Protocol of the Session on October 25, 2001

Auf der anderen Seite hat sich die Situation in den Anstalten, in der Forensik und in den normalen Haftanstalten, massiv verschärft, ohne dass der Mangel an Personal und Räumlichkeiten behoben worden wäre. Die Belegung im Maßregelvollzug hat sich seit Mitte der Neunzigerjahre, so schreibt es der Verband der bayerischen Bezirke, um jährlich zehn Prozent erhöht. Wie es um die hochgepriesene Sicherheit in den bayerischen Anstalten steht, hat uns die Ausbruchsserie aus den bayerischen forensischen Kliniken im Sommer dieses Jahres gezeigt. In Bayern klafft eine ganz große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

(Beifall der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Genauso verhält es sich mit dem jetzt von der Staatsregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur nachträglichen Sicherungsverwahrung. Herr Dr. Hahnzog hat Ihnen schon vorgehalten, dass dieser Entwurf wortwörtlich von einem baden-württembergischen Gesetz abgeschrieben wurde. In Baden-Württemberg ist dieses Gesetz im Eilverfahren zu Beginn dieses Jahres durch den Landtag gepeitscht worden und ist seit März dieses Jahres in Kraft. Es wurde meines Wissens aber bisher auf keinen einzigen Fall in Baden-Württemberg angewendet. Mein Eindruck ist deshalb, dass es in erster Linie um Aktionismus geht, weniger um einen wirksamen Schutz.

(Beifall der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dieser Aktionismus schadet enorm; denn er suggeriert der Bevölkerung, dass etwas zum Schutz der Menschen getan wird, in Wirklichkeit aber ist diese Maßnahme kein Schutz. Ein Gesetz, das in der Praxis gar nicht oder kaum anwendbar ist, taugt einfach nicht zum Schutz der Bevölkerung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Des Weiteren melde ich verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf an. Die verfassungsrechtlichen Bedenken stehen auch in dem Gutachten des Deutschen Bundestages. Auf die Details können wir hier in der Ersten Lesung nicht eingehen, das werden wir in den Ausschussberatungen ausführlich tun. Aber eines, meine Damen und Herren von der CSU, möchte ich schon noch sagen. In dem Gesetzentwurf, den Ihre Fraktion im Bundestag zum gleichen Sachverhalt vorgelegt hat, stellen Sie auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes in dieser Frage ab und argumentieren genau entgegengesetzt zu dem, was Sie hier zu Ihrem Gesetzentwurf im Lande sagen. Da frage ich mich: Was gilt nun? Nur weil Sie im Bundestag derzeit nicht die Mehrheit stellen, kann man doch das Prinzip der konkurrierenden Gesetzgebung nicht abschaffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat nun Herr Staatsminister Dr. Beckstein.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hintergrund für den Gesetzentwurf zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern sind schwere Verbrechen, bei denen Sexualstraftäter nach ihrer Entlassung aus der Haft kleine Mädchen missbrauchten und töteten. Ich erinnere hier beispielsweise an den Fall Kim Kerkow, der nicht nur Politiker, sondern auch andere Personen aufgewühlt hat.

(Dr. Hahnzog (SPD): Der Täter bekäme lebenslang, wenn er getötet hätte! Da braucht es keine Sicherungsverwahrung!)

Oder ich erinnere an den Fall Saller, Herr Kollege Hahnzog, einen Mann, der ein Ausländerwohnheim in Brand gesteckt hat, zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, diese Strafe bis zum letzten Tag abgesessen hat und dabei während der Haft von Monat zu Monat immer fanatischer ausländerfeindlich geworden ist. Alle Beteiligten haben gesagt, er wird, wenn er in Freiheit ist, weitere Straftaten begehen.

(Dr. Hahnzog (SPD): Er ist allerdings kein Sexualstraftäter!)

Wir haben ihn, so lange er in Bayern war, überwacht. Er lebt inzwischen in einem anderen Bundesland. Demjenigen, der wie Sie sagt, da kann man nichts machen, halte ich entgegen, dass das zwar ein rechtlich gut vertretbarer Standpunkt ist, dass er aber beim nächsten schweren Verbrechen eine Mitverantwortung hat.

(Beifall bei der CSU – Zuruf des Abgeordneten Dr. Hahnzog (SPD))

Jetzt noch Folgendes. Bei den GRÜNEN verstehe ich ja, dass sie nicht antworten, aber was hat denn der Bundeskanzler zu diesem Problem gesagt? Bundeskanzler Gerhard Schröder bleibt bei seiner Forderung nach unerbittlicher Härte gegen Kinderschänder. In seiner Bilanz nach dreijähriger Regierungszeit sagte er am Donnerstag, dem 12.07.2001, in Berlin: Der Schutz des Kindes müsse absoluten Vorrang haben. Er räumte ein, dass seine Forderung nach „Wegschließen für immer“ zwar überspitzt war, aber seit 1989 habe sich die Zahl der Sicherungsverwahrungen verdoppelt. Und dann wies Schröder ausdrücklich auf einen Vorstoß Bayerns hin, gegen Straftäter auch nachträglich Sicherungsverwahrung verhängen lassen zu können.

