Protocol of the Session on July 17, 2002

Ich gebe auch gerne zu: Als Landespolitikerin halte ich Ihre Kritik an der Europapolitik der Bundesregierung in Teilen sogar für berechtigt. Sie werden es vielleicht nicht wissen: Auch aus den Reihen der Bundestagsabgeordneten der GRÜNEN erhebt sich mitunter deutliche Kritik – sie sprechen da nämlich als Mitglied eines Parlamentes, einer Legislative –, wenn allein aus nationalem Interesse heraus dem Zukunftsprojekt Europa Schaden zugefügt wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Blick auf den derzeitigen Zustand des europäischen Verfassungskonventes erfüllt auch mich mit Sorge. Der Rat und die Europäische Kommission streiten sich um die Macht in Europa und Konventspräsident Valéry Giscard d’Estaing schlägt sich auf die Seite der Mitgliedstaaten. Derzeit kreist die Debatte im Konvent um das Subsidiaritätsprinzip, die Grundrechtscharta, die Rolle des Europäischen Parlaments, die Kompetenzverteilung und um weitere ordnungspolitische Fragen.

Sie haben es schon erwähnt, Herr Zeller: Dazu wurden Arbeitsgruppen eingerichtet, die ihre Arbeit aufgenommen haben und ihre Ergebnisse im November vorlegen sollen. Ich denke aber, hier droht der Konvent tatsächlich zum Debattierclub zu verkommen. Denn in den Arbeitsgruppen werden nur sekundäre Themen besprochen.

Die Schlüsselthemen wie die institutionellen Fragen, ein demokratisches Europa, die soziale Dimension des zukünftigen Europas und eben auch die von Ihnen angemahnte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bleiben außen vor und werden nur am Rande erwähnt. So entsteht der Eindruck, dass der Präsident die Arbeit des Konvents bewusst verzögert. Er macht sich zum Handlanger der Regierungschefs, um am Ende unter Zeitdruck seine und deren Zielvorstellungen durchbringen zu können.

Erschwerend kommt der Dauerstreit zwischen der Kommission und dem Rat um die zukünftige Macht in Europa hinzu. Nach den Vorstellungen der GRÜNEN müssen der Rat und das Europäische Parlament gleichberechtigte Gesetzgeber sein und die Kommission muss die Exekutive sein. Im Europa der Zukunft muss die strenge Achtung des Demokratieprinzips und der Gewaltenteilung garantiert sein. Das Ziel muss ein neuer Verfassungsvertrag und darf nicht nur ein bloßes Überarbeiten bestehender Verträge sein.

Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, stilisieren die Frage nach der Kompetenzabgrenzung zur Schicksalsfrage der Zukunft der Europäischen Union hoch. Die wahlkämpferische Verwertbarkeit dieses Themas lockt und macht vergessen, dass die Zukunft Europas für uns eigentlich wesentlich größere Herausforderungen bereithält.

(Beifall der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die bestehende Kompetenzverteilung sollte mit größerer Klarheit und durchaus mit einigen Berichtigungen neu formuliert werden. Das darf aber nicht auf eine Art geschehen, die manche Mitgliedstaaten dazu verleiten würde, aus Gründen puren nationalen Interesses in Richtung einer Renationalisierung einige der gemeinsamen Politiken aufzugeben. Wenn Politikfelder von geteilter Kompetenz betroffen sind, gilt es, die Notwendigkeit des Subsidiaritätsprinzips zu betonen. Daraus aber den Schluss zu ziehen, man brauche so etwas wie einen Subsidiaritätsausschuss, um Kompetenzstreitigkeiten zwischen nationaler und europäischer Ebene zu behandeln, ist falsch. Dieser Forderung schloss sich jedoch kürzlich leider – diesmal ist es nicht die CSU – der deutsche Regierungsbeauftragte Peter Glotz im Konvent an. Auch er täte gut daran, dem europapolitischen Konsens im Deutschen Bundestag mehr Beachtung zu schenken.

Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Institutionen in der EU. Ein Subsidiaritätsausschuss würde den Institutionendschungel in der EU noch undurchschaubarer machen, als er es schon ist.

