Protocol of the Session on November 10, 2005

Seien Sie doch an diesem Punkt – dazu bietet jetzt der Wechsel in Berlin eine gute Gelegenheit – im positiven Sinne einmal konservativ und laufen Sie nicht einem dümmlichen, pseudo-modernen Mainstream hinterher, der Ihnen erzählt, man müsse alle Bereiche des Lebens in Euro und Cent umrechnen und bezahlen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt haben Sie noch die Chance, diesen Gesetzentwurf zurückzuziehen. Damit wären Sie in ganz Deutschland Vorreiter.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Endlich an der Spitze!)

Seien Sie doch einmal mutig und stellen Sie sich gegen diesen Mainstream. Sagen Sie, wir in Bayern halten an unserer Grundüberzeugung fest. Dann wäre Bayern vorne und würden Sie für die jungen Menschen etwas Gutes tun, die unsere Zukunft sind.

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN – Marga- rete Bause (GRÜNE): Zwergerlaufstand!)

Vielen Dank, Frau Kollegin! Als Nächster hat Herr Kollege Dr. Spaenle das Wort.

(Zuruf)

Dann habe ich die Bitte, mir die Rednerliste richtig vorzugeben. Dann kommt Herr Nadler – herzlich willkommen. Herr Dr. Spaenle, sprechen Sie auch noch?

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ludwig Spaenle (CSU))

Dann können wir die Zwischenrufe ein bisschen kanalisieren. – Herr Kollege Nadler hat das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, hier mit düsteren Farben ein negatives Bild zu malen, wie das eben Kollegin Gote getan hat, oder mit aus der Luft gegriffenen Prognosen und unbelegten Behauptungen kommen wir nicht weiter.

Wir führen ab dem Sommersemester 2007 in Bayern erstmals Studiengebühren ein. Mit Studiengebühren sollen die Studienbedingungen verbessert und soll letztlich ein Mehrwert für die Studierenden geschaffen werden. Das sind, Herr Kollege Vogel, Drittmittel für die Lehre. Wichtig ist für uns dabei, dass jeder, der leistungsfähig ist – egal, aus welcher Schicht er kommt –, auch studieren kann.

Ich sage es ganz deutlich: Studienbeiträge sollen keinen begabten jungen Menschen von einem Studium abhalten oder gar, wie Sie es ausdrücken, abschrecken. Dem tragen wir mit diesem Gesetz Rechnung.

Der vorliegende Gesetzentwurf verankert sozialverträglich ausgestaltete Studienbeiträge. Die Höhe der Beiträge liegt an den Fachhochschulen bei einer Bandbreite von 100 bis

500 Euro und an den Universitäten und Kunsthochschulen bei mindestens 300 und höchstens 500 Euro.

Für die Festlegung der Beitragshöhe sind die Hochschulen im Rahmen der genannten Spanne selbst zuständig. Sie können Studienbeiträge für einzelne Studiengänge also auch in unterschiedlicher Höhe festlegen. Grundlage dafür wird der Aufwand der Hochschule für die speziellen zusätzlichen Aufgaben und Maßnahmen zur Verbesserung der Studienbedingungen sein. Erwähnenswert hierzu ist, dass die Studierenden bei der Entscheidung über die Verwendung der Einnahmen in angemessener Weise zu beteiligen sind. Die Hochschulen müssen über die Verwendung der Einnahmen jährlich gesondert Rechnung legen.

Die Studierenden erhalten für die Studienbeiträge eine verbesserte Betreuung und Beratung, mehr KleingruppenVeranstaltungen, längere Bibliotheksöffnungszeiten und zusätzliche Ausstattungen; hier denken wir an den Auf- und Ausbau von Leihgerätepools und an Ähnliches, um nur einige Beispiele zu nennen.

Ich habe gesagt, wir wollen sozialverträgliche Studienbeiträge. Um die Sozialverträglichkeit sicherzustellen, sieht der Gesetzentwurf Befreiungen von der Beitragspfl icht vor. So müssen Studierende selbstverständlich für die Semester nichts bezahlen, in deren gesamten Dauer sie beurlaubt sind. Das Gleiche gilt für Praktikumssemester oder für das praktische Jahr im Medizinstudium, außerdem für die Zeit von bis zu sechs Semestern, wenn die Immatrikulation zum Zweck einer Promotion erfolgt ist.

