Protocol of the Session on December 13, 2006

Nächste Rednerin: Frau Kollegin Stahl.

Herr Präsident, meine Herren und Damen, einen wunderschönen guten Morgen!

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Guten Morgen, Frau Lehrerin! So schön ist er auch wieder nicht!)

Ich habe nicht gesagt: liebe Schülerinnen und Schüler! Aber meine Redezeit ist kurz, lassen wir deshalb das Geplänkel.

Wem der Schutz der Bürgerrechte wichtig ist, wem Rechtssicherheit und Gerechtigkeit von Bedeutung sind, wer Korruption bekämpfen will, darf die Justiz nicht schwächen. Rechtsstaatlichkeit hat ihren Preis, und der berechnet sich nicht nach der jeweiligen Haushaltslage. In Bayern erlebt die Justiz jedoch eine fortlaufende Schwächung; es begann mit der Abschaffung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und ging mit der Schließung der wohnortnahen Amtsgerichtszweigstellen weiter. Für Letztere möchte ich feststellen, dass das angepeilte Einsparziel bis jetzt noch nicht erreicht, sondern um 1 723 330 Euro verfehlt worden ist. Aber wir haben noch ein paar Schließungen vor uns.

Die Staatsregierung ist aus Spargründen bereit, in den Privatisierungschor derjenigen Länder einzustimmen, die nicht begriffen haben, welche Bedeutung eine unabhängige Justiz als dritte eigenständige Kraft in unserem System der Gewaltenteilung hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zur Unabhängigkeit gehört nun mal eine ausreichende fi nanzielle und personelle Ausstattung sowie – gemessen an der demokratischen Bedeutung –, dass wichtige Aufgabenbereiche nicht Stück für Stück herausgebrochen werden und nicht bloß ein Gerippe übrig bleibt. Ich denke hier an die angedachten Privatisierungen der Gerichtsvollzieher, an die Aufgabenverlagerung an die Notare. Ich lege es jedem ans Herz, die Beschlüsse der Justizministerkonferenz hierzu zu lesen.

Es geht uns nicht nur um die längeren Wege und Kosten, die den Bürgerinnen und Bürgern entstehen. Es stellt sich uns auch die Frage, wo die Grenzen dieser Aufgabenverlagerungen liegen. Es stellt sich auch die Frage, warum die eine Säule des Rechtsstaates – hier die Exekutive – auf die dritte Säule des Rechtsstaates folgenlos Zugriff nehmen darf. Ich bitte Sie, sich einmal umgekehrt vorzustellen: die Judikative, die Justiz, würde bei der Exekutive Eingriffe vornehmen. Das ist eigentlich ein unvorstellbarer Vorgang.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich halte das für eine äußerst bedenkliche Entwicklung, vor allem wenn es um die Privatisierung von Aufgaben geht, die mit hoheitlichen Rechten ausgestattet sind.

Ich denke hier an das Wohnungsbetretungsrecht von Gerichtsvollziehern oder an Fälle, in denen das Sorgerecht durchgesetzt werden muss. Das alles sind Bereiche, in denen ich mir Private am Werk schwer vorstellen kann. Mir klingt in diesem Zusammenhang auch noch der Satz von Herrn Landtagspräsidenten Glück zum 200jährigen Bestehen des Verbandes der Justizvollzugsbeamten im Ohr, der Privatisierungsüberlegungen bei den Strafvollzugsanstalten zum Inhalt hat. Dort hat es geheißen: Der Betrieb der JVA muss in staatlicher Hand bleiben. Ich frage mich schon, wie lange dieser Damm halten

wird. Ich behaupte: allenfalls diese Legislaturperiode. Ich denke an sogenannte Modellprojekte mit Public Private Partnership, die sich zunächst nur auf den Baubereich beziehen, mit denen aber der Weg ins Private geöffnet wird. Ich habe außerdem die Hoffnung, dass man sich den letzten ORH-Bericht genau ansieht, in dem auf den mäßigen Erfolg von Public-Private-Partnership-Projekten im Straßenbau eingegangen wird, und genau überlegt, was man tut.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich befürchte weiterhin, dass man sich in weitere Wettläufe begibt und sich zum Beispiel an Hessen messen lassen möchte, wo es bereits privatisierte Vorhaben gibt.

