Protocol of the Session on December 13, 2006

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Ja, da schau her!)

Es stimmt leider, was der BGH in seiner Entscheidung vom Dezember 2005 festgestellt hat, dass es bei einer Vielzahl von großen Wirtschaftsstrafverfahren dazu kommt, dass eine dem Unrechtsgehalt adäquate Bestrafung allein deswegen nicht erfolgt, weil für die gebotene Aufklärung derart komplexer Sachverhalte keine ausreichenden justiziellen Ressourcen zur Verfügung stehen.

Dies ist bei aller sonstigen Fragwürdigkeit – ich verweise darauf, dass wir hier keine förmliche Beweiserhebung haben, dass die Öffentlichkeit nicht teilnehmen kann an der Herbeiführung der Entscheidung – auch ein Akt der Notwehr der Justiz.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Wichtiger, als Deals zu legalisieren, wie es die Große Koalition offensichtlich vorhat, und zum Normalfall werden zu lassen, wäre es, die Justiz in die Lage zu versetzen, Verfahren nach Recht und Gesetz und ohne Tricks zu entscheiden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wer einer Ausweitung der Absprachen im Strafprozess das Wort redet, leistet dem Ansehen der Justiz und des Rechtsstaats einen Bärendienst. Ein Freikaufen mittels Absprachen darf es ebenso wenig geben wie im anderen Extrem eine Fließbandjustiz, die nur noch Strafbefehle verschickt. Da hatten wir, meine ich, schon einmal eine höhere Stufe der Rechtskultur erreicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Strafvollzug noch einige Anmerkungen. Trotz 64 neuer Stellen für die Justizvollzugsanstalten München und Landshut wird es auch nach der Verabschiedung dieses Haushalts so bleiben, dass Bayern im Ländervergleich beim Strafvollzug einen der letzten Plätze, bezogen auf die Personalausstattung, behalten wird, dass mindestens 700 Stellen fehlen und keine ausreichenden personellen Ressourcen zur Verfügung stehen, um eine immer schwieriger werdende Klientel in den Anstalten vom ersten Tag an gezielt auf die Entlassung vorbereiten zu können. Zum Glück ist in Bayern nichts Ähnliches passiert wie in NordrheinWestfalen. Dennoch sind die Zustände auch bei uns alles andere als schon ideal.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Mehr als 40 % der Gefangenen sind in Gemeinschaftshafträumen untergebracht, die Anstalten sind im Durchschnitt um fast zehn Prozent überbelegt. Es bilden sich angeblich mafi öse Strukturen heraus. Gefängnispfarrer beklagen sogar unmenschliche Zustände im Justizvollzug. Das mag übertrieben sein, aber dennoch ist es so, dass auch im bayerischen Strafvollzug noch vieles zu verbessern wäre, insbesondere was die Personalausstattung und die Schaffung von Haftplätzen anbelangt.

Die Mitarbeiter, die einen schwierigen Dienst verrichten und zum Teil jahrzehntelang auf eine Beförderung gewartet haben – jetzt kommen ja 325 Gott sei Dank in den

Genuss einer Beförderung –, sind nicht an der geschilderten Lage schuld, sondern bemühen sich redlich und auch erfolgreich, die schwierige Lage zu beherrschen.

Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, ist dieser Landtag neuerdings für die Gestaltung des Strafvollzugs zuständig und aufgrund einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes verpfl ichtet, ein neues Jugendstrafvollzugsgesetz zu schaffen. Dennoch fi ndet sich für diese bevorstehende Aufgabe in diesem Haushalt kein Euro.

Wir nehmen mit Genugtuung zur Kenntnis, dass sich Bayern offensichtlich nicht in die Reihe der Scharfmacher einreihen will und einen vergleichsweise moderaten Vorschlag für ein Bayerisches Strafvollzugsgesetz vorgelegt hat. Dennoch hat aber das Ministerium offensichtlich der Versuchung nicht widerstehen können, die bisherige Fundamentalnorm des Strafvollzugsgesetzes, dass die Resozialisierung das vorrangige Vollzugsziel ist, zu relativieren und die selbstverständliche Aufgabe des Vollzugs, nämlich die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, an die erste Stelle zu setzen.

(Beifall bei der SPD)

Das kann jedoch allenfalls eine Aufgabe, nicht aber das Ziel des Strafvollzugs sein. Wäre es nämlich das Ziel des Strafvollzugs, hätte es überhaupt keinen Sinn, dass der Strafvollzug beim Justizministerium angesiedelt ist. Man könnte ihn dann auch beim Innenministerium ansiedeln.

Unabhängig hiervon wird es insbesondere beim Jugendstrafvollzug darauf ankommen, neben schönen Worten auch Geld zur Verfügung zu stellen, damit die jungen Gefangenen behandelt, notfalls erzogen und nicht nur sicher verwahrt und damit die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes erfüllt werden können. Gerade im Interesse der inneren Sicherheit müssten jetzt eigentlich weitere Stellen für Anwärter für den Justizvollzugsdienst geschaffen und die Anwärter gezielt für den Jugendstrafvollzug ausgebildet werden.

