Protocol of the Session on July 22, 2004

Herr Minister Wiesheu hat ja zehn Felder benannt, fünf davon in Hochtechnologiebereichen, teilweise sind es reife Bereiche, teilweise sind sie noch in der Entwicklung begriffen. Eine derartige Aufzählung stand schon letzte Woche in den Zeitungen. Gleich haben irgendwelche Branchen aufgeschrien, weil sie sich nicht darin wieder gefunden haben. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Maschinenbau. Daraufhin hat Herr Wiesheu treuherzig versichert: Für euch packen wir selbstverständlich auch noch einen Cluster aus!

Das heißt: Unseres Erachtens droht hier die gleiche Krautund-Rüben-Suppe wie bei der Offensive Zukunft Bayern und der nachfolgenden Hightechoffensive.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Greifen wir uns doch als Beispiel einmal die Regionalprojekte heraus! – Sie haben uns ja dankenswerterweise immer wieder alles aufgelistet, was wo in welchen Regionen in welchen Branchen gefördert worden ist, beispielsweise für die Bereiche Life Science, IuK, neue Werkstoffe, Umwelt und Energie, Mechatronik und Verkehr, jeweils gegliedert nach Projekten in den einzelnen Regierungsbezirken. Ich greife mal drei heraus: Live Science: 1,0,3,2,7,1,3; IuK: 4,11,7,5,6,4,6; neue Werkstoffe: 3,1,6,10,12,5. Das könnte man so weiterspinnen. Also Kraut und Rüben! Lediglich Niederbayern hat keine Live Science und keine Mechatronik, Schwaben hat keine neuen Werkstoffe.

Sie könnten selbstverständlich sagen: Wir versuchen, bayernweit zu clustern. Ich wage aber zu bezweifeln, ob das dann Erfolg verspricht.

Betrachten wir doch einmal die Wirkungen der Offensiven! Für 4,9 Milliarden Euro wurden ja Beteiligungen am Grundstock verkauft; das Geld ist wieder investiert worden. Von diesem Geld ist aber unseres Erachtens ganz viel verpufft. Das heißt: Ein so großer Erfolg war das nicht. Wenn wir die bayerischen Wirtschaftsdaten mit denen der

anderen Bundesländer vergleichen, zeigt sich, dass Bayern trotz dieser Milliarden und trotz vieler Maßnahmen, die immer wieder als ganz toll verkauft worden sind, in den letzten zehn Jahren alles andere war als erfolgreich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Wiesheu spricht immer von relativen Zahlen und sagt, dass sich das dann anders darstellt. Schauen wir uns doch einmal die absoluten Zahlen an. Herr Stoiber wollte die Zahl der Arbeitslosen halbieren. Was ist passiert? Bei seinem Amtsantritt hatten wir 290 000 Arbeitslose, jetzt haben wir 412 000, fast doppelt soviel. Die Unterschiede, die regionalen Disparitäten sind riesengroß. Sie bestreiten immer wieder, dass wir diesbezüglich in Deutschland eine Führerschaft haben. Vor zwei Jahren hat Ihnen dies selbst das von Ihnen bestellte McKinsey-Gutachten ins Stammbuch geschrieben. Ich nenne einige ganz aktuelle Arbeitslosenzahlen: Freising 3,8 %, München 5,7 %, Bayreuth 10 % und in Hof über 10 %. Es gibt also massive regionale Disparitäten. Ihrer Wirtschaftspolitik und Ihrer Regionalpolitik ist es eben nicht gelungen, einen Ausgleich zu schaffen oder auch nur eine Annäherung zu erreichen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister Wiesheu, Sie haben uns den Gefallen getan, nicht nur über Ihre neue Clusterpolitik zu theoretisieren, sondern Sie haben sich auch insgesamt auf das Gebiet der Industriepolitik begeben und sind selbstverständlich wieder die eine oder andere wirtschaftspolitische Spitze losgeworden. Wir können gerne kontern. Schauen wir uns die Ausflüge von Ihnen und von Herrn Stoiber in die bayerische Wirtschafts- oder Unternehmenspolitik an. Sie haben leider viel zu oft im Desaster geendet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich nenne beispielsweise die LWS, von Herrn Stoiber damals als Innenminister noch persönlich in das Bauträgergeschäft und in den Gewerbebau getrieben. Die Firma ist pleite gegangen – Ergebnis: 500 Millionen DM Verlust. Ich nenne die Kirch-Pleite. Erst durch die milliardenschwere Unterstützung durch die Landesbank und durch großes Wohlwollen der Staatsregierung und der damaligen Bundesregierung ist es Kirch möglich gewesen, die Konkurrenz mit Mondpreisen an die Wand zu drücken. Das ganze hat sich als Seifenblase entpuppt – Ergebnis: viele Arbeitslose und viel, viel Geld in den Sand gesetzt.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf des Staatsmi- nisters Erwin Huber)

