Protocol of the Session on July 19, 2006

Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes und anderer Vorschriften (Drs. 15/5005) – Zweite Lesung –

hierzu:

Änderungsantrag der Abg. Dr. Jakob Kreidl, Dr. Manfred Weiß, Klaus Dieter Breitschwert u. a. (CSU) (Drs. 15/5618)

Gesetzentwurf der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Ulrike Gote u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Stärkung der Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger und der Demokratie in den Kommunen (Drs. 15/5006) – Zweite Lesung –

Im Ältestenrat wurde hierzu eine Redezeit von 20 Minuten pro Fraktion vereinbart. Für die CSU-Fraktion darf ich Herrn Kollegen Dr. Weiß das Wort erteilen.

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der aufgerufene Gesetzentwurf der Staatsregierung ist äußerst umfassend und vielschichtig. Er enthält 70 Ziffern mit bis zu 7 Unterpunkten. Allerdings handelt es sich vielfach nur um Klarstellungen, Anpassungen und Reaktionen auf unstreitige Regelungsfälle. Ich werde deshalb nur auf die wichtigen streitigen Punkte eingehen, also auf die Punkte, zu denen die Fraktionen unterschiedlich abgestimmt haben. Darüber müssen wir diskutieren.

Allerdings mache ich eine Ausnahme. Es handelt sich um die unstreitige Regelung, dass Bürgerentscheide an Sonntagen stattzufi nden haben. Dies ist an sich eine

Selbstverständlichkeit, und es wird so geregelt. Ich erwähne es deshalb, weil es der einzige Punkt in dem Gesetzentwurf der GRÜNEN ist, mit dem wir übereinstimmen. Insoweit können die GRÜNEN ihren Entwurf abhaken. Mit diesem Teil ihres Gesetzentwurfs werden die GRÜNEN wohl Erfolg haben können.

Wichtig ist natürlich – das ist im Gesetz geregelt – der Versuch einer Harmonisierung der Termine der Wahl von Landräten und hauptberufl ichen Bürgermeistern. Im Moment haben wir die gesetzliche Regelung, dass, wenn eine Amtszeit vorzeitig endet, in der Regel eine Neuwahl wieder für sechs Jahre stattfi ndet und dass dann alle späteren Wahlen auch wieder zwischen den Zeiten, außerhalb der regulären Kommunalwahltermine stattfi nden.

Das führt dazu, dass diese Sonderwahlen immer häufi ger werden. Ich kenne Landkreise, in denen schon jetzt ein Drittel aller Bürgermeisterwahlen außerhalb der normalen Wahltermine stattfi nden. Es lässt sich ausrechnen, dass dies noch schlimmer werden wird.

Der Gesetzentwurf strebt in einem gewissen Maß eine Harmonisierung der Termine an. Er beinhaltet, dass, wenn bis zur nächsten regulären Kommunalwahl mindestens vier Jahre Zeit sind, der Kandidat nur für diese restliche Zeit, also für mindestens vier Jahre, gewählt wird, während in den Fällen, in denen bis zur nächsten Wahl zwei Jahre und weniger Zeit zur Verfügung steht, der Kandidat bis zur übernächsten Wahl gewählt wird. Ein Kandidat kann dann also für bis zu acht Jahre gewählt werden.

Wir haben uns zwar bemüht, aber keine Lösung für die zwei Jahre zwischen diesen Zeiten gefunden. Der Bayerische Gemeindetag hat zwar den Vorschlag gemacht, für den Fall, dass mehr als drei Jahre Zeit sind, nur für drei Jahre zu wählen, während in dem Fall, dass weniger als drei Jahre Zeit sind, für bis zu neun Jahre gewählt wird, also gleichzeitig auch für die nachfolgende Amtszeit; aber wir haben hier doch gewisse verfassungsrechtliche Probleme gesehen. Die SPD hat deutlich gemacht, dass nach ihrer Auffassung schon acht Jahre eine zu lange Zeit sind und sie bereits dann verfassungsrechtliche Bedenken sieht. Wir sind der Meinung, dass man acht Jahre wohl noch verantworten kann.

Der zweite streitige Punkt besteht darin, dass das Amtsausübungsverbot für Bürgermeister bei der Vertretung des Landrats gelockert werden soll. Wenn jetzt ein Bürgermeister stellvertretender Landrat ist und gerade den Landrat vertritt, dann muss er so lange seine Amtsgeschäfte als Bürgermeister ruhen lassen.

