Protocol of the Session on February 27, 2007

Herr Staatsminister, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen. Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, aber die Glocke hat nicht Ihnen gegolten, ich wollte Ihnen nur etwas mehr Ruhe verschaffen. Vielen herzlichen Dank.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung ist die Fraktion der SPD vorschlagsberechtigt. Die Aktuelle Stunde hat das Thema: „Bayern – aber gerechter. Was sind uns unsere Kinder wert? Bayern braucht endlich ein ausreichendes Angebot an Kinderkrippen!“

Dazu darf ich Frau Kollegin Werner-Muggendorfer das Wort erteilen. Zehn Minuten Redezeit sind für Sie beantragt worden. Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Eine Aktuelle Stunde zu einem aktuellen Thema – die Diskussion um die Betreuungssituation der unter Dreijährigen. Voraus möchte ich sagen, ich freue mich, dass die Bundesfamilienministerin von der CDU die erfolgreiche Arbeit von Renate Schmidt fortführt und das, was von ihr begonnen wurde, umsetzt.

(Beifall bei der SPD)

Endlich bewegt sich auch bei der CDU/CSU etwas. Hier und heute geht es allerdings darum, dass wir uns mit der bayerischen Situation befassen, endlich objektiv die bayerische Politik auf diesem Gebiet betrachten und uns mit den bayerischen Zahlen auseinandersetzen. Hier muss ich feststellen, dass einige Äußerungen in einem großen Widerspruch zur Realität stehen. Ich will deutlich machen, dass der Rückstand, den Bayern bei der Versorgung der unter Dreijährigen hat, kein bundespolitisches Problem ist. Nein, ganz allein Sie, die Bayerische Staatsregierung, und Sie, Frau Ministerin, haben das zu vertreten. Das ist ein Versäumnis der CSU-Regierung.

(Beifall bei der SPD – Susann Biedefeld (SPD): Hausgemacht!)

Genau, hausgemacht. Es ist interessant, nachzulesen, was in der letzten Plenarsitzung gesagt wurde, und zu hören, was auch heute wieder auf Pressekonferenzen erklärt wurde, dass man nämlich das Geld vom Bund nicht brauche. Es ist schon interessant, wenn die CSU-Fraktion auf Mittel verzichtet, die eigentlich den Kommunen zustehen. Ich würde mich freuen, wenn sich die Kommunen in der Sache einmal zu Wort melden würden. Schließlich ist das Geld, das den Kommunen abgeht.

Interessant fi nde ich in dem Zusammenhang auch, dass es nur ein paar Bürgermeister sind, die man da „gangig“ machen muss – wie das im Bairischen heißt – oder die man auf Trab bringen muss, wie Herr Herrmann gesagt hat. Da bin ich gespannt, wie er das macht. Wir wollen deutlich machen, dass die Kommunen hier schon viel geleistet haben und Vorausleistungen erbracht haben, als die Bayerische Staatsregierung noch gar nicht daran gedacht hat, irgendetwas für Kinderkrippen zu tun. In diesem Zusammenhang muss ich die Landeshauptstadt München ansprechen, die auf diesem Gebiet sehr viel getan hat. Ohne sie würde es zappenduster oder stockmauernfi nster ausschauen.

(Beifall bei der SPD)

Nicht ertragen kann ich in diesem Zusammenhang die Lobhudelei. Warum muss man denn soviel Geld in die Kinderbetreuung stecken? – Ich gebe zu, dass man jetzt Geld in die Hand nimmt, aber warum? – Weil vorher in den Ausbau kein Geld gesteckt wurde. Deshalb.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben jahrzehntelang diese Aufgabe nicht wahrgenommen. „Wahrnehmen“ meine ich hier im doppelten Sinne. Wenn man ideologisch verblendet ist und den Bedarf nicht wahrnimmt, dann muss man später umso mehr Geld in die Hand nehmen. Wenn man von 5500 Kinderkrippenplätzen, die die Staatsregierung auf Nachfrage im Jahr 2000 genannt hat, auf 9700 Plätze kommt, dann hört sich das in Prozenten ausgedrückt hervorragend an. In tatsächlichen Zahlen ausgedrückt ist das aber etwas ganz anderes. Wenn man nämlich für über 300 000 Kinder von null bis drei Jahren gerade einmal 9700 Plätze anbietet, dann ist das ein trauriges Ergebnis.