Herr Huber, ich finde es wunderbar, dass Sie sich ereifern und geifern; das mag ich immer ganz gerne. Wir haben über Industriepolitik gesprochen. Was ist die klassische Industriepolitik? – Die Maxhütte. Was ist bei der Maxhütte passiert? Sie haben eine halbe Milliarde Mark an Steuergeldern versenkt.

(Zuruf von der CSU)

Sie haben das versenkt. Wir werfen Ihnen vor, dass Sie nicht nur auf eine falsche Technik gesetzt haben und eine falsche Strategie gefahren sind, sondern dass Sie Ihren Großspender Max Aicher auch noch hofiert haben. Sie wollten Ihm die Übernahme versüßen. Er hat Sie auch noch ausgetrickst. Das hat sich gerade in den letzten Tagen hinsichtlich seiner Grundpfandrechte gezeigt, die er sich als der eine große Gesellschafter hat eintragen lassen, während der andere, der Freistaat Bayern, der noch munter illegalerweise selbst in die Betriebsmittel Geld eingeschossen hat, dann ziemlich dumm aus der Röhre gesehen hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir könnten die Liste von Pleiten, Pech und Pannen beliebig weiterführen; viel zu oft geht es auch um Filz: Deutscher Orden, Dorfhelferinnen, CD Pilz. Ich denke auch an die Fälle, bei denen Sie immer haarscharf am Markt vorbei subventioniert haben, beispielsweise Grundig, Schneider Rundfunkwerke und Fairchild Dornier. Die Liste ist unendlich. Deswegen ist es völlig daneben, hier immer so zu tun, als wäre Bayern ganz, ganz prima.

Es ist schon sehr spannend, was wir heute wieder und auch in den letzten Wochen von Herrn Stoiber und von Herrn Wiesheu zur Industriepolitik generell zu hören bekommen haben. Dabei fällt auf, dass Stoiber und Wiesheu Herrn Sarkozy bewundern – ein ganz toller Mann, der das französische Modell der Industriepolitik verfolgt, die Staatswirtschaft. Erfreulicherweise hat die Monopolkommission eine solche Politik gerade ganz, ganz scharf kritisiert und gesagt: Auf lange Sicht ist eine solche Politik mit Sicherheit nicht tragfähig. Dass Sie von der Staatsregierung Staatswirtschaft und Interventionismus toll finden und, so Sie es dürfen, auch immer praktizieren, ist kein Geheimnis. Herr Stoiber hat ja angekündigt, dass er sich ganz schnell mit Herrn Sarkozy treffen will. Wir hätten schon einmal gerne gehört: Ist denn die Bewunderung nach dem, was kurze Zeit später kam, erhalten geblieben? Der französische Minister hat nämlich an Siemens wegen der Erpressung hinsichtlich der Arbeitszeiten Kritik geübt. Ich möchte auch hören, was Herr Stoiber dem französischen Minister diesbezüglich zu sagen hat.

Herr Minister Wiesheu, ich hätte mir schon gewünscht, in Ihren Ausführungen zur Industriepolitik ein paar kritische Worte zum Verhalten der Unternehmensführungen zu hören; denn immer nur die vom Bund gesetzten Rahmenbedingungen und die bösen Gewerkschaften zu kritisieren, greift eindeutig zu kurz. Unsere Industrie leidet an gravierenden Fehlern der Unternehmensleitungen. Vor wenigen Jahren galt das Motto: Alles muss gekauft werden auf Teufel komm raus. Und laufend werden wichtige Entwicklungen verschlafen.

