Protocol of the Session on June 30, 2004

Die Frau hat versucht, das Recht zu missbrauchen, und hat sich ihrer Abschiebung mit Gewalt widersetzt - wenn sie keine Gewalt angewandt hätte, dann wäre sie längst in Eritrea. Ich muss auch in einem solchen Fall hinter den Behörden stehen, sonst ist ein normaler Vollzug nicht mehr möglich.

So schwer der Fall menschlich wiegt, ich habe Verständnis dafür, dass der Anstaltspfarrer, der die Akten nicht kennt, der Frau glaubt. Wir tragen aber darüber hinausgehende Verantwortung. Ich bitte deshalb darum, der Petition und den Anträgen der Opposition nicht stattzugeben.

(Beifall bei der CSU)

Die Redezeit des Herrn Staatsministers betrug zwölf Minuten. Das heißt, jede Fraktion hat bis zu sieben Minuten zusätzliche Redezeit. Mir liegen folgende Wortmeldungen vor: Herr Kollege Werner, dann Frau Kollegin Scharfenberg. Kollege Werner, bitte.

Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatsminister Dr. Beckstein, Ihre Schlussbemerkungen zur menschlichen Seite des Falles haben gezeigt, dass das mit der Scheinheiligkeit so eine Sache ist. Wenn Sie uns mit ausgestrecktem Finger Scheinheiligkeit vorwerfen, dann deuten in diesem Fall drei Finger auf Sie selbst.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin lieber scheinheilig als unmenschlich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich plädiere deshalb entschieden dafür, dass dieser Frau zumindest ein vorübergehendes

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Bleiberecht eingeräumt wird. Sicher ist richtig: Für Eritrea gibt es keinen generellen Abschiebestopp. Nachdem neue Erkenntnisse vorliegen, haben wir aber diesen besonderen Einzelfall zu prüfen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt Hinweise, dass es unverantwortlich ist, die Frau in dieser Situation nach Eritrea zurückzuschicken.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Diese Überzeugung, meine Damen und Herren, weil vorhin wieder von Scheinheiligkeit die Rede war,

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

wird vom Gefängnispater Felix geteilt. Er hat im Petitionsausschuss auf wirklich beeindruckende Weise auf die menschliche Seite dieses Falles hingewiesen. Aus den Unterlagen, die den Mitgliedern des Petitionsausschusses zur Verfügung standen, kannte Pater Felix die Aktenlage; wir haben ihn darauf hingewiesen. Er hat in Kenntnis dieser Dinge ausdrücklich appelliert und darum gebeten, vor diesem Hintergrund eine Entscheidung aus christlicher Überzeugung zu treffen. Davon habe ich heute allerdings auf der Seite der Mehrheit dieses Hauses nichts feststellen können.

Kollege Rüth hat sich hier einer Aufgabe entledigt. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Mit diesem Vortrag hätte er nicht einmal im Vorlesewettbewerb der Grundschule einen Preis gewonnen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN – Dr. Manfred Weiß (CSU): Jetzt wird’s unverschämt!)

Was würden Sie denn machen, wenn Ihr Leben bedroht wäre und Sie nur die Chance hätten, mit gefälschten Papieren das Land zu verlassen? Ich sage Ihnen: Ich würde das sofort machen, weil mir mein Leben wichtiger ist als ein Papier, ob echt oder gefälscht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Innenminister hat darauf hingewiesen, dass es sich bei der Dame nicht um einen Wirtschaftsflüchtling sondern um einen Armutsflüchtling handelt. Ich will gar nicht feststellen, ob das richtig oder falsch ist. Ich glaube aber, dass der Hauptbeweggrund der Dame war, dass sie Angst um ihr Leben hatte. Sie wollte es nicht in einem unterirdischen Verlies verbringen – so sind die Gefängnisse in Eritrea eingerichtet – mit der Gefahr, vielleicht schon nach relativ kurzer Zeit an den Folgen von Folter zu sterben.

Ich habe volles Verständnis für diesen starken Überlebenswillen. Dass sie sich dann erfolgreich gegen Ihre Abschiebung gewehrt hat, zeigt, welche Kräfte in einem 45 Kilogramm zarten Persönchen frei werden, wenn es um das eigene Leben geht. Wir tun hier so, als wäre das nur ein Klacks, die Rechtslage bei uns ist eben so, hinaus mit der Dame.

(Johannes Hintersberger (CSU): Das ist unverschämt!)

Noch ein Wort zur Suizidgefährdung: Wir haben immer wieder im Petitionsausschuss Fälle, in denen wir uns Sorgen machen, dass sich die Petenten selbst das Leben nehmen. Wir fordern dann regelmäßig amtsärztliche Untersuchungen - oft wird uns das sogar verweigert. In diesem Fall wurde die Untersuchung vorgenommen. Ich kenne die Dame selbst nicht, aber ich kenne die Äußerungen des Gefängnisgeistlichen. Mir fehlt jedes Verständnis dafür, wie man in diesem Fall die Suizidgefährdung verneinen kann. Meine Zweifel rühren auch daher, dass ich erst Anfang dieses Jahres einen Fall erlebt habe, der eventuell sogar vergleichbar ist. In dem Fall ging es um eine Koso

vo-Albanerin, die mit ihrer Familie hier lebt. Man hat damals auch die Sorge der Suizidgefährdung beiseite gewischt; inzwischen hat die Frau einen Selbstmordversuch unternommen. Dieser Fall zeigt mir ganz deutlich: Lieber einmal auch bei rechtlich schwierigen Fragen Alle Fünfe gerade sein lassen, wenn es um ein Menschenleben geht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es geht doch nur um die nochmalige Überprüfung und ein vorübergehendes Bleiberecht.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das kann nicht so schwer sein!)

