Protocol of the Session on July 6, 2006

Freilich muss eine Reform der Finanzverfassung folgen, aber das darf nicht einseitig auf Kosten der Leistungsträger gehen. Anstrengungen und Erfolg müssen sich auch in Zukunft lohnen. Das muss der Maßstab oder jedenfalls ein Maßstab für die Reform der Finanzverfassung sein.

Nach dem Grundgesetz ist Deutschland ein Bundesstaat, also kein Zentralstaat. Die Nachkriegsgeschichte hat das aber manchmal vergessen lassen. Immer mehr Kompetenzen der Landesparlamente wurden ausgehöhlt. Wir brauchen eine Stärkung der Landesparlamente und haben jetzt die Möglichkeit, als Bayerischer Landtag in Zukunft mehr Verantwortung durch Landesregelungen zu tragen, als das bisher der Fall war. Ferner wird zu Recht eine Entfl echtung erwartet, das heißt der Abbau von Mischzuständigkeiten. Das bedeutet mehr Übereinstimmung von Handlungsmöglichkeiten und Verantwortung und mehr Transparenz. Überschaubare Einheiten entscheiden mehr als bisher, sie sind fl exibel und anpassungsfähig.

Die föderale Struktur Deutschlands fördert, wenn sie nicht verschüttet ist, den Wettbewerb, sie schafft Raum für Einfallsreichtum und Innovation, ist effektiv und bringt Leistungsanreize für bestmögliche Problemlösungen. Die Lebensbedingungen der Bürger werden zwar nicht überall in gleicher Weise, aber insgesamt für alle verbessert. Föderalismus heißt Subsidiarität im Staatsaufbau, also Vorrang der kleineren Einheit im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit, Solidarität gegenüber jenen, die der Hilfe bedürfen, Bürgernähe durch kurze Wege zu den Entscheidungsträgern, Vertrauensbildung und weniger Politikverdrossenheit aufgrund klarer Verantwortlichkeiten und leichterer Überschaubarkeit sowie Gestaltungsfreiheit und Verantwortung für das eigene Haus – unsere Heimat Bayern.

Wodurch das im Kompromiss konkret erreicht wird, werden meine Nachredner erläutern. Stichworte sind etwa die Abweichungsgesetzgebung und die Abschaffung von Gemeinschaftsaufgaben.

Ich möchte zum Schluss Roman Herzog zitieren. Er sagt:

Viele sorgen sich nun, ob die nötige Einheitlichkeit des deutschen Bildungswesens noch gewährleistet sei. Dabei wird allerdings viel zu unkritisch davon ausgegangen, dass Einheitlichkeit ein Wert an sich sei. Das Gegenteil ist richtig.

Roman Herzog sagt das völlig zu Recht. Er sagt dann weiter:

Der Leitwert in einem freiheitlichen Gemeinwesen heißt Vielfalt.

Und er fährt fort:

Zweitens stört mich die unausgesprochene Annahme, dass die höhere Ebene auch über die höhere Einsicht verfüge. Das ist purer Untertanengeist, ganz abgesehen davon, dass nach dieser Logik nicht einzusehen ist, warum noch irgendeine Entscheidung unterhalb der Ebene der UNO getroffen wird.

(Lachen des Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoiber)

Roman Herzog fährt dann fort:

Im Ernst, wenn ich höre „Aber dann könnte doch Bayern oder MeckPomm...“, dann ist in aller Regel entweder die Einheitlichkeitsideologie am Werk oder der Glaube an die höhere Einsicht der höheren Ebene. Die Wahrheit ist: Wo immer es möglich ist, 16 Lösungsansätze auszuprobieren, da ist die Chance, die beste Lösung zu fi nden, 16 mal größer als eine Einheitslösung. Ganz abgesehen davon, dass der Schaden bei einer falschen Lösung für das ganze Bundesgebiet eintritt. Vielfalt ist produktiv – und paradoxerweise

so meint Roman Herzog ganz zum Schluß

kann sie zu einer Einheitlichkeit führen, die der verordneten Einheitslösung haushoch überlegen ist, nämlich dann, wenn in der Vielfalt der Lösungsansätze sich einer fi ndet, der so gut ist, dass die anderen 15 ihn nachmachen.

