Protocol of the Session on March 3, 2005

Herr Präsident, Hohes Haus! Wenn ein Bürgermeister für seine Teilhauptschule kämpft, verstehe ich das.

(Margarete Bause (GRÜNE): Wenn wir darum kämpfen, verstehen Sie es nicht?)

Wenn acht Grundschullehrkräfte darum kämpfen, dass ihre zwei Hauptschulkollegen an der Schule bleiben können, verstehe ich das. Wenn Eltern sich dafür einsetzen, dass der Schulweg kürzer bleibt, verstehe ich das. Wenn aber die SPD und die GRÜNEN sich hierher stellen und sich plötzlich dazu aufschwingen, die Hauptschule zu verteidigen, dann ist das pure Scheinheiligkeit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU – Zuruf der Abgeordneten Susann Biedefeld (SPD))

Liebe Frau Kollegin, ich habe vor kurzem einen schönen Spruch gehört. Fünfzigjährige mögen dadurch stören, dass sie sich erinnern. Mir fehlt zwar noch ein Jahr auf diese 50, aber ich erinnere mich sehr wohl an drei große Wellen, die Sie, die SPD und die GRÜNEN, in Gang gesetzt haben und die unsere Hauptschullandschaft hinweggespült hätten. Ich nenne die Welle Nummer eins. Sie waren es doch, die vor 20 Jahren die Gesamtschulen einführen wollten, ohne Rücksicht auf unsere Teilhauptschullandschaft, ohne Rücksicht auf unsere Hauptschulen, Realschulen und ohne Rücksicht auf unsere Gymnasien.

(Margarete Bause (GRÜNE): Und heute handeln Sie ohne Rücksicht auf die Bürgermeister, ohne Rücksicht auf die Lehrerinnen und Lehrer und ohne Rücksicht auf die Kinder!)

Ich habe noch Reste dieser Versuche, von denen in Bayern einige stattgefunden haben, bei uns in Mittelfranken. Diese Welle der Gesamtschuldiskussion, die Sie uns aufzwingen wollten, hätte alle Hauptschulen und Teilhauptschulen wegradiert. Das war Welle Nummer eins.

Zehn Jahre später kam die zweite Welle. Etliche, die hier im Raum sind, können sich noch daran erinnern. Es war das Regionalschulkonzept. Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu diesem Thema kann man einiges diskutieren. Herr Präsident Dannhäuser sitzt heute hier, ihm nehme ich das ab, er hätte es auch schulpolitisch gewollt. Sie aber hätten damit etwas bewirkt mit der Folge, dass heute diese Debatte gar nicht mehr stattfi nden würde. Warum? – Weil diese Regionalschulen einen Einzugsbereich von mindestens 600 bis 800 Schüler gebraucht hätten. Wir haben Modellrechnungen erstellen lassen. Sie hätten in einem Umkreis von 20 Kilometern keine kleine Schule mehr gehabt. Meine Damen und Herren, was Sie hier bieten, das ist Verlogenheit pur.

(Beifall bei der CSU)

über diese Fragen zu entscheiden haben, ist aber nicht das Wohl und Wehe eines Bürgermeisters, sondern das Wohl und Wehe unserer Kinder, ihre optimale Förderung und ihre Zukunft entscheidend. Das möchte ich ganz deutlich betonen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, abschließend darf ich sagen: Wir werden in Zukunft weiterhin die Schule im Dorf haben. Wir haben – ich darf noch einmal wiederholen – 2300 Grundschulstandorte und 1100 Hauptschulstandorte – das ist ein dichtes, fl ächendeckendes, wohnortnahes Schulkonzept im Freistaat. Die Schule bleibt im Dorf. Ich bitte Sie sehr herzlich, Frau Schieder und auch Frau Bause: Lassen Sie bei all Ihrer Aufgeregtheit auch die Kirche im Dorf.

