Zu einer Zwischenbemerkung gemäß § 111 Absatz 4 der Geschäftsordnung hat sich Kollege Volkmann gemeldet. Zwei Minuten, Herr Kollege Volkmann, zwei Minuten.
Herr Präsident, sehr verehrte Frau Kollegin Görlitz! Wenn Sie meine Zwischenfrage zugelassen hätten, hätte ich etwa Folgendes formuliert: Ihre Ausführungen zu den Schulden des Bundes wären natürlich sehr viel überzeugender gewesen, wenn Sie wahrheitsgemäß mit der Situation im Herbst 1998 begonnen hätten. Sie tun nämlich so, als habe der Bund damals einen vollen Staatssäckel vorgefunden und als habe erst diese Bundesregierung diese Schulden angehäuft. Sie sollten endlich damit aufhören, hier einseitig eine solche Schuldzuweisung zu machen, die in dieser Form wirklich nicht aufrechtzuerhalten ist. Das würde zu einer seriösen Diskussion gehören.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Beim letzten Wortbeitrag habe ich mir überlegt, ob es überhaupt bemerkt würde, wenn ich dann, wenn ich dran bin, zu den momentanen Temperaturen in der Isar oder vielleicht zum Balzverhalten der Laubfrösche sprechen würde; denn hier drin war es so laut, dass ich das Gefühl hatte, es wird ohnehin nicht bemerkt, wer was sagt. Deshalb könnte ich auch einfach irgendetwas erzählen. Ich muss aber einräumen, dass Frau Kollegin Görlitz einen Ausflug in die Bundespolitik gemacht hat, der vielleicht nicht das ganz große Interesse wecken konnte.
Ich möchte zur Landespolitik, und zwar zur Sozialpolitik zurückkommen. Zwei Fragen zu Ihrer Sozialpolitik sind wichtig. – Die Regierungsbank ist unterdessen leer.
Schön, das freut mich. Zum Sparverhalten in der Sozialpolitik möchte ich zwei Fragen stellen. Erstens. Ist es wirklich Sparen, wenn die Folgekosten die Effektivität des Sparens übersteigen? – Zweitens. Was ist das für eine Fürsorge eines Rechtsstaates, der sich noch dazu sozial nennt, für seine Bürger, wenn er genau dort spart, wo es die Bürger am meisten trifft?
Der Einzelplan 10, der Sozialhaushalt, setzt sich aus sehr, sehr vielen kleinen Einzelposten zusammen, die zum Teil nur eine Million oder sogar nur 800 000 Euro umfassen. Dieser Einzelplan steht dafür, dass sich ganz, ganz viele Initiativen und Verbände für Menschen einsetzen.
Ich glaube, ich rede doch über Frösche. – Dieser Einzelplan enthält Ansätze für Insolvenzberatung, für Ehe- und Familienberatung, für freiwillige Bürgerarbeit, für ehrenamtliches Engagement, Obdachlosenhilfe, Sozialberatung von Asylbewerbern, für Wohnungen und Werkstätten für Behinderte, um nur einige zu nennen. Hinter diesen vergleichsweise geringen Haushaltsansätzen verbergen sich Initiativen und Strukturen, die unzähligen Menschen helfen, sich zu integrieren, ihr Leben zu meistern, wenn sie in soziale Notlagen geraten, und die ihnen helfen, zu einer Lebensgrundlage zu finden für ein gutes, friedliches und sozial ausgewogenes Zusammenleben. Das unerbittliche Spardiktat, das Ministerpräsident Stoiber seit dem 6. November verkündet und das spätestens seit der Klausurtagung in Wildbad Kreuth auch von den CSU-Abgeordneten gebetsmühlenartig wiederholt wird, bringt massive Verschlechterungen für das soziale Bayern mit sich. Die vorhin bereits erwähnten kleinen Haushaltsbeträge sichern nämlich ein Netz an Beratungseinrichtungen und Sozialbetreuung, das einer Vielzahl von Menschen mit Beratungsbedarf hilft. Wenn diese Menschen mit ihren Problemen allein gelassen werden, besteht die Gefahr, dass sie noch tiefer in die Krise geraten, sodass niederschwellige Angebote nicht mehr ausreichen, um die Probleme zu bewältigen.
Ich nenne ein Beispiel: Der ursprüngliche Ansatz von 2,5 Millionen Euro für die Insolvenzberatung wurde zunächst zusammengestrichen, um ihn dann wieder auf 800 000 Euro aufzustocken. Dieser Betrag ist für die Insolvenzberatung aber zu wenig, um zu leben, und zu viel, um zu sterben. Die CSU
Fraktion hat den Versuch gemacht, die Insolvenzberatung auf die Rechtsanwälte abzuwälzen. Das war ein vollkommen untauglicher Versuch am untauglichen Objekt. Erstens wollen die Rechtsanwälte das nicht, zweitens können sie das nicht leisten. Hinzu kommt, dass die Sozialberatung, die in den Insolvenzberatungen geschieht, von den Rechtsanwälten niemals über Jahre hinweg geleistet werden kann.
Die Folge davon ist, dass viele Menschen in die Sozialhilfe abrutschen werden, die dann natürlich wieder die Kommunen belastet.
Allen Einsparvorschlägen ist eines gemeinsam: Sie produzieren enorme Folgekosten im Gesundheitsbereich, und zwar sowohl im somatischen Bereich als auch in der Psychiatrie, in der Sozialarbeit und in der Justiz.
