Protocol of the Session on February 16, 2006

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜNE))

Diese Debatte müsste abgebrochen werden. So kann man doch nicht gegenüber der Bevölkerung auftreten. Ich will gar nicht bestreiten, dass es ohne weiteres vorstellbar ist, den BND in Berlin zu haben. Wenn er dort wäre, würde kein Mensch fordern, ihn nach Pullach zu verlagern. Ich verstehe Sie aber wirklich nicht, wenn Sie in der heutigen Zeit so etwas beantragen.

(Lebhafter Beifall bei der CSU – Christine Stahl (GRÜNE): Das war Ihr Antrag! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Nächster Redner ist Herr Staatsminister Dr. Beckstein.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kabinett der damaligen rot-grünen Bundesregierung hat im April 2003 den Beschluss gefasst, den Bundesnachrichtendienst von Pullach nach Berlin zu verlagern. Dieser Beschluss der Bundesregierung erfolgte im Alleingang. Die Bayerische Staatsregierung war in die Entscheidung nicht eingebunden. Das ist in Ordnung; denn das ist eine Bundesbehörde. Ich will aber deutlich herausstellen, dass es die sonst im Falle von großen Behörden übliche Abstimmung zwischen Bund und Land nicht gegeben hatte.

(Zuruf von der CSU: Hört, hört!)

Nach der Wiedervereinigung wurde ein Konzept erstellt, welche Bundesbehörden wo angesiedelt werden sollen. So sollte beispielsweise das Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig. Damals ist man selbstverständlich davon ausgegangen, dass der BND als große Bundesbehörde in Pullach bleibt.

Anders als bei der Wehrstrukturreform, Herr Kollege Gantzer, kam der Impuls nicht von außen. Wenn die Bundeswehr – jetzt über den Daumen gepeilt – von 500 000 auf 250 000 reduziert wird, wenn man die Bundeswehr so verändert, dass nicht mehr Panzer, welche die innerdeutsche Grenze absichern, im Mittelpunkt stehen, sondern dass sie zu einer weltweit tätigen Interventions- und Friedenstruppe wird, ist jedermann klar, dass eine Strukturreform erfolgen muss. Beim BND ist das eindeutig nicht der Fall.

Es ist völlig indiskutabel, wenn Sie sagen, dass nur ein Standort möglich ist. Das widerspricht den Begründungen, die der BND selbst in den Neunzigerjahren entwickelt hat, um einen zweiten Standort in Berlin aufzubauen. Im Moment sind dort 1200 Leute. Etwa weitere 400 – das war die bisherige Planung – befi nden sich im Umzug. Bisher war ein großer Standort in Pullach und ein großer Standort in Berlin geplant. Ich bitte um Verständnis dafür, wenn ich hier die genaue inhaltliche Aufteilung nicht darlegen will, weil ich erst nachlesen müsste, was noch offen ist und was nicht.

Nun hat die Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode beschlossen, den gesamten BND zu verlegen. Die

Staatsregierung lehnt das mit Nachdruck ab. Die Gründe dafür hat Herr Kollege Kreuzer, wie ich meine, gut dargestellt. Nun stellt sich die Frage: Wie ist das in den Koalitionsverhandlungen behandelt worden?

(Prof. Dr. Peter Paul Gantzer (SPD): Da waren Sie dabei!)

In den Koalitionsverhandlungen wurde das Thema angesprochen, und man hat das Thema ausdrücklich bis zum Zeitpunkt weiterer Verhandlungen, insbesondere zum Haushalt, vertagt. Damals wurde gesagt, dass in Bayern natürlich alle gegen den Umzug sind und in Berlin alle für den Umzug. Ich halte es schon für interessant, dass die SPD und die GRÜNEN offensichtlich nicht die regionalen Interessen Bayerns vertreten.

(Beifall bei der CSU – Prof. Dr. Peter Paul Gantzer (SPD): Da gibt es keine regionalen Interessen!)

Sie vertreten offensichtlich auch nicht die Interessen der Beschäftigten.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Gantzer, selbstverständlich dürfen die BNDMitarbeiter nicht so demonstrieren wie beispielsweise Mitarbeiter des Bundeskriminalamts. Sie sind darauf hingewiesen worden, dass es ein massives Dienstvergehen wäre, wenn sie sich öffentlich als Mitarbeiter des BND zu erkennen geben würden, ein Dienstvergehen, das in letzter Konsequenz zur Entlassung führen würde.

(Zuruf der Abgeordneten Heidi Lück (SPD))

Damit wurde der Protest der Mitarbeiter massiv unterbunden. Bei der Veranstaltung im Bundeskanzleramt anlässlich des Wechsels des BND-Präsidenten – Herr Uhrlau wurde eingeführt, und Herr Dr. Hanning ging nach Berlin – hat der Personalratsvorsitzende in äußerster Massivität Vorwürfe erhoben. Er hat gesagt, dass es völlig indiskutabel sei, wie mit den Interessen von Tausenden von Menschen umgegangen wird.

(Prof. Dr. Peter Paul Gantzer (SPD): Pullach hat 12 000 Einwohner!)

Sie wissen aber, dass mehrere Tausend beim BND beschäftigt sind. Ich glaube, im Moment arbeiten beim BND in Pullach etwa 3500 Leute. Die meisten haben Angehörige. Deshalb ist es keine Übertreibung, wenn ich sage, dass es um Tausende von Menschen geht.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das macht Ihre Bundesregierung!)

