Protocol of the Session on March 7, 2007

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner- Muggendorfer (SPD))

Eine analoge Anwendung des Erwachsenenstrafvollzugsgesetzes auf den Vollzug der Jugendstrafe scheidet nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus.

Wir reden in Bayern, wenn wir über Jugendstrafvollzug reden, über etwa 750 bis 800 junge Menschen aus der Generation unserer Kinder oder, wenn ich so um mich schaue, vielleicht sogar aus der Generation der Enkel.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Da oben!)

Da oben, das sind Jüngere.

Natürlich wissen wir, dass die Verurteilung zu einer Jugendstrafe ohne Bewährung – und nur davon reden wir jetzt – nur erfolgt, wenn alle anderen Sanktionsmöglichkeiten des Jugendgerichtsgesetzes nicht mehr ausreichen, wenn also schon erhebliche kriminelle Energie zutage getreten ist. Wir wissen auch, dass der Vollzug der Jugendstrafe deshalb nicht als Ferienlager organisiert werden kann, sondern schon auch geeignet sein muss, den jungen Straftätern das Unrecht ihrer Tat vor Augen zu führen. Dennoch und gerade weil es sich um junge Menschen handelt, muss aber das Ziel der sozialen Integration durch Erziehung und Förderung während des Vollzugs im Mittelpunkt stehen. Auch wenn es populär geworden ist, Wegsperren für immer zu fordern

und auch noch die allerletzten sogenannten Gesetzeslücken zu schließen, hat man bei nüchterner Betrachtung davon auszugehen, dass jede Freiheitsstrafe – und erst recht die Jugendstrafe – zeitlich befristet ist und es darauf ankommt, wie es nach dem Vollzug der Strafe weitergeht, ob junge Gefangene während des Vollzugs der Strafe dazu befähigt werden, künftig ein Leben ohne Straftaten zu führen.

Wer aber wie die Staatsregierung in ihrem Diskussionsentwurf – möglicherweise ist es mittlerweile schon ein Referentenentwurf – diese Zielvorgabe relativiert und sie gleichrangig oder gar nachrangig neben die Aufgabe der sicheren Verwahrung während des Strafvollzugs stellt, bekommt vielleicht einmal eine billige Schlagzeile, wird seiner Aufgabe aber nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD)

Wie ein moderner Strafvollzug an jungen Menschen auszusehen hat, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom Mai des letzten Jahres in dankenswerter Klarheit ausgeführt. Ich kann das jetzt im Einzelnen nicht darstellen. Nur soviel vielleicht:

Es muss berücksichtigt werden, dass die jungen Menschen den Großteil ihres Lebens noch vor sich haben,

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner- Muggendorfer (SPD))

dass sie in der Regel über keine Schulausbildung verfügen, auch keinen Beruf erlernt haben, dass sie Defi zite aufweisen, die sie ja dazu gebracht haben, dass sie schließlich in der Jugendstrafanstalt gelandet sind. Es muss klar sein beim Jugendstrafvollzug, dass die Erziehung und Förderung stärker in den Mittelpunkt gerückt werden muss als die Disziplinierung und Verwahrung.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner- Muggendorfer (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das bedeutet aber auch, dass der Jugendstrafvollzug besser als bisher ausgestattet werden muss mit qualifi zierten Mitarbeitern, die den Vorgaben des Jugendgerichtsgesetzes gerecht werden. Meine Damen und Herren, wir als Sozialdemokraten wollen versuchen, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts möglichst eins zu eins umzusetzen. Das bedeutet – schlagwortartig – dass der Jugendstrafvollzug in Bayern stärker als bisher – und das sage ich, weil ich weiß, dass es viele engagierte Mitarbeiter im bayerischen Jugendstrafvollzug gibt – an dem Ziel der Erziehung und Förderung ausgerichtet werden muss.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner- Muggendorfer (SPD))

Das bedeutet auch, dass dem offenen Vollzug und der Lockerung des Vollzugs dann, wenn es verantwortet werden kann, wesentlich mehr Bedeutung beigemessen werden muss als bisher.

Ich habe soeben in einer Pressemitteilung der Staatsregierung gelesen, dass uns vorgehalten wird, das sei doch realitätsfremd und gehe an den Erfahrungen der Praxis vorbei. Ich verweise darauf, dass das geltende Gesetzeslage ist. Es steht so im Strafvollzugsgesetz und gilt nach wie vor. Wir haben allerdings den Missstand, wie ich meine, dass von den Möglichkeiten der Vollzugslockerung und der Schaffung offener Vollzugsmöglichkeiten dann, wenn sich die Gefangenen dafür eignen, von Bundesland zu Bundesland völlig unterschiedlich Gebrauch gemacht wird.