Man hat nun versucht, eine etwas großzügigere Regelung dahin gehend zu fi nden, dass der Bürgermeister gleichzeitig sein Amt als Bürgermeister ausüben kann, dass er aber in Belangen, die seine Gemeinde betreffen, nicht als Landrat tätig sein kann. Wir halten das für eine vernünftige Lösung.

Der Landkreistag hat hier noch die Überlegung gehabt – das ist sicherlich nicht ganz von der Hand zu weisen –,

dass es dann, wenn es sich um eine sehr lange Vertretung über vier Wochen hinaus handelt, eine große Belastung ist, das volle Amt als Bürgermeister und als Landrat wahrzunehmen. Er hat vorgeschlagen, dass in dieser Zeit der Bürgermeister voll als Landrat agieren solle und seine Sachkunde im Gemeinderat als einfaches Gemeinderatsmitglied einbringen sollte.

Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass beispielsweise ein hauptamtlicher Bürgermeister einerseits als Landrat fungiert und andererseits in seinem Stadtrat als einfaches Stadtratsmitglied sitzt, während der zweite Bürgermeister die Amtsgeschäfte führt. Das ist für uns in der Praxis schwer nachzuvollziehen und deshalb sind wir diesem Vorschlag auch nicht gefolgt. Trotzdem haben wir eine gewisse Lockerung im Hinblick auf die Tätigkeit von Bürgermeistern als stellvertretende Landräte im Gesetz vorgesehen.

Nicht zustimmen konnten wir dem Gesetzentwurf der Staatsregierung in dem Punkt, dass bei Bürgerentscheiden in den Gemeinden zwischen 20 000 und 50 000 Einwohnern das Abstimmungsquorum von 20 auf 15 % abgesenkt werden sollte. Das mag zwar gut gemeint gewesen sein, aber es gab hier doch erhebliche Vorbehalte vor allen Dingen vom Städtetag und vom Landkreistag. Beide sagten, sie könnten sich mit dieser Regelung nur anfreunden, wenn gleichzeitig die Amtseintragung bei der Sammlung der Unterschriften beim Bürgerbegehren festgelegt würde.

Es ist richtig, dass es hier in der Vergangenheit einige Missstände gegeben hat. Ich habe einem Zeitungsbericht einer Ansbacher Zeitung entnommen, dass sich ein Werber für Unterschriften für ein Bürgerbegehren damit gerühmt hat, schätzungsweise zehn Abende nachts in Cafés und Kneipen unterwegs gewesen zu sein, um dort Unterschriften zu sammeln. Wenn ich nachts um 1 oder 2 Uhr in einer Kneipe irgendjemanden unterschreiben lasse, kommen mir gewisse Zweifel an der Ernsthaftigkeit einer solchen Unterschrift. Sicherlich ist das nicht zu verallgemeinern, aber es gab hier Probleme in manchen Bereichen.

Nachdem es in der Fraktion von manchen Seiten auch Befürwortung für die Amtseintragung gab, haben wir uns nach zähem Ringen entschieden, bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden es bei dem zu belassen, wie es bisher gewesen ist. Wir wollen also nichts ändern und werden insoweit dem Gesetzentwurf der Staatsregierung nicht folgen. Wir haben hierzu einen Abänderungsantrag eingebracht, mit dem wir auch deutlich machen, dass die CSU-Fraktion nicht alles kritiklos übernimmt, was an Gesetzentwürfen von der Staatsregierung kommt, sondern dass wir schon sehr genau prüfen, was zu verwirklichen ist, was logisch und sinnvoll ist. Diesem Punkt konnten wir uns, wie gesagt, nicht anschließen.

(Ludwig Wörner (SPD): Bravo, guter Ansatz!)

Nachdem wir uns also der Absenkung des Quorums von 20 auf 15 % nicht anschließen konnten, war es klar, dass wir dem Gesetzentwurf der GRÜNEN, in dem das Zustim

mungsquorum ganz abgeschafft werden sollte, auch nicht näher treten konnten.

(Zurufe von den GRÜNEN: Oh, oh!)

