Protocol of the Session on July 11, 2001

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei der SPD)

Herr Dr. Kaiser, Sie haben an Ludwig Erhard erinnert. Dem war die Personengesellschaft und der persönlich haftende Unternehmer lieber, als der Vorstandsvorsitzende der Kapitalgesellschaft.

Ich komme zu einem zweiten Punkt: der Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen. Die Bundesregierung spricht von Innovation und Modernisierung. Wenn diese Bundesregierung noch länger regiert, dann haben wir in diesem Land irgendwann die ältesten Dreh- und Hobelbänke. Dann haben Sie die Abschreibungsdauer auf 16 Jahre verlängert. Das muss man sich einmal vorstellen. Das ist keine Politik, die diesen Standort flexibel macht und ihn gegen den globalen Wettbewerb beständig macht. Sie täuschen die Leute. Ich will jetzt gar nicht auf das Thema Rating zu sprechen kommen. Für den Basler Akkord sind Sie nicht verantwortlich. Sie sind aber für die wesentliche Verschlechterung der Beteiligung verantwortlich. Früher war es so, dass ein Jungunternehmer sagen konnte: Ich brauche Geld für meine Existenzgründung. Er konnte sich dieses Geld auf dem Kapitalmarkt beschaffen, er konnte aber auch in seiner Familie nachfragen. Vielleicht hätte er dort jemanden gefunden, der gesagt hätte: Ich beteilige mich an deiner Idee, ich glaube daran.

Sie haben diese Beteiligungsmöglichkeiten so verschlechtert, dass Sie heute niemanden finden werden, der sich an einem jungen Unternehmen beteiligt.

Die Binnennachfrage sinkt. Sie könnten behaupten, die Leute kaufen nichts mehr, sie wollen nicht konsumieren. Es ist klar, dass die Leute nicht mehr konsumieren wollen. Alleine über die Mineralölsteuer wurden im letzten Jahr 75 Milliarden DM eingenommen. Sie haben den Menschen mit dem Kraftwärmekopplungsgesetz und dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz 11,5 Milliarden DM weggenommen. Die Bundesregierung kassiert 85 Milliarden DM. Das ist ein Drittel der gesamten Lohn- und Einkommensteuer, die in diesem Land eingenommen wird. Sie kassieren an den Tankstellen noch einmal zusätzlich ab. Es ist nicht falsch, wenn man sagt: Sie machen die Tankstellen zu Außenstellen des Finanzamtes.

(Beifall bei der CSU)

Beim Betriebsverfassungsgesetz merkt man klar, wohin Ihre Orientierung geht, nämlich nicht zum persönlichen und einzelnen Unternehmer, sondern zur großen Aktiengesellschaft. Es geht um die Einflussnahme über Betriebsräte in den Unternehmen und nicht darum, dass Sie diese Wirtschaft voranbringen, sondern darum, über das Betriebsverfassungsgesetz möglichst viele Kontrollinstrumente einzuführen. Die Auswirkungen auf den Freistaat Bayern machen mir große Sorgen. Der Freistaat Bayern ist in der Bundesrepublik Deutschland das Land mit dem höchsten Anteil an Selbstständigen. Diese CSU-geführte Staatsregierung hat in den letzten Jahrzehnten mehr als jede Staatsregierung in diesem Land für den Mittelstand getan. Nennen Sie mir ein Land, das so frühzeitig ein Mittelstandsförderungsgesetz und für den Mittelstand viele andere Dinge bis hin zu Innovations- und Technologieeinführungsprogrammen auf den Weg gebracht hat.

Meine Damen und Herren von der Opposition, 86% der Unternehmen in diesem Land sind Mittelständler, und diesen Mittelstand beschädigen Sie massiv. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie zum Totengräber dieses Mittelstandes. Das Problem ist, dass, wenn es bei dieser Bundesregierung um die Lösungsansätze geht, manche Dinge nicht mehr nachvollziehbar sind. Zum Wirtschaftswachstum, so der niedersächsische Ministerpräsident Sigmund Gabriel, müssen wir Konjunkturprogramme machen. Er wird zwar gelegentlich von Bundeskanzler Schröder gebremst, aber die Gedanken sind da. Wir wissen, dass Konjunkturprogramme der falsche Ansatz sind.

Zum Thema „Arbeitslosigkeit und Zuwanderung“ ein Zitat von Oskar Lafontaine, das Sie sehr freuen wird: „Die Arbeitslosenzahlen steigen. Da erschallt der Ruf: Wir brauchen ausländische Arbeitskräfte. Sie sollen Rente und Wirtschaft retten. Die Bevölkerung fasst sich an den Kopf“. Ihr Bundeskanzler glänzt dann mit geballtem volkswirtschaftlichen Sachverstand – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen –, denn auf die jüngst gestellte Frage, ob Einheitslöhne wie bei VW und Lohnverzicht wie bei Hewlett Packard der Ausweg aus der Krise sein könnten, antwortete Schröder: „Ich halte solche Modelle im Einzelfall für vernünftig.“ Wenn dies ein CSU- oder CDU-Mitglied gesagt hätte, würde man sagen, dies seien die Erzkapitalisten von der anderen Seite. Auf die Frage, ob der Regierung die Puste ausgehe, antwortete Schröder: „Was die Regierung für das Wachstum tun konnte, hat sie getan.“ Das klingt so, als würde einem Arbeitnehmer ins Zeugnis geschrieben, er war ständig bemüht und bestrebt, den an ihn gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Dies ist nichts anderes als die Umschreibung für Versagen.