Es sollte die Möglichkeit geben, Sicherungsverwahrung nicht nur beim Urteil, sondern auch am Ende der Strafhaft einzusetzen. Ich halte das sogar für näher liegend; denn wenn man Sicherungsverwahrung als Maßnahme im strafrechtlichen Urteil einsetzen kann, müsste es eigentlich noch näher liegen zu sagen: Wir warten erst einmal ab. Wenn jemand eine mehrjährige Freiheitsstrafe absitzt, prüfen wir, ob am Ende seiner Strafhaft die

Sicherungsverwahrung angeordnet werden muss, weil er tatsächlich ein gefährlicher Mensch ist, den man aus Sicherungsgründen wegsperren muss. Deswegen ist auch die Überlegung von CDU/CSU im Bundestag meines Erachtens richtig zu sagen, die strafrechtliche Beurteilung erfolgt nicht zum Zeitpunkt des Urteils mit der Prognose, wie er sich gegen Ende der Strafhaft darstellt, sondern gegen Ende der Strafhaft.

Das, was wir hier in Bayern wollen, ist ein anderer rechtsdogmatischer Weg. Wir wollen das nicht als Nebenmaßnahme der strafrechtlichen Beurteilung, sondern als präventiv polizeiliche Maßnahme darstellen, wie uns das ausdrücklich auch der Bundeskanzler empfohlen hat. Er hat bei derselben Darstellung am 12.Juli 2001 zu der Frage, warum der Bundesrat die bayerische Initiative abgelehnt hat, erklärt, er empfehle den Weg Baden Württembergs. Das Land habe mit dem Landesgesetz zur Straftäter-Unterbringung die Möglichkeit eröffnet, dass eine Strafvollstreckungskammer Sicherungsverwahrung anordnen könne.

Diesen Weg, den uns Bundeskanzler Schröder empfohlen hat, hat uns auch die Bundesjustizministerin ausdrücklich nahe gelegt. In einem Schreiben vom 13.09.1999, wo sie diesen Weg als ausdrücklich nicht unproblematisch, aber als vorzugswürdig darstellt, schreibt mir Frau Prof. Dr. Däubler-Gmelin, dass eine bundesgesetzliche Kompetenz nicht gegeben sei, dass allerdings der Landesgesetzgeber entsprechende Möglichkeiten habe. Sie räume zwar ein, ich zitiere wörtlich: „Dabei verkenne ich nicht, dass auch insoweit Schwierigkeiten, vor allen Dingen im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu überwinden sind“, aber sie bestreitet nicht, dass eine grundsätzliche Länderkompetenz gegeben ist, im Gegenteil, sie weist uns auf diese Kompetenz geradezu hin.

Ich darf noch einmal darauf hinweisen, dass der Weg über den Bundesrat für eine bundesrechtliche Regelung nach § 66 StGB am Widerstand der SPD-regierten Länder gescheitert ist. Wenn man die Bevölkerung schützen will, dann muss man also den Weg gehen, den BadenWürttemberg vorgezeichnet hat.

Ich habe deshalb in aller Deutlichkeit auch in meinem Hause erklärt, dass ich die baden-württembergerische Regelung wortwörtlich übernommen haben will; denn das, was in Baden-Württemberg sozusagen rechtlich überprüft ist, sollte von uns in gleicher Weise vorgelegt werden. Wir haben das lediglich insoweit ergänzt, als das Unterbringungsgesetz Vorrang hat und die zu neu schaffende Regelung subsidiär ist.

Dass das Unterbringungsgesetz Vorrang hat, liegt auf der Hand. In den Fällen, wo eine psychische Erkrankung oder eine psychische Störung mit Krankheitswert auch im Bereich der Psychopathologie vorliegt, ist klar, dass ein Anspruch auf eine entsprechende Behandlung gegeben sein muss und damit das Unterbringungsgesetz den Vorrang hat.

Lassen Sie mich den Inhalt des Gesetzentwurfs kurz skizzieren. Des Gesetz bestimmt zum Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern, die zu zeitiger Frei

heitsstrafe verurteilt sind, mit erheblichen einschlägigen Vorstrafen in einer bayerischen Justizvollzugsanstalt einsitzen und die sich im Vollzug der Freiheitsstrafe als besonders rückfallgefährdet erweisen, dass die Straftäter in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht werden können, wenn davon auszugehen ist, dass von ihnen eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit der Person oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer ausgeht. Indizien für eine solche Gefährlichkeit sind insbesondere die Ablehnung oder der Abbruch einer rückfallvermeidenden Therapie, daneben aber auch beispielsweise Disziplinarverstöße im Vollzug.

