Protocol of the Session on March 3, 2005

Ihre Anträge dagegen werden wir ablehnen. In beiden Anträgen ist Polemik enthalten.

(Widerspruch bei der SPD)

Sie haben Mitglieder und Mandatsträger der CSU angegriffen. Somit muss Ihnen klar sein, dass eine Unterstützung des Antrags schon allein aus diesem Grund schwer möglich sein wird. Zum anderen sage ich Ihnen: Die von Ihnen geforderten Maßnahmen sind ungenügend, und teilweise gehen sie in die falsche Richtung. Wenn Sie beispielsweise Veränderungen im Jugendstrafrecht beim Strafmaß ablehnen, sind wir damit auch inhaltlich nicht einverstanden und werden deshalb die Anträge von RotGrün ablehnen.

Ich fordere Sie auf, unseren Anträgen zuzustimmen. Lassen Sie es nicht bei Lippenbekenntnissen, sondern fordern Sie Ihre Kollegen von Rot-Grün in Berlin auf zu handeln, damit wir alles tun können, um solche Dinge zukünftig zu vermeiden. Wenn wir gemeinsam handeln, wird es auch zu keinen solchen üblen Auseinandersetzungen mehr kommen, wie Sie sie anprangern.

(Beifall bei der CSU – Dr. Heinz Kaiser (SPD): An den üblen Auseinandersetzungen sind wir nun schuld?)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Schindler.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich anerkenne das Bemühen des Kollegen Kreuzer, zu einer Sachlichkeit zurückzukehren, die dem Thema angemessen ist. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie bei der Ankündigung dieses Dringlichkeitsantrags nicht gesagt haben, es gehe Ihnen darum, irgendein Problem zu lösen. Sie haben angekündigt, es ginge ausschließlich darum, Rot-Grün vorzuführen. So haben Sie es intoniert. Ich sage Ihnen dazu: Das ist erstens legitim, zweitens aber kein Beitrag dazu, das Problem, mit dem wir es zu tun haben, zu lösen.

(Beifall bei der SPD)

Drittens gibt es nichts vorzuführen.

Auch wenn Sie es nur nebenbei in den Raum gestellt haben, muss es erlaubt sein – auch nach den Ermahnungen, die die Fraktionsspitzen heute über die Presse an alle herausgegeben haben –, wenigstens ein paar Sätze zu den ungeheuerlichen Vorwürfen des CSU-Generalsekretärs gegen Bundeskanzler Schröder und pauschal gegen RotGrün zu sagen. Diese Vorwürfe sind nicht nur in der Sache falsch, sondern leider auch Ausdruck einer bestimmten geistig-moralischen Verwahrlosung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN – Wi- derspruch bei der CSU)

Das wäre an sich nicht der Erwähnung und Empörung wert, wenn die verbale Grenzüberschreitung im Eifer des Gefechts passiert wäre. So war es aber nicht. Der Angriff ist ganz gezielt und bewusst gestartet worden, um den Kanzler und seine Regierung zu diffamieren. Sie ist keineswegs zu dem Zweck gestartet worden, zu der Lösung eines Problems beizutragen. Man könnte diese Äußerung als typisch in einer Reihe anderer Äußerungen einstufen, wenn der Mentor dieses Herren – ich meine den Herrn Ministerpräsidenten – die Größe hätte, sich von den Äußerungen zu distanzieren. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass der Ministerpräsident diese Größe nicht hat, und wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass auch ein großer Teil der Mitglieder der Mehrheitsfraktion dem Generalsekretär, wenn schon nicht offen, so doch klammheimlich, Beifall dafür spendet, dass er es wieder einmal geschafft hat, mit verbalen Entgleisungen in die Talkshows zu kommen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der schreckliche Mord an dem neunjährigen Peter A. ist geschehen, nachdem der früher bereits wegen eines Sexualmordes zu einer neunjährigen Jugendstrafe verurteilte Martin Prinz nach voller Verbüßung seiner Strafe entlassen worden ist und er sich unter Führungsaufsicht wieder frei bewegen konnte. Bei einer solchen Konstellation drängen sich natürlich Fragen auf. Es drängt sich zum Beispiel die Frage auf, warum der Täter trotz eines bestialischen Mordes – Kollege Kreuzer hat die Einzelheiten geschildert – als voll schuldfähig eingestuft worden und nicht in den Maßregelvollzug gekommen ist. Es drängt

sich weiter die Frage auf, ob es zutrifft, was behauptet wird, dass die Justiz nur ihr genehme Gutachter beauftragt und dass oberste Prämisse sei, die Täter die volle Härte des Gesetzes spüren zu lassen, weswegen nur selten eine eingeschränkte oder fehlende Schuldfähigkeit attestiert werde. Es drängt sich auch die Frage auf, was genau versucht worden ist, den Täter während der über neunjährigen Haft zu bessern und zu resozialisieren, bevor er wieder in die Freiheit entlassen worden ist.

