fallen ist –; denn wir haben die gleiche Struktur und Banden, die bewaffnet, gewaltbereit und kriminell sind, die dort geduldet und in normalen Situationen nicht kontrolliert werden und die, wenn irgendetwas passiert – in New Orleans war es ein Naturereignis, in Frankreich ist es ein Aufschaukeln der Situation –, jederzeit in der Lage sind zu verhindern, dass Recht und Ordnung wieder hergestellt werden.
Das Problem liegt darin, dass dies offensichtlich in gewissen Gebieten – wir reden über die französischen Verhältnisse und über New Orleans – geduldet wird. Sie haben dann im Fall des Falles, wenn Schwierigkeiten auftreten, keine Chance mehr, die Dinge zumindest kurzfristig unter Kontrolle zu bekommen, und das müssen wir gemeinsam versuchen. Das ist kein Vorwurf an die Opposition, sondern ich weise nur auf diese Dinge hin, die nicht spontan entstehen. Hier muss über eine lange Zeit ein großes Defi zit an öffentlicher Sicherheit und Ordnung vorliegen, damit so etwas überhaupt passieren kann, damit sich so etwas insgesamt etablieren und in den entsprechenden Momenten losschlagen kann.
Ein vierter Pfeiler: Wir müssen natürlich alles tun – ich habe dies angesprochen –, um die Menschen, die bei uns sind, zu integrieren. Wir müssen uns auch überlegen – und damit komme ich zum Ende –, wie wir die Zuwanderung so steuern, dass die Integration einfacher ist. Ich weise auf die Zustände in den Niederlanden hin, in denen die Dinge Jahrzehnte völlig unkanalisiert gelaufen sind und sich inzwischen die verantwortliche Ministerin über folgende zwei Fragen Gedanken macht: erstens über den Familiennachzug, wobei sie sagt, wir lassen nur noch Ehepartner herein, die die niederländische Sprache können – selbstverständlich, Sie müssen sich einmal die dortigen Gesetzentwürfe ansehen; denn die Niederlande sind natürlich aus Schaden klug geworden. Wir müssen uns dies überlegen.
(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Sie haben Fehler gemacht, und Sie machen von neuem Fehler, Herr Kollege Kreuzer!)
Des Weiteren haben die Niederlande auch beim Familiennachzug bezüglich der wirtschaftlichen Absicherung ganz klare Voraussetzungen. Familiennachzug wird dort nur noch stattfi nden, wenn der Nachziehende wirtschaftlich voll abgesichert ist. Wir werden uns diese Dinge, die bei uns rechtlich schwierig durchzusetzen sind, überlegen müssen. Eines ist klar: Die Niederlande überlegen sich diese Dinge nicht aus einer ausländerfeindlichen Haltung
heraus, sondern haben in diesem Bereich eine ganz liberale Haltung gehabt. Die Niederlande überlegen sich diese Dinge, weil sie in ihrer Politik gescheitert sind und in ihrem Land größte Schwierigkeiten haben.
Dies ist der Weg, den wir gehen müssen: Wir müssen die hier lebenden Ausländer integrieren und diese Bemühungen verstärken, aber gleichzeitig dafür sorgen, dass der Zuzug begrenzt wird und dass wir uns nicht zusätzliche Probleme schaffen. Wir dürfen nicht glauben, dass wir diese Probleme durch Einbürgerung lösen können. Wir dürfen keine rechtsfreien Räume in unserem Staat dulden. Ich glaube, wenn wir diese Linie verfolgen, haben wir die besten Chancen, dass Zustände, wie wir sie heute in Frankreich haben und wie sie in den Niederlanden waren, bei uns nicht Platz greifen.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie schnell gewöhnt man sich auch an schreckliche Szenarien und wie oft sind das Abebben von Perversionen, wie es die Jugendkrawalle in Frankreich sind, schon die guten Nachrichten oder eben keine Nachrichten mehr? Wenn Sie gestern Mitternacht ARD oder ZDF angesehen haben, konnten Sie feststellen, dass im Nachrichtenüberblick die Ausschreitungen in Frankreich nur noch ein kurzer Beitrag waren; denn in Straßburg und Lyon brannten nur noch wenige Autos, weniger Autos als am Vortag, und auch da waren es nur noch halb so viele wie in der Vornacht, in der 1200 Fahrzeuge brannten.
Interessant war aber im Bericht des ZDF vielleicht der Nebensatz, dass auch in dieser Nacht in Köln und Berlin wieder einige Fahrzeuge – nur drei oder vier – brannten. Aber immerhin gehe die Polizei davon aus, dass es voraussichtlich ein Nachahmungseffekt der Ereignisse von Frankreich sein könnte.