Nicht angeknüpft wird für die Gefahrenprognose hingegen an die Straftat, die zur Verurteilung geführt hat. Der Gesetzentwurf setzt sich also nicht dem Vorwurf der Doppelbestrafung aus. Die Gefährlichkeit muss von zwei Gutachtern festgestellt werden. Die Entscheidung wird von einer mit drei Richtern besetzten Strafvollstreckungskammer auf schriftlichen Antrag der JVA getroffen. Dem Betroffenen wird ein Rechtsanwalt als Beistand bestellt. Gegen die Entscheidung, die in öffentlicher Verhandlung ergeht, ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben. Die Unterbringung ist mindestens alle zwei Jahre zu überprüfen.

Wir sind überzeugt, dass der Entwurf verfassungskonform ist. Darüber hinaus hat sich im Rahmen der Verbandsanhörung gezeigt, dass alle angehörten Verbände den Gesetzentwurf in seiner Zielsetzung und Ausgestaltung grundsätzlich begrüßen. Bemängelt wurde allerdings, dass der Gesetzentwurf keinen Schutz vor Straftätern bietet, die nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe von einem anderen Bundesland nach Bayern ziehen. Das ist leider aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich. Die außerbayerischen Justizvollzugsanstalten müssten zur Mitwirkung verpflichtet werden, denn nach dem Gesetzentwurf ist es die Aufgabe der Anstalt, den Antrag auf Unterbringung zu stellen. Das Gesetz kann aber aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht für außerbayerische Justizvollzugsanstalten gelten.

Dies zeigt umso deutlicher, dass es trotz des vorliegenden Gesetzentwurfs weiterhin nötig ist, beim Bund auf ein entsprechendes Tätigwerden zu dringen. Ich darf hier noch einmal den Fall Saller ansprechen. Der Fall ist öffentlich abgehandelt worden; deshalb kann ich es hier in dieser Weise tun. Saller, ein Brandstifter in einem Ausländerwohnheim, hat laufend erklärt, dass er dafür sorgen werde, dass Ausländer in Deutschland nicht sicher sind.

(Zurufe von der SPD)

Die damit Befassten haben deshalb dafür gesorgt, dass er keinen Tag eher entlassen worden ist. Solange er in Bayern gewohnt hat, ist er sorgfältig überwacht worden. Er lebt jetzt in einem anderen Bundesland und hat direkt neben einem anderen gewaltbereiten Extremisten eine Wohnung genommen.

Ich hoffe, dass er dort genauso intensiv überwacht wird wie bei uns. Jeder, der die Sicherheitsbehörden von innen her kennt, weiß, dass selbst bei Überwachung nie

ein hundertprozentiger Schutz zu gewährleisten ist. Wie lange dies erfolgen kann, liegt auf der Hand. Ich meine, in einem solchen Fall muss der Schutz der Allgemeinheit Vorrang vor dem Schutz eines Menschen haben, der früher Straftaten begangen hat und sich im Gefängnis als rückfallgefährdet und gefährlich herausgestellt hat, der also die Sicherheit der Bevölkerung gefährdet.

Ich darf Sie bitten, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen zum Schutz der Allgemeinheit, insbesondere der Kinder. Ich bitte, eine sorgfältige Beratung vorzunehmen. Abschließend meine ich, dass das an Schutzvorkehrungen, was in Baden-Württemberg mit, wenn ich es recht in Erinnerung habe, großer Mehrheit beschlossen worden ist, auch bei uns möglich sein wird.

(Dr. Hahnzog (SPD): Die SPD hat sich dort enthalten!)

Dass eine optimale Regelung erst dann gegeben wäre, wenn die Bundesregierung und der Bundeskanzler nicht nur große Sprüche machen, sondern auch eine bundesrechtliche Regelung schaffen würden, ist leider richtig. Es ist besser, selbst zu handeln, anstatt das Untätigsein der anderen anzuklagen.

(Beifall bei der CSU)

Die Aussprache ist geschlossen. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 3 d

Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Bayerischen Schlichtungsgesetzes (Drucksa- che 14/7643)

Erste Lesung –

Der Gesetzentwurf wird von Seiten der Staatsregierung nicht begründet. Von den Fraktionen habe ich keine Signale, dass dazu gesprochen werden soll. Somit brauche ich die Aussprache weder zu eröffnen noch zu schließen. Ich stelle fest, dass im Einvernehmen mit dem Ältestenrat der Gesetzentwurf dem Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen als federführendem Ausschuss überwiesen werden soll. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nachdem wir um 14 Uhr mit der Aussprache zu den Dringlichkeitsanträgen beginnen wollen, unterbreche ich jetzt die Sitzung, so wie von der CSU beantragt, für eine halbe Stunde und gebe Gelegenheit zur Fraktionssitzung der CSU-Fraktion. Die Sitzung ist unterbrochen bis 14.05 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung von 13.33 – 14.08 Uhr)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf die unterbrochene Sitzung wieder aufnehmen. Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 6

Beratung der zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge

Als ersten Antrag rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Herrmann, Dr. Kempfler und anderer und Fraktion (CSU)

Maßnahmen des Bundes für eine verantwortungsvolle Sicherheitspolitik einfordern (Drucksache 14/7706)

Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist Herr Kollege Hölzl.