Es drängt sich natürlich auch die Frage auf, ob die Weisungen, die ihm erteilt worden sind, geeignet waren, das Risiko der Begehung neuer Straftaten, insbesondere einschlägiger Straftaten, zu minimieren. Natürlich stellt sich auch die Frage, ob die Bewährungshilfe und die Führungsaufsichtsstelle in der Lage waren, die Einhaltung der Aufl agen zeitnah zu kontrollieren. Es gibt noch eine Vielzahl weiterer Fragen, die gestellt und beantwortet werden müssen.

Aber diese Fragen sind nicht von der Bundesregierung zu beantworten. Diese Fragen sind von der Bayerischen Staatsregierung zu beantworten. Deswegen stellen wir sie und erwarten hierauf eine Antwort.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wie immer sind auch nach diesem schrecklichen Mord plötzlich alle schlau und wissen ganz genau, welche Lücken in der Strafbarkeit geschlossen werden müssen. Bis zum 17. Februar haben Sie es aber auch nicht gewusst. Tatsache ist nämlich erstens, dass die jetzt bei dem schrecklichen Mord deutlich gewordene Lücke auch in der 16-jährigen Regierungszeit Ihrer Partei in Bonn und Berlin nicht erkannt und geschlossen worden ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zweitens ist Tatsache, dass mit dem Sexualdeliktebekämpfungsgesetz von 1998, als Sie in Berlin noch regiert haben, zwar § 66 Absatz 3 in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden ist, also die Möglichkeit der Anordnung von Sicherungsverwahrung bei Verbrechen und schweren Sexualdelikten, dass aber kein Gedanke darauf verschwendet worden ist, dieses Instrument auch auf Jugendliche und Heranwachsende anzuwenden.

Und Tatsache ist drittens, dass dieses von Ihnen beschlossene Gesetz erst für Taten gilt, die nach dem 31. Januar 1998 begangen worden sind. Wir haben es hier mit Taten zu tun, die in den Jahren 1992 und 1994 begangen worden sind.

Tatsache ist auch, meine Damen und Herren, dass unter Verantwortung der jetzigen Bundesregierung im August 2002 die vorbehaltene Sicherungsverwahrung eingeführt worden ist und dass sich damals niemand daran gestört hat, dass sie nicht für Heranwachsende gilt, die nach Jugendstrafrecht verurteilt werden, so wie es bei Martin P. der Fall war.

Tatsache ist auch, dass sogar das Bayerische Straftäterunterbringungsgesetz, für das diese Staatsregierung die

Verantwortung trägt und dem die Mehrheit meiner Fraktion zugestimmt hat, die im Fall Martin P. deutlich gewordene Lücke nicht geschlossen hat.

Tatsache ist, dass auch Bayern nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2004, als das bayerische Gesetz wegen der fehlenden Gesetzgebungskompetenz für nichtig erklärt worden ist, auf eine entsprechende Rundfrage des Bundesjustizministeriums bei allen Landesjustizministern, welche relevanten Fälle in dem vorgesehenen Bundesgesetz geregelt werden müssen, den Fall Prinz nicht genannt hat.

(Franz Maget (SPD): Warum eigentlich nicht?)

Tatsache ist auch, meine Damen und Herren, dass Sie auch in dem Beschluss des Landtages, auf den Sie in Ihrem heutigen Dringlichkeitsantrag Bezug nehmen, nicht gefordert haben, Sicherungsverwahrung gegen Heranwachsende, die nach Jugendstrafrecht verurteilt werden, anordnen zu können.

Schließlich ist auch noch Tatsache, dass unter Verantwortung der jetzigen Bundesregierung im Jahr 2004 die nachträgliche Sicherungsverwahrung eingeführt worden ist und dass Sie nicht gefordert haben, sie auch auf Jugendliche und Heranwachsende, die nach Jugendstrafrecht verurteilt werden, auszudehnen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Und Sie, meine sehr verehrte Damen und Herren, reden hier von Blockade. Sie reden davon, dass Ihre Forderungen nicht umgesetzt würden. Selbst wenn alle Ihre Forderungen – die kann man im Archiv nachlesen – umgesetzt worden wären, hätte die Entlassung im Fall Martin Prinz nicht verhindert werden können, weil Sie das nämlich auch nicht gefordert haben. Ich mache Ihnen daraus keinen Vorwurf.

