Vielen Dank, Frau Kollegin Kamm. Sie haben jetzt schon gemerkt, Kolleginnen und Kollegen: Stillschweigend wurde von der Redezeitverlängerung Gebrauch gemacht. Nur damit wir wissen, wo wir stehen: Die Redezeit wurde um 14 Minuten verlängert. Den GRÜNEN stehen mit Redezeitverlängerung noch fünf Minuten zur Verfügung. – Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Schindler. Bitte, Herr Kollege.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Keine Angst: Ich nutze die Möglichkeit einer längeren Redezeit nicht aus.
Herr Staatsminister, nach Ihrer Rede war ich fast versucht, zu applaudieren – so wenig pointiert und so wenig scharf war sie. Ich hatte eine ganz andere Rede erwartet. Ich hatte den Eindruck, Sie haben die Rede in die Kameras gerichtet als Bewerbungsrede für Berlin.
Ich hoffe, dass Frau Merkel zugesehen hat. Dann hat diese Rede ihren Sinn erfüllt. Denn für die Aufklärung war sie jedenfalls nicht erforderlich, weil sie, mit Verlaub gesagt, außer den altbekannten Forderungen überhaupt nichts Neues enthalten hat.
Erstens: Es gibt keine Rechtfertigung dafür, arg- und wehrlose Menschen in einer U-Bahn in die Luft zu sprengen. Wer immer hinter den Anschlägen von London und Madrid steckt, kann sich nicht auf irgendwelche hehren Ziele zur Rechtfertigung seines Tuns berufen. Es handelt sich entweder um verblendete oder kaltblütige Mörder.
Zweitens: Der Staat ist verpfl ichtet, seine Bürger vor solchen oder ähnlichen Anschlägen zu schützen. Das ist keine leichte Aufgabe, weil eine rationale Strategie von Terroristen, auf die man sich einstellen könnte, nicht erkennbar ist. Sie haben versucht, eine Typologie vorzulegen; drei verschiedene Arten von Tätern haben Sie genannt. Aber auch diese Einteilung ist willkürlich. Weil eine rationale Strategie nicht erkennbar ist, muss sich der Staat auf irrationale Handlungsweisen einstellen und ver
suchen, sich darauf vorzubereiten. Hierbei muss er immer die Gratwanderung zwischen den Anforderungen an möglichst hohe Sicherheit einerseits und auf der anderen Seite die Erhaltung einer offenen Gesellschaft mit Freiheitsrechten bewerkstelligen.
Drittens: Weil terroristische Pläne und Anschläge gerade nicht rational zu verstehen, zu erklären, zu analysieren sind, wäre es auch falsch zu meinen, Deutschland könne sich in Sicherheit wiegen. Da sind wir einer Meinung. Es wäre völlig unzulässig, zu argumentieren: Weil diese Bundesregierung – ich sage: Gott sei Dank – den Mut gehabt hat, sich nicht am Irak-Krieg zu beteiligen,
gibt es keine Gefahren. Das wäre völlig falsch und verkehrt. Hysterie ist aber ebenso wenig angesagt wie aufgeregter Aktionismus. Deutschland kann nicht pauschal als Ruheraum und Vorbereitungsraum für Terroristen bezeichnet werden. Dazu ist der Fahndungs- und Beobachtungsdruck mittlerweile zu groß. Und eine Garantie, dass Anschläge ganz verhindert werden, kann niemand geben, insbesondere kann niemand garantieren, dass sich nicht ein islamistisch verblendeter Selbstmordattentäter mit einem Rucksack voll Sprengstoff in die Luft jagt und damit eine Vielzahl Unschuldiger mit in den Tod reißt. – Herr Innenminister, ich habe Ihre Worte anlässlich der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2004 vor wenigen Wochen hier in München zitiert. Genau so ist es! Da wird Ihnen auch niemand widersprechen.