Herr Minister Wiesheu, Sie haben Audi genannt. Ich bin Ihnen dafür dankbar; denn deshalb können wir uns einmal ein klein wenig mit der Autoindustrie befassen. Die deutsche Autoindustrie hat ganz wichtige Entwicklungen verschlafen. Sie hat – und zwar sehr häufig mit Ihrer verbalen Unterstützung – den Partikelfilter verschlafen, sie hat den Hybridmotor verschlafen, sie hat den Stickoxydkatalysator verschlafen. Was ist das Ergebnis? Beispielsweise

kommt Toyota beim Prius mit den Lieferungen nicht nach. Im Februar war die gesamte Jahresproduktion ausverkauft gewesen; im Februar war schon alles weg, was in diesem Jahr produziert wird. Peugeot gilt, obwohl relativ alte Motoren verwendet werden, als die absolute Nummer eins beim Diesel. Hier gibt es einen fünfzigprozentigen Absatzzuwachs, und zwar einfach deshalb, weil sie es geschafft haben, den Partikelfilter rechtzeitig auf den Markt zu bringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich bitte also, nicht immer nur auf die Gewerkschaften und auf den bösen Bund zu zeigen, sondern die Probleme auch an der Wurzel zu packen und zu sagen, was bei uns im Staate faul ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie treten, auch in Ihren Presseerklärungen, vieles immer sehr breit. Uns fallen Ihre Jubelarien, Ihre Jubelgesänge auf, wenn es irgendwelche Unternehmensansiedelungen gibt. Letzte Woche und heute ging es um General Electric und um Roche. Unzählige Male haben wir das gleiche gehört; mir fallen dazu eigentlich Beispiele aus allen Branchen ein. Ich kann mich erinnern, wie sich Herr Huber und Herr Stoiber gefreut haben, als es um die Umsiedlung von MTV von Köln nach München und um die Pläne von Herrn Malhoney ging.

(Thomas Kreuzer (CSU): Sind Sie darüber traurig, oder wie?)

Herr Kreuzer, ich erinnere an die begeisterte Zustimmung, als BMW bei Rover eingestiegen ist. Da gab es Jubelarien über Jubelarien. Jetzt, da sich diese Engagements als schlimmer Fehler entpuppen, hört man gar nichts, da taucht die Staatsregierung ab. Bei Malhoney hat es schon wegen des Konzeptes nicht geklappt. Die Staatsregierung hat dann sehr, sehr wenig dazu gesagt. MTV siedelt gerade nach Berlin um, Herr Huber. Wir sind alle nicht damit einverstanden, wie es die Berliner machen und mit welchen Tricks sie arbeiten. Ein kleines Eingeständnis, dass Sie etwas zu früh Hurra geschrien haben, wäre aber angebracht. Als BMW zugegeben hat, dass man ein riesiges Desaster angerichtet hat, habe ich von Stoiber auch nichts gehört. Vorher habe ich aber seitenlange Jubelgesänge zu hören bekommen.

Kommen wir darauf zurück, was Sie uns heute und letzte Woche als Clusterei und Clusterpolitik verkündet haben. Wir halten durchaus vieles von den Ansätzen her für sinnvoll. Wir werden genau hinschauen, und wir werden Sie sehr kritisch begleiten. Erstens ist klar: Clusterpolitik braucht einen langen Atem. Ich setze ein dickes Fragezeichen, ob wir darauf vertrauen können, dass die Staatsregierung über einen langen Atem verfügt. Zum zweiten – auch wenn Sie gesagt haben, dass es nicht um viel Geld gehen soll – ist Clusterpolitik ressourcenintensiv, zumindest was die Personalressourcen anbelangt. Ich bin gespannt, woher Sie diese Ressourcen auch in der entsprechenden Qualität bekommen. Zum dritten braucht Clusterpolitik eine gewisse Konzentration. Wir stellen uns die Frage: Halten Sie das mit der Konzentration durch, oder

wird dann gleich wieder alles und jeder bedient? Wenn Sie das mit der Konzentration durchhalten, geht es dann nicht wieder zu stark in Richtung Hightech? Sie sind ja in Innovationen ganz vernarrt. Andere Bereiche bleiben dann auf der Strecke.

Ich habe vorhin viele Begriffe und Übersetzungsversuche aufgezählt. Herr Kollege Dr. Magerl hat dafür eine schöne bayerische Formulierung gebracht. Ich sage sie einmal auf hochdeutsch: Der Teufel sch…. meistens auf den dicksten Haufen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde es gut, dass nicht nur Herr Staatsminister Dr. Wiesheu da ist, sondern auch Herr Staatsminister Huber. Wir haben heute gehört, die Staatsregierung sehe ihre Rolle in erster Linie in der Moderation. Da sind wir gleich zusammengezuckt; denn wenn Sie die Moderation so elegant und exzellent machen, wie Herr Staatsminister Huber gerade die Verwaltungsform moderiert, können wir nur sagen: Mahlzeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Als Nächster hat Herr Kollege Pschierer das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst in wenigen Sätzen noch einmal auf das eingehen, was meine Vorredner, Frau Kollegin Dr. Kronawitter und Herr Kollege Dr. Runge, gesagt haben. Frau Kollegin Dr. Kronawitter, bei aller Wertschätzung, ich glaube nicht, dass der Dank, den Sie der Bundesregierung ausgesprochen haben, tatsächlich im Bundeskanzleramt ankommt oder dass er dort besonders erwünscht ist. Seit ich diesem Hause angehöre, habe ich nämlich noch nie feststellen können, dass die bayerische SPD innerhalb der Bundesregierung besonders geschätzt wurde.

(Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Clusterpolitik hat sicherlich etwas mit Technologie und Innovation zu tun. Wenn wir über diese Politik reden, können Sie jeden Namen aus dem Bundeskabinett erwähnen, aber bitte nicht den Namen Stolpe. Das ist sicherlich der größte technologiepolitische Blindgänger, den Sie in Berlin haben.

(Beifall bei der CSU)

Sehen Sie sich einmal die F- und E-Mittel an, die die Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung stellt und vergleichen Sie diese Zahlen mit den Mitteln, die andere Länder dafür zur Verfügung stellen. Dann werden Sie feststellen, dass wir hier keinen Spitzenplatz haben, sondern auf den hinteren Rängen sind.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Dr. Runge, es ist schon ein Phänomen, wie Sie hier versucht haben, den Freistaat Bayern als das Ar

menhaus der Bundesrepublik Deutschland darzustellen, das von einer hohen Arbeitslosigkeit und anderen schlimmen Dingen gezeichnet sei. Zum Thema „Arbeitslosigkeit“ möchte ich Ihnen einmal etwas sagen: Wenn Sie in Berlin und in anderen Bundesländern, in denen Sie regieren, eine solide Wirtschaftspolitik betreiben würden, hätten wir nicht die Wanderungsbewegungen, die wir in Deutschland haben. Bayern ist ein Zuwanderungsland. Wir nehmen viele Menschen auf und geben Ihnen Lohn, Brot und Arbeit. Diese Menschen kommen aus Nordrhein-Westfalen, aus Schleswig-Holstein, aus Mecklenburg-Vorpommern und vielen anderen Ländern. Sehen Sie sich einmal die Wanderungsstatistik auf dem deutschen Arbeitsmarkt an. Der Freistaat Bayern ist Zuwanderungsland, weil Sie in Berlin und in den anderen Ländern eine miserable Politik betreiben.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Dr. Runge, Ihre Rede bestand heute nur aus Kraut und Rüben. Da ging es von der LWS über den Deutschen Orden bis hin zu Kirch.

(Christine Stahl (GRÜNE): Ihre Politik ist wie Kraut und Rüben!)

Wenn Sie das Thema „Kirch“ aufgreifen, bitte ich Sie, anzuerkennen, dass der Freistaat Bayern und die Landeshauptstadt München in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor zu den führenden Medienstandorten gehören. Das ist auch ein Verdienst von Leo Kirch. Das lassen wir uns nicht nehmen. Herr Kollege Dr. Runge, was die Medienpolitik angeht, spielen wir national und international eine führende Rolle. Sie sollten anerkennen, dass es der Politik der Staatsregierung zu verdanken ist, dass wir in diesem Bereich vorne sind.

Frau Kollegin Dr. Kronawitter, Sie haben sich am Anfang Ihrer Rede auf die Anglizismen bezogen. Ich kann Ihnen sagen: In der CSU-Landtagsfraktion beherrschen wir bayerisch, schwäbisch, fränkisch, hochdeutsch und selbstverständlich auch englisch. Ich habe mich gewundert, dass Sie den Begriff „Cluster“ anfangs abgelehnt, ihn aber dann permanent genüsslich erwähnt haben.

Ich möchte Ihnen den Begriff „Cluster“ ganz kurz noch einmal näher bringen: Selbstverständlich gibt es für diesen Begriff Umschreibungen und selbstverständlich wäre es möglich, in der deutschen Sprache Begriffe dafür zu finden. Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, es kommt aber darauf an, mit welcher Sprache international geredet wird, wenn es um den internationalen Standortwettbewerb geht. In der internationalen Wissenschafts-, Wirtschafts- und Industriesprache wird eben nicht von einzelnen Standorten und nicht von einzelnen Lehrstühlen gesprochen, sondern von Clustern. Diesen Begriff werden Sie im pazifischen, asiatischen und im europäischen Raum finden.

Herr Kollege Pschierer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wörner?