Gestatten Sie mir auch noch einige wenige Anmerkungen zu den Beschlüssen der Justizministerkonferenz: Die Justizministerin ist in diesem Jahr Vorsitzende der Konferenz. Was haben wir nicht alles an Ankündigungen gehört? – Da war die Rede von der größten Justizreform seit der Schaffung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von einer Jahrhundertreform. Es wird allmählich Zeit zu bilanzieren.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Hierbei stellt man fest, dass es weitgehend bei Ankündigungen geblieben ist, und das ist, wie ich meine, auch gut so.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Gut ist es, dass die Justizministerkonferenz zwar alles Mögliche vorschlagen kann, dass letztlich aber dann doch im Bundestag und im Bundesrat entschieden wer

den muss. Mit uns jedenfalls wird es eine Privatisierung der Gerichtsvollzieher

(Beifall bei der SPD)

und eine Übertragung der Zuständigkeit der Nachlassgerichte erster Instanz auf die Notare nicht geben, ebenso wenig die vorgeschlagene radikale Verkürzung von Strafprozessen dadurch, dass man mehr als die Hälfte aller Verfahren im Strafbefehlswege erledigen will.

Ich weiß, dass sich die Mehrheit in diesem Haus auch von noch so guten Argumenten nicht überzeugen lässt.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Die sind beratungsresistent!)

Ich nehme aber zur Kenntnis, dass wenigstens Herr Dr. Müller und auch die Justizministerin es bedauern, dass sie unseren Anträgen, die in gewisser Weise doch nicht ganz falsch sind, sondern eine gewisse Berechtigung haben, nicht zustimmen können, weil es angeblich an den Finanzen fehlt. Es ist aber ärgerlich, dass die Mehrheit alles, was von der Staatskanzlei – das sage ich ganz bewusst – vorgegeben wird, nur noch wohlgefällig abnickt.

(Beifall bei der SPD)

Das war beim Bayerischen Obersten Landesgericht so, und das war bei der Schließung der Zweigstellen der Amtsgerichte so. Ein ehemaliges Mitglied dieses Hauses, Herr Dr. Gauweiler, hat gestern oder vorgestern in einer Zeitschrift heftig kritisiert, dass wir nachgerade eine Krise des Parlamentarismus erleben, weil nur noch ein kleiner Kern von Funktionsträgern aus der Exekutive alle Entscheidungen vorgibt und das Repräsentationsorgan Parlament diese im Regelfall bloß noch abnickt.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, Dr. Gauweiler hat bei seiner Einschätzung die CSU-Fraktion hier im Hause im Blick gehabt.

(Zuruf des Abgeordneten Manfred Christ (CSU))

Nur gelegentlich. Ich habe es schon gelesen, Herr Kollege Christ. Aber ich glaube, er hat auch hier Erfahrung gesammelt. Im Deutschen Bundestag ist es zu meinem großen Bedauern offensichtlich nicht besser. Ich habe es gelesen. Aber er hat mit der CSU-Fraktion hier im Hause seine Erfahrungen gemacht. Er hat im Übrigen die Abschaffung des Bayerischen Obersten Landesgerichtes genauso bedauert wie ich.

(Zuruf des Abgeordneten Manfred Ach (CSU) – Zuruf der Abgeordneten Johanna Werner-Muggendorfer (SPD))

Ich freue mich, dass es mir gelungen ist, Sie in dieser frühen Stunde aufzuwecken.

Ich möchte noch darauf hinweisen, dass diese große, mächtige CSU-Fraktion nur gelegentlich auftrumpft, nämlich dann, wenn sich die Justizministerin nicht, wie das offensichtlich einige von Ihnen erwarten, als Reserveinnenministerin aufführt und nicht scharfmacherische Parolen hinausposaunt. Ich möchte der Frau Ministerin nicht schaden, aber dennoch sagen,

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD))

dass wir es als wohltuend empfunden haben, als Sie nach den schrecklichen Morden in Amberg und Bayreuth besonnen und so reagiert haben, wie man es bei Kenntnis der Sach- und Rechtslage tun musste.

(Beifall bei der SPD)

Das Problem ist, dass das auch die CSU-Fraktion und ihr Vorsitzender genau wussten, aber dennoch keine Scheu hatten, angesichts der Woge der Empörung Stimmung zu machen. Hier zeigt sich, wozu es führt, wenn man wie die CSU-Fraktion die vorrangige Aufgabe der Rechtspolitik darin sieht, die innere Sicherheit zu gewährleisten, wie es in einem Prospekt der CSU-Fraktion heißt. Sie verstehen Rechts- und Justizpolitik allenfalls als Teil der Sicherheitspolitik,

(Joachim Wahnschaffe (SPD): So wie bei Kindsmisshandlung!)

nicht aber als den Versuch der Verwirklichung des Rechtsstaats.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Darunter wird die bayerische Justiz leider auch in Zukunft leiden müssen.

Abschließend möchte ich hier zu Protokoll geben, dass wir – ich rede von meiner Fraktion – die Abschaffung des Bayerischen Obersten Landesgerichts weiterhin für einen der größeren Fehler in dieser Periode ansehen

(Beifall bei der SPD)

und dass die Forderung nach Korrektur dieses Fehlers auf der Tagesordnung bleiben wird.

Jetzt gibt es keine Zwischenfrage mehr, weil ich am Ende meiner Ausführungen bin.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Rednerin: Frau Kollegin Stahl.