(Beifall bei der CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung der zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge

Ich rufe zuerst auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Joachim Herrmann, Thomas Kreuzer, Peter Welnhofer und Fraktion (CSU) Konsequenzen aus dem Fall „Martin Prinz“ – wirksamer Schutz der Bevölkerung auch bei jugendlichen und heranwachsenden Straftätern (Drucksache 15/2919)

zusätzlich den nachgezogenen

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Franz Maget, Franz Schindler, Bärbel Narnhammer und anderer und Fraktion (SPD) Schutz von Kindern vor gefährlichen Sexualstraftätern (Drucksache 15/2928)

sowie den nachgezogenen

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Ulrike Gote und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Umstände des jüngsten Münchner Sexualmordes klären, umfassende Konsequenzen ziehen (Druck- sache 15/2929)

Bevor ich die gemeinsame Aussprache eröffne, weise ich bereits jetzt auf Folgendes hin: Die CSU-Fraktion hat zu ihrem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/2919 getrennte Abstimmung hinsichtlich des Einleitungsteils und der Einzelnummern 1 bis 3 beantragt. Die drei Einzelabstimmungen über die Nummern 1 bis 3 sollen jeweils in namentlicher Form erfolgen. Das gebe ich hiermit bekannt.

Über den Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 15/2928 sollen zwei getrennte Abstimmungen, ebenfalls in namentlicher Form, erfolgen, zunächst über den ersten Absatz und dann gemeinsam über die Nummern 1 bis 4.

Auch zum Dringlichkeitsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 15/2929 wurde namentliche Abstimmung beantragt, sodass nach dem Ende der Aussprache insgesamt sechs namentliche Abstimmungen stattfi nden werden, was ich hiermit ausdrücklich bekannt gebe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir greifen ein sensibles Thema auf. Nach den Ereignissen der letzten Tage möchte ich vor Beginn der Diskussion die Bitte äußern, dass wir sie in dem Rahmen abhalten, wie wir ihn in diesem Hause gewohnt sind. Ich bitte Sie, in Respekt und Achtung vor den anderen Mitdiskutanten die Diskussion zu führen.

(Hans Joachim Werner (SPD): Aber diejenigen, die diese Äußerungen gemacht haben, sind gar nicht da!)

Erste Wortmeldung: Herr Kollege Kreuzer.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Der Mord an dem neunjährigen Peter durch den vorbestraften Täter Martin Prinz hat uns alle betroffen gemacht, die Bürgerinnen und Bürger genauso wie die politisch Verantwortlichen. Um etwas klarer zu machen, was passiert ist, über welchen Täter wir sprechen und was den Opfern passiert ist, möchte ich die Tatvorgänge, die hier zugrunde liegen, kurz schildern.

Am 13. Oktober 1994 gegen 17.20 Uhr passte Martin Prinz den elfjährigen Tobias ab, als dieser vom Ministrieren in Regensburg kam. Er bemächtigte sich des Jungen und zerrte ihn hinter einen nahe gelegenen Holzschuppen. Dort öffnete er dem sich heftig wehrenden Jungen die Hose. Dieser konnte sich kurzfristig aus dem Würgegriff befreien, rannte davon und schrie um Hilfe. Nachdem er bemerkt hatte, dass andere Personen auf den Vorgang aufmerksam geworden waren, zog Prinz ein mitgeführtes Butterfl ymesser aus der Hosentasche und stach mit dem Messer, nachdem beide zu Boden gefallen waren, mindestens siebzigmal in Hals, Kopf und Bauch des Kindes, um Tobias zu töten. Tobias verstarb an den erlittenen Verletzungen. Dies war die erste Tötungstat.

Bereits vorher – im Jahre 1992 – hat sich der Täter im Westbad in Regensburg des achtjährigen Christoph T. bemächtigt, ihm mit einem Klebeband den Mund verklebt und in einer Umkleidekabine sexuelle Handlungen an ihm begangen. Er wurde deshalb zu einer Haftstrafe verurteilt und am 8. April 2004 aus der Haft entlassen. Weniger als ein Jahr später, am 17. Februar 2005, lauerte Prinz dem neunjährigen Peter, bei dem es sich um den Sohn eines Bekannten handelt, vor der elterlichen Wohnung in München auf. Als das Kind dort um 13.00 Uhr von der Schule eintraf, spiegelte Prinz ihm vor, Peters Mutter hätte ihn beauftragt, ihn abzuholen. Das Kind ging arglos mit in das Wohnheim an der Wasserburger Landstraße. Dort forderte Prinz den Jungen auf, sich auszuziehen und missbrauchte

das Kind sexuell. Als sich der Junge wehrte und dem Täter drohte, dass er es den Eltern sagen würde, stülpte Prinz ihm eine Plastiktüte über den Kopf und zog diese mit einer Schnur zu, sodass das Kind erstickte.