(Zuruf des Abgeordneten Thomas Kreuzer (CSU))

Sie haben von „Blockade“ gesprochen. Wir müssen uns jetzt darum kümmern, was wir für die Zukunft regeln. Es gibt hier keine Versäumnisse irgendeiner Regierung. Ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie es nicht gesehen und geahnt haben, aber Sie dürfen es auch denen in Berlin nicht vorwerfen, weil sie es auch nicht gewusst haben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, aber es ist unehrlich, wenn Sie den Eindruck erwecken, Sie hätten das Problem längst erkannt und die Lösung sei blockiert worden. Das ist objektiv falsch.

Meine Damen und Herren, wir stimmen Ihrem Antrag nicht wegen der von Ihrem Generalsekretär intonierten Begleitmusik nicht zu, sondern aus folgenden Erwägungen: Beißende Kritik am Jugendstrafrecht ist immer populär, aber in den meisten Fällen nicht berechtigt. Wir wollen an den

Grundprinzipien des Jugendstrafrechts festhalten. Das hat nichts zu tun mit Gefühlsduselei und Weichheit, sondern mit der nicht gerade neuen Erkenntnis, dass junge Menschen – ich sage: im Regelfall, nicht immer – noch erzogen und mit Mitteln des Jugendstrafrechts gebessert werden können und dass das Jugendstrafrecht hierfür die geeigneten Instrumente bietet.

Im Übrigen ist es ein Trugschluss, ein Fehler, so zu tun, als sei Jugendstrafrecht die Softversion des Erwachsenenstrafrechts. Mitnichten, Sie müssen bitte schon dazusagen, dass es im Erwachsenenstrafrecht nur Geldstrafe und Haftstrafe gibt, wohingegen man im Jugendstrafrecht eine Breite von Sanktionsmöglichkeiten hat, die Jugendliche und Heranwachsende oft härter treffen, als es die Haftstrafe tun könnte.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, auch bei Heranwachsenden ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob Jugendstrafrecht oder allgemeines Strafrecht anzuwenden ist. Ich gebe Ihnen Recht: Es ist unbefriedigend, wenn das von Gerichtsbezirk zu Gerichtsbezirk höchst unterschiedlich gehandhabt wird. Das ist nicht gut. Wir können gern darüber diskutieren, wie man diesen Missstand vielleicht beheben kann.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Den kann man nicht beheben!)

Aber wir müssen die Entscheidung, ob ein Achtzehn- oder Neunzehnjähriger aufgrund seiner sittlichen und geistigen Reife und aufgrund der Tat, die er verübt hat, einem Jugendlichen oder einem Erwachsenen gleichzustellen ist, auch weiterhin den Gerichten überlassen und nicht der CSU.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir sind bereit, daran mitzuwirken, die im Fall Prinz erkennbar gewordenen Lücken zu schließen. Das betrifft die Schaffung der Möglichkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Heranwachsenden, die nach Jugendstrafrecht zu einer langjährigen Jugendstrafe verurteilt worden sind, und das betrifft die Verschärfung der Vorschriften über die Führungsaufsicht. Darüber kann man mit uns reden, überhaupt kein Thema.

Sie gehen aber weit darüber hinaus oder – besser gesagt – zurück in das vorletzte Jahrhundert. Wie das Beispiel der Vereinigten Staaten zeigt, können noch so drakonische Strafen nicht verhindern, dass Straftaten begangen werden.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Solange es das System zeitlicher Freiheitsstrafen gibt, bleibt natürlich immer das Risiko, dass ein entlassener Straftäter rückfällig wird. Es müssen deshalb alle Anstrengungen darauf gerichtet werden, Straftäter, zumal jugendliche und heranwachsende, in der Strafhaft, so gut es

denn geht, zu bessern. Gerade auf diesem Gebiet haben wir in Bayern etwas nachzuholen. Dort gibt es Defi zite.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wenn die Verbüßung der Haft keine Wirkung zeigt, wie das leider immer wieder vorkommt und was auch keine ganz neue Erkenntnis ist, und der Verurteilte erkennbar für die Allgemeinheit – und dazu gehören natürlich die Schwächsten, nämlich die Kinder – höchst gefährlich ist und bleibt und nicht gebessert worden ist, muss als Ultima ratio selbstverständlich die Sicherungsverwahrung angeordnet werden, aber aus den Ihnen ebenso wie mir bekannten Gründen nur als Ultima ratio. Zu den von Ihnen vorgeschlagenen nachgerade tektonischen Verschiebungen unseres Systems des Jugend- und Erwachsenenstrafrechts besteht aber kein Anlass.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben keinen Anlass, uns vor einer namentlichen Abstimmung zu fürchten, wenn Sie sie haben wollen. Wir lassen uns von Ihnen auch nicht vorführen, weil es nichts vorzuführen gibt,