Meine Damen und Herren von der Opposition, wir fordern deshalb von Ihnen, als bayerische Sozialdemokraten in Berlin Ihren Einfluss dahin geltend zu machen, dass der Mittelstand in Bayern, die Stütze der Wirtschaft im Freistaat Bayern, weiterhin leben kann. Ändern Sie Ihre Arbeitsmarktpolitik, korrigieren Sie Ihre Steuerpolitik, schaffen Sie die Voraussetzung für einen fairen Wettbewerb, stärken Sie den Mittelstand, orientieren Sie sich an der sozialen Marktwirtschaft.

(Zuruf der Abgeordneten Dr. Runge (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) und Schläger (SPD))

Herr Dr. Runge, distanzieren Sie sich in Berlin von den Genossen, der die Verantwortung für die miserable Lage in den neuen Bundesländern trägt. Diese tragen nicht die Regierung Kohl/Waigel, sondern in erster Linie diejenigen Genossen, die dort drüben 40 Jahre regiert haben und mit denen Sie in Berlin wieder taktieren wollen. Geben Sie diese Politik auf, damit tun Sie uns einen Gefallen.

(Beifall bei der CSU)

Das Wort hat Herr Kollege Hoderlein.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute Morgen stand hier der alte Generalsekretär der CSU, der seit zwanzig Jahren die dickste und schwärzeste Parteibrille trägt, die in diesem Land jemals jemand auf der Nase hatte, nämlich Staatsminister Dr. Wiesheu. Sein Problem ist, er hat nicht gemerkt, dass er seit einigen Jahren eigentlich in einem anderen Amt tätig ist, nämlich in dem des bayerischen Wirtschaftsministers. Er selbst sagt vom Wesen der Wirtschaft, dass es in erheblichem Umfang von Psychologie beeinflusst wird. Herr Wiesheu, wenn Sie hier gegen alle Fakten blanke Polemik machen, brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn diese Stimmung auch auf die Wirtschaft übergreift und Effekte erzielt werden, die Sie sich nicht wünschen können.

(Beifall bei der SPD)

Sie erinnern mich an folgenden alten Bibelspruch: Er sieht den Splitter im Auge des Anderen, aber nicht den Balken im eigenen Auge. Ich kenne keinen verantwortungsvollen Politiker, egal aus welchem politischen Lager, der bestreitet, dass wir im Moment eine Konjunkturdelle haben, die niemand befriedigen kann. Sie nehmen dies jedoch zum Anlass, eine hemmungslose Polemik zu betreiben, statt seriös nach den Ursachen und Lösungsmöglichkeiten zu fragen. Wenn Sie es nicht machen, werde ich es jetzt tun.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CSU)

Erstens versuchen Sie mit dieser billigen Polemik, die jetzige wirtschaftliche und strukturelle Situation und deren Zusammenhänge, die weit in die Vergangenheit zurückreichen – das wäre bei keiner anderen Regierung anders gewesen – zu negieren und so zu tun, als sei die momentane Konjunkturdelle ein Ereignis, vom Februar, März oder April dieses Jahres, das ausschließlich auf Fehleinschätzungen und Fehlhaltungen der jetzigen Regierung zurückzuführen wäre. Genau dies ist es nicht, sondern die Ursachen liegen tiefer und weiter zurück. Diese Mängel hätten bereits in den Achtziger- und Neunzigerjahren beseitigt werden müssen. Darauf werde ich noch zu sprechen kommen.

(Beifall bei der SPD)

In Wahrheit war mit der alten Bundesregierung unter Kohl und Waigel eines verbunden: ein permanentes, durch nichts und niemanden aufzuhaltendes Wachstum bei der Arbeitslosigkeit, jedoch nicht bei der Wirtschaft.

Sie haben 1982 1,7 Millionen Arbeitslose übernommen. Dies muss man gelegentlich den Vertretern der Wirtschaft sagen. Es wird immer öfter der Eindruck erweckt, als greife Ihr Gedächtnis nicht weiter als bis zum 1. Januar 1999 zurück. Sie haben 1 Million Arbeitslose schon vor der Deutschen Einheit im Westen Deutschlands draufgepackt und damit 50 bis 60% Arbeitslosigkeitszuwachs in den Achtzigerjahren erreicht, und Sie sind 1998 mit 4,7 Millionen Arbeitslosen gegangen. Meine Damen und Herren, seien Sie doch ruhig und erzählen Sie hier nicht, Sie hätten die Rezepte und die Wirtschaftspolitik, die zu einer Beseitigung der Arbeitslosigkeit führt – Sie haben das Gegenteil bewiesen. Deshalb sind Sie heute der schlechteste aller Ratgeber.