Weiter, meine Damen und Herren, bedeutet ein moderner Jugendstrafvollzug, dass die Möglichkeiten der Sozialtherapie für Sexual- und Gewalttäter ausgebaut werden müssen, dass die jungen Gefangenen praktisch vom Tag des Haftantritts an auf den Tag der Entlassung gezielt vorbereitet werden müssen und dass im Übrigen auch die Anstalten umgebaut werden müssen, sodass mehr Einzelhafträume zur Verfügung gestellt werden, auch im Interesse des einzelnen Gefangenen,

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner- Muggendorfer (SPD))

um Übergriffe, wie sie in Siegburg und andernorts stattgefunden haben, zu verhindern. Es bedeutet auch, dass ein differenzierter Wohngruppenvollzug eingeführt und, wenn es geht, zur Regelform wird.

Meine Damen und Herren, ich kann jetzt nicht mehr über die Notwendigkeit reden, dass junge Leute mehr Besuchsmöglichkeiten haben müssen,

(Thomas Kreuzer (CSU): Es gibt ja auch noch eine Zweite Lesung, Herr Kollege!)

dass die Kontakte zur Außenwelt anders gestaltet werden müssen als bei Erwachsenen, dass im Übrigen auch der Rechtsweg gegen Entscheidungen der Anstalt einfacher gestaltet werden muss, als es bisher der Fall ist über eine ganz abseitige Vorschrift im EGGVG, und dass die konkrete Gestaltung des Vollzugs wissenschaftlich begleitet und seine Wirkung erforscht werden muss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben einen Vorschlag gemacht, der sich zum Teil an den Vorschlägen der Bundesjustizministerin und zum Teil an dem orientiert, was die Gruppe der neuen Länder vorgegeben hat, zum Teil auch an dem, was im Diskussionsentwurf der Staatsregierung an Richtigem steht. Dennoch unterscheidet sich unser Gesetzentwurf nicht nur in Marginalien, sondern, wie ich meine, durchaus deutlich von dem, was die Staatsregierung bisher vorgelegt hat. Das ist kein großes Unglück, sondern zeigt die Möglichkeiten auf, wie man es machen kann. Dann ist es eine politische Entscheidung, ob man im Prinzip so weitermacht wie bisher – so will es die Staatsregierung, und ich sage ausdrücklich dazu, das ist nicht schlecht, auch im Vergleich mit anderen nicht – oder ob man einen Schritt weitergeht und versucht, dem, was das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, näher zu kommen, als es die bisherige Praxis des Vollzugs tut.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Vorschläge haben nichts mit Laschheit oder Kuschelpädagogik zu tun und auch nichts mit Milde, die es in Bayern, wie man aktuell hört, auch unter dem voraussichtlich künftigen Ministerpräsidenten nicht geben soll. Unsere Vorschläge basieren auf der schon fast als banal zu bezeichnenden Erkenntnis, dass die Allgemeinheit am besten dann vor weiteren Straftaten geschützt werden kann, wenn Gefangene die Vollzugsanstalten besser verlassen, als sie hineingekommen sind.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner- Muggendorfer (SPD))

Da gibt es trotz guter Ansätze und des Engagements der Bediensteten im bayerischen Jugendstrafvollzug noch viel zu tun. Wir sollten die Gelegenheit ergreifen und gemeinsam ein Gesetz erlassen, das den Anforderungen der neuen Zeit genügt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

Als Nächstem darf ich Herrn Kollegen Welnhofer in der Aussprache das Wort erteilen.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ein Wort zum „Fleckerlteppich“. Ich bin der Meinung, es gehört selbstverständlich zu einem föderativen Staatsaufbau, dass es in den einzelnen Regionen, in den einzelnen Ländern, zu möglicherweise höchst unterschiedlichen Regelungen kommt. Das haben wir über die Fraktionsgrenzen hinweg in der Enquete-Kommission „Reform des Föderalismus“ nicht als Nachteil, sondern als Vorteil empfunden. Ich möchte das jetzt aber nicht vertiefen.

Im Strafvollzug wird das Rad nicht neu zu erfi nden sein. Kollege Schindler hat aber auch recht, wenn er sagt, der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion unterscheide sich nicht nur marginal vom Gesetzentwurf der Staatsregierung.

(Franz Schindler (SPD): Den gibt’s aber noch gar nicht!)

Das sehen wir auch so. Wir sind allerdings der Meinung, dass – und das wird in den Beratungen zu vertiefen sein – der Gesetzentwurf der Staatsregierung den Vorzug verdient.

Wir wollen zunächst einmal ein Gesamtkonzept für den Strafvollzug. Wir wollen den Jugendstrafvollzug, der natürlich seine Besonderheiten hat, in ein Strafvollzugsgesetz integrieren, das alle Bereiche des Strafvollzugs als Gesamtregelwerk umfasst. Insofern unterscheiden wir uns. Wir wollen auch nicht davon abrücken – das sage ich in aller Deutlichkeit –, dass oberste Priorität nicht die Belange des Täters haben, sondern der Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten, meine Damen und Herren. Das ist unser Maßstab, das ist unsere Doktrin, von der wir auch nicht abrücken werden.

(Franz Schindler (SPD): Ideologie!)

Das ist keine Ideologie.

(Franz Schindler (SPD): Doch!)