Studierende können sich aber auch auf Antrag von der Beitragspfl icht befreien lassen. Beispiele dafür sind: Studierende pfl egen oder erziehen ein Kind, das zu Beginn des jeweiligen Semesters das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder das behindert ist; die Studierenden erhalten Kindergeld für drei oder mehr Kinder nach dem Bundeskindergeldgesetz oder ähnliche vergleichbare Leistungen. Befreit werden können auch ausländische Studierende, die zwischenstaatliche völkerrechtliche Abkommen oder Hochschulvereinbarungen für sich geltend machen können, oder Studierende, für die der Studienbeitrag aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles eine unzumutbare Härte darstellen würde trotz der Möglichkeit, ein Darlehen aufzunehmen, über das vorhin Herr Kollege Wägemann schon gesprochen hat.

Das ermöglicht auch die Berücksichtigung von Studierenden mit Behinderung oder chronischer Erkrankung, soweit sich diese studienerschwerend auswirken. Lassen Sie mich schließlich darauf hinweisen, dass jede Hochschule durch Satzung die Einzelheiten zur Höhe, Erhebung und Verwendung der Studienbeiträge regeln kann. Die Hochschulen können in diesem Zusammenhang zusätzlich für bis zu 10 % der Studierenden vorsehen, dass diese für besondere Leistungen von der Beitragspfl icht ganz oder teilweise, gegebenenfalls sogar rückwirkend, befreit werden können.

Als ich mir Ihren Dringlichkeitsantrag angesehen habe, Kollege Vogel, sind mir die vielen Arbeiter, die Gesellen

eingefallen, die sich zum Meister qualifi zieren und für diese Lehrgänge und die Prüfung viel Geld aufwenden. Davon habe ich heute von Ihnen nichts gehört.

Bei einem Elektriker beispielsweise dauert der Besuch der Meisterschule 13 Monate. In dieser Zeit zahlt er inklusive der Prüfungsgebühren circa 7700 Euro.

(Zuruf von der SPD: Und wie viele machen das deshalb?)

Abzüglich eines eventuell in Anspruch genommenen Meister-BAföG verbleiben ihm immerhin noch fünfeinhalbtausend Euro. Sind das nur die aus den reichen Familien, die es sich leisten können, eine Meisterprüfung zu machen? Diese Frage stelle ich hier schon. Wie viele haben denn diese hohen Sätze abgeschreckt, sich beruflich zu qualifi zieren?

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das wissen wir leider nicht! – Weitere Zurufe von der SPD)

Ich kenne viele Familien, deren Kinder so strebsam sind, dass sie in die Meisterausbildung gehen, und die auf diesem Wege für ihr Weiterkommen sorgen wollen. Von Ausnahmetatbeständen, von sozialverträglicher Beitragsregelung, ist mir in diesem Bereich nichts bekannt.

Bei den Studierenden dagegen sehen wir die Sozialverträglichkeit vor. Der große Rest kann und sollte sich nach meiner Meinung durchaus an der Verbesserung der Studienbedingungen beteiligen. Schließlich können durch das Studium seine ganz persönliche Einkommenssituation und auch sein sozialer Status entscheidend verbessert werden, liebe Frau Gote.

Warum also sollten wir Studierende anders behandeln als Meisterschüler, zumal durch Beitragsbefreiung und Darlehen sichergestellt ist, dass niemand aus fi nanziellen Gründen von einem Studium abgehalten wird? Ich empfehle deshalb, Ihren Antrag abzulehnen.

(Beifall bei der CSU)

Als nächster Redner hat Kollege Dr. Rabenstein das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst zu den beiden Vorrednern von der CSU ein Wort sagen. Da wird gesagt, man wolle in Zukunft eine soziale Komponente einbauen, und damit werde die soziale Gerechtigkeit gewährt. Man tut so, als wäre die soziale Gerechtigkeit bereits vorhanden,

(Beifall bei der SPD)

als ob jeder, der etwas im Kopf hat, auch studieren oder einen hohen Bildungsabschluss erwerben könnte. Aber das ist weiß Gott nicht so. Wir haben bereits heute die Bildungsungerechtigkeit. Diese wird durch die Studiengebühren dann noch verstärkt.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb müssen wir die Gebühren ablehnen. In welcher Welt leben wir? Wenn wir über Pisa diskutieren, wird immer groß herausgestellt, dass wir in Bayern Spitze sind. Was vielleicht bestimmte Qualifi kationen angeht, möchte ich gar nicht bestreiten, dass wir möglicherweise Spitze sind, aber wir sind auch im negativen Sinn Spitze, wenn es im Ländervergleich um die Bildungsabschlüsse geht. Wir wissen, dass nur 6,7 % von denen, die einen höheren Bildungsabschluss erzielen, auch höhere Chancen zum Studieren haben. Das bedeutet, schon jetzt haben wir sieben Mal höhere Bildungschancen für Kinder aus bildungsnahen Schichten gegenüber Kindern aus Facharbeiterfamilien. Damit sind wir leider Schlusslicht in Deutschland bei der sozialen Gerechtigkeit. Dieses Ungleichgewicht wird durch die Studiengebühren noch verschärft. Das ist der eigentliche Grund, warum wir die Studiengebühren ablehnen.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns fragen: Schaffen Studiengebühren einen höheren Anteil an Bildungsgerechtigkeit oder erreichen wir damit nicht das Gegenteil? Es geht hier also nicht um eine Einzelmaßnahme, sondern es geht um eine Richtungsentscheidung. Hier zeigt sich folgendes Bild: Auf der einen Seite frühere Ausbildung in der Grundschule, größere Klassen mit wenig Fördermaßnahmen und ein Gymnasium G 8 mit noch höheren Anforderungen und dazu Studiengebühren. – Das will die CSU.