(Beifall bei der SPD)

Wenn die Landeshauptstadt München nicht die Hälfte dieser Plätze anbieten würde, dann sähe es noch schlechter aus.

Dazu kann ich nur sagen: Da ist Bayern nicht Spitze. Da kann sich Bayern wirklich nichts ans Revers heften.

Wir müssen Klartext reden, wie bisher die Zahlen geschönt und was hineingerechnet wurde. Ich sage ausdrücklich: Die Tagespfl ege ist oft die einzige Möglichkeit für Menschen auf dem Lande, für unter Dreijährige Plätze zur Verfügung zu stellen. Gerade die letzten Entwicklungen zeigen aber, dass die großen Tagespfl egestellen, die das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz – BayKiBiG – vorsieht, in denen 10 bis 20 Kinder von zwei Personen im Schichtdienst betreut werden, nicht „das Gelbe vom Ei“ sein können.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Damit können wir nicht einverstanden sein, da man auch weiß, dass die dort betreuenden Personen nur 80 Stunden Ausbildung nachweisen müssen. Bei der Gelegenheit rate ich Ihnen, über die Grenzen nach Rheinland-Pfalz zu sehen. Dort müssen 160 Stunden nachgewiesen werden. So betrachtet stellt man fest, dass Ihre Lösung den Kindern nicht gerecht wird.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich habe die Altersöffnung des Kindergartens stets befürwortet. Wenn aber Zweijährige bei 23 drei- bis sechsjährigen Kindern „irgendwie mitlaufen“, weiß man, dass man diesen Kindern nicht gerecht werden kann, wenn kein zusätzliches Personal zur Verfügung gestellt wird.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Man kann die Bedürfnisse der Kinder nicht befriedigen. Dazu kann ich nur sagen: Schaffen Sie in Bayern endlich vernünftige Angebote für die unter Dreijährigen. Schaffen Sie Kinderkrippenplätze, weil auch hier Bayern nicht Spitze ist.

Ich will Ihnen ein paar Argumente nennen, warum ich meine, dass das Betreuungsangebot sehr wichtig ist: Einmal ist das das Bildungsargument, Bildung von Anfang an. Ich vergleiche Bildung mit dem Bau eines Hauses. Jeder, der ein Haus baut, weiß, dass das Fundament sehr wichtig ist. Das Fundament muss gut gelingen, um darauf ein vernünftiges Haus bauen zu können. Die Bildung vor der Schulzeit ist damit zu vergleichen. Herr Prof. Dr. Fthenakis und Frau Dr. Becker-Stoll vom Staatsinstitut für Frühpädagogik unterstützen diese Meinung und betonen beide gleichermaßen, dass die frühe Bildung sehr wichtig sei und es den Kindern nicht schade, wenn sie in Kinderkrippen betreut und dort gebildet werden, wenn die Bindung zu den Eltern vernünftig sei, was vorausgesetzt wird. Dem Ganzen wird ein Vorsprung von zwei Jahren in der Entwicklung zugemessen, sodass ein Kind, das in einer Kinderbetreuungsstätte betreut wird, umso besser lernen kann.

Zur wirtschaftlichen Seite, die der CSU sehr wichtig ist, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung festgestellt, dass die frühkindliche Bildung 8 % Rendite bringe. Es muss also auch Ihnen einleuchten, dass das ein wichtiges Argument ist.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ebenfalls ein wichtiges Argument. Meine Kollegin wird darauf eingehen. Sie reden stets von Wahlfreiheit und wollen sie hochhalten. Was bedeutet das denn? – Ich muss zwischen zwei Dingen wählen können.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich muss zwischen der Möglichkeit, zu Hause bleiben zu können, und der anderen Möglichkeit, der Kinderbetreuung, wählen können. Ich muss zwischen zwei Möglichkeiten wählen können. Sie lernen das gerade anlässlich der Neuwahl Ihres Parteivorsitzenden.

(Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielleicht lernen Sie auch, was Wahlfreiheit bei der Kinderbetreuung bedeutet. Wenn es keine zwei Möglichkeiten gibt, kann man nicht von Wahlfreiheit oder Wahlmöglichkeit reden.

(Karin Radermacher (SPD): Das ist nicht gewollt!)