Ich räume sogar ein, meine Damen und Herren, dass der beste Schutz der Bevölkerung

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Alle wegsperren!)

im Gelingen der Resozialisierung besteht. Aber es ist eben lebensfremd, davon auszugehen, dass alle oder auch nur die allermeisten Täter resozialisierungswillig und resozialisierungsfähig sind. Das Gegenteil ist die Wahrheit, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Wenn es sich aber absehen lässt, dass Resozialisierung voraussichtlich gelingen wird – nicht nur vielleicht gelingen könnte –, dann sind wir natürlich auch dafür, dass die Möglichkeiten ausgeschöpft werden, das ist ganz klar. Aber über allem stehen für uns die berechtigten Sicherheitsinteressen der Bevölkerung.

Ich bin auch der Meinung, dass der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion die Förderung der jungen Gefangenen allzu sehr in den Mittelpunkt stellt. Gefangene müssen aber nicht nur gefördert, sondern auch gefordert werden. Einvernehmliche Fördervereinbarungen zwischen Anstalt und Gefangenem, wie sie gefordert werden, wären zwar gut gemeint, aber die Erfahrung zeigt, dass die Klientel dazu meist gar nicht in der Lage ist, zumindest nicht am Beginn des Vollzugs. Aus dem gleichen Grund sind wir auch nicht dafür, dass der offene Vollzug als Regelvollzugsform eingeführt wird. Dafür gibt es einfach bei den meisten, auch und vielleicht gerade bei den meisten jungen Gefangenen viel zu viele Defi zite. Wir sind also für den geschlossenen Vollzug als Regelfall. Wenn sich dann im Laufe der Zeit herausstellt, dass ein Gefangener für den offenen Vollzug geeignet ist, dann kann man dem gegen Ende der Haftzeit nähertreten.

Ähnliches gilt auch für den Wohngruppenvollzug, der einem Leben in Freiheit angenähert sein soll. Dazu bedarf es eines besonderen Verantwortungsbewusstseins bei den Gefangenen. Man kann nicht von vornherein sagen, ob das vorliegt. Das kann man auf keinen Fall unterstellen, sondern das muss man erst im Verlauf des Vollzugs prüfen.

Insgesamt ist festzustellen: Herr Kollege Schindler, aus unserer Sicht enthält der Entwurf der SPD-Fraktion realitätsferne Vorstellungen, denen wir uns nicht anschließen können. Es gibt andererseits auch vernünftige Vorstellungen darin. Sie haben selbst gesagt, dass Sie einen Teil Ihrer Vorschläge dem Gesetzentwurf – dem VorGesetzentwurf, wenn Sie so wollen – der Staatsregierung entnommen haben. Die Staatsregierung macht fast immer vernünftige Vorschläge, wie wir alle wissen. Insofern werden wir also in der weiteren Beratung sowohl Übereinstimmung als auch Kontroversen haben. Wir wollen diesen Gesetzentwurf nach Möglichkeit zusammen mit dem Gesetzentwurf der Staatsregierung beraten und uns um ein sachgerechtes Ergebnis bemühen.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Welnhofer. Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Stahl.

Frau Präsidentin, meine Herren und Damen! Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai vergangenen Jahres wurde eine alte GRÜNEN-Forderung bestätigt, die lautet: Für den Eingriff in elementare Grundrechte, auch von Jugendlichen, etwa durch freiheitsentziehende Maßnahmen, muss es eine gesetzliche Grundlage geben. Darüber hinaus ist es für uns GRÜNE wichtig, dass Standards für einen sinnvollen und erfolgreichen Jugendstrafvollzug festgeschrieben werden; denn Bootcamps – dazu lege ich Ihnen einschlägige Gutachten und Erkenntnisse ans Herz – haben ausgedient. Sie sind gescheitert und haben die Straffälligkeit von Jugendlichen massiv erhöht.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wir geben Jugendliche nicht so schnell auf; denn wir wissen – und darin werden wir von sämtlichen Fachverbänden bestätigt –, wie viel Positives bei einer richtigen Erziehung und Förderung der Jugendlichen noch erreicht werden kann. Voraussetzung hierfür ist jedoch ein pädagogisches Konzept und nicht ein reiner Verwahrvollzug. Ich unterstelle aber nicht, dass ihn hier jemand möchte. Ich hätte jedoch erwartet, dass der Gesetzentwurf der Staatsregierung für die circa 1050 im Moment einsitzenden Jugendlichen und Heranwachsenden entsprechende Konzepte enthält, was ich aber daraus nicht ersehen kann.

Ich nehme zur Kenntnis, dass Frau Justizministerin Merk zu unserem Gesetzentwurf auf Drucksache 15/7334 zur Regelung des Jugendstrafvollzugs in Bayern leider eine Pressemitteilung herausgegeben hat, welche die alten Haudrauf-Argumente enthält, anstatt sich wirklich damit auseinanderzusetzen. Das wäre besser gewesen, als in Totschlagmanier zu reagieren. Ich bedauere es sehr, dass die SPD, nachdem wir unseren Gesetzentwurf am 1. Februar eingereicht hatten, es nicht zulassen wollte, dass wir hier zu diesem Gesetzentwurf reden. Das können wir aber nachholen.