Sie mögen Kritikern entgegenhalten, dass die Justiz in diesem Doppelhaushalt nicht bluten muss, sondern im Gegenteil eine kleine Aufstockung erfuhr. Die Aufstockung in einem ohnehin kurz gehaltenen Bereich ist aber nicht üppig. Ich verweise auf die Ausführungen meines Kollegen. Anders kann ich mir, bezogen auf die nicht üppige Ausstattung, die anhaltenden Kritiken von Richtervereinen, Justizbediensteten und Anwälten bezüglich Ihrer Personal- und Finanzpolitik nicht erklären. So hat zum Beispiel die bayerische Justizgewerkschaft einen 11-Punkte-Katalog zum Doppelhaushalt 2007/2008 vorgelegt, der aus unserer Sicht in diesem Haushalt nur marginal Eingang gefunden hat.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Es bleibt bei unzähligen befristeten Arbeitsverhältnissen, die vor allem Frauen treffen; es bleibt bei der Wiederbesetzungssperre, es bleibt bei KW-Vermerken für dringend benötigte Stellen.

Einmalig war aus unserer Sicht, dass Vorsitzende Richter und Richterinnen am Münchner Landgericht einen Beschwerdebrief schreiben mussten, weil der Vorführdienst so dünn besetzt war, dass Prozesse teilweise ausgesetzt werden mussten. Ich halte das für einen Skandal.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Justizministerium rühmt sich eines Stellenhebungskonzeptes als Reinvestition. Ich frage mich nur, wieso dann bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Beförderungswartezeit von 10 bis 21 Jahren anfällt.

Eine aktive, am Bedarf orientierte Personalplanung, die Sicherheit garantiert und von Arbeit, vor allem bei den Staatsanwaltschaften, entlasten soll, sieht aus unserer Sicht anders aus. Wie immer, wenn die Personaldecke dünn ist, wird in einzelnen Bereichen das Hohelied der Ehrenamtlichen gesungen. Frau Justizministerin Merk hat ja schon betont, wie sehr sie auf die ehrenamtliche Arbeit beispielsweise im Strafvollzug setzt. Man muss sich aber einmal ansehen, wie diese Arbeit gewertet und bewertet wird; denn das Hohelied zu singen ist das eine, zu zahlen ist das andere. Im Doppelhaushalt wurden nämlich die Zuschüsse für die Arbeit der Ehrenamtlichen in der Gefangenenpfl ege sogar gekürzt.

Weil wir gerade beim Strafvollzug sind, möchte ich nun auf diesen übergehen. Wie ist die Situation im Strafvollzug? Wenn wir genau hinsehen, müssen wir eine Reihe von Defi ziten feststellen, die über die Defi zite bei der Bezahlung der ehrenamtlichen Arbeit weit hinausgehen.

Wir haben eine Überbelegung. 12 800 Gefangene sitzen auf 11 700 Plätzen. Für die U-Haft bedeutet dies oft drei bis vier Gefangene pro Zelle. Ich möchte Ihnen einen kleinen Fall schildern, da ich glaube, dass an ihm die prekäre Situation besonders deutlich wird. Wir haben eine Acht-Mann-Zelle. Darin befi nden sich auch zwei ältere Strafgefangene, die nachts schnarchen. Diese werden von den Jüngeren deswegen drangsaliert. Die Älteren wiederum können nachts nicht schlafen, weil die Jüngeren Radau machen. Ich meine, das sind Beispiele, die uns deutlich machen, dass sich die Situation in den Haftanstalten, allein was die Unterbringung anbelangt, ändern muss.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Ausgaben für die Sicherheit sind von 200 000 DM im Jahre 1993 auf 2,4 Millionen Euro im Jahr 2006 gestiegen. Beim Personal wird gespart. Wir wollen keinen reinen Verwahrvollzug, sondern einen Behandlungsvollzug – das wird ja auch immer wieder betont. Wenn aber die Ehrenamtlichen die Behandlung nicht weitgehend organisieren würden, hätten wir keine. Nur 44 % der Inhaftierten haben Arbeit. Zwar gibt es eine Reihe von Ausbildungsmöglichkeiten, ob aber die Abschlüsse erreicht werden, wird nicht überprüft. Besonders schwierig ist die Lage in der U-Haft. Dort haben wir 23 Stunden Einschluss, kaum Sportmöglichkeiten und keine Arbeit. Lockerungen werden restriktiv gewährt, obwohl Verstöße gerade einmal bei 0,09 bis 0,2 % liegen. Für die Entlassungsvorbereitung wäre dies wichtig.