Auch das, meine Damen und Herren, werden wir als Chance für Bayern begreifen und nutzen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Kollege Dr. Förster.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein politischer, aber auch fußballinteressierter Freund von mir hat mir vor zwei Tagen gesagt, wenn er es nicht besser wüsste, glaubte er, dass die große Koalition die Fußball-WM nach Deutschland geholt habe, damit sie im Schatten dieser Fußballeuphorie von der Bevölkerung nahezu unbemerkt weit reichende einschneidende Reformen beschließen könne.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Wir wissen es aber besser: Als die FIFA zugunsten Deutschlands entschied, regierte nicht die große Koalition, sondern Rot-Grün mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Sportminister Schily.

(Zurufe von der CSU: Oh, oh!)

Aber es bedurfte tatsächlich einer großen Koalition für die jetzt nach jahrelangen Beratungen und Verhandlungen vereinbarte grundlegende Modernisierung unserer bundesstaatlichen Ordnung, wie das Projekt vor Jahren offi ziell getauft wurde.

Sicherlich handelt es sich im Ergebnis bei dieser „Mutter der Reformen“, bei diesem „Meilenstein für die notwendige Revitalisierung des Landes“ um „die größte Verfassungsänderung in der Geschichte Deutschlands“.

Die Ziele waren defi niert: Verkürzung langwieriger, undurchsichtiger Entscheidungswege, Entfl echtung von Zuständigkeitsbündeln, Abbau gegenseitiger Blockaden zwischen Bund und Ländern. Es ging um mehr Klarheit bei der Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilung, um straffere und schnellere Entscheidungsprozesse und um einen europatauglichen Bundesstaat.

Das Ergebnis ist – so sehen wir das – unter dem Strich positiv. Ich möchte aber auch zugeben, es gab und gibt bei uns in der SPD-Fraktion durchaus Skepsis und berechtigte Kritik an einigen Facetten dieses naturgemäßen Kompromisses zwischen Bund und Ländern, aber auch zwischen den Ländern.

Ist es wirklich sinnvoll, dass der Strafvollzug in die Verantwortung der Länder fällt? Bedeutet es tatsächlich einen Vorteil für die Betroffenen, wenn das Heimgesetz künftig in allen 16 Ländern unterschiedlich ausgestaltet sein kann? Stellt die Verschiebung des Beamtenrechts in die Länderzuständigkeit einen Fortschritt für die betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und für unser politisches System dar? Führen die Neuregelungen im Kinder- und Jugendhilferecht wirklich zu besseren Ergebnissen? Führt das nicht alles zu einem rechtlichen Fleckerlteppich zwischen Kiel, Potsdam, Mainz und München, von dem unsere Bevölkerung wenig bis gar nichts hat?

Diese Fragen stellen sich viele in unserer Gesellschaft, stellen sich viele Betroffene und viele Sachverständige. Es war deshalb gut, dass die SPD-Bundestagsfraktion maßgeblich dafür gesorgt hat, dass das große Reformwerk nochmals auf den Prüfstand einer großen Anhörung von Bundesrat und Bundestag kam. Und es war gut, dass dadurch im Bereich von Hochschule, Wissenschaft und Forschung einer Zersplitterung in ineffi ziente Kleinstaaterei der Riegel vorgeschoben wurde, indem das unsinnige Kooperationsverbot aufgegeben wurde. So viel zum Rückblick. Die Sache ist entschieden.

Richten wir jetzt den Blick nach vorne. Wir als Politiker wollen schließlich die Zukunft gestalten. Wir müssen und wollen auf dieser neuen Arbeitsgrundlage arbeiten. Ich denke, die Reform bietet durchaus gute Chancen für die Landespolitik, vor allem auch für die Landtage, eine bessere und bürgernähere Politik zu machen.

Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Chance, die uns die Föderalismusreform bietet, ist so wichtig, dass wir sie auf keinen Fall ungenutzt lassen dürfen: Es ist höchste Zeit, dass die Landespolitik wieder zuallererst und zualleroberst dort diskutiert, beraten und

vor allem entschieden wird, wo sie laut Bayerischer Verfassung hingehört, nämlich hier in dieses Haus.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Alexander König (CSU): Das machen wir doch ständig!)