Auf der anderen Seite eine längere gemeinsame Grundschulzeit, kleinere Klassen, damit auch schwächere Schüler besser gefördert werden können, ein Gymnasium nicht als Eliteschule, sondern als fördernde Schule, wo auch Kinder aus Facharbeiterfamilien ihr Abitur schaffen können, und ein Studium ohne Gebühren. Das fordern wir als soziale und demokratische Partei, als SPD.

Wir wollen mehr soziale Gerechtigkeit und deswegen dürfen die Barrieren nicht noch höher gemacht werden als sie heute schon sind. Die Frage lautet doch, ob wir jetzt schon die Bildungsungerechtigkeit haben. Die Antwort lautet ja. Sie wird dann noch größer durch die Studiengebühren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen deshalb – das ist schon von verschiedener Seite angesprochen worden – mehr Geld in die Bildung fl ießen lassen und natürlich auch in die Universitäten. Es darf durch die Studiengebühren nicht zu einer Umschichtung kommen. Auch das hat Kollegin Gote schon angesprochen. Denn natürlich – das ist jedem klar – bleiben die Studiengebühren nicht zu 100 % an der Universität. Da kommen unter anderem die Abzüge, die die Universität selbst leisten muss. Auf die möchte ich im Augenblick gar nicht eingehen. Es wird jedoch so aussehen, dass auf der einen Seite die Universität zwar eine bessere Finanzierung hat durch die Studiengebühren – das wird keiner abstreiten. Aber auf der anderen Seite wird sich der Staat aus der Finanzierung zurückziehen.

(Zurufe von der CSU)

Natürlich, das wird so kommen. Wir haben zwar jetzt den Plan, der bis zum Jahre 2008 geht, aber was kommt dann? Es wird dann heißen: Die Universitäten haben genug Geld, schaut hin, denen geht es gar nicht so schlecht. Also sparen wir bei den Universitäten und können das Geld woanders einsetzen. Diese Umschichtung haben wir doch schon jetzt.

(Unruhe – Zurufe von der CSU)

Allerdings merkt das heute nicht jeder in dieser Weise, aber diese Umschichtungen werden verstärkt kommen. Auf der einen Seite wird mehr Geld aus privater Hand und vielleicht auch aus Drittmitteln einfl ießen und auf der anderen Seite wird sich der Staat zurückziehen. Das ist die Konsequenz, die mit den Studiengebühren Hand in Hand geht. Wir sehen an Amerika, wohin sich das entwickelt. Diese Verhältnisse wollen wir hier in Bayern und auch in Deutschland nicht.

(Beifall bei der SPD – Wortmeldung des Abge- ordneten Dr. Ludwig Spaenle (CSU))

Bitte, Herr Kollege, stellen Sie Ihre Zwischenfrage.

Verehrter Herr Kollege Rabenstein, eine Frage zu den interessanten Ausführungen, die wir zum Thema Finanzgebaren des Freistaates gehört haben: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Freistaat Bayern im Innovationsbündnis bis 2008 genau das Gegenteil dessen, was Sie skizziert haben, mit den Hochschulen vereinbart hat? Es handelt sich um einen festgelegten Finanzsockel mit der Option auf Zuwächse, sodass wir selbstverständlich davon ausgehen, dass auch in der kommenden Legislaturperiode diese gute Übung fortgesetzt wird.

Lieber Kollege Spaenle, dazu zweierlei: Erstens, wir wissen, dass an den Hochschulen massiv gespart wurde und zwar bereits vor den Maßnahmen, die Sie jetzt ansprechen. Zum Zweiten haben Sie ganz deutlich gesagt, nach 2008. Die Studiengebühren kommen im Jahr 2007. Und im Jahr 2008, wenn das Bündnis ausläuft, werden wir sehen, wie es weitergeht. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass wir genau das haben werden, und dass das eintreten wird, was ich gesagt habe: Der Staat wird sich zurückziehen und die private Hand wird noch mehr dazu beisteuern müssen.