Immerhin ist in der parlamentarischen Demokratie die Entscheidung des kommunalen Gremiums, des Stadtrats, des Kreistages oder des Gemeinderats der Normalfall. Ein Bürgerentscheid kann insoweit immer nur die Ausnahme sein. Darum ist es problematisch, beides vollkommen gleichstellen zu wollen oder möglicherweise den Bürgerentscheid gar noch zu bevorzugen. Bei einer Entscheidung im Gemeinderat brauche ich, damit die Entscheidung wirksam ist, die Beschlussfähigkeit. Wenn der Gemeinderat nicht beschlussfähig ist, kann nicht beschlossen werden; es ist schlichtweg nicht möglich, dass zwei oder drei Anwesende einen Beschluss fassen. Ich brauche die Beschlussfähigkeit. Genauso ist es erforderlich, dass beim Bürgerentscheid das nötige Gewicht dadurch entsteht, dass ein Quorum für den Entscheid vorliegt und erfüllt wird. Das ist der Grund, warum wir den Entwurf der GRÜNEN hier nicht mittragen können, wobei ich auch noch erwähnen möchte, dass nach zwei Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ein Streichen der Quoren und der damit vermittelte Zwang zur Beteiligung am Bürgerentscheid für grob verfassungswidrig gehalten wurde. Wenn man weiß, wie vorsichtig sich normalerweise die Gerichte ausdrücken und hier sogar das Verfassungsgericht sagt, eine derartige Streichung wäre grob verfassungswidrig, sollte uns klar sein, dass wir darauf nicht mehr allzu viele Gedanken verschwenden müssen.

Und noch ein Letztes. Soweit schließlich noch im Gesetzentwurf der GRÜNEN eine Absenkung des Mindestalters für das aktive Wahlrecht bei den Kommunalwahlen auf 16 Jahre gefordert wird, halte ich auch dieses Begehren für verfassungswidrig. In Artikel 12 Absatz 1 der Bayerischen Verfassung steht eindeutig: „Die Grundsätze für die Wahl zum Landtag gelten auch für die Gemeinden und Gemeindeverbände.“ Die Auslegung der GRÜNEN, dass das Wahlalter nicht zu den Grundsätzen gehöre, halte ich schlicht für abenteuerlich. Was soll es denn außer dem Wahlalter und der Staatsangehörigkeit sowie dem Wohnsitz noch an wichtigen Punkten geben?

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜNE))

So sieht es auch der Gesetzgeber, der in Artikel 1 Absatz 1 des Landeswahlgesetzes die Grundsätze dahingehend festlegt, dass stimmberechtigt alle Deutschen sind, die am Tag der Abstimmung das 18. Lebensjahr vollendet haben. Wie man da auf andere Ideen kommen kann, verwundert mich. Aber vielleicht fi nden Sie ja irgendjemanden, der Ihnen dafür eine Begründung liefert.

Auf jeden Fall stimmen auch die kommunalen Spitzenverbände insoweit mit uns überein und ich halte das auch für äußerst logisch. Das Alter ist doch mitentscheidend für jede Teilnahme am Rechtsleben. Volljährig wird man mit 18 Jahren. Mit 18 Jahren kann ich verbindliche Willenserklärungen abgeben. Ich kann mit 18 Jahren Verträge

abschließen und rechtswirksam handeln. Da ist es sicherlich auch logisch, die wichtigen Wahlentscheidungen auch erst ab dem 18. Lebensjahr zu treffen.

(Dr. Christian Magerl (GRÜNE): Und was ist mit dem Führerschein?)

Ich fi nde, da sieht man unterschwellig im Gesetzentwurf der GRÜNEN die Überlegung: Nun ja, so ein bisschen früher Demokratie üben bei den Kommunalwahlen kann doch nicht schaden. Da möchte ich doch deutlich sagen, dass ich die Kommunalwahlen für mindestens genauso wichtig und bedeutsam halte wie die Wahlen zum Bundestag oder zum Landtag.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Wir auch!)

Ich halte es für falsch, hier eine Spielwiese für heranwachsende Staatsbürger vorzuhalten.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Wer sagt denn das?)

Dabei sehe ich natürlich den Begriff „Heranwachsend“ nicht aus der strafrechtlichen Sicht. Ich bin, wie gesagt, der Meinung, dass jede Wahl das gleiche Gewicht hat. Deshalb sollten wir an jede Wahl die gleichen Anforderungen stellen.