Eine der problematischsten Fehlentwicklungen unseres föderalen Systems war in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nicht die Unitarisierung Deutschlands, sondern die galoppierende Entmachtung der Volksvertretungen hin zu einem Exekutivföderalismus der Regierungsapparate, der Bürokraten und Technokraten. Die Föderalismusreform bietet uns große neue Chancen, gerade diese Fehlentwicklungen zu korrigieren. Wir Parlamentarier müssen sie deshalb selbstbewusst nutzen. Deshalb sind Sie, meine Damen und Herren von der Mehrheitsfraktion, besonders gefragt. Im Sinne eines positiv verstandenen Wettbewerbsföderalismus sollten wir in Bayern eine ganz neue Vorreiterrolle anstreben, wenn es darum geht, die Landespolitik – ob in diesem Hause oder im Bundesrat – durch eine wesentlich stärkere Einbeziehung und Konsultation des Landtages demokratischer und transparenter zu machen. Damit würden wir einen Beitrag zu unserem internen Ansinnen liefern, das der Herr Landtagspräsident auch immer anregt, nämlich die Debatten hier lebhafter und interessanter zu machen. Ich persönlich würde mich, wie sicher auch viele der hier Anwesenden, mächtig darüber freuen, wenn der diesem Parlament verantwortliche Ministerpräsident Stoiber, der heute erfreulicherweise unter uns weilt, aber auch manche Minister nicht so oft durch Abwesenheit glänzen würden, sondern durch die Ehre ihrer Anwesenheit verdeutlichen würden, wo in Bayern Gesetze gemacht und wo zuerst und zuletzt über die Politik entschieden wird, nämlich im Maximilianeum.

(Beifall bei der SPD)

Dann könnte die für Bundesangelegenheiten zuständige Ministerin, Frau Müller, heute bei uns sein und mit uns diskutieren, anstatt sich nach Berlin zu entschuldigen.

(Zuruf von der SPD: Ja wo ist sie denn?)

Sicherlich haben die meisten von Ihnen am vergangenen Dienstag das WM-Halbfi nale Deutschland gegen Italien gesehen. In diesem Spiel hatte die deutsche Mannschaft, vor allem in der zweiten Halbzeit, durchaus nicht wenige Chancen gehabt, das Spiel für sich zu entscheiden. Aber kurz vor Ende der Verlängerung haben dann die Italiener die Tore geschossen und spielen nun ihrerseits am Sonntag in Berlin im Finale. Damit hat sich einmal mehr die ungeschriebene Regel bewahrheitet, die jeder Fußballfan kennt und die lautet: Wenn man vorne zu viele Chancen ungenutzt lässt, dann fängt man sich hinten irgendwann einen ein und geht als Verlierer vom Platz. Diese Regel hat nicht nur im Fußball, sondern auch im ganz normalen Leben, nicht zuletzt auch in der Politik durchaus ihre Gültigkeit.

Wir haben im politischen Deutschland nach der Föderalismusreform eine neue Spielsituation und sollten als

Parlamentarier dringend zusehen, dass wir auch in Bayern die Vorlagen nutzen, die uns diese bietet.

Meine Damen und Herren, größere Vielfalt im Föderalismus, weniger Unitarisierungstendenzen und das eine oder andere asymmetrische Element im politischen System können unser Land ohne Zweifel moderner, fl exibler und effi zienter machen. Da bin ich durchaus optimistisch. Ich kann auch durchaus an einem Föderalismus, der mehr gesetzmäßigen Wettbewerb zwischen den Ländern ermöglicht, Gefallen fi nden. Aber ein solches Wettbewerbssystem ist dann am effi zientesten und für die Gesellschaft am nützlichsten, wenn die gesunde Konkurrenz darauf ausgerichtet ist, das ganze Land nach vorne zu bringen und die Lebensqualität der Bürger und Bürgerinnen zu verbessern. Es darf also in keinem Fall zu einem Wettlauf nach unten führen, zu keiner Absenkung der Standards, sei es im sozialen Bereich oder im Umweltbereich oder sonst wo.