Gegen eine Kompetenzordnung, die sich an eindeutigen Kriterien wie Problemangemessenheit, Leistungsfähigkeit, Effizienz und demokratischer Legitimation orientiert, ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Auch wir wünschen eine solche Kompetenzordnung. Wichtiger als die von Ihnen geführte vertragsrechtliche Diskussion eines Kompetenzkataloges – das ist der Unterschied – ist, dass die Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips als Kern der gesamten Diskussion eine politische und eben keine

technokratische Frage ist. Die Forderung nach einem eindeutigen Kompetenzkatalog, wie sie sie wieder in Ihrem Antrag erheben, suggeriert ein schlankes Europa.

(Zurufe von der CSU)

Doch, das steht darin. Kompetenzkatalog. Schritt für Schritt, jede einzelne Kompetenz –, immer wieder dieselbe Forderung. Fraglich ist, ob damit eine angemessene Antwort auf die drängenden sozialen, politischen, ökologischen und ökonomischen Probleme und die Fragen der Zukunft gegeben werden kann.

(Beifall der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Politikentflechtung ist meiner Meinung nach – das haben wir in der Enquete-Kommission „Föderalismus“ sehr deutlich gesehen – ebenso wenig wie die Integration per se sinnvoll. Das Europäische Parlament hat bereits Kriterien für die Zuständigkeiten der Union entwickelt, die eine gute Basis für die weitere Ausgestaltung der Europäischen Union wären.

So soll die Aufteilung der Zuständigkeiten in der EU in einem flexiblen System erfolgen. Damit bleibt Europa auch in Zukunft handlungsfähig. Das Parlament geht bei der Definition der Kriterien von der Souveränität der Mitgliedstaaten aus, die diese im Rahmen der Gemeinschaft teilweise an die EU übertragen. Das Eingreifen der Gemeinschaft wäre nur dann legitim, wenn dabei mindestens eines der folgenden drei Kriterien erfüllt ist.

Erstens. Der Aktionsbereich überschreitet die Grenzen eines Mitgliedstaates und die Aktion hätte für einen oder mehrere Staaten möglicherweise negative Auswirkungen, wenn die Maßnahmen nicht auf Gemeinschaftsebene durchgeführt würden.

Zweitens. Die auf Gemeinschaftsebene geplanten Maßnahmen weisen gegenüber ähnlichen Aktionen, die die Mitgliedstaaten alleine durchführen können, einen beträchtlichen Synergievorteil auf.

Drittens. Die geplante Aktion entspricht einem Solidaritäts- oder Kohäsionserfordernis, das angesichts der Entwicklungsunterschiede innerhalb der Europäischen Union notwendig ist, so zum Beispiel in der Strukturfondspolitik.

Das Europäische Parlament spricht sich eindeutig gegen einen Katalog mit ausschließlichen Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten aus. Es entwickelt drei Arten von Zuständigkeiten, ähnlich wie wir es auch aus unserem föderativen System kennen. Es gibt die Zuständigkeit der Staaten, es gibt eigene Zuständigkeiten der Union, und es gibt geteilte Zuständigkeiten. Grundsätzlich – da stimme ich auch mit Ihnen überein – ist auch eine Rückübertragung von Zuständigkeiten denkbar, wenn sich die Voraussetzungen dafür, dass die Union tätig wird, nicht mehr so darstellen.

Auf breite Zustimmung stoßen diese Vorschläge einer flexiblen Kompetenzregelung mit klaren Entscheidungsund Verfahrensregelungen anstelle eines starren Kom

petenzkataloges auch im Verfassungskonvent. Ich lese übrigens auch die Beschlüsse der Präsidenten und Präsidentinnen der deutschen Landtagsparlamente durchaus anders als Sie. Auch diese sind in ihren Ausführungen sehr viel näher an einem flexiblen System als an einem starren Positivkatalog von Kompetenzen, insbesondere auch im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Justiz und der Innenpolitik. Und da muss – da sind sich die Konventsmitglieder wiederum einig – die Rolle der Union gestärkt werden.