Wir wollen hier kein Horrorszenario zeichnen. Aber gibt es nicht auch bei uns in Deutschland ähnlich problematische Stadtteile wie das Kreuzberg-Viertel, Köln-Meschenich oder sogar im heilen Bayern Stadtteile im Münchner Norden oder in Augsburg-Oberhausen? Auch hier gibt es Jugendliche, die frustriert sind, die keinen Job haben und außerhalb ihrer Gruppe keinen Anschluss mehr fi nden und irgendwann auf beides keinen rechten Bock mehr haben. Trotzdem brennen in Paris die Autos und fl iegen in Frankreich die Steine – und bei uns nicht. Erlauben Sie mir aber trotzdem, dass ich hier behaupte, bei uns wirkt die Gewalt genauso. Nur: Sie präsentiert sich in ihrer Symptomatik anders; denn die soziale Problematik kann – wie in Frankreich – in Gewalt explodieren oder – wie bei uns – beispielsweise in Suchtverhalten implodieren.
Deshalb teilen wir von der SPD-Fraktion zwar die in Ihrem Dringlichkeitsantrag geäußerte Betroffenheit, werter Kollege Kreuzer, aber wir gehen einen Schritt weiter und wollen aus der sozialpolitischen Katastrophe der materi
ellen und moralischen Misere in unserem Nachbarland, die in den brennenden Autos nur ihren symbolischen Ausdruck gefunden hat, etwas lernen. Daher der Titel unseres Antrages.
Anders als Sie gehen wir auch anders in der Analyse vor und ziehen andere Rückschlüsse. Dabei war ich im Gegensatz zu einigen meiner Kolleginnen und Kollegen etwas irritiert von Ihnen, Kollege Kreuzer, dass Sie dieses Thema aus sicherheitspolitischer Sicht diskutieren, während wir es aus sozialpolitischer Sicht angehen wollen.
Es geht schließlich nicht nur um Migrantinnen und Migranten, sondern generell um Jugendliche in sozialen Randlagen, auch wenn hier Ausländer und Aussiedler in unverhältnismäßig hohen Zahlen vertreten sind.
Ihr Dringlichkeitsantrag wirkt auf 41 Zeilen für mich wie eine Warnung an Ausländer und Migranten, sich bloß nicht nonkonform zu verhalten. Insgesamt 49 Zeilen Law and Order und nur zwei Zeilen integrationsfördernde Maßnahmen oder Gedanken über die sozialen und gesellschaftlichen Ursachen. Aber Sie haben angedeutet, dass Herr Sibler das in seinem Beitrag noch mündlich nachholen wird.
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CSU, bekennen sich in Ihrem Dringlichkeitsantrag zu einer – ich zitiere – „Politik vielfältiger integrationsfördernder Maßnahmen“.
Ich kenne auch Ihre Bilanz, Frau Staatsministerin Stewens, die Sie über integrative Maßnahmen für Aussiedler und Ausländer der Bayerischen Staatsregierung am vergangenen Montag schon im Schock der Ereignisse in Frankreich den Medien und der Presse präsentiert haben. Ohne diese Leistungen in irgendeiner Weise in Abrede zu stellen, möchte ich sagen: Mir ist das zu wenig. Wir von der SPD und die GRÜNEN – das sehe ich deren Antrag an, die da offensichtlich ähnlich denken wie wir – wollen unsere Lehren aus den Jugendkrawallen in Frankreich ziehen und mit entsprechenden Maßnahmen verhindern, dass es bei uns auch nur zu ähnlichen Ausschreitungen und Geschehnissen kommen kann. So teile ich auch die Meinung des Kollegen Pfaffmann, der in einem Brief an den Bildungsminister, der jetzt leider nicht anwesend ist, davor gewarnt hat, uns zurückzulehnen und zu meinen, dass bei uns so etwas nicht möglich wäre. Wenn bei uns die soziale Ungerechtigkeit und die Ignoranz von Politik die Jugendlichen in ihren Ängsten und Sorgen alleine lassen, kann es auch in Deutschland, auch bei uns im heilen Bayern, zu Gewalt kommen, und zwar, wie schon von mir ausgeführt, zu einer implodierenden selbst- statt autozerstörenden Gewalt von Rückzug und/oder Suchtverhalten bei jungen Menschen.