Die Sozialdemokraten werden hier im Landtag die Chancen der Föderalismusreform offensiv aufnehmen und werden die neuen Kompetenzen des Landtags entsprechend nutzen. Wir werden aufpassen, dass es beispielsweise beim Heimrecht keine Verschlechterung für die Betroffenen geben wird. Wir werden darauf achten, dass im öffentlichen Dienst die Belange der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und der Bürger und Bürgerinnen nicht unter die Räder kommen. Das gilt nicht nur für die Fragen des Besoldungs-, Versorgungs- und Laufbahnrechts. Wir werden dafür kämpfen, dass die neuen Zuständigkeiten von der CSU nicht zur ideologiefi xierten Schwarzen-Null-Politik zulasten der Beschäftigten genutzt werden. Wir sehen auch die Gefahr einer Bildungspolitik nach Kassenlage, wenn die Länderfi nanzminister alleine das Sagen habe. Wir wollen aber optimistisch sein, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CSU. Es ist so oft gesagt worden, dass mehr Kompetenzen für die Länder – ich betone erneut: vor allem auch der Länderparlamente – auch eine Chance sein können, Standards zu verbessern bei Umweltschutz, sozialer Versorgung, Arbeitszeiten, Entlohnung, Bildungsangeboten und Investitionen. Es liegt nun an uns in Bayern, dies auch zu tun. Die Bundesländer haben mehr Kompetenzen gefordert, und nun erhalten sie diese mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CSU, mehr Zuständigkeit heißt aber auch mehr Verantwortung. Es wird künftig keine Ausreden mehr geben, dass an diesem oder jenem der Bund in Berlin schuld sei. Der schuldzuweisende Zeigefi nger wird zukünftig dann ins Leere deuten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei alledem sollten wir eines nicht außer acht lassen: Es muss gewährleistet sein, dass dem Staatsziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse auch eine Priorität unseres politischen Handelns beigemessen wird. Länder und Kommunen, denen es bezüglich öffentlicher Finanzen, Wirtschaftskraft und Arbeitslosigkeit besser geht als anderen, dürfen die neuen Spielräume nicht dazu missbrauchen, Schwächere im Stich zu lassen und nur noch ausschließlich zum eigenen Vorteil zu handeln. Wir Sozialdemokraten treten nach wie vor für einen solidarischen

Föderalismus ein. Auch hier lehrt wieder der Blick auf den Fußball: Eine Mannschaft besteht aus elf Spielern. Ihre drei Besten, Herausragendsten, können ohne ihre Mitspieler kein Spiel gewinnen. Deutschland wird nur gewinnen, wenn alle 16 Teile solidarisch zusammenstehen.

Noch ein letzter Aspekt. Die Reform unseres föderalen Systems darf kein Torso bleiben, sondern muss weitergehen. Bei den jetzigen Schritten handelt es sich gewissermaßen um die Sanierung des Gebäudes und des Daches. Wichtig ist es auch, das Fundament zu sanieren. Das Fundament, das sind die Finanzbeziehungen der Länder untereinander und zwischen Ländern und Bund. Auf die Dauer werden wir auch um eine territoriale Neuordnung der Länder nicht herumkommen. Es ist gut, wenn so ein geschichtsträchtiges Land wie Bayern anderen Ländern keine Ratschläge erteilt. Eine Neugliederung mancher Länder muss von den betroffenen Ländern selbst ausgehen. Aber dass uns entsprechende Überlegungen durchaus sympathisch sind, das können und dürfen wir wohl zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte Ihnen nur zur Kenntnis geben, Frau Staatsministerin Emilia Müller ist entschuldigt wegen der Vorbereitung des Bundesrates in Berlin.

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Runge.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einen kurzen Prolog rekurrierend auf unsere Debatte zum LEP und zur Geschäftsordnung. Als Vorsitzender des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten weise ich die in eine Frage verkleidete Behauptung des Kollegen Bocklet entschieden zurück, dass das Thema Landesentwicklungsprogramm im eben genannten Ausschuss nichts verloren habe. Es geht um Anforderungen der Bundesraumordnung, es geht reihenweise um Bundesprojekte, und auch Europa ist immer wieder genannt. Und beim Miteinander der verschiedenen Ebenen sind wir auch beim Thema dieser Aktuellen Stunde, wobei ich sagen muss – ich sehe jetzt den Kollegen Bocklet nicht –: Wer behauptet, beim heute anstehenden Landesentwicklungsprogramm handle es sich um eine Teilfortschreibung, dem muss man auch Verwirrtheit in anderen Fragen zugestehen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr)

Herr Kollege, erlauben Sie mir eine Zwischenbemerkung. Ich will Sie jetzt nicht zur Ordnung rufen, aber ich denke, dass solche generellen Schlussfolgerungen und Bewertungen nicht angemessen sind.