(Beifall bei der SPD)

Ich moniere ebenso wie Sie das Wachstum. Auch ich hätte lieber 3% wie im letzten Jahr. Jetzt wird das Wachstum 2,1, 2,2 oder 2,3% betragen, niemand weiß es.

(Willi Müller (CSU): 1,2%!)

Sie werden feststellen, wir werden im Herbst einen Anstieg erleben. Auch daran muss man die Leute von der Wirtschaft gelegentlich erinnern, weil sie ihre Gedächtnisse offensichtlich nicht ausreichend geschärft haben. Lassen wir den Einigungsboom 1990/1991 außer Acht, den keine Regierung für sich verbuchen konnte, denn die Ostdeutschen brauchten Kühlschränke, Golfs und Ähnliches, dann gilt für die Jahre 1992 bis 1998, Herr Dr. Wiesheu, dass in keinem einzigen Jahr auch nur das Wachstum erreicht worden ist, das in dem schwachen Jahr 2001 von dieser Regierung erreicht wurde. Dies ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD)

Drittens gerieren Sie sich wie immer als die Klassiker, die etwas von Geld verstünden. Für Sie gilt der Satz: Die Schwarzen verstehen etwas von Geld, die Roten können es den Leuten nur aus der Tasche ziehen.

(Zurufe von der CSU)

Da sehen Sie, wie Sie bei Ihren Schulungen auf billige Instinkte getrimmt worden sind.

(Beifall und Lachen bei der SPD)

Im Grundkurs der Hanns-Seidel-Stiftung lernt man so etwas, oder? Sie haben 1982 im Bundeshaushalt eine Staatsverschuldung von 310 Milliarden DM und eine Zinsquote von etwa 7% vorgefunden Diese 310 Milliarden DM Staatsverschuldung sind zwischen 1949 und 1982, also in 33 Jahren Bundesrepublik Deutschland, angehäuft worden. Noch bevor die Deutsche Einheit kam, haben Sie es unter den Herren Kohl und Waigel geschafft, diese 310 Milliarden DM mehr als zu verdop

peln. Nachdem Sie nach 16 Jahren abgetreten sind, haben Sie diesem Land eine gigantische Staatsverschuldung von 1500 Milliarden DM und eine Zinsquote von 24% hinterlassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist der letzte Ratgeber, der anderen sagen kann, wie die Staatsquote und die Staatsverschuldung zurückgeführt werden sollen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CSU)

Sie haben etwas geschafft, was nach der reinen Lehre der Volkswirtschaft eigentlich vollkommen unmöglich ist. Sie haben es geschafft, Ende 1998 den absolut historischen Höchststand an Steuern für diese Land herbeizuschaffen – sowohl der Unternehmensteuer, der Körperschaftsteuer, als auch der Einkommensteuer. Die historisch höchsten Steuern haben Unternehmen und Arbeitnehmer „im Jahre des Heils“ 1998 bezahlt. Das kann niemand bestreiten.

(Zurufe von der CSU)

Die mit Abstand höchste Dynamik bei der Entwicklung der Staatsverschuldung, die absolute Höhe bei der Staatsverschuldung und die höchste Zinslastquote, die je ein Bundeshaushalt hatte, ist die Erbschaft, die wir 1998 von Ihnen ebenfalls hinterlassen bekommen haben.

Drittens. Alles, was Sie, meine Damen und Herren, getan oder gelassen haben – ob von einer Steuerreform zu faseln – etwas anderes haben Sie nicht gemacht -,

(Zuruf des Abgeordneten Fischer (CSU))

ob Konjunkturprogramme aufzulegen, was immer Sie getan haben: Nichts davon hat dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht, sondern sie ist permanent gestiegen. Das ist die Bilanz, die Sie uns hinterlassen haben. Deswegen seien Sie erst mal vorsichtig mit Ihren Vorschlägen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dinglreiter?

Nein. Wir haben in Berlin getan was wir konnten. Wir haben die Steuern, die Sie erhöht haben, gesenkt.

(Zurufe von der CSU)

Man kann darüber räsonieren, ob in den ersten beiden Stufen die Steuersenkung in Höhe von 45 Milliarden DM hinreichend war. Ich höre das von der Wirtschaft oft. Ich nehme das gerne hin. Ich glaube, dass es durchaus mehr Spielraum gegeben hätte. Sie müssen aber eines sehen: Es gibt in den ersten Stufen nicht mehr Spielräume zur weiteren Senkung, wenn nicht gleichzeitig ein

anderes Ziel verfolgt wird, nämlich die Staatsverschuldung und die Staatsquote abzusenken, was die Wirtschaft auch will. Vor dem Hintergrund der Hinterlassenschaft geht beides gleichzeitig aus volkswirtschaftlichen Gründen nicht. Das ist die Quadratur des Kreises. Deshalb haben wir uns für einen Mittelweg entschieden. Dieser ist richtig.

(Beifall bei der SPD)

Sie erhöhen die Steuern, wir senken sie. Sie steigern die Arbeitslosigkeit, wir sorgen dafür, dass sie zurückgeht.

(Zurufe von der CSU)

Das sind Fakten. Die Bundesanstalt für Arbeit wird Ihnen das bestätigen.