Denn das Gefühl der Ausgeschlossenheit von Ausbildung und Beruf und die alltägliche Diskriminierung, die jugendliche Arbeitslose mit geringen Bildungsabschlüssen erleben, wenn sie sich bewerben oder eine Wohnung suchen, prägen auch das Denken der jungen Menschen in Deutschland und machen auch sie immer mehr für Ver
zweifl ungstaten empfänglich. Wenn die Jugendlichen aus benachteiligten Schichten mit Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg alleine gelassen werden und dabei die sozialen und materiellen Ungleichheiten immer stärker erleben müssen, werden sie auch empfänglich für politische Hetzer aus dem rechtsradikalen Lager oder aus dem religiös-fundamentalistischen Lager.
Ich fühle mich hier auch bestätigt durch die Synode der Evangelischen Kirche in Berlin, auf der vor weiteren Einschnitten zulasten der Ärmsten in Deutschland gewarnt wurde. Der Ratsvorsitzende, Bischof Huber, hat dort festgehalten, dass die Armut auch in Deutschland ein inakzeptables Ausmaß erreicht habe. Staat und Gesellschaft sind aber verpfl ichtet, zu verhindern, dass gerade das Leben mit Kindern zu materieller Not führt.
Bei allem Verständnis für die notwendigen Sparmaßnahmen warne ich deshalb vor allzu krassen Einschnitten gerade bei den Schwächsten unserer Gesellschaft. Auch hier können wir meiner Meinung nach Frankreich als lehrreiches Exempel verstehen. Zwei der drei mit der französischen Revolution verbundenen Ideale sind den Franzosen vielleicht ein wenig abhanden gekommen, Gleichheit – hier sehe ich vor allem die Chancengleichheit – und Solidarität.
Ich warne unisono mit dem bildungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion mit Blick auf die bayerische Bildungspolitik vor den Wurzeln der Ungleichheit. Die schreiende Ungerechtigkeit, dass in Bayern Kinder aus wohlhabenden Familien eine sieben Mal größere Chance auf einen besseren Bildungsabschluss haben als Kinder aus ärmeren Familien, legt die Lunte an ein sozialpolitisches Pulverfass.
Gerade in den Bereichen Bildung und Jugend müssen wir die Gründe für die Revolte der sozial schwächeren Jugend in Frankreich genauer analysieren. Kollege Pfaffmann hat den Herrn Staatsminister Schneider und die CSU-Fraktion in seinem Schreiben vom Dienstag bereits aufgefordert, die Ergebnisse dieser Analyse entsprechend in die bayerische Bildungspolitik einzubinden. Dazu gehört vorweg natürlich die verpfl ichtende Sprachförderung für alle Altersstufen. Die Sprache ist zwar nicht allein die Gewähr, dass uns Ereignisse, wie wir sie derzeit jeden Morgen aus Frankreich vernehmen müssen, erspart bleiben; dennoch ist es natürlich ein wichtiger Baustein, insbesondere angesichts der zunehmenden Zahl von Migrantinnen, die nicht oder nur ungenügend deutsch sprechen.
Die Mittel für das Fachprogramm zur Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund sollten von 120 000 Euro auf etwa 500 000 Euro aufgestockt werden. Die derzeitige Ausstattung ist bei weitem nicht ausreichend für die Vielzahl an beantragten und auch notwendigen Projekten in diesem Bereich. Es wäre mehr als bedauerlich, wenn effektive Maßnahmen nicht stattfi nden könnten, weil die Mittel nur bis September reichen, so nach dem Motto. Integration ja, aber nicht mehr nach den Sommerferien.
Ich möchte nun kurz auf mein Lieblingsthema eingehen, nämlich auf die Kürzungen im Bereich des Bayerischen Jugendrings sowie auf die enormen Leistungen der Jugendarbeit vor allem zum Aspekt der ehrenamtlichen Jugendarbeit, wo Herr Sibler sicherlich meiner Meinung sein wird. Ich meine, dass anlässlich der Notwendigkeit einer Investition in die präventive Jugendarbeit die Mittel für das Aktionsprogramm von heute 72 000 Euro wieder auf den Stand von 2002 gebracht werden sollten mit damals 800 000 Euro.
Nun ein Wort zur Schulsozialarbeit. Diese hat in der Presseerklärung der Ministerin Stewens vom vergangenen Montag einen entsprechenden Stellenwert eingenommen. Bevor Sie mich auf den Fehler aufmerksam machen: Ich gebe zu, die konkrete Bezeichnung in Bayern heißt „Jugendsozialarbeit an Schulen“.