Ich stimme dem Konventsmitglied Johannes Voggenhuber von den GRÜNEN aus Österreich ausdrücklich zu, wenn er fordert, dass die Bereiche der Regierungszusammenarbeit der zweiten und dritten Säule – das sind eben die Außen- und Sicherheitspolitik, die innere Sicherheit, Justiz und Polizei – in die erste Säule überführt werden müssen. Wir hatten im Ausschuss die Diskussion über Ihre Anträge zur inneren Sicherheit in Europa. Schon da habe ich angemerkt, dass es mir keineswegs recht ist, festzuschreiben, dass diese Bereiche auf immer und ewig in der dritten Säule verbleiben sollen. Es ist wichtig, dass wir gerade in diesen wichtigen Bereichen einheitliche Entscheidungsverfahren schaffen können.

Ich fasse zusammen: Neben der Durchsetzung einer erweiterten Agenda und demokratischer, transparenter Strukturen in Europa ist es ebenfalls wichtig, Entwicklungen, die wir alle als falsch erkennen, zu verhindern. Ich finde es Besorgnis erregend zu sehen, dass sich die Staats- und Regierungschefs – es sind eben diese, und es ist nicht Brüssel und auch nicht das Europaparlament – immer mehr Kompetenzen aneignen, die der parlamentarischen und gerichtlichen Kontrolle entzogen sind.

Immer weniger beschränken sich die Staats- und Regierungschefs auf die allgemeine Rahmensetzung, und immer mehr mischen sie sich in das Tagesgeschäft der EU ein. Dabei europäisieren sie auch Politikbereiche, für die es keine Gemeinschaftskompetenz gibt. Sie tun dies, ohne dass diese Entwicklungen gesellschaftlich und demokratisch rückgebunden wären.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gleichzeitig dünnen sie vorhandene Kompetenzen durch eine Verlagerung des Steuerungsinstrumentes hin zur offenen Koordinierung aus. Auch diesbezüglich sind wir uns im Grunde in der Kritik einig. Diese Intergouvernementalisierung europäischer Politik läuft grünen Vorstellungen diametral entgegen. Sie ist nicht demokratisch und stärkt die Exekutive zulasten der Parlamente.

Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der CSU, führen hier eine technokratische Debatte um Zuständigkeiten in der Europäischen Union und machen damit am Ende doch nur eines deutlich: Ihnen fehlt die zukunftsfähige Vision von Europa. Sie wollen Europa weiterhin den Potentaten und Bürokraten überlassen. Ihnen fehlt das Vertrauen in die Demokraten.

(Zuruf von der CSU: So ein Schmarrn!)

Sie verweigern dem Europäischen Parlament die ihm zustehende Rolle im demokratischen Europa, und Sie verweigern so den Bürgerinnen und Bürgern der europäischen Mitgliedstaaten die ihnen angemessene Vertretung auf europäischer Ebene. Eines wird durch diese Debatte jedenfalls klar: Ein Kanzler Stoiber auf Renationalisierungskurs, wie Sie ihn hier einfordern, würde Europa in weniger als einer Legislaturperiode an die Wand fahren. Täuschen Sie sich nicht, Kolleginnen und Kollegen: In diesem Stoiber-Europa kämen die deutschen Bundesländer, käme Bayern überhaupt nicht mehr vor. Dann hätten Sie hier in diesem Hohen Hause gleich gar nichts mehr zu sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Der Kollege Zeller hat – wie ich höre: kurz – noch einmal um das Wort gebeten.

Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Herbert Müller, ich glaube, Sie werden in Bezug auf den Wahlkampf sehr nervös. Wenn man Sie hier gehört hat, stellt man fest, dass Sie heute hier anders als sonst agiert haben.

Ein zweiter Gesichtspunkt.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war eben doch kein Gesichtspunkt!)

Sie haben uns den Vorwurf gemacht, dass wir, nachdem der Bundesrat getagt hat, ganz kurzfristig in Bezug auf die europäische Politik diesen Antrag eingebracht hätten; dieser Antrag sei sehr schnell von irgendwoher lanciert worden. Faktum ist, dass der Antrag gestellt worden ist und wir erst im Nachhinein den Termin – Juni 2002 – aufgenommen haben. Zunächst haben wir uns auf die Sitzung im Dezember bezogen, wo es einen einstimmigen Beschluss aller Bundesländer im Bundesrat gab.