Bei der Suchtbehandlung haben wir eine mangelhafte medizinische, psychologische und psychiatrische Versorgung. Leider kann ich aufgrund der Zeit nicht näher auf die Medikation, die psychiatrische Diagnostik etc. eingehen.

Bibliotheken sind ungenügend ausgestattet; die Straffälligenhilfe krebst am Existenzminimum dahin. 80 % der Jugendlichen mit Drogenproblemen werden nicht wirklich in eine Therapie übernommen, die Erfolg zeigt. Für uns sind diese Defi zite nicht hinnehmbar.

Wir sind wie das Bundesverfassungsgericht der Meinung, dass Resozialisierung neben der Sicherheit einen gleichwertigen Stellenwert hat. Resozialisierung und Sicherheit schließen sich nicht gegenseitig aus – im Gegenteil: Resozialisierung bedeutet Sicherheit. Der Strafvollzug soll sowohl dem Sühnegedanken gerecht werden als auch mit begleitenden Hilfen, zum Beispiel Bewährungshilfe, Entlassungsvorbereitung und Sozialarbeit, auf ein Leben ohne Strafe vorbereiten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit dem jetzigen Strafvollzug erreichen Sie das notwendige Maß an Sicherheit nicht. Dazu produzieren Sie viel zu viele Rückfalltäterinnen und Rückfalltäter.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächstes Jahr soll es ein aus Ihrer Sicht verbessertes bayerisches Strafvollzugsrecht inklusive Jugendstrafvollzugs geben. Ich frage mich, für wen es verbessert wird: für Herrn Faltlhauser, für die Gefangenen, oder für die Öffentlichkeit? Wenn Sie jetzt schon vor dem bestehenden Strafvollzug kapituliert haben, wie wollen Sie dann einen Vollzug fi nanzieren, der individuelle Behandlung und Lebensplanung umfasst?

Meine Herren und Damen, neben den vielfältigen klassischen Aufgaben der Justiz in Rechtsprechung und Strafvollzug übernehmen Gerichte mittlerweile eine wichtige Rolle als Regulativ gegenüber einer Politik, die Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern missachtet. Seit Beginn der großen Koalition erleben wir einen noch rasanteren Abbau von Bürgerrechten, beispielsweise in der inneren Sicherheit, oder wir müssen feststellen, dass die Sensibilität in Verbraucherschutzfragen, insbesondere beim Verbraucherdatenschutz verloren geht. Staatliche Kontrolle umfasst immer mehr Bereiche im Vorfeld von Kriminalitätsgeschehen. Der Staat wird immer häufi ger präventiv tätig, obwohl die Kriminalitätsentwicklung dafür keine Anhaltspunkte für eine Verschärfung liefert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Zugriff aufs Private wird alltäglich; alltäglich wird auch der Gewöhnungseffekt. Nicht einmal mehr Journalisten, Garanten der Meinungsfreiheit, oder Rechtsanwälte und ihre Mandanten sind vor Zugriffen geschützt – ich erinnere an den Vorgang El Masri. Wir erleben eine sukzessive Aufweichung rechtsstaatlicher Grundbedingungen. Neben dem Ausbau vorhandener Datensammlungen erleben wir den Aufbau gänzlich neuer, zum Beispiel bei den elektronischen Gesundheitskarten, die die Gesundheitsdaten von 80 Millionen Versicherten speichern und die von 2000 Krankenhäusern, 120 000 Arztpraxen, Zahnärzten, Apotheken und Krankenkassen benutzt werden sollen. Echte Kontrolle fi ndet hier überhaupt nicht mehr statt. Deswegen muss leider immer häufi ger auf eine gerichtliche Überprüfung zurückgegriffen werden.

