Protocol of the Session on March 19, 2002

(Maget (SPD): Das kann er nicht fassen! – Weitere Zurufe von der SPD)

ich frage mich, ob Sie zur Kenntnis nehmen wollen, dass wir im Freistaat Bayern unter den westlichen Flächenländern bei der Kinderbetreuung an erster bzw. an zweiter Stelle stehen.

(Beifall bei der CSU – Frau Radermacher (SPD): Das stimmt doch nach Ihrer eigenen Interpellation nicht!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich frage mich, ob Sie zur Kenntnis nehmen,

(Frau Radermacher (SPD): Lesen Sie denn die eigene Interpellation nicht?)

dass in anderen Bundesländern, in denen Ihre Partei in der Verantwortung steht,

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Wesentlich mehr für die Kinderbetreuung getan wird!)

die Beiträge für Kindertageseinrichtungen und Kindergärten zwar steigen, aber die Qualität sinkt, während in Bayern eine Trendwende stattfindet. Wir haben in Bayern ein Konzept beschlossen und bitten heute nochmals dafür um Unterstützung, mit dem insgesamt 30000 neue Betreuungsplätze

(Frau Radermacher (SPD): Weil Sie jahrelang nichts getan haben!)

für Kinder unter drei Jahren sowie mit Altersöffnung in Kindertagesstätten und in Schulen geschaffen werden, was 312 Millionen Euro erfordert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in diesem Zusammenhang darf ich Sie noch etwas anderes fragen. Sie betreiben Politik in Schwarzer-Peter-Manier. Wie ist es denn mit der Glaubwürdigkeit sozialdemokratischer Familienpolitik?

(Güller (SPD): Hervorragend!)

Die federführende Verantwortung liegt erfreulicherweise bei den Kommunen, was auch notwendig ist, um jeweils die örtlichen Bedingungen berücksichtigen zu können. Mit Ihrer Politik stellen Sie die Kommunen insgesamt wesentlich schlechter, als das bisher der Fall gewesen ist.

(Zurufe von der SPD)

Die Landeshauptstadt München, von Ihnen regiert, hat ein Defizit von mehr als einer Milliarde DM, weswegen hauptsächlich im Sozialhaushalt eingespart wird. Das geht zu Lasten von Familien und Kindern, und das geht zu Lasten von Kinderbetreuungskonzepten. Das ist Ihre Politik.

(Beifall bei der CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf auch nochmals darauf hinweisen, dass es im Weltbild davon, welche Lebensentscheidung unsere Familien treffen, schon einen Unterschied gibt. Sie haben eine relativ einseitige Darstellung gewählt.

(Widerspruch bei der SPD)

Sie sprechen zwar davon, dass Sie die Worte „nur Hausfrau“ nicht in den Mund nehmen wollen, ich höre aber nicht, dass Sie echte Wahlfreiheit herstellen wollen.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Was? Genau das ist doch der Punkt!)

Für uns ist die Voraussetzung für eine zukunftsorientierte Familienpolitik zunächst einmal die Wahlfreiheit.

(Zurufe von der SPD)

Meine Damen, geben Sie auch einem Herren einmal eine Chance, etwas ungestörter reden zu können.

(Beifall bei der CSU)

Für uns ist Voraussetzung, um Wahlfreiheit zu erreichen, dass sich Familien selbst entscheiden können, welchen Weg sie gehen. Das heißt, wir brauchen in der Familienpolitik drei Säulen. Wir brauchen zum Ersten die finanzielle Besserstellung der Familien, wir brauchen zum Zweiten den Ausbau der Kinderbetreuung und die Vereinbarkeit von Familie und

