Protocol of the Session on July 17, 2007

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bayern kann heuer mit zusätzlichen Steuereinnahmen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro rechnen. Davon wollen wir 983 Millionen Euro noch in diesem Jahr – jetzt! – in Kindergärten, Schulen, Hochschulen, Klimaschutz und Arbeitsplätze investieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Menschen in Bayern haben einen Anspruch darauf, dass die Staatsregierung jetzt handelt. Deshalb fordern wir, die Haushaltssperren aufzuheben. Heben Sie die Haushaltssperren jetzt auf!

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf des Abgeord- neten Manfred Ach (CSU))

Kollege Ach, es stehen 180 Millionen Euro bereit, von denen auch Sie gesagt haben, sie seien notwendig. Sie stehen in unserem Haushalt für die Hochschulen, die Kinderbetreuung, die Hauptschulen und den ländlichen Raum bereit.

(Zuruf des Abgeordneten Manfred Ach (CSU))

Jeder weiß, dass diese Mittel dringend gebraucht werden. Die CSU und die Staatsregierung verkünden, dass sie diese Bereiche morgen stärken wollen. Aber heute sperrt die Staatsregierung genau da die Mittel. Wir wollen diese Mittel freigeben, und zwar sofort! Denn damit helfen wir den Menschen, die auf Unterstützung warten, heute. Deswegen fordern wir den Finanzminister auf: Geben Sie diese Mittel endlich frei, Herr Finanzminister!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, wir GRÜNEN wollen den Stillstand in Bayern jetzt beenden. Wir wollen jetzt handeln. Die CSU, Stoiber, die Staatsregierung haben uns heute mit großem Getöse ein sogenanntes Zukunftsprogramm präsentiert. Bis zum Jahre 2011 sollen 1,5 Milliarden Euro überwiegend in Hochschulen, Ganztagsschulen und Kinderbetreuung investiert werden. Aber dabei handelt es sich nicht um die Zukunftsaufgaben von morgen, sondern es geht nur um die Nacharbeiten von gestern. Sie wollen nicht jetzt handeln, sondern Sie, meine Damen und Herren, wollen irgendwann handeln und schieben das Handeln wieder in die Zukunft. Alles, was Sie in den letzten Jahren versäumt haben, schieben Sie noch weiter auf. Handeln Sie jetzt!

Immerhin geben Sie, Herr Ministerpräsident – er ist schon weg! –,

(Zuruf von der CSU: Nein, er ist hier!)

indirekt zu, dass Sie in den letzten Jahren viel versäumt haben. Das ist schon etwas. Aber tätige Reue ist das noch lange nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dafür gehen Sie die Nachholarbeiten noch immer viel zu zögerlich an, mit zuwenig Elan und mit zu wenigen Mitteln. Das Programm 2020 bemisst sich genau danach, wie viel Geld heute zufällig übrig ist. Auch darin ist es kein Zukunftsprogramm, sondern ein Zufallsprogramm. Die

Zukunft darf nur soviel kosten, wie die Konjunktur gerade hergibt.

Bei der ersten Vorstellung des Programms hieß es noch großsprecherisch in den Zeitungen: Stoiber will mit zusätzlichen 8 Milliarden Euro Bayerns Spitzenstellung sichern.

Etwas später waren die Schlagzeilen schon etwas gemäßigter: Pünktlich zum Wahljahr: Stoiber verspricht Milliarden. Da war dann nur noch von mehreren Milliarden die Rede.

Letzte Woche hieß es dann: Im nächsten Jahr werde ein dreistelliger Millionenbetrag investiert. Und heute haben Sie, Herr Ministerpräsident, zwar mit großen Zahlen jongliert, aber so gut wie keine konkreten Termine genannt.

Dabei ist klar: Selbst der Nachtragshaushalt für dieses Jahr wird größer sein als Ihr sogenanntes Programm 2020. Das ist ganz schön wenig Zukunft für so viele großspurige Ankündigungen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch deshalb haben die Menschen das Vertrauen verloren, dass Sie die Zukunft meistern können.

