selbst. Die CSU macht Front gegen ihre eigene jahrelange Politik.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich darf noch einmal daran erinnern: Es war die CSU, die die Studiengebühren in Bayern eingeführt hat. Das Gesetz wurde von der CSU allein gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN und gegen den Willen Hunderttausender Studierender in Bayern beschlossen. Seitdem hat die CSU in unzähligen Debatten hier im Hohen Hause die von ihr eingeführten Studiengebühren mit Zähnen und Klauen verteidigt. Die Gegner der Uni-Maut wurden von ihr als "Vertreter sozialer Gefühlsduselei" verunglimpft, ein wörtliches Zitat des früheren Wissenschaftsministers Dr. Thomas Goppel. Thomas Goppel hat noch im Jahr 2005 gesagt, ärmere Studenten könnten ohne Weiteres 500 Euro pro Semester aufbringen, sie müssten lediglich jeden Monat für 100 Euro auf etwas verzichten oder zwei Nachhilfestunden geben.

Der damalige Ausschussvorsitzende Dr. Spaenle sagte im Jahre 2005 in einer Plenardebatte, es gehe um einen Eigenbeitrag der Studierenden. Ich zitiere: Wer sich einer solchen Überlegung entzieht und auf Sozialneiddebatten ausweicht, handelt an der Schwelle des 21. Jahrhunderts unverantwortlich. - Was für ein Pathos! Bernd Sibler betonte im Jahr 2008, Studiengebühren seien sinnvoll und notwendig. Zitat: Das bayerische Modell der Studienbeiträge erfährt insgesamt eine hohe Akzeptanz. Oliver Jörg sagte 2008, er sei überzeugt −, Zitat -, dass die Studienbeiträge auch für ein gesellschaftliches Umdenken von Bedeutung sind. Ich zitiere weiter: Die CSU ist geprägt vom Leitbild der solidarischen Leistungsgesellschaft. Wir stehen für Eigenverantwortung. Deshalb werden wir an den Studiengebühren festhalten. - Zitat Ende.

Meine Damen und Herren, es geht mir gar nicht darum, all die Wendehälse in der CSU-Fraktion beim Namen zu nennen; denn ich unterliege auch der Redezeitbeschränkung. Es geht aber darum zu zeigen, wie die CSU die Debatte sechs Jahre lang grundsätzlich geführt hat: Schwelle 21. Jahrhundert, Leitbild Leistungsgesellschaft. Die CSU hat sich mit Verve und Pathos für die Studiengebühren eingesetzt. Heute wissen wir: Das war hohles Pathos von politisch Überzeugungslosen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Verabschiedet hat sich die CSU im Übrigen auch von einem Gutteil ihres Grundsatzprogrammes, das sie 2007 beschlossen hat. Im Grundsatzprogramm der CSU − damals hieß es, es solle 20, 25 Jahre Gültigkeit haben − steht auf Seite 94 ein klares strategisches Bekenntnis zu dauerhaften Studienbeiträgen unabhängig von der Entwicklung des Staatshaushaltes geschrieben. Die positive Entwicklung des Staatshaushaltes jetzt als Begründung für die Abschaffung der Studiengebühren anzuführen, widerspricht den bisherigen Grundsätzen der CSU. Das ist bemerkenswert. Eine Partei, die so mit ihren Grundsätzen umgeht, das eigene Grundsatzprogramm mal so mir nichts, dir nichts über den Haufen wirft, nicht etwa unter Beteiligung der Mitglieder oder durch einen Parteitagsbeschluss, sondern nur, weil der Vorsitzende ein Machtwort spricht − das ist noch nicht einmal ein Ministerpräsidentenwahlverein, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Sechs Jahre lang haben alle CSU-Verantwortlichen die Studiengebühren gebetsmühlenartig zum alternativlosen Dogma erklärt, um nun aus Furcht vor dem Volkswillen eine spektakuläre 180-Grad-Kehrtwende zu vollziehen. Interessant dabei ist: Die CSU bemüht sich noch nicht einmal, eine hinreichend strategische Begründung für diesen kollektiven Gesichtsverlust zu entwickeln. Der Ministerpräsident sagte gestern und heute in den Medien − ich begrüße das -, es gehe ihm um das soziale Bayern, was nichts anderes heißt, Herr Ministerpräsident, als dass die CSU die letzten Jahre eine unsoziale Politik gemacht hat.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN - Zurufe von der CSU)

Die CSU hat die letzten Jahre eine unsoziale Politik zulasten vieler junger Talente in Bayern gemacht. Die CSU hat viele Studienwillige und Studienfähige auf der Strecke gelassen. Die CSU hat viele junge Menschen im Stich gelassen, die gerne studiert hätten, denen aber die Kostenbarriere, die ihnen die CSU aufgebaut hat, schlichtweg zu hoch war.