Martin Prinz legte die Leiche sodann in den Schrank und fuhr zu den Eltern, die ihn schon mehrfach angerufen hatten. Anschließend half er, der Täter, bei der Suche nach dem Jungen mit. Danach fuhr er wieder ins Wohnheim und verging sich sexuell an der Leiche. Nach der Tat stopfte er den Leichnam in einen Müllsack und warf ihn in einen Müllcontainer hinter dem Haus.

Meine Damen und Herren, wenn man dies hört, weiß man, worum es geht, über welchen Täter und über welche Opfer wir reden. Täter und Opfer bekommen ein Gesicht. Trotzdem können wir uns nur unzureichend vorstellen, welche Ängste diese Opfer über längere Zeiträume ausgestanden haben. Wir können uns auch nur unzureichend vorstellen, welches Leid dadurch den Eltern, Müttern, Vätern und den Familien zugefügt worden ist. Wenn man diesen Tatvorgang hört, wird es vielleicht klarer, was passiert ist, als wenn man nur kurz von der „Tat“ insgesamt spricht.

Der Tathergang zeigt uns auch die enorme Brutalität und Kaltschnäuzigkeit des Täters, vor allem im Nachtatverhalten nach der zweiten Tat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines muss uns klar sein: Die politisch Verantwortlichen müssen alles tun, was rechtstaatlich vertretbar ist, um so etwas in Zukunft zu verhindern. Hochgefährliche Straftäter dürfen nicht mehr auf die Menschheit, auf unsere Kinder, losgelassen werden. Wir sind aufgefordert, gezwungen und verpfl ichtet zu handeln, und zwar schnell zu handeln. Nach dem Kanzlerwort aus dem Jahr 2001, „Wegsperren, und zwar für immer“, müssen wir jetzt, im Jahr 2005, feststellen, dass wir immer noch Regelungslücken haben.

(Beifall bei der CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, auch Sie fordern – unseres Erachtens unzureichende – gesetzliche Verbesserungen für das Jahr 2005, also vier Jahre nachdem die Notwendigkeit des „Wegsperrens für immer“ festgestellt worden ist. Bis wir überhaupt bei erwachsenen und heranwachsenden Straftätern in die Gänge gekommen sind, sind Jahre vergangen. Die notwendigen Gesetzesänderungen wurden teilweise erst im Jahr 2004 beschlossen, nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in dem Ihnen gesagt worden ist – was jedem einleuchtet –, dass der Bund für diese Gesetzgebung zuständig sei.

Der Bayerische Landtag hat in mehreren Beschlüssen Verbesserungen gefordert. Die Staatsregierung hat entsprechende Anträge in den Bundesrat eingebracht. Meine Damen und Herren, was bleibt heute zu tun? – Wir müssen bezüglich der Sicherungsverwahrung bei Heranwachsenden und bei Jugendlichen nachbessern. Bei Heranwachsenden ist zu erreichen, dass auf sie das gleiche Recht angewendet wird wie bei Erwachsenen. Die zusätzlichen Forderungen, etwa Mindeststrafenforderungen zur Verhängung der Sicherungsverwahrung, müssen abgeän

dert werden. Heranwachsende müssen wenn sie nach dem entsprechenden Recht verurteilt sind, den Erwachsenen gleichgestellt werden.

Darüber hinaus müssen wir neben der vorbehaltenen und der nachträglichen Sicherungsverwahrung in solchen Fällen auch bei Heranwachsenden eine Anordnung durch das Tatgericht ermöglichen. Der normale Fall von Sicherungsverwahrung muss auch bei Heranwachsenden möglich sein, wie das bei Erwachsenen schon immer der Fall war.

Des Weiteren brauchen wir die Möglichkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung sowohl für Jugendliche als auch für Heranwachsende, die nach Jugendstrafrecht verurteilt werden. Meine Damen und Herren, hier – das zeigt der Fall Prinz – ist die Anordnung einer Sicherungsverwahrung überhaupt nicht möglich. Das ist falsch. Bei der Sicherungsverwahrung kommt es nicht auf Schuld und Verantwortlichkeit des Täters an. Die Sicherungsverwahrung muss darauf abstellen, ob durch diesen Täter eine Gefahr für potenziell weitere Opfer besteht.