Beruf, und wir brauchen zum Dritten die Stärkung der Erziehungskompetenz.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lasst Euch nur nicht bremsen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, was bedeutet der Ausbau der Kinderbetreuung in Bayern im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Das bedeutet, dass wir auch die Wirtschaft insgesamt stärker in die Verpflichtung nehmen müssen. Wenn wir von Vereinbarkeit sprechen, dürfen wir nicht erwarten, dass nur die Familien Leistungen erbringen und sich an die Strukturen der Wirtschaft anpassen. Das bedeutet auch, dass in Kooperation mit Arbeitgebern und Gewerkschaften – in Bayern gibt es sehr viele positive Beispiele, die noch ausgebaut werden müssen – die Arbeitszeitbedingungen verbessert werden und stärker auf die Situation der Familien Rücksicht genommen wird. Das ist einer der wesentlichen Punkte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sollten zur Kenntnis nehmen, was die Bayerische Staatsregierung und die Mehrheit dieses Hauses planen. Mit den genannten 30000 zusätzlichen Plätzen, die wir in den nächsten vier Jahren schaffen werden, wird eine bedarfsgerechte Erweiterung der Angebote von mindestens 7% für unter Dreijährige, von 15% für Schulkinder und von 95% bei den Kindertagesstätten realisiert. Dies entspricht dem tatsächlichen Bedarf in unserem Lande. Sie haben dagegen erklärt, dass Sie Krabbelgruppen und Ähnliches nicht in die Statistik zur Bewertung der Situation im Freistaat Bayern einbeziehen wollen. Ich sage Ihnen: Wir sind stolz darauf, dass es in Bayern vielfältige Einrichtungen gibt. Wir sind stolz darauf, dass es in Bayern eine große Bandbreite von Selbsthilfeeinrichtungen in den Kommunen gibt. Das soll auch in Zukunft so bleiben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein weiterer wesentlicher Punkt sind Veränderungen in der Wirtschaft. Der Wirtschaftsstandort Bayern braucht nicht Betreuungsangebote für eine Vereinbarkeit, er braucht auch mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten, bei den Arbeitsabläufen sowie mehr Möglichkeiten für Familien, um eine Vereinbarkeit im Interesse der Kinder zu erreichen. Hierfür gibt es viele positive Beispiele, etwa das Familienaudit, mit dem viele Unternehmen ausgezeichnet worden sind. Das bayerische Familienministerium hat viele Modellversuche im Freistaat Bayern gefördert und unterstützt. Bei kleinen und mittelständischen Betrieben und beim Verband der bayerischen Wirtschaft ist bei diesem Thema eine große Sensibilität festzustellen.

Lassen Sie mich noch einmal auf die Situation der Kinderbetreuung im Freistaat Bayern eingehen: Richtig ist, wir haben veränderte Familienrealitäten, mit denen sich die Einrichtungen auseinander setzen müssen. Wir stellen fest, einerseits haben die Eltern das Bedürfnis, sich in die Kinderbetreuung einzubringen, andererseits muss der Großteil der Eltern noch stärker gefördert und unterstützt werden. Ich denke dabei an den Ausbau der Eltern- und Familienbildung und an die Zusammenarbeit mit den Kinderbetreuungseinrichtungen. Die CSU-Frak

tion verfolgt bei der Kinderbetreuungspolitik den Ansatz der Vielfalt. Dieser vorbildliche und bedarfsorientierte Ansatz ist beispielhaft für die Bundesrepublik. Darüber hinaus leistet dieser Ansatz einen wichtigen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf den schulischen Sektor eingehen: Meine Damen und Herren, Sie haben ausgeführt, die von der Staatsregierung und der CSU-Fraktion entwickelten Konzepte seien absolut unzureichend. Ich sage Ihnen: Diese Konzepte entsprechen dem Bedarf und berücksichtigen die Situation vor Ort. Außerdem werden diese Modelle in anderen Bundesländern unter dem Namen „Ganztagesschulen“ verkauft. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CSU)

Kinderbetreuung im Sinne von Bildung, Erziehung und Betreuung ist aus Gründen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erforderlich. Wir müssen aber im Hinblick auf die veränderten Familienwelten berücksichtigen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur unter den Gesichtspunkten von Betreuung, Zeit und Quantität oder der Arbeitssituation betrachtet werden dürfen. Wir müssen auch das Kindeswohl im Auge behalten. Wir sollten deshalb versuchen, zusammen mit der Wirtschaft, den Arbeitgebern und den Gewerkschaften Konzepte weiterzuentwickeln. Ich habe darauf hingewiesen, dass der Freistaat Bayern bei der Kinderbetreuung mehr als überdurchschnittliche Leistungen erbringen wird. Davon könnten sich andere Bundesländer eine Scheibe abschneiden. Sie sollten sich einmal die Qualität der Kinderbetreuung in anderen Bundesländern ansehen. Bayern ist auf dem besten Wege, bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf den ersten Platz in der Bundesrepublik einzunehmen.