Als Argumentationsbrücke muss nun die gute Haushaltssituation herhalten; man könne sich jetzt staatlicherseits die Übernahme der Studiengebühren leisten. Ich frage mich, ob das im letzten, im vorletzten, im vorvorletzten Jahr angesichts sprudelnder Steuermehreinnahmen, wie wir sie in unserer Geschichte in diesem Ausmaß nie zuvor hatten, nicht möglich gewesen wäre. Der CSU geht es aber nicht um die Hochschulen. Der CSU geht es auch nicht um die Haushaltssituation. Der CSU geht es nur um sich selbst und um ihre Perspektive zur Landtagswahl 2013. Es geht ihr um die neue politische Situation.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es geht ihr um das Volksbegehren. Natürlich löst ein Volksbegehren zur Unzeit eine neue Debatte über Bildungsgerechtigkeit im Lande aus. Das kommt der CSU ungelegen. Es geht um die Debatte darüber, dass der Bildungserfolg unserer Kinder und Jugendlichen in Bayern so sehr vom Geldbeutel der Eltern abhängt wie in keinem anderen Bundesland.

(Thomas Hacker (FDP): Deswegen Investitionen in die frühkindliche Bildung und keine Beitragsfreistellung an der Hochschule! Schwerpunkte setzen!)

Das Volksbegehren löst eine frische, neue Kampagne der Gemeinsamkeit der drei Oppositionsparteien aus unter Beteiligung von mehr als einem Dutzend Organisationen und Verbänden und Hunderttausenden mittelbar und unmittelbar Betroffenen.

Das alles kommt der CSU äußerst ungelegen. Es ist nichts Ehrenrühriges, wenn man in der Politik Fehler einräumt und Korrekturen vornimmt. Von Reue jedoch gibt es in der CSU bis jetzt keine Spur. Fehler? Welche Fehler? - Hinzu kommt: Die Selbstkorrektur bleibt in der CSU nicht die Ausnahme, sondern sie ist die Regel. Wir haben doch die rasanten Positionsänderungen bei Wehrpflicht, Atompolitik, Praxisgebühr, Länderfinanzausgleich, G 8, G 9 und Donauausbau vor Augen; das alles haben wir doch nicht vergessen.

Unter dem Strich begrüßen wir natürlich inhaltlich den rasanten Kurswechsel. Die CSU-Mitglieder der Staatsregierung und die Mitglieder der CSU-Fraktion dürfen sich als Erstes beim Volksbegehren gegen Studiengebühren eintragen, um ihren wütenden, anhaltenden Protest gegen die eigene Politik zum Ausdruck zu bringen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Noch besser wäre es hingegen, bereits heute mit unserem Antrag die Studiengebühren abzuschaffen, unter voller Kompensation aus dem Staatshaushalt. Sie sind eingeladen, unserem Antrag heute zuzustimmen. Sie, Herr Ministerpräsident, haben noch gestern im "Münchner Merkur" gesagt: Wir können nicht gegen unsere Meinung abstimmen. Wir nehmen Sie beim Wort und sind hier und heute gespannt, was Ihre Meinung wirklich wert ist. Machen Sie mit; lassen Sie uns heute mit einer breiten Landtagsmehrheit die Studiengebühren abschaffen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Eines wird mit dem gemeinsamen Antrag von SPD, GRÜNEN und FREIEN WÄHLERN auch deutlich: Es

gibt eine Politik der Kontinuität, der Beständigkeit und der Verlässlichkeit als wohltuenden Kontrapunkt zu Schwarz-Gelb.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Ihnen mitteilen, dass zu diesem Dringlichkeitsantrag namentliche Abstimmung beantragt worden ist. - Herr Professor Piazolo, Sie haben jetzt das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Offen gestanden: Als ich am 22. Oktober vor dem Bayerischen Verfassungsgericht stand, habe ich die Entwicklung so nicht erwartet. Politik kann schon spannend sein − das muss ich zugeben. Als die acht Richter in blauen Roben herauskamen, war ich schon sehr gespannt. Als sie dann gesagt haben, das Volksbegehren ist zugelassen, war mein erster Gedanke: Wow, gewonnen. Mein zweiter Gedanke war: Die Weihnachtsferien sind futsch, aber wenigstens für eine gute Sache; denn wenn wir das so durchziehen, müssten die Studierenden in Bayern keine Studiengebühren mehr zahlen, keine Beiträge mehr zahlen. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist gut so, und dafür gibt man auch gerne Weihnachtsferien her.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und der SPD)

Dann habe ich nicht mehr so viel nachgedacht, sondern mich auf das Urteil konzentriert und mich wirklich auch gefreut, dass so viele Argumente übernommen worden sind, besonders, da sich die FREIEN WÄHLER in diesem Fall keinen Anwalt geleistet haben, sondern ich das selber machen durfte.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Insofern war das doch eine Freude.

Was danach kam, habe ich aber nicht erwartet. Im Grunde genommen war das so etwas wie ein Zwergerlpurzeln. Vorne stürzt das erste Zwergerl, und dann stürzen alle anderen hinterher. Innerhalb von Stunden ändern 90 Abgeordnete ihre Meinung. Angesichts eines solch entscheidenden und wichtigen Themas, über das man im Landtag jahrelang so intensiv debattiert hat, ist das unglaublich. Alle Argumente sind über Bord geworfen worden; die Positionen sind geräumt worden. Ich sage Ihnen: Ohne Urteil wäre das doch nicht passiert. Das muss man doch ehrlicherweise ganz offen sagen. Wenn das Urteil nicht so ausgegangen wäre, Herr Ministerpräsident, dann würden