Aber wir fordern den Ausbau des „Förderprogramms Schulsozialarbeit“ nicht nur deshalb, weil das umgangssprachlich so verwendet wird, sondern weil wir deutlich machen wollen, dass wir eine echte Schulsozialarbeit wollen. Und wo liegt da der Unterschied, Kollege Sibler? – Die Jugendsozialarbeit an der Schule ist eine Jugendhilfemaßnahme, die der örtliche Träger anbieten kann oder eben auch nicht. Wir von der SPD-Fraktion sind aber der Meinung, dass die Schulsozialarbeit ein fester Bestandteil an unseren Schulen werden muss, und zwar so selbstverständlich wie die Lehrkraft, der Hausmeister und die Ganztagsbetreuung. Wie aber sieht es in der Realität aus? Der große Schub an Schulsozialarbeitern kam beispielsweise in meiner Heimatstadt Augsburg im Jahre 1999. Ab diesem Jahr gab es bei uns 14 Stellen. Das dürfte sich in vielen anderen bayerischen Kommunen ähnlich verhalten haben; denn diese Stellen wurden zunächst zu 100 % durch die rot-grüne Regierung in Berlin fi nanziert.
Nun hat Frau Staatsministerin Stewens in ihrer Pressemitteilung am vergangenen Montag angekündigt, dass die Staatsregierung in Bayern aktuell noch immer 88 Stellen mit jährlich 1,7 Millionen Euro staatlich fördere und dass die Staatsregierung beabsichtige, bis zum Jahre 2013 dieses wirksame präventive Programm auf insgesamt 350 Stellen an bis zu 500 Haupt-, Förder- und Berufsschulen auszubauen. Ist dies so, dann sind wir in diesem Punkt zufrieden, und Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CSU-Fraktion, können unserem Dringlichkeitsantrag leichter zustimmen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Integration ist ein komplexer, interaktiver gesellschaftlicher Prozess, der nur gelingen kann, wenn ihn alle, die an ihm beteiligt sind, als ihre Aufgabe
betrachten und als Chance für unsere Gesellschaft. Er kann nur gelingen, wenn jeder und jede das Recht und die Chance hat, den eigenen kulturellen Lebensentwurf zu leben auf der Basis gemeinsamer Befi ndlichkeit, nämlich deutscher Sprachkenntnisse, der Kenntnis unserer Verfassung und der darauf basierenden Rechtsordnung.
Es gibt ein Recht auf kulturelle Differenz und es gibt ein Recht auf Chancengerechtigkeit. Die Integrationspolitik hat die Aufgabe, Konfl ikte frühzeitig zu erkennen und demokratisch zu lösen, und sie hat die Aufgabe, ethnisch, religiös oder kulturell bedingte soziale Ungleichheit abzubauen. Davon sind wir in Bayern aber leider weit entfernt.
Insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund zählen überproportional zu den Verlierern und Verliererinnen unserer Gesellschaft. Nirgends – das haben wir schon des Öfteren gehört – ist der Bildungserfolg so sehr an die soziale, aber auch an die kulturelle Herkunft gebunden wie in unserem Land. Fast ein Drittel aller männlichen ausländischen Jugendlichen hat heute keinen Schulabschluss. Viele haben 10 Jahre Schule durchlaufen und können immer noch nicht richtig Deutsch. Migranten und Migrantinnen sind von Arbeitslosigkeit und Armut besonders betroffen.
In München beispielsweise ist die Arbeitslosigkeit unter ausländischen Jugendlichen doppelt so hoch wie unter deutschen Gleichaltrigen. Auch was die gesellschaftliche und politische Teilhabe angeht, führen ein Großteil der Eingewanderten und ihre Kinder ein Leben zweiter Klasse. Sie werden ausgegrenzt, dürfen nicht mitreden und schon gar nicht mit entscheiden.
Kolleginnen und Kollegen der CSU, Sie haben Ihren Dringlichkeitsantrag überschrieben „Grundwerte und Regeln des Zusammenlebens sind für alle verbindlich“. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Für uns ist es aber auch eine Selbstverständlichkeit den Eingewanderten gegenüber. Wie wir die Grundrechte verstehen, darf es keine Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse geben,
und dann dürfen auch die Chancen von Menschen in unserem Lande nicht aus sozialen, kulturellen oder religiösen Gründen verbaut werden, wie es heute der Fall ist. Dann darf es keine Religionen zweiter Klasse geben und es gilt auch hier gleiches Recht für alle.
Kolleginnen und Kollegen der CSU, es ist auffällig, dass Sie das Thema Integration immer dann entdecken, wenn irgendwo in Europa gescheiterte Integration zu Gewalt eskaliert.