(Beifall bei der CSU)

Jetzt hat Frau Kollegin Schopper das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ müsste präzisiert werden; denn im Grunde geht es nicht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern darum, wie die Frauen Familie und Beruf vereinbaren können. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU: Jahrzehntelang waren für Sie die Begriffe „Familie mit Kindern“ und „Beruf“ ein natürlicher Gegensatz. Nach Ihrem Weltbild hatten Frauen nach dem so genannten Drei-K-Modell zu leben. Die Begriffe „Familie mit Kindern“ und „Beruf“ waren für Sie wie Feuer und Wasser oder wie Himmel und Hölle. Ich möchte es überspitzt ausdrücken: Dies war für Sie jahrhundertelang ein Glaubenssatz wie die Behauptung, die Erde sei eine Scheibe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Was hat die Kollegen der CSU-Fraktion zum Nachdenken gebracht? – Das war zum einen die demografische Entwicklung. Seit langem überragt die Sterberate die Zahl der Geburten. Zum anderen hat Sie die Angst vor einer Überalterung der Gesellschaft, mit all den damit verbundenen Problemen für die sozialen Sicherungssysteme, aufgeweckt. Hinzu kamen Forderungen aus der Wirtschaft. Frau Kollegin Schmidt hat soeben den wunderbaren Terminus der „Wiedereingliederung“ näher erläutert. Frauen, die längere Zeit nicht im Erwerbsprozess waren, müssen nachqualifiziert werden. Hier sieht auch die Wirtschaft Defizite. Entscheidend war aber, dass die Frauen selbst gesagt haben, dass sie nicht mehr auf die Begriffe Kinder und Familie reduziert werden wollen. Sie wollen einen guten Beruf und eine gute Ausbildung mit der Familie vereinbaren.

Die Frauen haben einfach aufgehört, Kinder zu bekommen. Ein Drittel der Frauen des Jahrgangs 1965 blieb kinderlos. Dies war ein geburtenstarker Jahrgang. Die Frauen dieser Gruppe, die über einen akademischen Abschluss verfügen, bekommen seltener Kinder. 40% der Akademikerinnen dieser Altersgruppe blieben kinderlos. Die Lösungen für dieses Problem sind altbekannt und altbewährt: Wir brauchen eine Verbesserung der Infrastruktur, um eine Vereinbarkeit zu gewährleisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich bin mir sicher: Wenn die Männer auch nur einen geringen Anteil der Erziehungsarbeit übernehmen müssten, könnten wir uns vor Krippen kaum noch retten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

In diesem Fall hätten wir mindestens so viele Krippen, wie wir derzeit Baumärkte haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die Infrastruktur ist auch deshalb wichtig, weil wir Frauen, die ein Kind haben und alleinerziehend sind, kein Armutsrisiko aufbürden dürfen. Viele Väter stehlen sich aus der finanziellen Verantwortung und bürden diese dem Staat auf. Dies zeigt sich an der Höhe der Unterhaltsvorschusszahlungen. Angesichts dieser Zahlen kann ich manchen Rachegedanken des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter verstehen, der vorgeschlagen hat, säumigen Zahlern den Führerschein zu entziehen.

Ich bin mir dessen sicher, dass der eine oder andere lieber den Geldbeutel ziehen würde, als auf die PS unter dem Hintern zu verzichten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Blick in den europäischen Sozialbericht zeigt vier Punkte auf, wie wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern könnten. Erstens ist zu überlegen, wie die partnerschaftliche Aufteilung der Aufgaben zwischen Mann und Frau besser gefördert werden kann. Es gab

einmal ein Lied mit dem Titel: Neue Männer braucht das Land. Die neuen Männer sind offenbar bei uns noch nicht in allen Bereichen angekommen.