Viertens: Die Anschläge von New York, Madrid, London und anderen Orten konnten vorbereitet und ausgeführt werden, obwohl die betreffenden Länder nicht gerade für Laschheit im Umgang mit Terroristen und besonders feinfühligem Liberalismus bekannt wären, ganz im Gegenteil: Die Geheimdienste in den USA, in Spanien, in Großbritannien, aber auch in Israel und anderen Ländern verfügen über alle denkbaren Befugnisse und nachrichtendienstlichen Mittel, ja, mehr als ihnen bei uns zugestanden wird. Dennoch konnten die Anschläge nicht verhindert werden, auch nicht durch die angeblich 500 000 Videokameras in London. Dies bedeutet nun nicht, dass man sich zurücklehnen und in Fatalismus verfallen sollte, sondern zeigt nur, dass es leider eine banale Wahrheit ist, dass es absolute Sicherheit in einer offenen Gesellschaft, die auf den öffentlichen Raum sowohl als Ort der Kommunikation als auch als Mittel der Mobilität angewiesen ist, nicht geben kann.
Fünftens: Es ist bereits mehrfach gesagt worden, und ich will es deswegen auch nur noch kurz zusammenfassen: Deutschland ist vergleichsweise gut vorbereitet auf die Abwehr terroristischer Anschläge.
Das Sicherheitspaket ist angesprochen und verächtlich als „Otto-Katalog“ bezeichnet worden; es war ja ein mühseliger Prozess des gemeinsamen Entwickelns und Durchsetzens und Umsetzens auch in der Abstimmung mit den unionsgeführten Ländern. Das ist alles beschlossen und verabschiedet worden und in Kraft
getreten. Sicherheitslücken, in denen Terroristen ungestört von irgendwelchen Beobachtungen neue Anschläge vorbereiten könnten, gibt es nicht.
Auch in Ihrer heutigen Regierungserklärung konnte man nicht erkennen, wo die großen Lücken sein sollen, die von Herrn Kollegen Peterke – ich glaube, er war es – angesprochen worden sind.
Allerdings gibt es Probleme bei der Zusammenarbeit der insgesamt – so habe ich mir sagen lassen – 38 verschiedenen mit der Terrorbekämpfung in Deutschland befassten Behörden. Stellen Sie sich vor: 38 verschiedene Behörden. Die eigentlichen Schwächen des deutschen Sicherheitsapparates liegen im Neben- und Gegeneinander dieser Vielzahl von Polizei- und Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes. Es fehlt an einer zentral gesteuerten Gefahrenabwehr. Die föderalistische Eigenbrötlerei geht so weit, dass die Datenverarbeitungssysteme der Länderpolizeien inkompatibel sind. Das sind die wahren Schwächen dieses starken Staates.
Sechstens: Meine sehr verehrten Damen und Herren, Otto Schily, das wurde gesagt und das sage auch ich, obgleich die Insider wissen, dass ich hier gelegentlich – allerdings nur gelegentlich –, ein Fragezeichen anbringe: Otto Schily ist der Garant für die innere Sicherheit in Deutschland.
An dieser Stelle füge ich, wenn auch „in Klammern“ an: Das kann man von früheren Innenministern der CDU/CSU so nicht unbedingt sagen. Ich verweise auf Zimmermann und Kanther. Die haben durch ganz andere Dinge Schlagzeilen gemacht, als das Otto Schily tut.
Meine Damen und Herren, ich kürze ab, denn zu allen Vorschlägen ist kompetent geantwortet worden. Ich möchte nur noch Folgendes sagen: Wir dürfen nicht den Fehler machen, den Kampf gegen den Terror auf die Ebene einer kriegerischen Auseinandersetzung zu heben. Wir dürfen damit gar nicht beginnen, auch nicht mit einer Militarisierung der Sprache. Es geht um die Bekämpfung von Straftaten mit hoher Kriminalität, aber es geht nicht um Krieg mit einem anderen System. Weil das so ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, verbietet sich auch jeglicher Generalverdacht gegenüber einer Glaubensrichtung.
In Europa leben 15 Millionen Menschen muslimischen Glaubens. 99,99 % von ihnen leben friedlich mit uns zusammen.