Ich möchte ein paar Aussagen zu dem Vorschlag der SPD auf Bundesebene zur Finanzierung zusätzlicher Krippenplätze machen. Mein Kollege Joachim Wahnschaffe wird darauf näher eingehen. Warum hat die SPD ein Finanzierungskonzept vorgelegt? – Weil die zuständige Ministerin keines vorlegt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Das ist ein Armutszeugnis. Man kann freilich ein Wunschkonzert bestellen, wenn man die Musik nicht bezahlen muss. In dem Zusammenhang möchte ich einen Grundsatz deutlich machen: Wir wollen von den Transferleistungen wegkommen, die bisher den Familien gegeben werden, wie das Kindergeld, Steuerfreibeträge usw., hin zu den Betreuungseinrichtungen. Es muss ein Paradigmenwechsel stattfi nden. Was kommt denn dem Kind zugute? – 10 Euro Kindergelderhöhung kommen ihm nicht so zugute wie ein vernünftiger Kinderbetreuungsplatz. Das wäre wichtig.

Ich habe gelesen, dass sich die CSU um die fi nanzielle Situation der Familien kümmern wolle.

Herr Herrmann, ich fordere Sie auf, dort Verantwortung zu übernehmen, wo Sie sie haben. Schaffen Sie das Büchergeld und die Studiengebühren ab. Damit können Sie den Familien helfen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Warum ist uns auch für Bayern ein ausreichendes Betreuungsangebot wichtig? Für wen wollen wir vernünftige Familienpolitik machen? Wollen wir das für den Staat, damit es mehr Steuerzahler gibt, und damit der Wirtschaftsfaktor gesehen wird, dass die Sozialversicherungssysteme mehr Einzahler haben, oder für die Wirtschaft, dass sie gut ausgebildete Fachkräfte hat? Oder wollen wir Politik für die Familien und die Kinder machen? – Meine Fraktion möchte Politik für die Familien und die Kinder machen. Das bedeutet ein gutes Aufwachsen der Kinder, ein Aufwachsen ohne schlechtes Gewissen der Eltern. Sie alle kennen den Begriff „Rabenmutter“. Unsere Prämisse muss sein: Das Beste für die Kinder. Um das einzulösen, haben wir in Bayern noch einiges zu tun.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Unterländer, bitte.

Die CSU-Landtagsfraktion, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Frau Präsidentin, bekennt sich mit Nachdruck zu dem bedarfsgerechten Ausbau von Betreuungsplätzen auch für unter Dreijährige.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Als auch dagegen!)

Der Freistaat Bayern hat mit dem Rechtsanspruch der Kommunen auf Krippen- und Tagespfl egefi nanzierung gegenüber dem Freistaat Bayern, wie im Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz festgelegt, die notwendigen Voraussetzungen geschaffen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Nach vielen Jahren!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Frau Kollegin Werner-Muggendorfer, erlauben Sie mir, dass ich, wenn

Sie von Lobhudelei für den Freistaat Bayern ausgehen, Ihre Lobhudelei für die Landeshauptstadt München als unerträglich betrachte. Da auf jeden Kinderbetreuungsplatz in dieser Stadt neun wartende Familien kommen, können Sie nicht von paradiesischen Zuständen sprechen. Ich halte es für einen Skandal, wie das Thema im Ballungsraum München behandelt wird.

(Beifall bei der CSU – Johanna Werner-Muggen- dorfer (SPD): Sie haben die Hälfte der Plätze im Freistaat, obwohl der Staat nicht hilft!)

Die Diskussion über die Notwendigkeit des Ausbaus von Kinderbetreuungsmöglichkeiten darf nicht dazu führen, dass familiäre Lebensbilder gegeneinander ausgespielt werden. Es ist fatal, wenn zusätzliche Plätze für Betreuungseinrichtungen und das dahinter stehende Konzept dahingehend interpretiert werden, als ob Frauen als „Gebärmaschinen“ dienen sollen. Dies diskriminiert familiäre Lebenswelten, die die Realität darstellen, genauso wie die Qualität von Kinderbetreuungseinrichtungen. Auf der anderen Seite ist es aber auch in dieser Diskussion notwendig darauf hinzuweisen, dass eine gute Bindung von Kindern zu Eltern und umgekehrt die entscheidende Voraussetzung für die optimale Förderung von Kindern und für eine gelingende menschliche Entwicklung sind. Deshalb kann vor einem Schwarz-Weiß-Denken in diesem Zusammenhang nur nachdrücklich gewarnt werden.