Ich möchte zu bedenken geben, dass Sie mit der momentanen Streichung von Stellen auch Arbeitslosigkeit produzieren. Die Menschen werden arbeitslos, die diese Stellen bisher innehatten und eine gesellschaftlich wichtige Funktion ausgefüllt haben, und diese Menschen sind Steuerzahler. Deren Steuern wären für unseren Staat wichtig. Die Kürzungen im Sozialbereich sind, unter fiskalischen Gesichtspunkten betrachtet, alles andere als Einsparungen; denn sie produzieren, wie eben schon bemerkt, enorme Folgekosten. Schon die finanzielle Seite dieser Kürzungen ist ein Schlag ins Wasser. Weit gravierender ist der humanitäre Aspekt. Während wir hier debattierten, protestierten auf dem Marienplatz Vereinigungen, Verbände und sonstige Betroffene –
zehntausend Menschen – die verfehlte Sparpolitik der Staatsregierung. Eines muss man Herrn Stoiber und seiner CSU-Fraktion zubilligen: Er hat es geschafft, konkurrierende Verbände und weltanschaulich unterschiedlichste Gruppen zu einer großen Aktionsgemeinschaft zusammenzufügen, weil alle zu Opfern seiner Sparpolitik werden. Dabei räumen alle Betroffenen ein, dass auch sie bereit wären zu sparen. Sie machen selbst Angebote. So war zum Beispiel der Blindenbund bereit, auf 10 % des Blindengeldes zu verzichten, obwohl das für viele blinde Menschen einen schmerzhaften Einschnitt bedeutet hätte.
Für Sparmaßnahmen, die Projekten, Einrichtungen und Betroffenen die Existenzgrundlage entziehen, haben diese Menschen aber kein Verständnis.
In diesem Zusammenhang seien auch die Ausländersozialberatung mit 65 % Kürzung sowie der Asylbereich mit 50 % Kürzung genannt.
Es mag sein, dass Ihnen das egal ist; es gibt aber ganz viele Menschen, denen das noch nicht egal ist.
Konkret sind davon Flüchtlinge betroffen, die dem Asylbewerberleistungsgesetz unterliegen; sie leben bereits jetzt unterhalb des Existenzminimums. Sie leiden oft an körperlichen und psychischen Einschränkungen durch Krieg, Verfolgung und Flucht.
Besonders betroffen sind Kinder. Migrationsdienste unterstützen diese Menschen, vermitteln soziale, medizinische und rechtliche Hilfen. Sollten diese Dienste wegfallen, sind die Folgen unabsehbar.
Doch auch der erklärte Lieblingsbereich des Herrn Ministerpräsidenten, die Familienpolitik, wird nur in Sonntagsreden und Regierungserklärungen hofiert. Wir wollen Familien mehr fördern als bisher, erklärte Herr Stoiber vollmundig am 6. November. Seine erste Maßnahme war die Kürzung beim Landeserziehungsgeld für das erste und zweite Kind. Die Einschränkung der Familie setzt sich bei der Streichung der Kinder- und Jugenderholung fort. Dies trifft Kinder aus sozial schwachen Familien. 2003 konnten noch 11 000 Kinder und Jugendliche durch die staatliche Förderung an Freizeitmaßnahmen teilnehmen. Dies wird künftig nicht mehr möglich sein.
Jüngster Coup des Sozialministeriums: Die Streichung der Ballungsraumzulage rückwirkend zum 1. Januar 2004 für Erzieherinnen. Während einerseits die Qualitätssicherung für Kindertagesstätten gefordert wird, macht man andererseits durch die Hintertür Erzieherinnen, die ohnehin am unteren Rand der Einkommensskala zu finden sind, ein Leben in München schier unmöglich. Welche Qualität wollen Sie mit diesem Schritt befördern, Frau Ministerin? – Sie ist leider nicht anwesend.
Interessant sind auch die beiden Seiten der Medaille bei der Bürgerarbeit und beim ehrenamtlichen Engagement. Während Herr Landtagspräsident Alois Glück ehrenamtlich tätige Bürger ehrt, kürzt Herr Stoiber die Mittel dafür.
Besonders schmerzen mich die Kürzungen von Investitionen im Bereich geistig behinderter Menschen. Hier handelt es sich um Menschen, die nicht
lautstark für ihre Rechte eintreten können und die darauf angewiesen sind, dass wir für sie Leben und Arbeit menschenwürdig und lebenswert gestalten.
Auch in diesem Bereich finden massive Kürzungen statt mit nachhaltigen Auswirkungen auf die Lebensqualität der geistig behinderten Menschen. Gerade in den nächsten Jahren wird der Bedarf an Wohneinrichtungen für geistig behinderte Menschen steigen, weil jetzt jene Menschen alt werden, die nach den Pogromen des Nationalsozialismus geboren wurden. Es sollte eine unserer vornehmsten Pflichten sein, ihnen ein Altern in Würde zu ermöglichen.
Nun zur Beantwortung der beiden eingangs gestellten Fragen zur finanziellen Seite. Ihre Einsparungen im sozialen Bereich sind keine Einsparungen, sondern Fehlkalkulationen, die sich in immensen Folgekosten rächen werden und somit Kinder und Enkel, die Sie so gern und so oft zitieren, einholen werden.
Schwerer wiegt jedoch der menschliche Aspekt. Sie werden mit Ihren Beschlüssen Menschen in die Isolation treiben; Sie lassen sie mit ihren psychischen und finanziellen Problemen allein. Sie fördern die Zwei-Klassen-Gesellschaft; Sie tragen zur Verelendung ganzer Bevölkerungsschichten bei.
Besonders unverständlich ist für mich, dass die Sozialpolitiker der CSU-Fraktion, die all diese Zusammenhänge bestens kennen, teilweise in ihren Wahlkreisen auch Versprechungen gemacht haben, die sie jetzt nicht halten können, bei diesen Beschlüssen mitstimmen.