Es ist deshalb unzulässig, alle unter Generalverdacht zu stellen. Genauso unzulässig und falsch wäre es, die seit Jahrzehnten bestehenden Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken in Nordirland den Christen zuschreiben zu wollen. Das wäre genauso unzulässig, deshalb sollten wir diesen Gedanken gar nicht erst zulassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allen Notwendigkeiten, auf die unsere Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch haben, damit der Staat sie vor solchen kriminellen Taten schützt, bei all diesen Erfordernissen und Notwendigkeiten, die überwiegend – ich meine sogar, ganz – erfüllt sind, ohne dass sich morgen nicht vielleicht die Notwendigkeit für eine neue Maßnahme ergeben kann, muss es doch immer so sein, dass diese freie, offene Gesellschaft als Siegerin aus der Auseinandersetzung hervorgeht.
Das kann sie aber nur dann, wenn sie auch weiterhin die Mauern, die es aus guten Gründen zwischen Polizei und Geheimdiensten gibt, wenn sie weiterhin die Unterscheidung zwischen den Aufgaben und Befugnissen von Bundeswehr, Polizei und Geheimdienst sowie die Unterscheidung zwischen Verdächtigen und Unverdächtigen beibehält. Tut sie das nicht, wirft sie alles zusammen, dann haben zwar nicht die Terroristen gesiegt, aber die freie, offene Gesellschaft hat verloren. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Dr. Beckstein, dann wollen Sie das auch nicht.
Frau Präsidentin, Hohes Haus! Die Debatte nimmt eigentlich den für eine Sicherheitsdebatte üblichen Verlauf. Eines allerdings ist bemerkenswert, direkt epochal: Frau Kollegin Stahl hat Bayern als sicheres Land bezeichnet.
Das ist eine Referenz an die bayerische Sicherheitspolitik. Ich danke Ihnen dafür, Frau Kollegin Stahl. Sie haben Recht.
Sie haben dabei nur eines zu sagen vergessen: Dieser Sicherheitsstandard ist nicht zuletzt deswegen erreicht worden, weil wir gegen Ihren erbitterten Widerstand in diesem Hause viele sicherheitspolitische Maßnahmen auf bayerischer Ebene durchgesetzt haben.
Wir wären sonst nicht so weit. Ich erinnere nur an Ihren unglaublichen Widerstand bei der Einführung der Schleierfahndung.
Trotzdem ist es Beifall von der falschen Seite, weil ich nicht glaube, dass Sie die Zeichen der Zeit im Hinblick auf die innere Sicherheit und die Sicherheitslage erkannt haben. Ich glaube auch nicht, dass Sie mit voller Überzeugung dahinter stehen, alles zu tun, um diese Sicherheitslage zu verbessern.
Wenn man Ihre Ausführungen verfolgt hat, dann haben Sie gegen alle denkbaren Maßnahmen Bedenken und Einwände vorgetragen. Sie kommen dann zwangsläufi g zu dem Schluss: Wir tun überhaupt nichts, wir lassen alles beim Alten. So, verehrte Frau Kollegin Stahl, wird man den Herausforderungen von heute aber gerade nicht gerecht.
Wenn Sie sagen, nur eine starke Gesellschaft bietet Gewähr für Sicherheit und nicht, nur ein starker Staat, dann muss ich Ihnen entgegenhalten, dass die Gesetze und die Verfassung dieses Staates eben dem Staat das Gewaltmonopol und die Eingriffsrechte einräumen, nicht dem Einzelnen. Es ist somit Verpfl ichtung des Staates, dieses Gewaltmonopol auszuschöpfen und die Bürgerinnen und Bürger – denen das zu Recht verwehrt ist – zu schützen.
Wir haben deshalb einen Handlungsauftrag. Wenn sich Herr Kollege Schuster und Herr Kollege Schindler darüber mokieren, dass die CSU Dringlichkeitsanträge zu Sicherheitsgesetzen gestellt hat, die nicht sofort zu etwas führen, dann will ich Sie daran erinnern, dass viele unserer Maßnahmen inzwischen ergriffen worden sind. Schauen Sie doch einmal, was wir in früheren Jahren von bayerischer Ebene aus gefordert haben. Schauen Sie doch, was davon in Ihren so genannten Sicherheitspaketen „Otto I“ und „Otto II“ enthalten ist – nur ein paar Jahre später. Das ist doch Realität. Sie aber haben diese Anträge alle abgelehnt, und die Maßnahmen, die Sie heute alle mittragen, bekämpft.