Ein dritter Punkt, Frau Kollegin Gote. Wir sind uns in verschiedenen Bereichen einig. Europa ist mein Lieblingsthema, weil Europa unsere Zukunft ist. Es ist keine Frage: Ich möchte kein Europa des Zentralismus haben. Deswegen kämpfe ich für die Kompetenzabgrenzung. Ich bin nicht der Einzige, der dies tut. Es gibt derzeit eine Menge von Aktivitäten in ganz Europa – auch bei den Beitrittskandidaten –, die auf eine Klärung der Frage abzielen: Welche Kompetenzen können wir für unsere Region noch retten? Ich war erst kürzlich auf einer internationalen Veranstaltung, wo es um solche Aspekte ging.

Ein letzter Punkt. Sie haben die Subsidiarität angesprochen. Wenn ich richtig informiert bin, gibt es im Konvent eine Arbeitsgruppe „Subsidiarität“. Die Kompetenzabgrenzung ist jedoch nicht klar. Frau Gote, ich habe mit keinem einzigen Wort gesagt, dass ich einen Katalog, was die Kompetenzen angeht, will. Ich habe vorhin vielmehr formuliert, dass es letztendlich völlig egal ist, in welcher Form wir eine Kompetenzabgrenzung bekommen, ob mit Katalog oder ohne Katalog. Wichtig ist nur,

dass wir eine Kompetenzabgrenzung zwischen den verschiedenen Ebenen bekommen, zwischen der europäischen Ebene, der nationalstaatlichen Ebene und auch der Ebene der Bundesländer, bei der es dann um die Kompetenzen der Landtage bzw. der jeweiligen Landesregierungen geht.

(Beifall bei der CSU)

Als Nächster hat Herr Staatsminister Huber das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß um die Tagesordnung und den Zeitplan. Deshalb möchte ich nur wenige Bemerkungen machen. Herr Kollege Müller, wir sind hier im Parlament. Man sollte hier eine Sprache wählen, die nicht in die Hinterzimmer der SPD-Genossen passt, sondern ins Parlament.

(Beifall bei der CSU)

Ich bin durchaus einer, der in der politischen Auseinandersetzung hart zulangen kann. Wenn Sie aber diese Form der Herabsetzung eines Politikers wählen, ist das ein Armutszeugnis für Sie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU)

Ich verstehe eigentlich nicht, Herr Müller und Frau Gote, was Sie gegen diesen Antrag haben.

(Frau Gote (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das habe ich mir gedacht, dass Sie das nicht verstehen!)

Sie sollten sich einmal auf den Wortlaut beziehen. Sie können doch nicht alle Themen, die mit dem Verfassungskonvent und mit der Europapolitik zusammenhängen, hier hineinpacken. Natürlich geht es in diesem Antrag nicht darum, einen vollkommenen Plan für die Zukunft Europas in allen Politikbereichen aufzustellen. Es geht um eine Strukturfrage. Es geht darum, ob in dem Verfassungskonvent endlich einmal geklärt wird, was Aufgaben der Europäischen Union sein sollen und was damit Aufgaben der Mitgliedstaaten bleiben. Es geht darum, das Subsidiaritätsprinzip verifizierbar, nachprüfbar einzubringen. Angesichts dieser grundsätzlichen Weichenstellung ist es doch in der heutigen Situation, da der Konvent die Arbeit aufgenommen hat, der Mühe wert, dass gerade ein Landesparlament, um dessen Zuständigkeit es auch geht, eine klare Meinungsäußerung abgibt. Es hat einstimmige Beschlüsse der Ministerpräsidenten und der Länder der Bundesrepublik Deutschland im Bundesrat gegeben, dass wir eine klare Aufgabenabgrenzung brauchen. Der Kollege Zeller hat richtig gesagt, dass die technische Methode dabei zweitrangig ist.

Frau Gote, warum sprechen Sie hier eigentlich von einer Renationalisierung? Sie haben ein Feindbild von Stoiber, das Ihre Gedanken offenbar so vernebelt, dass Sie gar nicht mehr in der Lage sind, einen Antrag richtig zu lesen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Kollegin ist niemals vernebelt!)