Das, in Gottes Namen, wird doch noch zu erreichen sein, ohne dass das Bayernland untergeht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Scharfenberg.

Herr Minister Beckstein! Sie haben wohl nicht den neuesten Lagebericht vom 25. Mai 2004 gelesen. Sonst könnten Sie das nicht sagen, was Sie hier gesagt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Mai dieses Jahres steht in Artikel 300, auf Desertion – Fahnenflucht - steht die Todesstrafe. Im Petitionsausschuss war bereits von einem Lagebericht die Rede. Der stammte aber vom April 2004. Die Lage in Eritrea hat sich inzwischen verschlimmert. Man kann hier sowieso nicht die Verantwortung nach Berlin abschieben; der Petitionsausschuss trägt die Verantwortung. Das Flüchtlingsamt hat vor ein, zwei Jahren über den Fall der Frau Mahmud aus Eritrea entschieden. Zwischenzeitlich hat sich die Situation verschärft. Lesen Sie doch die Berichte.

Ich kann Ihnen den Bericht geben. Dort steht klar, dass dieser Frau in Eritrea die Todesstrafe erwartet. Können wir das verantworten? Das ist die Frage.

Herr Dr. Beckstein, Sie sagten, das Lebensalter spiele eine maßgebliche Rolle. Das stimmt zwar, aber es schützt die Frau nicht davor, ins Gefängnis zu kommen. Wie geht eine Einberufung vor sich? – Ich habe mir das erklären lassen. In einem Ort werden alle zusammengetrieben, und die Erwachsenen bis 40 Jahre werden ausgesondert und zum Wehrdienst einberufen. Widersetzt man sich, gibt es sexuelle Nötigung und Vergewaltigung. Eine Frau kann sich dem überhaupt nicht widersetzten, und sie landet im Gefängnis. Auf Fahnenflucht steht Todesstrafe.

Diese Frau erwartet einiges. Sie ist kein Armutsflüchtling. Neben der Armut will sie dem Wehrdienst entgehen und sie hat sich entzogen. Wenn Sie sie nun in ihr Land zurückversetzen und abschieben, wird ihr Böses blühen. Das können wir als Christen nicht verantworten.

Hier liegt ein Härtefall vor. Wenn das nicht so gesehen wird, können wir den Petitionsausschuss auflösen.

Ich habe mit dem Petitionsausschuss des Bundestages telefoniert. Dort wird die Angelegenheit als Bundesangelegenheit gesehen. Wir möchten deshalb die Petition an den Deutschen Bundestag weiterleiten, damit der Fall nach dem neuesten Lagebericht geprüft wird. Ich bitte Sie, dieses zu tun.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege König.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Es ist verständlich, dass in einem solchen Fall, der ein Schicksal ist, die Emotionen hoch gehen. Das ist normal, das ist bei den schwierigen Fällen immer so.

Wir verkennen auch nicht, dass es sich um einen schwierigen Fall handelt. Allerdings hatte ich vorhin schon, als Staatsminister Dr. Beckstein sprach, den Eindruck, auch in den Reihen der SPD-Fraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/DIE GRÜNEN sehr nachdenkliche Gesichter gesehen zu haben.

(Christine Stahl (GRÜNEN): Bezogen auf Dr. Beckstein und nicht auf den Fall!) )

Dann trat Kollege Werner ans Rednerpult und sagte, er sei lieber scheinheilig als unmenschlich. Das war die Kernaussage seiner Ausführungen. Herr Kollege Werner, überlegen Sie bitte, was Sie damit gesagt haben. Das ist völlig unlogisch und in der Hitze des Gefechts passiert, weil Ihnen nach den vorhergehenden Ausführungen nichts mehr eingefallen ist.

(Margarete Bause (GRÜNEN): Reden Sie doch endlich zur Sache!) )

Ein Verhalten wird nicht dadurch menschlich, indem man sich scheinheilig verhält. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen und zu überdenken. Die Aussage zeigt lediglich, dass Ihnen logische Argumente nicht mehr einfallen, sodass Sie in hilflose Aussagen verfallen.

Geradezu unverschämt wird es, wenn ich an Ihre Ausführungen bezüglich des Kollegen Rüth denke. Darauf möchte ich gar nicht eingehen.

(Beifall bei der CSU)

Ich will sachlich bleiben, weil es nichts bringt, in einem solch schwierigen Fall unter die Gürtellinie zu schlagen. Ob es Ihnen gefällt oder nicht, Sie müssen sich vorhalten lassen – das ist der entscheidende Punkt –, dass die Grundentscheidungen in diesem schwierigen Fall, in dem Fall, in dem es um ein menschliches Schicksal geht, nicht hier gefallen sind und auch nicht hier fallen werden, sondern dass sie dort gefallen sind, wo Parteifreunde von Ihnen politische Verantwortung tragen. Das hat Staatsminister Dr. Beckstein deutlich gemacht. Ich frage Sie, was