Je länger die Machtkämpfe in der CSU dauern, desto mehr ist die Zukunft geschrumpft.

Dabei war die Zukunft, die Sie, Herr Ministerpräsident, im Blick hatten, schon von Anfang an sehr beschränkt. Wichtige Zukunftstrends haben Sie einfach ignoriert: den Klimawandel, die demografi sche Entwicklung, die Probleme der Menschen im ländlichen Raum. Das alles kam bei Ihnen nicht vor, und es kommt auch heute kaum vor. Die Zukunft für Bayern kann nur gewinnen, wer die Wirklichkeit wahrnimmt. Da sich die Wirklichkeit längst geändert hat, braucht Bayern neue Konzepte.

Die drei wichtigsten Politikfelder sind Bildung, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hier brennt es jetzt schon am meisten, und hier müssen wir heute die Weichen für morgen stellen.

Beginnen wir mit dem bayerischen Bildungssystem. Das dreigliedrige Schulsystem mag in der Vergangenheit gute Dienste geleistet haben, als der Arbeitsmarkt noch einfacher strukturiert war, als es noch keinen globalen Wettbewerb gab, als es aber dafür eine relativ stabile gesellschaftliche Schichtung gab. Das alles hat sich inzwischen völlig geändert, wie wir alle wissen. Nur das bayerische Bildungssystem ist noch starrer und undurchlässiger geworden.

Es wird den Herausforderungen einer modernen Gesellschaft einfach nicht mehr gerecht.

(Eduard Nöth (CSU): Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)

Das muss man einfach so sagen, Herr Kollege.

Unser Bildungssystem ist wie ein Mantel, aus dem die Gesellschaft herausgewachsen ist. Das dreigliedrige Schulsystem passt nicht ins 21. Jahrhundert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, der Titel Ihrer heutigen Regierungserklärung lautet „Kinder, Bildung, Arbeitsplätze“. Wenn wir das bayerische Bildungssystem überprüfen, stellen wir fest, dass es zu vielen Kindern nicht gerecht wird. Es ist ineffi zient und bei Weitem nicht so leistungsfähig, wie es die Entwicklung unserer Gesellschaft erfordert. Wenn wir das Bildungssystem nicht verbessern, kostet es künftig Arbeitsplätze. Der Kernfehler unseres bayerischen Bildungssystems, auf den viele Studien von Pisa bis zum bayerischen Bildungsbericht hingewiesen haben, besteht darin, dass unsere Kindergärten und Schulen nur für Kinder taugen, die von zu Hause viel mit auf den Weg bekommen und die kräftig unterstützt werden. Das wünschen wir uns für alle Kinder. Aber viele Kinder haben Eltern, deren Vermögen nicht groß genug ist. Diese Kinder können heute ihr Potenzial nicht entwickeln. Kinder aus ärmeren Familien haben besonders schlechte Chancen. Das gibt selbst der Kultusminister zu. Noch schlechter sieht es für Kinder aus armen Einwandererfamilien aus. Das zeigt ein Blick auf die Schulabgänger ohne Abschluss.

Bei deutschen Schulabgängern schneidet Bayern so schlecht ab wie der bundesdeutsche Durchschnitt. Bei ausländischen Jugendlichen gehen im Bundesdurchschnitt 17,5 % ohne Abschluss von der Schule. Das ist schlimm genug. In Bayern sind es aber 21,6 %. Das ist wirklich ein erbärmliches Ergebnis.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nur wenn wir alle Kinder bestmöglich fördern können, wird Bayern zukunftsfest. Deswegen brauchen wir einen neuen, weiteren Mantel, unter dem alle unsere Kinder Platz haben und sich behütet entfalten können. Wir brauchen eine Schule für alle.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gibt nur ganz wenige Länder, die ihr Schulsystem noch nicht modernisiert haben. Alle diese Länder arbeiten am Übergang zu einem zeitgemäßen Bildungssystem. Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, lehnen nach wie vor jede Suche nach modernen Wegen vehement und pauschal ab.