Diese Leute haben im Übrigen Schwierigkeiten, weil ein geheimer Mitarbeiter nicht ohne weiteres erläutern kann, warum seine Frau, die bei einer Bank beschäftigt ist, nicht mehr in München tätig ist, sondern in Berlin. In dem Augenblick, in dem die Frau sagt, ihr Mann sei beim BND beschäftigt, kann dem Mann ein Dienstvergehen zur Last gelegt werden, gegen das mit disziplinarischen Mitteln vorgegangen wird. Das hat der Personalratsvorsitzende im Kanzleramt eindringlich dargestellt.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das ist Ihre Regierung!)

Dann wundert es mich schon, dass die GRÜNEN in Bayern nicht die Interessen der Beschäftigten vertreten. Ich sage daher ein ausdrückliches Dankeschön dafür, dass hier namentliche Abstimmung beantragt wird. Herr Kollege Kupka, ich hoffe, dass in der regionalen Presse sehr, sehr deutlich gemacht wird, wer die Interessen der Beschäftigten vertritt. Ich werde das in meinen Gesprächen mit den Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes auch sehr eindringlich darlegen.

(Zuruf der Abgeordneten Karin Radermacher (SPD))

Die Verlagerung wird nicht so schnell stattfi nden, dass diese Mitarbeiter bei den nächsten Wahlen nicht noch die Konsequenzen daraus ziehen können

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Lück?

Ja, freilich.

Herr Staatsminister, ich habe eine Frage: Wo ist Ihr Mitleid für die bayerischen Beamten, die ebenfalls umziehen müssen und die auf dem Marienplatz zu Tausenden demonstriert haben?

(Beifall bei der SPD)

Auf diese Beamten haben Sie, wie gesagt, keinerlei Rücksicht genommen. Wo ist da Ihr Mitleid? Ich hoffe, auch diese Beamten wissen beim nächsten Wahltag, wer für sie da war.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin, der Unterschied ist doch zunächst einmal folgender, und dabei bitte ich um Nachsicht, dass ich das sage, jemand, der aus Franken stammt: Die Notwendigkeit für Infrastruktur im Großraum Hof ist im Moment sicher größer als die Notwendigkeit für Infrastruktur im Großraum München.

(Alexander König (CSU): Sehr gut!)

Ich verstehe deshalb, dass wir dem schwächsten Raum Bayerns mehr Infrastruktur geben wollen. Das ist etwas anderes, als wenn eine bayerische Abgeordnete sagt, wir stellen bayerische Interessen zurück und tun etwas für die regionalen Berliner Interessen. Wenn ich in Berlin wählen würde, würde ich das goutieren, wenn ich in Bayern wäre, würde ich sagen, solche Leute wähle ich nicht mehr.

(Zurufe von der CSU: Bravo, bravo! – Lebhafter Beifall bei der CSU)

Zweiter Punkt. Wir haben in den Koalitionsausschüssen unter öffentlicher Beteiligung hart um die Frage gerungen, wie viel Geld wir für die Familien haben.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Da wart Ihr schwach!)

Das eherne Gesetz lautete: 460 Millionen Euro dürfen nicht überschritten werden.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das ist doch Ihre Koalition! Was jammern Sie da!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für den Umzug des BND wird ein Mehrfaches ausgegeben. Ich glaube, es wäre besser gewesen, wenn 1,5 Milliarden Euro für Familien ausgegeben worden wären und nicht für den BNDUmzug. Dann hätten wir immer noch eine halbe Milliarde Euro gespart.

(Lebhafter Beifall bei der CSU – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das sind scheinheilige Argumente!)

Zur Frage der Sicherheitsinteressen. Kein Mensch wird ernsthaft bestreiten, Herr Kollege Dr. Gantzer, dass es während des Umzugs Probleme gibt, wenn ein paar tausend Leute eine neue Agenda brauchen, und wenn man bedenkt, was mit Behörden in Berlin gemacht wird. Dort ist immerhin die PDS dabei, die auch nach der rot-grünen Bundesregierung ein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes ist. Wir nicht nur in Bayern propagieren vertrauensvoll, dass alle Mitarbeiter eine geheime Legende bekommen, wie das auch in der Vergangenheit notwendig war.

Jeder, der im Moment mit den BND-Leuten redet, weiß, dass diese derzeit nur in Maßen an Sachfragen interessiert sind.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das ist doch Ihre Regierung in Berlin!)

Spätestens nach zwei Minuten ist man bei Fragen wie: Wie ist es, gehen wir nach Berlin? Können wir vielleicht bei Ihnen hier in München eine Aufgabe bekommen? – Wenn Sie wüssten, wie viele Leute sich bei uns zur IslamismusBekämpfung gemeldet haben! Wenn Sie wüssten, wie viele sogar bereit sind, Aufgaben mit niedrigeren Qualifi kationen und zu niedrigeren Gehältern zu übernehmen!

(Heidi Lück (SPD): Scheinheilige Argumentation!)

Angesichts dessen verstehe ich schon, dass der frühere Präsident und auch der jetzige Präsident des BND sagen: Das ist ein Problem. Anständigerweise sagen sie allerdings auch, dass dieses Problem überwindbar ist. Es wird aber niemand behaupten, dass das kein Problem ist. In einer Zeit, von der jedermann sagt, dass sie die kritischste Zeit ist, die der BND in seiner Geschichte gehabt hat, weil sich der BND vollständig umstellt von der Spionage auf Islamismusbekämpfung, soll der Umzug, dieses Großprojekt, bewerkstelligt werden. Das ist genauso, als ob jemand mitten im Juristischen Staatsexamen in eine andere Wohnung umzieht. Das ist doch nicht vernünftig.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das macht doch Ihre Regierung!)