Hier kann es keine Rolle spielen, ob der Täter jugendlich ist oder nach Jugendstrafrecht beurteilt worden ist.

(Beifall bei der CSU)

Es handelt sich um eine Maßregel, die unabhängig von Verschulden und unabhängig von generalpräventiven Gesichtspunkten zu sehen ist. Es geht nur darum, Gefahren von der Allgemeinheit und von Opfern abzuwenden. Wir müssen möglich machen, dass Täter, deren Gefährlichkeit festgestellt wird, in der Sicherungsverwahrung verbleiben; denn bei der Haftentlassung sind sie keine Jugendlichen mehr. Nach zum Beispiel zehn Jahren Haft sind sie längst im Erwachsenenalter. Nach der geltenden Rechtslage können wir nicht einmal Täter erfassen, deren Tat vielleicht 20 Jahre zurück liegt und die zum Zeitpunkt der Haftentlassung 40 oder 50 Jahre alt sind, weil sie zum Zeitpunkt der Tat Jugendliche gewesen sind, und zwar auch dann nicht, wenn von ihnen eine Gefährlichkeit ausgeht. Dies ist für niemanden mehr nachvollziehbar, und diese Regelungslücke ist unter allen Umständen zu schließen.

Wir brauchen weiter Verbesserungen bei der Führungsaufsicht. Dies gilt insbesondere bei Verstößen gegen eine Therapieweisung oder gegen ein Kontaktverbot. Die Strafbarkeit muss merklich ausgeweitet werden mit der Androhung empfi ndlicher Strafen, um die Täter zu einer Einhaltung der Aufl agen der Führungsaufsicht zu bringen.

Wir fordern des Weiteren seit langem die Anhebung des Höchstmaßes bei der Jugendstrafe für Heranwachsende von 10 auf 15 Jahre. 10 Jahre sind bei schweren Straftaten unangemessen wenig. Dies muss angehoben werden. Bei teilweise bestialischen Taten versteht das niemand. Wir brauchen die regelmäßige Anwendung des Erwachsenenstrafrechts bei Heranwachsenden. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis hat sich bei der Anwendung der Vorschriften umgedreht. Wenn man das Gesetz liest, sieht man, dass die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts die Regel darstellt. In der Praxis wird in der überwiegen

den Zahl der Fälle Jugendstrafrecht angewendet. Dies muss durch gesetzgeberische Maßnahmen verändert werden.

Wir haben die Vorschläge in verschiedenen Bundesratsinitiativen zusammengefasst und eingebracht und hoffen, dass sie entsprechend umgesetzt werden. Ich fordere Sie auf, meine Damen und Herren von der Opposition, heute mitzuziehen. Es muss Schluss sein mit dem schlimmen Mechanismus bei solchen Taten: Erschrockenheit und Betroffenheit äußern, Konsequenzen fordern, ewig Herumdiskutieren und dann zur Tagesordnung übergehen. So darf es nicht mehr bleiben, sondern wir müssen handeln. Die Politik muss schnell handeln; denn jeder muss wissen: Morgen kann der nächste Fall auftreten. Davor ist niemand gefeit. Wir haben nicht ewig Zeit, die notwendigen Vorhaben umzusetzen.

Wir werden Sie prüfen, inwieweit Sie bereit sind, diese Maßnahmen mitzutragen, indem wir einzeln über die Maßnahmen abstimmen lassen. Wir wollen von Ihnen wissen, ob Sie die Sicherungsverwahrung bei jugendlichen gefährlichen Tätern unterstützen oder nicht. Dies muss eindeutig geklärt werden. Wir werden Sie fragen, ob Sie für eine Straferhöhung sind, was auf einem anderen Blatt steht. Sie können sich nicht drücken. Wir haben unseren Antrag bewusst sachlich, ohne Schuldzuweisung an irgendjemanden,

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das haben Sie vorhin getan!)

gehalten und lediglich die erforderlichen Maßnahmen aufgeführt.

Ihre Anträge dagegen werden wir ablehnen. In beiden Anträgen ist Polemik enthalten.