Ich bin mir aber sicher, dass auch Sie längst Zweifel quälen. Wenn man allein in der Welt dasteht, muss man Zweifel haben. Die Diskussion ist auch bei uns längst im Gange. Das wissen Sie. Das dreigliedrige Schulsystem funktioniert in den Städten nicht mehr. Die tiefe Krise der Hauptschule ist auch für Sie nicht zu übersehen. Das dreigliedrige Schulsystem funktioniert auch auf dem Land

nicht mehr. Überall kämpfen Gemeinden gegen Schulschließungen.

Kolleginnen und Kollegen, das fi nnische Schulsystem war unserem Schulsystem einmal sehr ähnlich. In den Siebzigerjahren gab es dort eine ähnliche Bevölkerungsentwicklung wie bei uns. In den ländlichen Regionen wurden die Schülerinnen und Schüler weniger. Um die Schulen im Dorf zu lassen, haben die Finnen Gymnasien und Volksschulen zusammengelegt. Sie haben eine Schule für alle entwickelt. Heute gehört Finnland zu den wirklichen PisaSiegern. Auch bei uns kämpfen die Kommunen um ihre Schulen. Sie fürchten mit Recht, dass sie mit der Schule auch die Zukunft verlieren. Wir GRÜNE wollen deshalb die Schulen im Dorf lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Johann Neumeier (CSU): In jedem Dorf?)

Deshalb schlagen wir vor, angepasste regionale Lösungen zuzulassen. Wir öffnen das gegliederte Schulsystem entsprechend dem Bedarf vor Ort. Dann müssen keine Schulen schließen.

Vielen bayerischen Lehrerinnen und Lehrern sowie Kindern und Eltern machen die frühe Auslese und die Dreigliedrigkeit das Leben schwer. Das ist es aber nicht allein. Es gibt so viele Mängel, die mit dieser Grundsatzfrage nichts zu tun haben. Gegen diese Mängel müssen Sie doch endlich vorgehen, Kolleginnen und Kollegen. Die Klassen sind zu groß. Wir fordern seit Jahren, dass keine Klasse über 25 Schüler haben darf. Jetzt wollen auch CSU und Staatsregierung reagieren. Im nächsten Schuljahr wollen sie 100 neue Lehrerstellen schaffen. Sie wollen die Klassen an den Realschulen und Gymnasien auf höchstens 33 Schüler verkleinern. Kollege Herrmann, halten Sie das wirklich für eine Errungenschaft? Sind 33 Schüler in einer Klasse wirklich ein Fortschritt?

(Zuruf von der CSU: Maximum! – Maria Schar- fenberg (GRÜNE): Das ist Zukunft?)

Bayern ist Schlusslicht bei den Ganztagsschulen. Nun wollen Sie und Ihre Fraktion, Kollege Herrmann, mittelfristig an allen Schulen Ganztagsbetreuung einführen. Es reicht aber nicht, wenn die Kinder nur betreut werden. Die Kinder müssen gefördert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deswegen fordern wir seit Jahren ein fl ächendeckendes Angebot an echten Ganztagsschulen. Ausreichendes und qualifi ziertes Personal und genügend Zeit und Hilfen für die Kinder fehlen an allen Schularten und in den Kindergärten. Sie alle wissen, dass es in Bayern zu wenige Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren gibt. Auch hier ist Bayern Schlusslicht. Sie wissen auch, dass die Kindergärten nicht zu echten Bildungseinrichtungen werden können, solange sie zu wenig Personal haben. Der neue Bildungs- und Erziehungsplan enthält alles, was Kinder brauchen. Er kann aber in der Praxis nicht umgesetzt werden. Fast alle Kinder besuchen das letzte Kindergartenjahr. Zu viele werden aber nicht ausreichend gefördert. Was sagt die CSU dazu? – Sie sagt, es gibt keine Probleme. Wir sagen, das Bayerische Kinder

bildungs- und -betreuungsgesetz muss dringend nachgebessert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)