Zu befürchten ist auch, dass neue Vorhaben wieder vor Gerichte führen. Ich denke hier an das angekündigte bayerische Versammlungsrecht, vormals bei der Justiz auf Bundesebene angesiedelt, jetzt – in Anführungszeichen – dank einer Föderalismusreform beim Innenminister gelandet. Das heißt: Versammlungsrecht wird zukünftig unter dem Aspekt Gefährdung für Sicherheit und Ordnung behandelt werden, nicht als Grundrecht. Ich befürchte, wir werden auch diesbezüglich wieder vor den Gerichten landen, wenn es um eine verfassungsgemäße Bewertung geht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als Hüterin von Grundrechten hat die Justiz daher eine enorm hohe Bedeutung. Diese Bedeutung schlägt sich in

Ihrem Haushaltsentwurf ebenfalls nicht nieder, so wenig wie die Honorierung der klassischen Arbeit. Wir werden ihn daher ablehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der nächste Redner ist Herr Kollege Zellmeier.

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich Ihnen im Folgenden einen Überblick über die Schwerpunkte des Justizetats und unsere Bewertung dazu gebe, möchte ich ein paar Dinge anschneiden, die aus meiner Sicht elementar und wichtig sind. Sie sind wichtig für ein effektives und gut funktionierendes Justizsystem für den Wirtschaftsstandort Deutschland in einer globalisierten Welt.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Ist die Justiz für die Wirtschaft oder für die Menschen da?)

Die Justiz ist natürlich für die Menschen da. Sie ist aber auch ein wichtiger Standortfaktor. Wir reden bei der Diskussion über den Standort Deutschland über die Höhe der Löhne, über die Höhe der Abgaben und der Steuern sowie über die Bürokratie. Wir reden aber nie darüber, dass ein funktionierendes Justizsystem wesentliche Voraussetzung für die Entfaltung von Bürgern und Unternehmen ist. Ich glaube, das sollten wir immer wieder betonen; denn nur ein funktionierendes Rechtssystem bietet den Menschen faire Chancen, sich zu entfalten. Das Eigentum und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger müssen deshalb geschützt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Rechtsausschuss, wir waren erst kürzlich in Mexiko und haben dort mit den bayerischen Wirtschaftsvertretern gesprochen. Herr Kollege Schindler, Sie wissen vielleicht noch, dass ein bayerischer Wirtschaftsvertreter kurz nach seiner Ankunft in Mexiko überfallen und ausgeraubt wurde, und zwar nicht von Kriminellen, sondern von uniformierten Polizisten. Er hat gesagt, dass bis heute in dieser Sache nichts passiert sei.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das soll einem Ministerpräsidenten auch schon einmal passiert sein!)

Sie sehen daran, wie wichtig es ist, dass gerade Unternehmer und Wirtschaftsvertreter wissen, dass die Justiz funktioniert und zum Beispiel der Diebstahl von Firmeneigentum bestraft oder der Erwerb von Firmengrundstücken möglichst zügig durchgeführt wird. Wichtig ist auch, dass die Korruption bekämpft wird, wie das in Bayern der Fall ist.

(Werner Schieder (SPD): Das sieht man bei Siemens!)

Ein effektives Rechtssystem setzt die notwendigen Rahmenbedingungen, damit sich Unternehmen ansiedeln, damit sie gedeihen und damit die Bürger in Sicherheit und Freiheit arbeiten und leben können. Unser über

Jahrzehnte erprobtes Rechtssystem hat international einen hervorragenden Ruf. Nicht von ungefähr war das deutsche Recht schon oft ein wichtiger Exportartikel. Es wurde nach der Wende in so manchem Staat Ost- und Mitteleuropas und auch in asiatischen Staaten übernommen. Ich denke zum Beispiel an Bulgarien, wo der Freistaat Bayern die Rechtsentwicklung hin zur EU betreut.