Die bisherige Regelung hat sich bewährt und wir sollten es deshalb dabei belassen. Aus diesem Grunde bitte ich, dem Gesetzentwurf der Staatsregierung mit der Ergänzung im CSU-Antrag zuzustimmen und den Gesetzentwurf der GRÜNEN abzulehnen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Kamm.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ein Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz muss tauglich sein für die Anforderungen, die sich heute in der Realität in den Gemeinden und Städten Bayerns stellen. Mit den Änderungsvorschlägen, die Sie hier vorgetragen haben und die Sie als umfassend und vielschichtig bezeichnet haben, werden Sie diesen Anforderungen nicht gerecht. Sie wirken nicht den wachsenden Demokratiedefi ziten in den Kommunen entgegen. Sie beteiligen nicht die Jugendlichen, die Sie eigentlich immer stärker fürs Mitmachen am demokratischen Prozess gewinnen wollen.

Ich frage Sie: Wie wollen Sie eigentlich die Integration erreichen, von der Sie immer sprechen, ohne eine Verbesserung der Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger, die hier schon sehr lange leben, aber noch keinen deutschen Pass haben?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wie wollen Sie die Jugendlichen stärker an der Demokratie beteiligen? – Darauf gibt Ihr Gesetzentwurf keine Antwort.

Ein Beispiel sind die Bürgerversammlungen. Rein formal dürfte ein Jugendlicher, ein ausländischer Mitbürger oder eine ausländische Mitbürgerin in einer Bürgerversammlung keine Anträge stellen, nicht einmal das Wort erheben.

In der Realität wird das kein bayerischer Bürgermeister diesen Bürgerinnen oder Bürgern seiner Gemeinde verwehren. Ihr Gesetzentwurf sieht das nicht vor. Die Praxis in den Kommunen ist aber schon längst anders. Ihr Gesetzentwurf entspricht nicht der Realität in den Kommunen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir brauchen eine aktivere und intensivere Mitwirkung der ausländischen Bürgerinnen und Bürger, die schon sehr lange, vielleicht schon seit zwei oder mehr Generationen in ihrer Gemeinde leben. Diese sind derzeit von der Mitwirkung ausgeschlossen, obwohl es um wichtige Fragen geht, die sie unmittelbar betreffen, zum Beispiel um die Frage, wie ihr Wohnumfeld gestaltet ist, wie die Kindertagesstätten und Schulen eingerichtet werden, wie die Integrationsangebote in den Kommunen und Stadtteilen angenommen werden und wie sie zu gestalten sind.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Steuern zahlen sie auch!)

Steuern zahlen sie auch, und als ehrenamtlich Mitwirkende sind sie überall gefragt. Wir brauchen sie doch! Wir brauchen Stadtteilmütter und Stadtteilväter, um unsere Bildungsangebote zu vermitteln. Wir brauchen sie zur Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern, damit unser Gemeinwesen gut funktioniert. Sie sind aber natürlich von jeder offi ziellen Mitwirkung ausgeschlossen. Nach Ihrem Gesetzentwurf dürften sie nicht einmal einen Antrag in einer Bürgerversammlung stellen. Sie dürfen sich auch nicht adäquat an der Gestaltung des kommunalen Lebens beteiligen.

Wie wollen Sie denn eigentlich die Unterschiedlichkeit der Bildungschancen beseitigen, die Sie in dem Bildungsbericht, den Sie in dieser Woche herausgebracht haben, auch beklagen, ohne in eine engere Zusammenarbeit mit den Eltern der benachteiligten Kinder zu treten? Sie blenden die Wirklichkeit in unseren Städten aus. Die Wirklichkeit ist, dass in vielen Stadtteilen oft 20, 30 oder 40 % Menschen leben, die von der Mitwirkung ausgeschlossen sind.

Wir schlagen Ihnen vor, es nicht bei der derzeitigen Situation der Ausländerbeiräte zu belassen, die ein Schattendasein führen, sondern Integrationsräte einzurichten, die sich intensiv mit den Fragen der Integration in den Gemeinden befassen, Integrationsräte, die in enger Verschränkung mit den gewählten Kommunalpolitikern Lösungen erarbeiten und voranbringen.